Joachim Heinrich Campe
Robinson der Jüngere
30. Abend
eingestellt: 6.6.2007
Vater. Nun, Kinder, das Schicksal unsers
Robinsons ist seiner Entscheidung nahe. In einigen Stunden ist das Loos geworfen; und dan wird es sich zeigen, ob er abermahls ohne Hofnung einer Erlösung auf seiner Insel bleiben, oder ob ihm endlich sein langer heisser Wunsch, einmahl wieder zu seinen Eltern zu kommen, gewähret werden sol?
Es komt nemlich nun darauf an, ob der Schifskapitain durch
Hülfe derjenigen Matrosen, die er begnadiget hat, das Schif wieder erobern kan, oder nicht? Ist jenes, so haben die Mühseligkeiten unsers Freundes ein Ende; ist aber dieses, ja so bleibt alles, wie es war, und es ist an keine Erlösung für ihn zu denken.
Der Begnadigten, welche sich jezt vor der Burg versamlet hatten, waren zehn. Robinson deutete ihnen im Nahmen des Stadthalters an, daß ihr Verbrechen ihnen unter der Bedingung
verziehen werden solte, wenn sie ihren rechtmäßigen Vorgesezten behilflich wären, wieder Besiz von seinem Schiffe zu nehmen. Da nun alle die heiligste Versicherung gaben, daß sie diese Bedingung gern und treulich erfüllen würden: so fügte Robinson hinzu, daß sie hierdurch nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch zugleich das Leben ihrer noch gefangenen Kameraden retten könten, die, im Fal, daß das Schif nicht erobert würde,
morgen mit Anbruch des Tages samt und sonders gehengt werden solten.
Eben dieses Urtheil wurde auch den Gefangenen kund gethan. Dan führte man beide Partheien, die Gefangenen und die Freigelassenen, zusammen, damit diese durch jene in ihrer Treue bestärkt werden mögten. Unterdeß muste der Schifszimmerman in aller Eile den durchlöcherten Boden des einen Boots ausbessern; und da dieses geschehen war, wurden beide Böte in der
größten Geschwindigkeit wieder aufs Wasser gebracht. Darauf ward beschlossen, daß der Schifskapitain das eine, der Steuerman hingegen das andere Boot kommandiren, und daß die Manschaft unter sie vertheilt werden solte. Alle wurden mit Gewehr und Munizion versehen, und, nachdem darauf Robinson den Schifskapitain umarmt und ihm Glük zu seiner Unternehmung gewünscht hatte, ging jener unter Segel.
Nikolas. Das wundert mich doch,
daß
Robinson nicht mit ging!
Vater. Es war nicht Furchtsamkeit, sondern vernünftige Ueberlegung, die ihn zurük hielt. Die Gefangenen hätten losbrechen, hätten in seiner Abwesenheit sich der Burg bemächtigen können; und dieser einzige sichere Aufenthalt, der zugleich alle Hülfsmittel zu seiner Glükseeligkeit enthielt, war ihm viel zu wichtig, als daß er ihn so leichtsinnig hätte aufs Spiel sezen
können. Der Kapitain hatte ihm daher selbst gerathen, daß er mit seinem
Freitag zur Beschüzung dieses Orts zurük bleiben mögte.
Robinson, dessen ganzes Schiksal jezt entschieden werden solte, konte vor Unruhe und Beängstigung keine bleibende Stäte finden. Bald sezt er sich in seiner Höhle nieder, bald stieg er wieder auf den Wal, bald kletterte er die Strikleiter hinan, um von dem Gipfel des Hügels
hinab durch die stille Nacht hin zu horchen, ob er nicht von dem Schiffe her irgend etwas hören könte. Ohngeachtet er den ganzen Tag über fast nichts gegessen hatte, so wars ihm doch unmöglich, etwas zu geniessen. Seine Unruhe wuchs mit jedem Augenblikke, weil das verabredete Signal - drei Kanonenschüsse - welches ihn von dem glüklichen Ausgange der Unternehmung benachrichtigen solte, noch immer nicht gehört wurde, ohngeachtet es schon Mitternacht war. Er
besan sich indeß, daß er Unrecht habe, sich dem Affekte der Furcht und Hofnung so sehr zu überlassen, und er erinnerte sich noch zu rechter Zeit einer Lehre, die er erst vor kurzem seinem Freitag gegeben hatte. In zweifelhaften Fällen, hatte er zu diesem gesagt, mache dich immer auf den schlimsten gefaßt. Komt dieser schlimste Fal nicht; desto besser für dich! Komt er aber wirklich, nun so bist du darauf vorbereitet, und er wird dich
nicht durch seine Ueberraschung betäuben.
Diesem Grundsaze zufolge stelte sich Robinson den unglüklichen Ausgang der Unternehmung als unbezweifelt vor, und bot seine ganze Standhaftigkeit, sein ganzes Vertrauen auf die götliche Vorsehung auf, um auch diesen Schlag des Schiksals zu ertragen. Schon hatt er fast alle Hofnung gänzlich aufgegeben, als auf einmahl der ferne Knal einer Kanone wirklich gehört wurde.
Robinson fuhr auf, wie einer, der durch einen plözlichen Schal aus dem Schlummer aufgeschrekt wird. Puf! hört er den zweiten und abermahls puf! den dritten Kanonenschuß. Und nun war an der glüklichen Eroberung des Schifs und an seiner bevorstehenden Erlösung gar nicht zu zweifeln.
Im höchsten Taumel der Freude, mehr fliegend, als tretend, huscht er die Strikleiter hinab; fiel Freitag, welcher
schlummernd auf einer Grasbank saß, um den Hals, drükte ihn, und benezte, ohne ein Wort hervor bringen zu können, sein Gesicht mit vielen Tränen. »Was ist dir, lieber Herr?« fragte Freitag, indem er sich ermunterte, und über die ungestümen Liebkosungen, die ihm widerfuhren, ganz erschrekt war. Aber Robinson konte im Uebermaaß seiner Freude weiter nichts hervorbringen, als: ach, Freitag!
»Gott sei dem Kopfe meines armen Herrn gnädig!« dachte Freitag, weil er auf die Vermuthung gerieth, daß er wahnsinnig geworden sei. »Lege dich schlafen, lieber Herr!« sagt er zu ihm, und wolte ihm unter die Arme fassen, um ihn in die Höhle zu führen. Aber Robinson sahe ihm mit unbeschreiblicher Freundlichkeit ins Gesicht und antwortete: »Schlafen, lieber Freitag? Ich, jezt schlafen, in dem Augenblikke,
da der Himmel meinen einzigen langen Herzenswunsch erfült hat? Hast du die drei Kanonenschüsse nicht gehört? Weißt du noch nicht, daß das Schif erobert ist?«
Nun gingen Freitag die Augen auf. Auch er fing an, sich zu freuen, aber doch nicht so stark und nicht um seinetwegen, sondern um seines guten Herrn willen. Denn der Gedanke, seinen vaterländischen Himmel auf immer verlassen zu müssen, verbitterte ihm das
Vergnügen; in Robinsons und seines Vaters Geselschaft nach einem Lande zu reisen, aus dem er schon so viele Wunderdinge gesehen hatte, und in dem er noch grössere zu sehn erwartete.
Robinson war vor lauter Entzükken jezt unruhiger, als jemahls. Bald kletterte er den Hügel hinan, warf sich da im Angesicht des sternbesäten Himmels auf seine Knie, um Gott für seine Erlösung zu danken; bald stieg er wieder hinab,
umarmte seinen Freitag, sprach von nichts, als Hamburg, und fing schon an, seine Sachen einzupakken. So verstrich ihm die ganze Nacht, ohne daß es ihm ein einzigesmahl eingefallen wäre, sich zur Ruhe begeben zu wollen.
Mit Anbruch des Tages waren seine Augen unverwandt nach der Gegend hin gerichtet, wo das Schif vor Anker lag, und er erwartete mit Schmerzen den Augenblik der vollkommenen Helle, um das Werkzeug seiner Befreiung, das
Schif, mit seinen Augen zu sehen. Dieser Augenblik kam; aber - o Himmel! wie groß war sein Entsezen, da er mit völliger Gewisheit sehen muste, - daß das Schif verschwunden sei! Er that einen lauten Schrei, und sank zu Boden.
Freitag rante herbei, und konte lange nicht erfahren, was seinem Herrn eigentlich angekommen sei. Endlich strekte dieser seine zitternde Hand nach dem Meere hin, und sprach mit schwacher sterbender Stimme:
Sieh hin! Freitag sahe hin; und nun wust er, was seinem Herrn fehlte.
(Die junge Geselschaft wuste nicht, wie sie sich bei dieser Stelle nehmen solte. Gern hätte sie sich der Freude über die nun zu hoffende Verlängerung der Geschichte überlassen; aber die Empfindung des Mitleids über des armen Robinsons abermahliges Unglük dämpfte diese freudige Aufwallung, und ließ sie nicht zum Ausbruch kommen. Alle
beobachteten daher ein tiefes Stilschweigen; und der Vater fuhr fort:)
Unser Robinson giebt uns hier ein Beispiel, welches uns lehren kan, wie sehr auch gute, schon gebesserte Menschen auf ihrer Hut sein müssen, daß sie sich nicht von gar zu starken Leidenschaften dahin reissen lassen. Hätte Robinson sich nicht so ausschweifend gefreut: so würd er sich nun auch nicht so ausschweifend betrüben; und hätte die
Betrübniß nicht seinen ganzen Verstand so sehr umnebelt gehabt: so würd er erkant haben, daß er auch diese götliche Schikkung mit geduldiger Unterwerfung sich müsse gefallen lassen, so sehr auch immer seine besten Hofnungen dadurch vereitelt wurden. Besonders würd er bedacht haben, daß die götliche Vorsehung auch dan noch Mittel zu unserer Rettung weiß, wenn wir selbst kein einziges mehr für möglich halten; und dieser Gedanke
würde ihn beruhiget haben. Seht, Kinder, wie viel selbst gute Menschen noch immer an sich zu bessern haben.
Indem nun Robinson so trostlos da lag, und Freitag ihn zu beruhigen suchte: hörten sie auf einmahl an der andern Seite des Hügels ein Geräusch, welches den Tritten mehrerer Menschen ähnlich war. Sie sprangen auf, blikten hin, und sahen mit freudigem Erstaunen - den Schifskapitain, der mit einigen seiner Leute den Hügel herauf stieg. Ein Sprung, und Robinson lag in seinen Armen! Indem er sich umdrehete, hatt er auf der
westlichen Küste das Schif in einer kleinen Bucht vor Anker gesehen, und in demselben Augenblikke war sein Kummer verschwunden. Der bloße Anblik nemlich sagte ihm, daß der Kapitain noch vor Anbruch des Tages die Lage seines Schifs geändert und es auf diejenige Seite der Insel gebracht habe, wo es in einem bequemen Hafen sicher vor Anker liegen konte.
Lange hing Robinson in stummer Entzükkung an dem Halse des eben so hoch
erfreuten Schifskapitains, bis es endlich zu gegenseitigem Glükwünschungen und Danksagungen kam. Dan erzählte der Kapitain, daß es ihm gelungen sei, sich des Schiffes zu bemächtigen, ohne daß ein einziger Mensch verwundet oder getödtet worden sei, weil man in der Dunkelheit der Nacht ihn selbst nicht bemerkt, und gar kein Bedenken getragen hatte, seine Begleiter aufzunehmen. Die Aergsten unter den Empörern hätten sich nachher zwar zur Wehre
stellen wollen. aber ihr Widerstand sei fruchtlos gewesen. Man hätte sie ergriffen und in Fesseln gelegt. Hierauf überließ er sich den Empfindungen der Dankbarkeit gegen seinen Erretter. »Sie sind es, sagt er, indem eine Träne ihm aus dem Auge quol; Sie sind es, edler Man, dessen Mitleid und Klugheit mich und mein Schif gerettet haben. Dort steht es! es ist das Ihrige; befehlen Sie darüber und über mich selbst, wie es Ihnen gut dünken wird.«
Dan ließ er einige Erfrischungen herbei tragen, die er aus dem Schiffe mitgebracht hatte, und alle nahmen nun mit frohem Herzen ein wohlschmekkendes Frühstük ein.
Unterdeß erzählte Robinson dem Schifskapitain seine wunderbaren Schiksale, und sezte diesen dadurch mehr, als einmahl, in das größte Erstaunen. Dan bat der Kapitain, daß Robinson ihm nun vorschreiben mögte, was er für ihn thun solte;
und Robinson antwortete: »Ich habe ausser dem, was ich gestern zur Bedingung meines Beistandes machte, noch eine dreifache Bitte an Sie. Erstlich ersuche ich Sie, daß Sie so lange hier verziehen mögen, bis meines ehrlichen Freitags Vater mit den Spaniern zurükkommen wird; zweytens, daß Sie ausser mir und meinen Hausleuten auch die sämtlichen Spanier aufnehmen und zuerst nach Kadix segeln mögen, um diese daselbst auszusezen. Endlich bitte
ich Sie, daß Sie auch den vornehmsten Aufrührern das Leben schenken, und, stat einer andern Strafe, sie auf dieser meiner Insel zurüklassen mögen; weil ich versichert bin, daß dies das beste Mittel sein wird, sie zu bessern.«
Der Schifskapitain versicherte, daß alles pünktlich so geschehen solte, wie er es verlangte; ließ die Gefangenen herbei führen; suchte die Aergsten darunter aus, und kündigte ihnen
ihr Urtheil an. Diese waren sehr erfreut darüber, weil sie wusten, daß sie nach den Gesezen das Leben verwirkt hatten. Der menschenfreundliche Robinson gab ihnen Anweisung, wie sie sich ihren Lebensunterhalt erwerben könten, und versprach, daß er ihnen seinen ganzen Reichthum an Werkzeugen, Hausrath und Vieh zurük lassen wolte. Er schärfte ihnen dabei zu wiederhohlten mahlen Vertrauen auf Gott, Arbeitsamkeit und Eintracht ein, und versicherte,
daß diese Tugenden ihnen den Aufenthalt auf dieser Insel ungemein angenehm machen würden.
Indem er noch so sprach, kam Freitag ganz ausser Athem mit der frohen Nachricht herbei gerant, daß sein Vater mit den Spaniern ankäme und jezt eben landen werde. Die ganze Geselschaft machte sich also auf, ihnen entgegen zu gehen; aber Freitag flog vor allen andern hin, und hieng seinem alten Vater schon längst am Halse, da die
Uebrigen herbei kamen.
Robinson erblikte mit Verwunderung, daß unter den Angekommenen auch zwei Frauenspersonen waren; und da er sich bei Donnerstag darnach erkundigte, erfuhr er: daß sie die Weiber zweier Spanier wären, die sie sich von den eingebohrnen Wilden genommen hätten. Diese beiden Spanier hatten kaum gehört, daß Robinson abreisen, und einige Matrosen auf der Insel zurük lassen würde: als
sie sich von ihm die Erlaubniß ausbaten, mit ihren Weibern gleichfalls da zu bleiben, weil sie nach allem, was sie von dieser Insel gehört hätten, sich keinen bessern Aufenthalt wünschen könten.
Robinson hörte diese Bitte gern und erfülte sie mit Vergnügen. Es war ihm lieb, daß ein Paar Männer zurükblieben, denen ihre Kameraden einstimmig das Zeugniß der Ehrlichkeit gaben; weil er hofte,
daß diese die übrigen schlechten Burschen zu einem ordentlichen und friedfertigen Leben würden anhalten können. In dieser Absicht beschloß er, die Andern alle von diesen beiden abhängig zu machen.
Er ließ sie daher alle vor sich kommen, um ihnen seinen Willen kund zu thun. Es waren überhaupt sechs Engländer und die beiden Spanier mit ihren Weibern. Robinson redete sie folgendermaassen an:
»Keiner unter euch wird mir hoffentlich das Recht streitig machen, mit meinem Eigenthume - und dies ist die ganze Insel nebst allem, was darauf ist - zu schalten und zu walten, wie es mir gefällt. Ich wünsche aber, daß es euch allen, die ihr hier zurük bleiben werdet, recht wohl gehen möge. Hierzu wird eine ordentliche Einrichtung erfodert, und mir komt es zu, sie zu machen. Ich erkläre demnach, daß diese beiden Spanier
künftig meine Stelle vertreten, und an meiner Stat die rechtmäßigen Herrn der Insel sein sollen. Euch andern komt es also zu, ihnen den strengsten Gehorsam zu beweisen. Sie allein sollen meine Burg bewohnen; sie allein sollen alle Gewehre, alle Kriegsmunizion, alle Werkzeuge in Verwahrung haben; aber sie sollen dabei auch verbunden sein, euch andern davon zu leihen, was ihr bedürft, unter der Bedingung, daß ihr euch friedfertig und in jeder Betrachtung ordentlich
betraget. Giebt es Gefahren: so solt ihr alle für einen Man stehen; giebt es etwas zu arbeiten, es sei auf dem Felde oder im Garten, so sollen Alle diese Arbeit gemeinschaftlich verrichten und die jedesmahlige Erndte unter sich theilen. Vielleicht habe ich einmahl Gelegenheit, mich nach euch erkundigen zu lassen; vielleicht beschliesse ich selbst einmahl, wieder hieher zurük zu kehren, um den Rest meiner Tage auf dieser mir jezt so lieben Insel zuzubringen. Wehe alsdan dem, der
unterdeß diese meine Anordnung umstoßen wird! Er würde ohne Barmherzigkeit in einen kleinen Nachen gesezt, und bei stürmischer Witterung dem grossen Weltmeere Preiß gegeben werden.«
Alle bezeugten ihre Zufriedenheit mit dieser Einrichtung und gelobten den strengsten Gehorsam an.
Und nun machte Robinson ein Verzeichniß von den wenigen Sachen, die er mitnehmen wolte, und
die daher am Bord gebracht werden solten. Sie bestanden 1) aus seiner selbst gemachten Kleidung von Fellen, nebst Sonnenschirm und Larve; 2) aus den von ihm verfertigten Spieß, Bogen und steinernen Beile; 3) aus seinem Pol, dem Pudel, und zweien Lamas; 4) aus allerlei Werkzeuge und Geräthschaft, die er selbst verfertiget hatte, da er noch allein war und endlich 5) aus den Goldkörnern, den Diamanten, und seinem eigenen großen Goldklumpen.
Nachdem dies alles zu Schiffe gebracht, und der Wind sehr günstig war, wurde die Abreise auf den folgenden Morgen festgesezt. Robinson und Freitag bereiteten darauf eine Mahlzeit zu, um den Schifskapitain und den zurükbleibenden Kolonisten vor ihrer Abreise erst ein kleines Fest zu geben. Das Beste, was sie hatten, wurde dazu hergegeben, und die Speisen waren so schmakhaft zubereitet worden, daß der Kapitain sich nicht genug
über Robinsons Geschiklichkeit in der Kochkunst wundern konte. Um dem edlen Beispiele seines Wirths zu folgen, und zu der Glükseeligkeit der Zurükbleibenden auch etwas beizutragen, ließ er eine Menge Lebensmittel, Schießpulver, Eisen und Werkzeuge von dem Schiffe hohlen, womit er der Kolonie ein Geschenk machte.
Gegen Abend bat sich Robinson die Erlaubniß aus, eine Stunde allein sein zu dürfen, weil er vor seiner Abreise noch einige wichtige Geschäfte abzuthun habe. Jederman verließ ihn; und er stieg den Hügel hinauf, um noch einmahl der ganzen Geschichte seines Aufenthalts auf dieser Insel nachzudenken, und sein volles Herz in kindlicher Dankbarkeit vor Gott zu ergießen. Es fehlt mir an Worten, die frommen dankbaren Empfindungen
desselben auszudrükken; aber wer ein Herz, wie das Seinige, hat, der bedarf auch meiner Beschreibung nicht; er wird es in sich selbst lesen können.
Jezt war der Augenblik zur Abreise da. Mit Tränen in den Augen ermahnte Robinson die Zurükbleibenden noch einmahl zur Eintracht, zur Arbeitsamkeit und zur Frömmigkeit und empfahl sie darauf mit brüderlichem Herzen dem Schuze des Gottes, der ihn selbst so
wunderbar geleitet hatte. Dan sah er sich noch einmahl umher; dankte noch einmahl Gott für seine wunderbare Erhaltung und für seine nunmehrige Erlösung; rief darauf mit halb erstikter Stimme den Zurükbleibenden das lezte Lebewohl! zu und ging von Freitag und Donnerstag begleitet an Bord.
Einige. O weh! Nun ist s aus.
Johannes. Wartet doch! Wer weiß denn, ob nicht wieder etwas dazwischen komt!
Vater. Der Wind wehete so frisch und so günstig, daß es ihnen grade so vorkam, als wenn die Insel davon flöge. So lange sie noch gesehen werden konte, stand
Robinson stum und traurig auf dem Verdekke, die Augen unverrükt auf das geliebte Land gerichtet, welches ein zwölfjähriger Aufenthalt und die mannigfaltigen darauf entstandenen Mühseeligkeiten ihm so werth, als sein eigenes Vaterland, gemacht hatten. Endlich, da auch die lezte
Bergspize aus seinen Augen verschwand, blikt er gen Himmel, sagte sich selbst in Gedanken das Lied:
Nun danket alle Gott! vor, und verfügte sich mit
Donnerstag und
Freitag in die Kajüte des Kapitains, um seinem beklommenen Herzen durch freundschaftliche Gespräche Luft zu machen.
Ihre Fahrt war sehr glüklich. In 24 Tagen erreichten sie Cadix, woselbst die mitgenommenen Spanier ausgesezt wurden. Robinson selbst
ging gleichfalls an Land, um den Kaufman aufzusuchen, dessen Goldkörner er gerettet hatte. Er fand ihn und hatte die Freude zu erfahren, daß dieser rechtschaffene Man durch ihn aus der größten Verlegenheit gerissen werde. Der Verlust des Schiffes hatte nemlich die traurige Folge für ihn gehabt, daß er Bankerot machen muste.
Frizchen. Was ist das?
Vater. Wenn jemand mehr schuldig ist, als er bezahlen kan:
so wird ihm alles, was er noch etwa hat, genommen, um es unter diejenigen zu vertheilen, denen er schuldig blieb, und das nent man denn Bankerot machen.
Das Tönchen vol Goldkörner war mehr, als hinreichend, des Kaufmans Schulden damit zu bezahlen. Den Ueberrest wolte der dankbare Man seinem Wohlthäter schenken; aber dieser war weit davon entfernt, es anzunehmen, weil er, wie er sagte, durch das Bewustsein, das Unglük eines ehrlichen Mannes
abgewandt zu haben, überflüßig belohnt war.
Von da gingen sie wieder unter Segel, um nach England zu schiffen. Aber auf dieser Fahrt ereignete sich ein trauriger Unfal. Der alte Donnerstag wurde plözlich krank; alle angewandte Bemühungen, ihm zu helfen, waren vergebens; er starb. Was Freitag dabey litte; und wie unmäßig er den Tod eines so geliebten Vaters bejammerte, könt ihr euch vorstellen. Auch die
beiden Lamas konten das Seefahren nicht ertragen, und starben.
Unterdeß langte das Schif glüklich zu Portsmouth, einem bekanten Hafen in England, an. Hier hofte Robinson, die Offizierswitwe wieder vorzufinden, der er die Diamanten zustellen wolte. Er fand sie; aber in dem aller kläglichsten Zustande. Da sie seit zwei Jahren von ihrem verstorbenen Manne ganz und gar keine Unterstüzung mehr aus Ostindien erhalten hatte, so war sie nach
und nach mit ihren Kindern in die allergrößte Armuth versunken. Ihre Leiber waren kaum noch mit einigen alten Lumpen bedekt, und Hunger und Elend hatte das Gesicht der Mutter und ihrer Kinder mit Todtenblässe überzogen. Robinson ärndtete hier abermahls die Wollust ein, deren jeder gute Mensch geniesset, wenn die göttliche Vorsehung sich seiner, als eines Werkzeuges, bedient, um dem Elende anderer Menschen ein Ende zu machen. Er übergab die
Diamanten und sahe darauf die hinwelkende schon halb verhungerte Familie, wie eine schon halb erstorbene Pflanze nach einem erquikkenden Sommerregen, in wenigen Tagen wieder aufblühen, und einer Glükseeligkeit genießen, auf die sie für dieses Leben schon längst Verzicht gethan hatte.
Da hier grade ein Schif vor Anker lag, welches nach Hamburg bestimt war: so verließ er seinen bisherigen Führer, um ihn nicht weiter zu
bemühen, und ging, von Freitag begleitet, an Bord dieses Hamburgischen Schiffes; welches bald darauf die Anker lichtete.
Auch diese Fahrt ging geschwind und glüklich von statten. Schon hatten sie Heiligeland im Gesicht; schon erschien am fernen Horizonte Robinsons geliebtes Vaterland, bei dessen Anblik ihm das Herz vor Freude zerspringen wolte; schon erreichten sie die Mündung der Elbe, als plözlich ein vom heftigsten
Sturme begleitetes Gewitter ausbrach, wodurch das Schif mit unwiderstehlicher Gewalt gegen die Küste getrieben wurde. Alles, was Geschiklichkeit und Fleiß vermögen, wurde angewandt, um das Schif zu wenden und wieder die hohe See zu erreichen; aber umsonst, ein gewaltiger Windstoß vereitelte alle ihre Bemühungen, riß das Schif dahin und warf es so unsanft auf eine Sandbank daß der Boden desselben zertrümmert wurde.
Das
Wasser stürzte in demselben Augenblikke so unerschöpflich hinein, daß an keine Rettung des Schifs zu denken war, und daß die Schifsgeselschaft nur noch eben so viel Zeit hatte, in die Böte zu springen, um, wo möglich, nur ihr eigenes Leben davon zu tragen. So kam Robinson mit seinen Gefährten, abermahls als ein armer Schifbrüchiger, endlich zu Kuxhaven an, ohne von seinem ganzen Reichthum irgend sonst etwas gerettet zu haben, als
seinen treuen Pudel, der ihm nachgesprungen war, und seinen Pol, der ihm eben auf der Schulter saß, da der Schifbruch sich ereignete. Nach einiger Zeit erfuhr er, daß unter denen von dem Wrak des Schiffes geretteten Sachen, nur sein Schirm und seine selbstgemachte Pelzkleidung befindlich wären. Diese erhielt er, gegen Erlegung der Strandrechtskosten, wieder: sein ganzer großer Goldklumpen hingegen war verloren gegangen.
Johannes. O der arme
Robinson!
Vater. Er ist nun grade wieder so reich, als er damahls war, da er von
Hamburg abfuhr. Vielleicht, daß die Vorsehung ihn deswegen alles wieder verlieren ließ, weil der Anblik seines Reichthums einen oder den andern leichtsinnigen jungen Menschen vielleicht hätte bewegen können, seinem Beispiele zu folgen, und auch aufs Gerathewohl in die weite Welt zu gehen, um, so wie er, mit gefundenen Schäzen zurük zu kehren.
Er für sein Theil beklagte diesen Verlust am wenigsten. Denn da er sich fest vorgenommen hatte, seine künftigen Tage in eben so ununterbrochener Arbeitsamkeit und Mäßigkeit hinzubringen, als er auf seiner Insel zu leben gewohnt gewesen war: so kont er des Goldes füglich entbehren.
Jezt fuhr er in einem von Kuxhaven abgehenden Schiffe nach Hamburg. Da man bis gegen Stade über heraufgesegelt war, erblikt er die
Thürme seiner Vaterstadt und muste vor Entzükken weinen. Nur noch vier Stunden so war er da, so lag er schon in den Armen seines theuren geliebten Vaters. Den Tod seiner guten Mutter hatte er schon in Kuxhaven gehört, und seit einigen Tagen auf das schmerzlichste beweint.
Jezt flog das Schif von hoher Fluth und gutem Winde getrieben bei Blankenese vorbei; jezt bei Neuenstädten; nun war er gegen Altona über und jezt in
dem Hafen bei Hamburg. Mit lautklopfendem Herzen sprang er aus dem Schiffe, und hätte er sich nicht vor den Zuschauern geschämt, er wurde auf sein Angesicht gefallen sein, den vaterländischen Boden zu küssen. Er eilte durch die ihn angaffende Menge der Zuschauer und ging ins Baumhaus.
Von da schikt er einen Boten nach seines Vaters Hause, um denselben nach und nach auf seine Erscheinung vorbereiten zu lassen. Erst muste der Abgeschikte ihm melden: es wäre jemand da, der ihm angenehme Nachrichten von seinem Sohne bringen wolte; dan, daß sein Sohn die Rükreise selbst nach Hamburg angetreten hätte; und endlich, daß der Jemand, der ihm diese frohe Nachricht brächte, sein Sohn selbst wäre. Hätte Robinson diese Vorsicht nicht gebraucht: so wurde die zu große Freude seinen alten Vater überwältiget und getödtet haben.
Und nun flog Robinson selbst durch die ihm noch sehr wohlbekanten Straßen nach seinem väterlichen Hause; und fiel, da er es erreicht hatte, vor nahmenlosen Entzükken ausser sich, seinem vor Freude zitternden Vater in die Arme. Mein Vater! - mein Sohn! Dies war alles, was beide hervorbringen konten. Stum, zitternd und athemlos blieb einer an dem andern hängen, bis endlich ein wohlthätiger Strom von Tränen ihrem gepreßten Herzen einige Linderung verschafte.
Freitag gafte unterdeß im stummen Erstaunen alle die unzählbaren Wunderdinge an, die seinen Augen sich darboten. Er konte sich nicht sat sehen, und war den ganzen ersten Tag wie betäubt.
Wie ein Lauffeuer lief indeß das Gerücht von Robinsons Zurükkunft und von den seltsamen Schiksalen desselben durch die Stadt. Alle sprachen von nichts, als von Robinson; alle wolten ihn sehen; alle wolten die Geschichte seiner Abentheuer aus seinem eigenen Munde hören! Seines Vaters Haus wurde daher bald einem öffentlichen Versamlungsplaze gleich; und da half nichts, Robinson muste vom Morgen bis an den Abend erzählen. Bei diesen Erzählungen vergaß er dan nie, den Vätern und Müttern zuzurufen: Eltern, wenn ihr eure Kinder liebt, so gewöhnt sie ja frühzeitig zu einem frommen, mäßigen und arbeitsamen Leben! und waren Kinder dabei: so gab er ihnen allemahl die goldne Regel mit: lieben Kinder seid gehorsam euren Eltern und Vorgesezten; lernt fleißig alles, was ihr zu lernen nur immer Gelegenheit habt; fürchtet Gott, und hütet euch - o hütet euch - vor Müßiggang, aus welchem nichts, als Böses komt!
Robinsons Vater war ein Makler. Er wünschte, daß sein Sohn sich in diesen Geschäften üben mögte, um nach seinem Tode an seine Stelle treten zu können. Aber Robinson, der seit vielen Jahren an das Vergnügen der Handarbeiten gewöhnt war, bat seinen Vater um die Erlaubniß, das Tischler-Handwerk zu lernen; und dieser ließ ihm seinen freien Willen. Er begab sich also nebst Freitag bei einem Meister in die Lehre, und ehe noch ein Jahr verging hatten sie ihm alles dergestalt abgelernt, daß sie selbst Meister werden konten.
Beide legten darauf eine gemeinschaftliche Werkstat an; und blieben Lebenslang unzertrenliche Freunde und Gehülfen. Fleiß und Mässigkeit waren ihnen so sehr zur andern Natur geworden, daß es ihnen unmöglich war, auch nur einen halben Tag müßig oder schwelgerisch hinzubringen. Zur Erinnerung an ihr ehemaliges Einsiedler-Leben sezten sie einen Tag in jeder Woche fest, an dem sie ihre vormahlige Lebensart, so gut es gehen wolte, zu erneuern suchten. Eintracht, Nachsicht mit den Fehlern anderer Menschen, Dienstfertigkeit, und Menschenliebe waren ihnen jezt so gewohnte Tugenden geworden, daß sie gar nicht begriffen, wie man ohne dieselben leben konte. Vornehmlich zeichneten sie sich durch eine reine, ungeheuchelte und thätige Frömmigkeit aus. So oft sie den Nahmen Gottes aussprachen, strahlte Freude und Liebe aus ihren Augen; und ein Schauder überfiel sie, wenn sie diesen heiligen Nahmen je zuweilen mit Leichtsin und Gedankenlosigkeit von andern aussprechen hörten. Auch krönte der Seegen des Himmels alles, was sie vornahmen, sichtbarlich. Sie erlebten in Friede, Gesundheit und nüzlicher Geschäftigkeit ein hohes Alter, und die späteste Nachkommenschaft wird das Andenken zweier Männer ehren, die ihren Mitmenschen ein Beispiel gaben, wie man es machen müsse um hier zufrieden, und einst ewig glüklich zu werden.
Hier schwieg der Vater. Die junge Geselschaft blieb noch eine Zeitlang nachdenkend sizen, bis endlich bei allen der feurige Gedanke: so wil ich es auch machen! zur festen Entschliessung reifte.