Frei Lesen: Robinson der Jüngere

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Joachim Heinrich Campe

Robinson der Jüngere

30. Abend

eingestellt: 6.6.2007





Vater. Nun, Kinder, das Schicksal unsers Robinsons ist seiner Entscheidung nahe. In einigen Stunden ist das Loos geworfen; und dan wird es sich zeigen, ob er abermahls ohne Hofnung einer Erlösung auf seiner Insel bleiben, oder ob ihm endlich sein langer heisser Wunsch, einmahl wieder zu seinen Eltern zu kommen, gewähret werden sol?

Es komt nemlich nun darauf an, ob der Schifskapitain durch Hülfe derjenigen Matrosen, die er begnadiget hat, das Schif wieder erobern kan, oder nicht? Ist jenes, so haben die Mühseligkeiten unsers Freundes ein Ende; ist aber dieses, ja so bleibt alles, wie es war, und es ist an keine Erlösung für ihn zu denken.

Der Begnadigten, welche sich jezt vor der Burg versamlet hatten, waren zehn. Robinson deutete ihnen im Nahmen des Stadthalters an, daß ihr Verbrechen ihnen unter der Bedingung verziehen werden solte, wenn sie ihren rechtmäßigen Vorgesezten behilflich wären, wieder Besiz von seinem Schiffe zu nehmen. Da nun alle die heiligste Versicherung gaben, daß sie diese Bedingung gern und treulich erfüllen würden: so fügte Robinson hinzu, daß sie hierdurch nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch zugleich das Leben ihrer noch gefangenen Kameraden retten könten, die, im Fal, daß das Schif nicht erobert würde, morgen mit Anbruch des Tages samt und sonders gehengt werden solten.

Eben dieses Urtheil wurde auch den Gefangenen kund gethan. Dan führte man beide Partheien, die Gefangenen und die Freigelassenen, zusammen, damit diese durch jene in ihrer Treue bestärkt werden mögten. Unterdeß muste der Schifszimmerman in aller Eile den durchlöcherten Boden des einen Boots ausbessern; und da dieses geschehen war, wurden beide Böte in der größten Geschwindigkeit wieder aufs Wasser gebracht. Darauf ward beschlossen, daß der Schifskapitain das eine, der Steuerman hingegen das andere Boot kommandiren, und daß die Manschaft unter sie vertheilt werden solte. Alle wurden mit Gewehr und Munizion versehen, und, nachdem darauf Robinson den Schifskapitain umarmt und ihm Glük zu seiner Unternehmung gewünscht hatte, ging jener unter Segel.



Nikolas. Das wundert mich doch, daß Robinson nicht mit ging!



Vater. Es war nicht Furchtsamkeit, sondern vernünftige Ueberlegung, die ihn zurük hielt. Die Gefangenen hätten losbrechen, hätten in seiner Abwesenheit sich der Burg bemächtigen können; und dieser einzige sichere Aufenthalt, der zugleich alle Hülfsmittel zu seiner Glükseeligkeit enthielt, war ihm viel zu wichtig, als daß er ihn so leichtsinnig hätte aufs Spiel sezen können. Der Kapitain hatte ihm daher selbst gerathen, daß er mit seinem Freitag zur Beschüzung dieses Orts zurük bleiben mögte.

Robinson, dessen ganzes Schiksal jezt entschieden werden solte, konte vor Unruhe und Beängstigung keine bleibende Stäte finden. Bald sezt er sich in seiner Höhle nieder, bald stieg er wieder auf den Wal, bald kletterte er die Strikleiter hinan, um von dem Gipfel des Hügels hinab durch die stille Nacht hin zu horchen, ob er nicht von dem Schiffe her irgend etwas hören könte. Ohngeachtet er den ganzen Tag über fast nichts gegessen hatte, so wars ihm doch unmöglich, etwas zu geniessen. Seine Unruhe wuchs mit jedem Augenblikke, weil das verabredete Signal - drei Kanonenschüsse - welches ihn von dem glüklichen Ausgange der Unternehmung benachrichtigen solte, noch immer nicht gehört wurde, ohngeachtet es schon Mitternacht war. Er besan sich indeß, daß er Unrecht habe, sich dem Affekte der Furcht und Hofnung so sehr zu überlassen, und er erinnerte sich noch zu rechter Zeit einer Lehre, die er erst vor kurzem seinem Freitag gegeben hatte. In zweifelhaften Fällen, hatte er zu diesem gesagt, mache dich immer auf den schlimsten gefaßt. Komt dieser schlimste Fal nicht; desto besser für dich! Komt er aber wirklich, nun so bist du darauf vorbereitet, und er wird dich nicht durch seine Ueberraschung betäuben.

Diesem Grundsaze zufolge stelte sich Robinson den unglüklichen Ausgang der Unternehmung als unbezweifelt vor, und bot seine ganze Standhaftigkeit, sein ganzes Vertrauen auf die götliche Vorsehung auf, um auch diesen Schlag des Schiksals zu ertragen. Schon hatt er fast alle Hofnung gänzlich aufgegeben, als auf einmahl der ferne Knal einer Kanone wirklich gehört wurde.

Robinson fuhr auf, wie einer, der durch einen plözlichen Schal aus dem Schlummer aufgeschrekt wird. Puf! hört er den zweiten und abermahls puf! den dritten Kanonenschuß. Und nun war an der glüklichen Eroberung des Schifs und an seiner bevorstehenden Erlösung gar nicht zu zweifeln.

Im höchsten Taumel der Freude, mehr fliegend, als tretend, huscht er die Strikleiter hinab; fiel Freitag, welcher schlummernd auf einer Grasbank saß, um den Hals, drükte ihn, und benezte, ohne ein Wort hervor bringen zu können, sein Gesicht mit vielen Tränen. »Was ist dir, lieber Herr?« fragte Freitag, indem er sich ermunterte, und über die ungestümen Liebkosungen, die ihm widerfuhren, ganz erschrekt war. Aber Robinson konte im Uebermaaß seiner Freude weiter nichts hervorbringen, als: ach, Freitag!

»Gott sei dem Kopfe meines armen Herrn gnädig!« dachte Freitag, weil er auf die Vermuthung gerieth, daß er wahnsinnig geworden sei. »Lege dich schlafen, lieber Herr!« sagt er zu ihm, und wolte ihm unter die Arme fassen, um ihn in die Höhle zu führen. Aber Robinson sahe ihm mit unbeschreiblicher Freundlichkeit ins Gesicht und antwortete: »Schlafen, lieber Freitag? Ich, jezt schlafen, in dem Augenblikke, da der Himmel meinen einzigen langen Herzenswunsch erfült hat? Hast du die drei Kanonenschüsse nicht gehört? Weißt du noch nicht, daß das Schif erobert ist?«

Nun gingen Freitag die Augen auf. Auch er fing an, sich zu freuen, aber doch nicht so stark und nicht um seinetwegen, sondern um seines guten Herrn willen. Denn der Gedanke, seinen vaterländischen Himmel auf immer verlassen zu müssen, verbitterte ihm das Vergnügen; in Robinsons und seines Vaters Geselschaft nach einem Lande zu reisen, aus dem er schon so viele Wunderdinge gesehen hatte, und in dem er noch grössere zu sehn erwartete.

Robinson war vor lauter Entzükken jezt unruhiger, als jemahls. Bald kletterte er den Hügel hinan, warf sich da im Angesicht des sternbesäten Himmels auf seine Knie, um Gott für seine Erlösung zu danken; bald stieg er wieder hinab, umarmte seinen Freitag, sprach von nichts, als Hamburg, und fing schon an, seine Sachen einzupakken. So verstrich ihm die ganze Nacht, ohne daß es ihm ein einzigesmahl eingefallen wäre, sich zur Ruhe begeben zu wollen.

Mit Anbruch des Tages waren seine Augen unverwandt nach der Gegend hin gerichtet, wo das Schif vor Anker lag, und er erwartete mit Schmerzen den Augenblik der vollkommenen Helle, um das Werkzeug seiner Befreiung, das Schif, mit seinen Augen zu sehen. Dieser Augenblik kam; aber - o Himmel! wie groß war sein Entsezen, da er mit völliger Gewisheit sehen muste, - daß das Schif verschwunden sei! Er that einen lauten Schrei, und sank zu Boden.

Freitag rante herbei, und konte lange nicht erfahren, was seinem Herrn eigentlich angekommen sei. Endlich strekte dieser seine zitternde Hand nach dem Meere hin, und sprach mit schwacher sterbender Stimme: Sieh hin! Freitag sahe hin; und nun wust er, was seinem Herrn fehlte.

(Die junge Geselschaft wuste nicht, wie sie sich bei dieser Stelle nehmen solte. Gern hätte sie sich der Freude über die nun zu hoffende Verlängerung der Geschichte überlassen; aber die Empfindung des Mitleids über des armen Robinsons abermahliges Unglük dämpfte diese freudige Aufwallung, und ließ sie nicht zum Ausbruch kommen. Alle beobachteten daher ein tiefes Stilschweigen; und der Vater fuhr fort:)

Unser Robinson giebt uns hier ein Beispiel, welches uns lehren kan, wie sehr auch gute, schon gebesserte Menschen auf ihrer Hut sein müssen, daß sie sich nicht von gar zu starken Leidenschaften dahin reissen lassen. Hätte Robinson sich nicht so ausschweifend gefreut: so würd er sich nun auch nicht so ausschweifend betrüben; und hätte die Betrübniß nicht seinen ganzen Verstand so sehr umnebelt gehabt: so würd er erkant haben, daß er auch diese götliche Schikkung mit geduldiger Unterwerfung sich müsse gefallen lassen, so sehr auch immer seine besten Hofnungen dadurch vereitelt wurden. Besonders würd er bedacht haben, daß die götliche Vorsehung auch dan noch Mittel zu unserer Rettung weiß, wenn wir selbst kein einziges mehr für möglich halten; und dieser Gedanke würde ihn beruhiget haben. Seht, Kinder, wie viel selbst gute Menschen noch immer an sich zu bessern haben.

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