Frei Lesen: Robinson der Jüngere

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Joachim Heinrich Campe

Robinson der Jüngere

5. Abend

eingestellt: 6.6.2007



Am folgenden Abend, da die Geselschaft an dem gewöhnlichen Orte sich wieder versamlet hatte, kam Nikolas mit einer von ihm selbst verfertigten Jagdtasche einher stolziert, wodurch er Aller Augen auf sich zog. Stat des Sonnenschirms hatte er sich von der Köchin einen Sieb geliehen, den er über seinem Kopfe auf einem Stokke trug. Sein ganzer Aufzug war sehr ernsthaft und majestätisch.

Mutter. Bravo, Nikolas! Das hast du gut gemacht! Es fehlte nicht viel, daß ich dich für den wahren Robinson genommen hätte.

Johannes. Ich habe nur noch nicht fertig werden können mit meiner Tasche; sonst wäre ich auch so gekommen!

Gotlieb. So gehts mir auch!

Vater. Schon gut, daß Einer damit fertig geworden ist: nun sehn wir doch, daß es geht! Aber dein Schirm, Nikolas, taugt nichts!

Nikolas. Ja, ich habe ihn auch nur aus Noth gemacht, weil ich keinen andern so geschwind fertig kriegen konte!

Vater. (Der einen von ihm selbst gemachten Schirm hinter der Hekke vorlangt) Was sagst du hierzu, Freund Robinson?

Nikolas. Ah! der ist schön!

Vater. Ich hebe ihn so lange auf, bis wir unsere Geschichte ausgehört haben. Wer denn von den Dingen, die Robinson machte, am meisten wird nachmachen können, der sol unser Robinson sein und dem wil ich den Sonnenschirm schenken.

Gotlieb. Sol der sich denn auch ordentlich eine Hütte bauen?

Vater. Warum nicht?

Alle. O das ist exzellent! Das ist prächtig!

Vater. Robinson konte kaum den Tag erwarten; er stand noch eher auf, als die Sonne, und machte sich zu seiner Reise fertig. Er hing die Tasche um; gürtete einen Strik um seinen Leib, stekte sein Beil, stat eines Degens, daran, nahm den Sonnenschirm auf die Schulter und wanderte darauf getrost fort.

Zuerst besuchte er seinen Kokusbaum, um eine oder ein Paar Nüsse in seinen Beutel zu stekken; dan lief er auch erst an den Strand, um einige Austern dazu zu suchen; und da er sich mit beiden nothdürftig versorgt und einen guten Trunk frisches Wasser aus seiner Quelle zum Frühstük genossen hatte: so marschierte er ab.

Es war ein reizender Morgen. Die Sonne stieg jezt eben in ihrer ganzen Klarheit, wie aus dem Meere, hervor, und vergoldete die Gipfel der Bäume. Tausend kleine und grosse Vögel von wunderbaren Farben sangen ihr erstes Morgenlied und freuten sich des neuen Tages. Die Luft war so rein und so erquikkend, als wenn sie jezt eben erst von Gott wäre geschaffen worden, und aus den Kräutern und Blumen duftete der süsseste Wohlgeruch empor.

Robinsons Herz schwol auf von Freude und Dankbarkeit gegen Gott. Auch hier, sagte er zu sich selbst, auch hier zeigt er sich, als den Algütigen! - Dan vermischte er seine Stimme mit dem Gesange der Vögel und sang laut das schöne Morgenlied:

Dein erstes Werk sei Preis und Dank,
Du neugestärkte Sele!
Der Herr hört deinen Lobgesang,
O preis ihn, meine Sele!

Mich selbst zu schüzen viel zu schwach,
Lag ich und schlief in Frieden.
Wer war indessen für mich wach?
Wer schenkte Schlaf mir Müden?

Du bist es, Herr und Gott der Welt,
Dein, dein ist unser Leben;
Du bist es, der es uns erhält,
Und mirs jezt neu gegeben.

Gelobet seist du, Gott der Macht,
Gelobt sei deine Treue,
Daß ich, nach einer sanften Nacht,
Mich dieses Tags erfreue.

Laß deinen Seegen auf mir ruhn,
Mich deine Wege wallen;
Und lehre du mich selber thun
Nach deinem Wohlgefallen.

Nim meines Lebens ferner wahr
Auf dich hoft meine Sele;
Sei du mein Retter in Gefahr,
Mein Vater, wenn ich fehle.

Gib mir ein Herz vol Frömmigkeit,
Vol warmer Menschenliebe;
Ein Herz daß sich mit Freudigkeit
In jedem Guten übe.

Daß ich, als dein gehorsam Kind,
Nach wahrer Tugend strebe;
Und nicht, durch Leidenschaften blind,
Den Lastern mich ergebe.

Daß ich, dem Nächsten beizustehn,
Beschwerlichkeit nie scheue;
Mich gern an andrer Wohlergehn
Und ihrer Tugend freue.

Daß ich das Glük der Lebenszeit
Dir dankbar, froh geniesse,
Und meinen Lauf mit Freudigkeit
Wenn du gebeutst, beschliesse.*



Gotlieb. O lieber Vater, wilst du mir wohl dies Lied abschreiben, daß ichs alle Morgen für mich lesen kan, wenn ich aufstehe?

Vater. Sehr gern!

Fr. R. Und ich wil euch die Melodie dazu lehren: so können wir es vor dem Morgengebete singen.

Nikolas. O das ist gut! Es ist ein gar zu schönes Lied!

Vater. Da Robinson sich noch immer vor wilden Menschen und vor wilden Thieren fürchtete: so vermied er bei seiner Wanderung, so sehr er nur immer konte, die dichten Wälder und Gebüsche, und wandte sich vielmehr nach solchen Gegenden, die ihm eine freie Aussicht nach allen Seiten hin gewährten. Aber diese waren grade die unfruchtbarsten Theile seiner Insel. Er war daher schon ziemlich weit gegangen, ohne etwas zu finden, welches ihm hätte nüzlich werden können.

Endlich fiel ihm ein Gewächs in die Augen, welches er näher untersuchen zu müssen glaubte. Es waren kleine Krautbüsche, die neben einander standen und wie einen kleinen Wald ausmachten. An einigen sahe er röthliche, an andern weisse Blumen und an noch andern fanden sich, stat der Blumen, kleine grünliche Aepfelchen, von der Grösse einer Kirsche.

Er biß hurtig einen derselben an, aber fand, daß sie nicht genießbar wären. Aus Unwillen darüber riß er den Busch, von dem er sie gepflükt hatte, aus und wolte ihn wegwerfen, als er zu seiner Verwunderung an der Wurzel der Stengel allerlei kleine und große Knollen hängen sah. Er vermuthete augenbliklich, daß diese Knollen die eigentliche Frucht der Pflanze wären, und fing an, sie zu untersuchen.

Aber mit dem Einbeissen wolte es ihm abermahls nicht gelingen. Das Gewächs war hart und unschmakhaft. Robinson war schon im Begrif, sie wegzuwerfen: aber zum Glük fiel ihm ein, daß eine Sache doch wohl zu etwas gut sein könne, ohngeachtet man ihren Nuzen nicht sogleich bemerkt. Er stekte also einige dieser Knollen in seine Jagdtasche und ging weiter.

Johannes. Ich weiß schon, was das für Knollen waren!

Vater. Nun, was für welche meinst du denn wohl?

Johannes. I, es waren Kartoffeln! Die wachsen ja grade so, wie sie hier beschrieben werden!

Diderich. Und die sind ja auch in Amerika eigentlich zu Haus!

Gotlieb. Ach ja, da hat sie ja der Franz Drake hergebracht! - Aber das war doch dum, daß Robinson die nicht einmahl kante!

Vater. Woher kenst du sie denn?

Gotlieb. I, weil ich sie so oft gesehen und gegessen habe; sie sind ja meine Leibspeise!

Vater. Aber Robinson hatte sie nie gesehen und nie gegessen.

Gotlieb. Nicht?

Vater. Nein; weil sie damahls in Deutschland noch gar nicht bekant waren. Erst ohngefähr seit 40 Jahren sind sie bei uns eingeführt und es ist wohl schon 200 Jahr her, daß unser Robinson lebte.

Gotlieb. Ja denn -

Vater. Siehst du, lieber Gotlieb, daß man unrecht thut, wenn man so voreilig ist, andere Leute zu tadeln? Man muß sich immer erst selbst ganz in ihre Stelle sezen und sich dan erst fragen: ob mans besser gemacht haben würde, als sie? Hättest du auch niemahls Kartoffeln gesehen und hättest du niemahls gehört, wie man sie zubereiten müsse: so würdest du anfangs eben so, wie Robinson, nicht wissen, was damit zu machen sei? Laß dir diesen Umstand zur Warnung dienen, dich nie wieder für klüger, als andere Menschen, zu halten.

Gotlieb. Küsse mich, Väterchen! Wils nicht mehr thun. -

Vater. Von da ging Robinson nun weiter; jedoch sehr langsam und mit grosser Vorsichtigkeit. Jedes Geräusch, welches der Wind zwischen Bäumen und Büschen verursachte, erschrekte ihn und machte, daß er nach seinem Beil grif, um sich zu vertheidigen, wenns nöthig wäre. Aber immer sahe er zu seiner Freude, daß er sich ohne Ursache gefürchtet habe.

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