Frei Lesen: Abenteuer des Kapitän Hatteras

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Erstes Capitel. | Zweites Capitel. | Drittes Capitel. | Viertes Capitel. | Fünftes Capitel. | Sechstes Capitel. | Siebentes Capitel. | Achtes Capitel. | Neuntes Capitel. | Zehntes Capitel. | Elftes Capitel. | Zwölftes Capitel. | Dreizehntes Capitel. | Vierzehntes Capitel. | Fünfzehntes Capitel. | Sechzehntes Capitel. | Siebenzehntes Capitel. | Achtzehntes Capitel. | Neunzehntes Capitel. | Zwanzigstes Capitel. | Einundzwanzigstes Kapitel. | Zweiundzwanzigstes Capitel. | Dreiundzwanzigstes Capitel. | Vierundzwanzigstes Capitel. | Fünfundzwanzigstes Capitel. | Sechsundzwanzigstes Capitel. | Siebenundzwanzigstes Capitel. | Achtundzwanzigstes Capitel. | Neunundzwanzigstes Capitel. | Dreißigstes Capitel. | Einunddreißigstes Capitel. | Zweiunddreißigstes Capitel. |

Weitere Werke von Jules Verne

Martin Paz | Der Chancellor | Die großen Seefahrer des 18. Jahrhunderts - Erster Band | Das Dampfhaus - 2.Band | Das Dampfhaus - 1.Band |

Alle Werke von Jules Verne
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Abenteuer des Kapitän Hatteras) ausdrucken 'Abenteuer des Kapitän Hatteras' als PDF herunterladen

Jules Verne

Abenteuer des Kapitän Hatteras

Sechsundzwanzigstes Capitel.

eingestellt: 17.8.2007



Bären zu erjagen, schien durchaus nicht möglich; man erlegte während des 4., 5. und 6. November einige Robben, darauf, als der Wind umschlug, stieg die Temperatur um einige Grade; aber die Schneegestöber begannen von Neuem mit einer Heftigkeit ohne Gleichen. Das Schiff zu verlassen, ward unmöglich, und man hatte große Noth, um die Feuchtigkeit zu beseitigen.

Am 15. November änderte sich die Witterung abermals, und unter Einwirkung gewisser atmosphärischer Bedingungen sank das Thermometer auf vierundzwanzig Grad unter Null (– 31º hunderttheilig). Dies war die niedrigste bis jetzt beobachtete Temperatur. Diese Kälte wäre bei ruhiger Luft erträglich gewesen; aber der Wind wehte schneidend scharf.

Bei einer solchen Kälte bringt jede heftige Bewegung leicht außer Athem. Ein Mann kann dann kaum den vierten Theil seiner gewöhnlichen Arbeit fertig bringen; es wird unmöglich, eiserne Geräthschaften anzufassen; nimmt man solche unvorsichtig in die Hand, so empfindet diese einen Schmerz, wie bei einer Brandwunde und Fetzen ihrer Haut bleiben an dem unvorsichtig angefaßten Gegenstand hängen.

Da also die Mannschaft auf das Schiff beschränkt war, mußte sie täglich einige Stunden lang auf dem überdachten Verdeck zubringen, wo ihr auch das Rauchen verstattet war, denn im gemeinschaftlichen Saal war es untersagt.

Hier wurden, sobald das Feuer ein wenig nachließ, die Wände und Fugen des Fußbodens sogleich mit Eis überzogen; es war kein Bolzen oder Nagel von Eisen, keine metallene Platte, die nicht sogleich damit bedeckt ward. Der Athem der Menschen verdichtete sich in der Luft, und fiel sogleich wieder als Schnee nieder. Nur einige Fuß vom Ofen ab bekam die Kälte wieder volle Kraft, und die Leute hielten sich dicht gedrängt nächst dem Feuer.

Doch rieth ihnen der Doctor, sich abzuhärten, und an diese Temperatur, mit welcher man gewiß noch länger zu kämpfen haben würde, zu gewöhnen. Er rieth ihnen, ihre Oberhaut allmälig an diese starke Kälte zu gewöhnen, und ging mit dem Beispiel voran; aber die meisten blieben aus Trägheit an ihrer Stelle, wollten nicht wanken noch weichen, und schliefen lieber in dieser nachtheiligen Wärme ein.

Indessen war es, nach des Doctors Ansicht, durchaus nicht gefährlich, vom erwärmten Saal heraus sich einer großen Kälte auszusetzen; solch schroffer Uebergang ist nur dann nachtheilig, wenn man feucht von Schweiß ist; der Doctor stützte seinen Rath auf Beispiele, aber er predigte tauben Ohren.

John Hatteras schien die Wirkung dieser Temperatur nicht zu spüren; er ging schweigend auf und ab, weder schneller noch langsamer. War seine Leibesbeschaffenheit so energisch? Besaß er in höherm Grade das natürliche Wärmeprincip, worauf er bei der Wahl seiner Matrosen bedacht war? Wirkte seine fixe Idee stählend den äußern Einwirkungen entgegen? Seine Leute sahen nur mit Staunen, wie er diesen vierundzwanzig Grad unter Null Trotz bot; er verließ Stunden lang das Schiff, und wann er zurückkam, sah man keine Spuren der Kälte in seinem Angesicht. »Ein seltsamer Mann, sagte der Doctor zu Johnson; er setzt mich selbst in Staunen! Er ist eine der kräftigsten Naturen, die ich in meinem Leben studirt habe!

– Die Hauptsache ist, erwiderte Johnson, daß er in freier Luft ab und zu und umher geht, ohne wärmere Bekleidung als im Juni.

– O! Die Bekleidung macht wenig aus, erwiderte der Doctor; wozu nützt warme Bekleidung, wenn man nicht den Wärmequell in sich selbst hat? Durch Einwickeln in eine wollene Decke kann man nicht ein Stück Eis warm machen! Hatteras bedarf dessen nicht, es liegt in seiner Constitution.«

Johnson, der den Auftrag hatte, jeden Morgen die Feuerstätte zugänglich zu machen, bemerkte, daß das Eis mehr als zehn Fuß dick war.

Fast jede Nacht konnte der Doctor prachtvolles Nordlicht beobachten; von vier bis acht Uhr Abends war der Himmel im Norden leicht gefärbt; nachher nahm die Färbung die regelmäßige Form eines blaßgelben Saumes an, dessen Enden sich wie ein Bogen auf das Eisfeld stützten. Allmälig hob sich der glänzende Gürtel am Himmel in Gemäßheit des magnetischen Meridians, und erschien schwärzlich gestreift; Strahlen eines leuchtenden Stoffs liefen von da aus, verlängerten sich mit bald stärkerm, bald schwächerm Glanz; war das Meteor bis zu seinem Zenith gekommen, so bestand es oft aus mehreren Bogen, die sich in rothen, gelben oder grünen Lichtwogen badeten: ein unvergleichliches Schauspiel zum Verblenden. Bald neigten sich die verschiedenen krummen Linien in einem einzigen Punkt und bildeten Kronen von himmlischer Pracht. Endlich drängten sich die Bogen zusammen, das glänzende Nordlicht erbleichte, die hellleuchtenden Strahlen zerflossen in blassen, unsteten, unbestimmten Schein, und das wundervolle Phänomen, abgeschwächt und fast erloschen, verschwand unmerklich in dem düstern Gewölkt des Südens.

Das Zauberhafte eines solchen Schauspiels unter den hohen Breitegraden, mindestens acht Grad vom Pol, ist kaum zu begreifen; die in den gemäßigten Zonen sichtbaren Nordlichter geben auch nicht eine schwache Idee davon.

Ebenso erschienen zur Zeit des Mondscheins häufig Nebenmonde, indem mehrere Bilder desselben sich am Himmel zeigten und seinen Glanz vermehrten; auch sah man oft einfache Mondringe um das Nachtgestirn herum, welches im Mittelpunkt eines Lichtkreises im starken Glanze leuchtete.

Am 26. November trat eine starke Fluth ein, und das Wasser drang mit Heftigkeit aus der Feuergrube; die dichte Eisdecke ward durch das Steigen des Meeres gleichsam erschüttert, und unheimliches Krachen verkündigte den unterseeischen Kampf; zum Glück hielt das Schiff in seinem Lager fest, und nur seine Ketten rasselten; übrigens hatte sie Hatteras vorsichtig festmachen lassen.

Die folgenden Tage waren noch kälter; der Himmel war mit durchdringendem Nebel bedeckt; der Wind wirbelte den Schnee bis zum Himmel empor.

Die Mannschaft beschäftigte sich innen mit verschiedenen Arbeiten, hauptsächlich mit Zubereitung des Fettes und Oeles der Robben; sie wurden Eisblöcke, die man mit dem Beil bearbeitete zu Stücken, die hart wie Marmor waren, und zehn Tonnen füllten. Dasselbe flüssig in die Gefäße zu füllen wäre unthunlich gewesen, weil diese beim Gefrieren zersprungen waren.

Am 28. fiel das Thermometer auf zweiunddreißig Grad unter Null (– 36° hunderttheilig); es waren nur noch für zehn Tage Kohlen vorhanden, und jeder sah mit Schrecken dem Zeitpunkt entgegen, wo das Brennmaterial ausgehen würde.

Hatteras ließ aus Sparsamkeit den Ofen des Hinterdecks nicht mehr heizen, und von nun an mußten Shandon, der Doctor nebst ihm selbst sich im gemeinschaftlichen Saal der Mannschaft aufhalten. Dadurch war Hatteras in beständiger Berührung mit seinen Leuten, welche stumpfe und erbitterte Blicke auf ihn warfen. Er bekam ihre Beschuldigungen und Vorwürfe, selbst Drohungen zu hören, und konnte nicht gegen sie verfahren. Uebrigens schien er taub gegen alle Bemerkungen. Den nächsten Platz am Feuer begehrte er nicht, und saß in einer Ecke, die Hände im Schoos, ohne ein Wort zu reden.

Trotz aller Mahnungen des Doctors weigerten sich Pen und seine Freunde, die geringste Uebung vorzunehmen; sie brachten ganze Tage neben dem Ofen auf ihre Ellenbogen gestützt hin, oder unter den Decken ihrer Hängematten. Daher wurde auch bald ihr Gesundheitszustand schlimm; sie konnten dem verderblichen Einfluß des Klimas nicht widerstehen, und es zeigte sich an Bord das fürchterliche Leiden des Scorbut.

Der Doctor hatte indessen seit langer Zeit angefangen, jeden Morgen Citronensaft und Kalkpastillen auszutheilen; aber diese Präservativmittel, so wohlthätig sie gewöhnlich sind, wirkten kaum merklich auf die Kranken, das Uebel hatte seinen Verlauf und zeigte bald die schrecklichsten Symptome.

Wie jämmerlich der Anblick der vor Schmerzen zuckenden Nerven und Muskeln! Die Beine schwollen den Kranken außerordentlich und waren mit großen blauschwarzen Flecken bedeckt; das blutende Zahnfleisch, die geschwollenen Lippen ließen nur unarticulirte Töne vernehmen; bei dem verdorbenen Blut drang das Leben nicht mehr zu den äußersten Körpertheilen.

Clifton wurde zuerst von der fürchterlichen Krankheit befallen; bald auch konnten Gripper, Brunton, Strong ihre Hängematte nicht mehr verlassen. Die, welche verschont blieben, konnten sich dem Anblick dieser Leiden nicht entziehen; es gab kein anderes Obdach, als der eine gemeinsame Saal; da mußte man sich aufhalten. Daher verwandelte er sich rasch in ein Spital; denn von den achtzehn Mann des Forward wurden bald dreizehn vom Scorbut heimgesucht. Pen schien durch seine starke Natur der Ansteckung zu widerstehen; bei Shandon zeigten sich die ersten Symptome des Leidens; aber es schritt nicht weiter voran, und seine Arbeit hielt seinen Gesundheitszustand aufrecht.

Der Doctor pflegte die Kranken mit der größten Hingebung, und das Herz wollte ihm brechen beim Anblick der Leiden, welche er nicht zu lindern vermochte. Dennoch regte er soviel wie möglich heitern Sinn bei der Mannschaft an; seine Worte, Tröstungen, Bemerkungen, guten Einfälle unterbrachen die Einförmigkeit dieser langen Schmerzenstage; er las laut vor, und wußte heitere Geschichten zu erzählen, während die noch gesunden Leute dicht um den Ofen herum saßen; aber manchmal ward er durch das Jammern, das verzweifelnde Schreien der Kranken unterbrochen; da brach er seine Geschichte ab und ward wieder der achtsame, liebevolle Arzt.

Uebrigens dauerte seine Gesundheit aus; er ward nicht mager, seine Wohlbeleibtheit war ihm die beste Kleidung, und er sagte, es bekomme ihm recht gut daß die Natur ihn gleich einem Robben oder Wallfisch ausgestattet habe, welche ihrem dicken Fett verdanken, daß sie die Strenge des Polarklimas leicht ertragen.

Hatteras hatte weder physisch noch moralisch zu leiden; es schienen ihn nicht einmal die Leiden seiner Mannschaft zu rühren. Vielleicht hielt er nur seine Gemüthsbewegungen zurück; und ein achtsamer Beobachter hätte wohl bisweilen bemerkt, daß unter der eisernen Umhüllung ein Menschenherz schlug.

Das Thermometer sank noch mehr; der Spazierplatz des Verdecks blieb leer; nur die Eskimo-Hunde liefen mit kläglichem Bellen darauf herum.

Unter solchen unsäglichen Qualen kam der 8. December heran. An diesem Morgen, als der Doctor, wie gewöhnlich, nach dem außen befindlichen Thermometer sah, fand er das Quecksilber in der Kugel fest gefroren.

»Vierundvierzig Grad unter Null!« sagte er mit Schrecken.

Und an diesem Tage schob man das letzte Stücklein Kohle in den Ofen.

< Fünfundzwanzigstes Capitel.
Siebenundzwanzigstes Capitel. >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.