Frei Lesen: Abenteuer des Kapitän Hatteras

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Jules Verne

Abenteuer des Kapitän Hatteras

Siebentes Capitel.

eingestellt: 17.8.2007



Diesen Tag über bahnte sich der Forward einen leichten Weg zwischen den halb zerbröckelten Eisblöcken; der Wind war günstig, aber die Temperatur sehr niedrig; die über die Eisfelder streichende Luft durchdrang mit frischer Kälte. Die Nacht erforderte die strengste Achtsamkeit; die schwimmenden Berge drängten sich in der engen Straße zusammen: man zählte ihrer oft bei hundert am Horizont; sie lösten sich durch Einwirkung der benagenden Wellen und der Aprilsonne von den vorragenden Küsten ab, um zu zerschmelzen oder in die Tiefen des Oceans zu versinken. Man begegnete auch langen Flößen Treibholz, mit welchen man nicht zusammenstoßen durfte. Darum wurde auch das »Krähennest« an der Spitze eines Mastes angebracht, bestehend aus einer Tonne mit beweglichem Boden, worin der Eismeister, zum Theil gegen den Wind geschützt, das Meer überschaute, die herannahenden Eisblöcke meldete, und selbst nöthigenfalls das Manoeuvriren des Schiffes angab. Die Nächte waren kurz; die Sonne war in Folge der Strahlenbrechung seit dem 31. Januar wieder zum Vorschein gekommen, und hielt sich allmälig länger über dem Horizont. Aber durch den Schnee war die Aussicht gehemmt, und wenn er auch nicht Dunkelheit veranlaßte, so machte er doch die Fahrt schwierig.

Am 21. April zeigte sich mitten im Nebel das Cap Desolation; die Mannschaft war durch das Manoeuvriren erschöpft; seitdem die Brigg zwischen den Eisblöcken fuhr, hatten die Matrosen nicht einen Augenblick Ruhe gehabt; man mußte bald den Dampf zu Hilfe nehmen, um sich mitten durch aufgeschichtete Blöcke einen Weg zu bahnen.

Der Doctor und Meister Johnson plauderten auf dem Hinterverdeck mit einander, während Shandon in seiner Cabine einige Stunden Schlaf genoß. Clawbonny suchte die Unterhaltung des alten Matrosen auf, welchem seine zahlreichen Reisen eine interessante und verständige Erziehung gegeben hatten. Der Doctor gewann ihn sehr lieb, und der Rüstmeister blieb ihm nichts schuldig.

»Sehen Sie, Herr Clawbonny, sagte Johnson, dieses Land ist nicht wie alle andern; sein Name bedeutet »Grünes Land«, aber nur wenig Wochen im Jahre ist diese Benennung gerechtfertigt!

– Wer weiß, wackerer Johnson, erwiderte der Doctor, ob nicht im zehnten Jahrhundert dieses Land Anspruch auf eine solche Benennung haben konnte. Auf unserm Erdball ist schon manche Umänderung dieser Art vorgekommen, und Sie werden vielleicht staunen, wenn ich Ihnen sage, daß isländischen Chroniken zufolge vor acht bis neunhundert Jahren zweihundert Dorfschaften auf diesem Continent blühten.

– Diese Aeußerung, Herr Clawbonny, versetzt mich dermaßen in Staunen, daß ich ihr nicht einmal Glauben beimessen kann, denn s ist ein ödes Land!

– Gut! So öde es auch sein mag, so bietet es doch Bewohnern, und selbst civilisirten Europäern, hinreichend eine Stätte ruhiger Abgeschiedenheit.

– Allerdings! Zu Disco, zu Uppernawik werden wir Leute finden, die mit einem Leben in solchem Klima zufrieden sind; aber ich habe immer gedacht, sie hätten diesen Aufenthalt nicht mit Vorliebe, sondern nothgedrungen, gewählt.

– Ich glaube es gern; doch gewöhnt sich der Mensch an alles, und es scheint mir, diese Grönländer sind nicht ebenso zu beklagen, als die Arbeiter in unsern großen Städten; sie können unglücklich sein, aber sicherlich im Elend leben sie nicht, ferner, ich sage wohl unglücklich, aber dieses Wort drückt nicht völlig meinen Gedanken aus; in der That, leben diese Leute auch nicht so im Wohlbehagen, wie wir in der gemäßigten Zone; in diesem Klima geboren, finden sie offenbar darin Genüsse, für welche uns der Begriff abgeht!

– Das muß man wohl annehmen, Herr Clawbonny, weil der Himmel gerecht ist; aber ich bin vielfach auf Reisen an diese Küsten gekommen, und der Anblick dieser traurigen Einöden hat mir stets das Herz zusammengeschnürt; man hätte z. B. den Caps, Vorgebirgen, Baien freundlichere Namen geben sollen, denn die Bezeichnungen Farewell und Desolation sind nicht geeignet, die Seefahrer anzuziehen!

– Diese Bemerkung habe ich ebenfalls gemacht, erwiderte der Doctor; aber diese Namen haben unverkennbar ein geographisches Interesse; sie bezeichnen die Erlebnisse derer, welche die Namen beigelegt haben; wenn ich neben den Namen Davis, Baffin, Hudson, Roß, Parry, Franklin das Cap Desolation (Trostlosigkeit) finde, so stoße ich bald auf die Bai der Gnade(Mercy): es ist da die ununterbrochene Reihe von Gefahren, Hindernissen, Erfolgen, Verzweifeln und Gelingen verbunden mit den großen Namen meines Vaterlandes, daß ich die ganze Geschichte dieser Meere darin lesen kann.

– Richtig geurtheilt, Herr Clawbonny, und möchten wir nur bei unserer Reise auf mehr Baien des Erfolges (Succés), als Caps der Desolation treffen!

– Das wünsch ich, Johnson; aber, sagen Sie mir, hat sich die Mannschaft ein wenig von ihren Strapazen erholt?

– Ein wenig, mein Herr; und doch, um alles herauszusagen, seit unserer Einfahrt in die Straße hat man wieder angefangen, sich über den eingebildeten Kapitän Gedanken zu machen; mancher war darauf gespannt, daß er an der Spitze von Grönland erschiene, und bis jetzt, nichts! Sehen Sie, Herr Clawbonny, unter uns, ist das nicht etwas zum Verwundern?

– Ja wohl, Johnson.

– Glauben Sie, daß der Kapitän existirt?

– Ganz gewiß.

– Aber was konnte er für Gründe haben, so zu handeln?

– Soll ich völlig heraussagen, was ich denke, so glaube ich, dieser Mann wollte die Mannschaft erst weit genug fortziehen, daß sie nicht mehr umkehren konnte. Wäre er nun im Moment der Abfahrt an seinem Bord erschienen, so hätte jeder die Bestimmung des Schiffes haben hören wollen, wodurch er in Verlegenheit gerathen wäre.

– Und weshalb? – Wahrhaftig, wenn er eine übermenschliche Unternehmung wagen, wenn er vordringen will, wohin so viele Andere vor ihm nicht konnten, glauben Sie, daß er seine Mannschaft beisammen behalten hätte? Dagegen, wenn man einmal unterwegs ist, kann man so weit gehen, daß das Vorwärtsdringen zu einer Nothwendigkeit wird.

– Das ist möglich, Herr Clawbonny; ich habe mehr als einen unerschrockenen Abenteurer kennen gelernt, dessen bloßer Name in Schrecken setzte, und der keinen Mann gefunden hätte, um ihn bei seinen gefährlichen Unternehmungen zu begleiten ...

– Mich ausgenommen, sagte der Doctor.

– Und mich nach Ihnen, erwiderte Johnson, und um mich Ihnen anzuschließen! Ich nehme also an, daß unser Kapitän ohne Zweifel zu solchen Abenteurern gehört. Wir werden es am Ende sehen; ich vermuthe, daß in der Gegend von Uppernawik oder der Bai Melville dieser tapfere Unbekannte sich im Stillen an Bord einfinden und uns zu erkennen geben wird, bis wohin seine Phantasie das Schiff fortzuziehen im Sinne hat.

– Der Meinung bin ich auch, Johnson; aber die Schwierigkeit wird darin bestehen, bis zu dieser Bai Melville zu gelangen; sehen Sie, wie auf allen Seiten diese Eisblöcke uns umgeben! Sie lassen ja dem Forward kaum einen Durchweg. Betrachten Sie nur diese unermeßliche Ebene.

– Wir Wallfischfänger, Herr Clawbonny, nennen dies ein Eisfeld, d.h. eine Fläche zusammenhängender Eisblöcke, deren Ende man nicht absieht.

– Und hier, dieses unterbrochene Feld, diese langen Stücke, welche mehr oder minder an einander anstoßen?

– Das heißen wir pack, und palch, wenn die Form rund ist, sowie stream, wenn sie lang.

– Und diese schwimmenden Blöcke?

– Das ist Treibeis; sind sie etwas höher, so nennt man sie Eisberge; ein Zusammenstoßen mit ihnen ist den Schiffen gefährlich, und man muß sie sorgfältig meiden. Sehen Sie, dort unten auf jenem Eisfeld, eine vom Druck der Eisblöcke verursachte höher emporragende Stelle, die nennen wir hummock, und wenn sie an ihrer Basis unter Wasser ist, calf; diese Benennungen gab man, um sich darüber verständlich zu machen.

– Ah! Das ist wahrhaftig ein merkwürdiger Anblick, rief der Doctor beim Betrachten dieser Wunder des Eismeeres aus, und was machen diese verschiedenen Anschauungen für einen lebhaften Eindruck auf die Phantasie!

– Allerdings, erwiderte Johnson; die Eisschollen nehmen manchmal phantastische Formen an, und unsere Leute sind nicht in Verlegenheit, sie in ihrer Weise zu deuten.

– Schauen Sie, Johnson, und staunen über dies Gesammtbild von Eisblöcken! Sieht es nicht wie eine sonderbare Stadt, eine orientalische mit Minarets und Moscheen in bleichem Mondschein? Weiter dort eine lange Reihe gothischer Bogen gleich der Capelle Heinrichs VII., oder wie am Parlamentshaus.

– Wirklich, Herr Clawbonny; aber es wäre doch gefährlich, darinnen zu wohnen, und man darf ihnen nicht allzu nahe kommen. Es giebt da Minarets, die wanken auf ihrer Basis, und könnten ein Schiff wie den Forward zertrümmern.

– Und man hat sich in die Gefahr dieser Meere hineingewagt, fuhr der Doctor fort, ohne den Dampf bereit zu haben! Wie ist es möglich, daß ein Segelschiff mitten zwischen diesen schwimmenden Klippen eine Richtung verfolgen kann?

– Man hats jedoch ausgeführt, Herr Clawbonny; wenn der Wind widrig wurde, was mir mehr wie einmal begegnete, hing man sich geduldig mit dem Anker an einen solchen Block fest, trieb mehr oder minder mit ihm, und wartete so die günstige Stunde zum Weiterfahren ab; zwar brauchte man bei dieser Art zu reisen einige Monate Zeit da, wo bei einigem Glück wir nur einige Tage darauf wenden.

– Es kommt mir vor, sagte der Doctor, als sinke die Temperatur noch mehr.

– Das wäre schlimm, erwiderte Johnson, denn es ist Thauwetter nöthig, daß diese Massen sich zertheilen und sich im Atlantischen Meere verlieren; sie sind übrigens in der Davis-Straße zahlreicher, weil zwischen dem Cap Walsingham und Holsteinborg das Land merklich näher beisammen ist; doch über den siebenundsechzigsten Grad hinaus werden wir finden, daß im Mai und Juni die Meere leichter zu befahren sind.

– Ja; aber man muß erst hinkommen.

– Ja wohl, Herr Clawbonny; im Juni und Juli hätten wir die Fahrt frei gefunden, wie die Wallfischfänger auch; aber es war uns genau anbefohlen, daß wir im April uns hier einfänden. Darum irre ich sehr, oder unser Kapitän ist ein tüchtiger Schelm, der weiß, was er will; er ist nur deshalb so frühzeitig abgefahren, um recht weit zu fahren. Schließlich werden wir es sehen.«

Der Doctor hatte sich in seiner Aeußerung über das Sinken der Temperatur nicht geirrt; das Thermometer zeigte um Mittag nur sechs Grad (– vierzehn Grad hunderttheilig) und es herrschte ein Nord-West, der, obwohl er die Witterung heiter machte, doch zugleich mit der Strömung die schwimmenden Eisblöcke heftiger dem Forward entgegen beförderte. Es trieben jedoch nicht alle in derselben Richtung; nicht selten traf man solche, und zwar die höchsten, welche, an ihrer Basis von einer unterseeischen Strömung gefaßt, in entgegengesetzter Richtung trieben.

Natürlich entstanden dadurch Schwierigkeiten für die Schifffahrt; die Maschinisten hatten nicht einen Augenblick Ruhe; die Leitung der Dampfkraft wurde unmittelbar auf dem Verdeck vorgenommen vermittelst Hebel, welche sie verstärkten, hemmten, plötzlich, nach Befehl des Officiers der Wache, in umgekehrte Richtung brachten. Bald mußte man eilen, um durch eine Oeffnung im Eisfeld zu dringen, bald an Schnelligkeit einem Eisberg, der den einzigen Weg zu versperren drohte, zuvorkommen; oder auch es nöthigte ein unversehens rückwärts fallender Block zu raschem Umkehren, um nicht zerschmettert zu werden. Diese Anhäufung von Eisblöcken, welche von der Strömung aus Norden fortgetrieben und aufgeschichtet wurden, drängte sich in der Enge, und wenn der Frost sie festhielt, konnten sie dem Forward eine unüberwindliche Schranke setzen.

Es zeigte sich in diesen Gegenden eine unzählige Menge Gevögel; Sturmvögel flatterten überall mit betäubendem Geschrei, und Möven mit dickem Kopf und langen Flügeln trotzten scherzend dem vom Sturm gepeitschten Schnee. Diese Munterkeit des Geflügels belebte die Gegend.

Zahlreiche Stücke Treibholz stießen wider einander; einige Pottfische mit enormen Köpfen kamen in die Nähe des Schiffes, aber zum Harpunieren war keine Zeit. Gegen Abend sah man auch einige Robben zwischen den Blöcken schwimmen.

Am 22. sank die Temperatur noch mehr; der Forward verstärkte seinen Dampf, um günstige Fahrwege zu gewinnen; der Wind war entschieden Nord-West geworden; die Segel wurden eingezogen.

Während dieses Tages, der ein Sonntag war, hatten die Matrosen wenig zu manoeuvriren. Nach dem von Shandon verrichteten Gottesdienst beschäftigte sich die Mannschaft mit der Jagd auf Weißmäntel, und fing deren viele. Diese Vögel lieferten, gehörig zubereitet, ein angenehmes Gericht für die Tafel.

Um drei Uhr Nachmittags hatte der Forward nordöstlich Kin de Sael erreicht, und das Gebirge Sukkertop lag südöstlich; die See ging sehr hohl; von Zeit zu Zeit senkte sich ein ungeheurer Nebel unvermuthet vom grauen Himmel herab. Doch konnte zu Mittag eine genaue Beobachtung gemacht werden, und es zeigte sich, daß das Schiff sich unter 65° 20 Breite, und 54° 22 Länge befand. Man mußte noch um zwei Grad weiter vorwärts dringen, um bessere Fahrt auf freiem Meer zu bekommen.

Während der drei folgenden Tage, am 24., 25. und 26. April, hatte man beständig mit den Eisblöcken zu kämpfen; die Behandlung der Maschine wurde sehr ermüdend.

Im dichten Nebel konnte man die Annäherung der Eisberge nur am dumpfen Getöse erkennen, welches von den Lavinen herrührte; dann wendete das Schiff sogleich; man kam in Gefahr, wider Eismassen aus süßem Gewässer zu stoßen, welche an der Durchsichtigkeit und einer Felsen gleichen Härte zu erkennen waren. Richard Shandon versah sich zur Ergänzung seines Trinkwassers täglich mit einigen Tonnen solchen Eises.

Der Doctor konnte sich nicht an die optischen Täuschungen gewöhnen, welche die Strahlenbrechung in diesen Gegenden erzeugte; in der That, mancher Eisberg, der zehn bis zwölf Meilen von der Brigg entfernt war, kam ihm wie eine kleine weiße Masse in nächster Nähe vor.

Endlich war die Mannschaft, theils durch das Fortziehen des Schiffes längs der Eisfelder, theils durch das Fernhalten drohender Blöcke vermittelst langer Stangen, vor Ermüdung fast erschöpft, und doch war Freitags, den 27. April, der Forward noch auf der Linie des Polarkreises zurückgehalten.

< Sechstes Capitel.
Achtes Capitel. >



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