Frei Lesen: Abenteuer des Kapitän Hatteras

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

Erstes Capitel. | Zweites Capitel. | Drittes Capitel. | Viertes Capitel. | Fünftes Capitel. | Sechstes Capitel. | Siebentes Capitel. | Achtes Capitel. | Neuntes Capitel. | Zehntes Capitel. | Elftes Capitel. | Zwölftes Capitel. | Dreizehntes Capitel. | Vierzehntes Capitel. | Fünfzehntes Capitel. | Sechzehntes Capitel. | Siebenzehntes Capitel. | Achtzehntes Capitel. | Neunzehntes Capitel. | Zwanzigstes Capitel. | Einundzwanzigstes Kapitel. | Zweiundzwanzigstes Capitel. | Dreiundzwanzigstes Capitel. | Vierundzwanzigstes Capitel. | Fünfundzwanzigstes Capitel. | Sechsundzwanzigstes Capitel. | Siebenundzwanzigstes Capitel. | Achtundzwanzigstes Capitel. | Neunundzwanzigstes Capitel. | Dreißigstes Capitel. | Einunddreißigstes Capitel. | Zweiunddreißigstes Capitel. |

Weitere Werke von Jules Verne

Kein Durcheinander | Fünf Wochen im Ballon | Der Archipel in Flammen | Das Dampfhaus - 2.Band | Der Chancellor |

Alle Werke von Jules Verne
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Abenteuer des Kapitän Hatteras) ausdrucken 'Abenteuer des Kapitän Hatteras' als PDF herunterladen

Jules Verne

Abenteuer des Kapitän Hatteras

Neuntes Capitel.

eingestellt: 17.8.2007



Endlich war man über den Polarkreis hinaus; der Forward fuhr am 30. April zu Mittag vor Holsteinborg vorüber; malerische Gebirge erhoben sich am östlichen Horizont. Das Meer schien, so zu sagen, frei von Eis, oder vielmehr man konnte den Eisblöcken leicht ausweichen. Der Wind schlug um in Süd-Ost und die Brigg fuhr mit vollen Segeln das Baffins-Meer hinein.

Dieser Tag war ganz besonders ruhig und die Mannschaft konnte sich ein wenig erholen; zahlreiche Vögel schwammen und flatterten um das Schiff herum.

An diesem Tag begab sich an Bord ein ganz außerordentliches Ereigniß.

Als Richard Shandon um sechs Uhr früh von seiner Wache zurück in seine Cabine kam, fand er auf seinem Tisch einen Brief mit der Aufschrift:

»An den Kommandanten Richard Shandon an Bord des Forward, Baffins-Meer.«

Shandon konnte seinen Augen nicht trauen; aber bevor er von dieser auffallenden Korrespondenz Kenntniß nahm, ließ er den Doctor, James Wall und den Rüstmeister rufen, und zeigte ihnen denselben. »Das wird etwas ganz Besonderes, sagte Johnson.

– Das ist reizend! dachte der Doctor.

– Schließlich, rief Shandon, werden wir doch das Geheimniß erfahren ...«

Er zerriß rasch den Umschlag und las, wie folgt:

»Commandant!

»Der Kapitän des Forward ist zufrieden mit der Kaltblütigkeit, Geschicklichkeit und dem Muth, welchen Sie mit Ihren Officieren und Ihrer Mannschaft unter den letzten Umständen gezeigt haben; er bittet Sie, der Mannschaft seinen Dank dafür auszusprechen.

Wenden Sie sich nun gerade nördlich zur Bai Melville, und von da aus bemühen Sie sich in die Straße Smith zu dringen.

Der Kapitän des Forward. K. Z.

Montag, den 30. April, dem Cap Walsingham gegenüber.«

»Und nichts weiter? rief der Doctor.

– Nichts weiter«, erwiderte Shandon.

Der Brief fiel ihm aus der Hand.

»Ei! sagte Wall, dieser eingebildete Kapitän spricht kein Wort mehr davon, an Bord zu kommen; ich schließe daraus, daß er nie kommen wird.

– Aber, sagte Johnson, wie ist denn dieser Brief angekommen?«

Shandon schwieg. »Herr Wall hat Recht, erwiderte der Doctor, der den Brief aufhob und um und herum drehte; der Kapitän wird nicht mehr an Bord kommen aus trefflichem Grund ...

– Und aus welchem? fragte Shandon lebhaft.

– Weil er bereits da ist, erwiderte einfach der Doctor.

– Bereits! rief Shandon, was meinen Sie damit?

– Wie ist sonst zu erklären, daß dieser Brief kam?«

Johnson schüttelte den Kopf zum Zeichen der Beistimmung.

»Nicht möglich! versetzte Shandon nachdrücklich. Ich kenne jeden einzelnen Mann an Bord; man müßte denn annehmen, der Kapitän befinde sich seit der Abfahrt des Schiffes unter denselben? Das ist nicht möglich, sag ich Ihnen! Es ist kein Einziger darunter, den ich nicht seit länger als zwei Jahren hundertmal zu Liverpool gesehen hätte; Ihre Vermuthung, Doctor, darf man nicht gelten lassen!

– Was lassen Sie also gelten, Shandon?

– Alles, dies ausgenommen. Ich nehme an, daß der Kapitän oder ein Mann, der ihn vertritt – was weiß ich? – die Dunkelheit, den Nebel benutzen konnte, um im Stillen an Bord zu kommen; wir sind nicht weit vom Land entfernt; die Eskimos haben Kaiaks, die unbemerkt zwischen den Eisblöcken durchfahren; es war demnach möglich, daß Jemand bis zum Schiff kam, und diesen Brief einhändigte ... der Nebel war ziemlich stark, um den Plan auszuführen ...

– Und auch um zu hindern, daß man die Brigg sah, erwiderte der Doctor; haben wir nicht gesehen, wie ein Fremder sich an Bord schlich, wie hätte dieser im dichten Nebel den Forward erkennen können?

– Das ist sonnenklar, sagte Johnson.

– Ich komme also auf meine Hypothese zurück, sagte der Doctor. Was meinen Sie, Shandon?

– Alles was Sie wollen, erwiderte Shandon hitzig, nur nicht, daß dieser Mann sich an meinem Bord befinde.

– Vielleicht, fügte Wall bei, befindet sich unter der Bemannung Einer, der von ihm seine Instructionen erhalten hat?

– Vielleicht, sagte der Doctor.

– Aber wer sollte das sein? fragte Shandon. Ich kenne alle meine Leute, sag ich Ihnen, und von lange her.

– Jedenfalls, fuhr Johnson fort, wenn dieser Kapitän erscheint, Mensch oder Teufel, wird man ihn empfangen; aber man kann aus diesem Brief noch eine weitere Auskunft schöpfen.

– Und welche? fragte Shandon.

– Daß wir nämlich nicht blos in die Melville-Bai, sondern auch in den Smith-Sund fahren sollen.

– Sie haben Recht, erwiderte der Doctor.

– Den Smith-Sund, versetzte Richard Shandon mechanisch.

– Es ist also klar, fuhr Johnson fort, daß der Forward nicht die Bestimmung haben kann, die nordwestliche Durchfahrt zu suchen, denn wir sollen den einzigen Weg dahin, den Lancaster-Sund, links lassen. Daraus haben wir eine schwierige Fahrt in die unbekannten Nord-Meere abzunehmen. – Ja, der Smith-Sund, erwiderte Shandon, ist der Weg, welchen im Jahre 1853 der Amerikaner Kane einschlug, und mit welchen Gefahren. Lange hielt man ihn für verloren in dieser erschrecklichen Zone! Schließlich, weil es vorgeschrieben ist, wird man in den Sund fahren! Aber bis wohin? Etwa bis zum Pol?

– Und warum nicht?« rief der Doctor.

Der Rüstmeister zuckte die Achseln.

»Endlich, fuhr James Wall fort, um auf den Kapitän zurück zu kommen, wenn er existirt, so sehe ich an der Grönländischen Küste nur Disko oder Uppernawik, wo er uns erwarten könnte; in einigen Tagen werden wir also wissen, woran wir uns zu halten haben.

– Aber, fragte der Doctor, werden Sie nicht der Mannschaft Kenntniß von diesem Brief geben?

– Mit Erlaubniß des Commandanten, erwiderte Johnson, ich würde es nicht thun.

– Und weshalb? fragte Shandon.

– Weil all dieses Außerordentliche, Phantastische, geeignet ist, die Leute einzuschüchtern. Sie sind bereits sehr in Unruhe über das Schicksal einer so auftretenden Expedition. Wenn man sie nun zum Uebernatürlichen hindrängt, so kann dies schlimme Folgen haben, und wir möchten im Moment der Gefahr nicht auf sie zählen können. Was sagen Sie dazu, Commandant?

– Und Sie, Doctor, was halten Sie davon? fragte Shandon.

– Meister Johnson, erwiderte der Doctor, scheint mir verständig zu urtheilen.

– Und Sie, James? – Besseres vorbehalten, versetzte Wall, trete ich der Meinung dieser Herren bei.«

Shandon sann einige Augenblicke nach, las noch einmal achtsam den Brief.

»Meine Herren, sagte er, Ihre Ansicht ist gewiß gut, aber ich kann sie nicht theilen.

– Und weshalb, Shandon? fragte der Doctor.

– Weil in dem Brief förmlich vorgeschrieben ist, die Mannschaft von Seiten des Kapitäns zu beglückwünschen; nun hab ich bisher stets blind seinen Befehlen gehorcht, in welcher Weise auch sie mir zugestellt wurden, und ich kann nicht ...

– Doch ... versetzte Johnson, der mit Recht um die Wirkung besorgt war, welche dergleichen Mittheilungen auf den Geist der Matrosen haben würden.

– Wackerer Johnson, entgegnete Shandon, ich begreife, daß Sie darauf dringen, Ihre Gründe sind vortrefflich, aber lesen Sie:

»Er bittet Sie, der Mannschaft seinen Dank dafür auszusprechen.«

– Nun so verfahren Sie demnach, fuhr Johnson fort, der übrigens sonst strenge den Gehorsam zu wahren verstand. Soll man die Mannschaft auf dem Verdeck versammeln?

– Thun Sie das«, erwiderte Shandon.

Die Neuigkeit von einer Mittheilung des Kapitäns verbreitete sich augenblicklich an Bord. Die Matrosen kamen unverzüglich an den Platz für ihre Revue, und der Commandant las laut den geheiminßvollen Brief.

Man hörte mit dumpfem Schweigen dem Verlesen zu; die Leute gaben sich tausend Vermuthungen hin; Clifton konnte sich nun allen Abschweifungen seiner abergläubischen Phantasie überlassen; er schrieb dem Kapitän Hund seinen redlichen Antheil dabei zu, und verfehlte nicht ihn zu grüßen, als er zufällig ihm in den Weg kam. Ein Jeder war überzeugt, daß des Kapitäns Schatten oder Geist am Bord wache; die Gescheitesten hüteten sich von nun an, ihre Vermuthungen gegen einander zu äußern.

Am 1. Mai ergab die Aufnahme zu Mittag 68° Breite und 56° 32 Länge. Die Temperatur war gestiegen, und das Thermometer zeigte fünfundzwanzig Grad unter Null (-4° hunderttheilig).

Der Doctor hatte das Vergnügen zuzuschauen, wie eine weiße Bärin am Rande eines, längs der Küste schwimmenden Eisblocks mit zwei Jungen spielte. Er machte mit Wall und Simpson einen Versuch, in dem Boot Jagd auf sie zu machen; aber das eben nicht kampflustige Thier schleppte rasch seine Jungen mit sich fort, und man mußte auf ihre Verfolgung verzichten.

Vom Wind begünstigt fuhr man während der Nacht ums Cap Chidley herum, und bald sah man am Horizont die hohen Berge von Disko sich erheben; rechts ließ man die Bai Godauhn, wo der Generalgouverneur der dänischen Niederlassungen residirte. Shandon hielt nicht für angemessen, sich hier aufzuhalten, und fuhr an den Piroguen der Eskimos, welche zu ihm zu gelangen bemüht waren, rasch vorüber.

Die Insel Disko heißt auch Wallfischinsel. Von hier aus schrieb am 12. Juli 18l5 Sir John Franklin zum letztenmal an die Admiralität, und hier legte auch, am 29. August 1859, der Kapitän Mac Clintock bei seiner Rückkehr an, indem er die nur zu sichern Beweise vom Untergang dieser Expedition mitbrachte.

Bald verschwanden die Höhen von Disko vor den Blicken.

Es befanden sich damals zahllose Eisberge an den Küsten, welche auch das stärkste Thauwetter nicht loslösen kann; diese ununterbrochene Reihe von Bergspitzen zeigte die seltsamsten Formen.

Am folgenden Morgen gegen drei Uhr gewahrte man nordöstlich Sanderson Hope; das Land blieb etwa fünfzehn Meilen links liegen; die Berge schienen röthlich nußbraun gefärbt. Am Abend sah man einige Wallfische von der Sorte, welche Flossen auf dem Rücken haben, mitten zwischen den Eisblöcken sich erlustigen.

Während der Nacht vom 3. auf 4. Mai konnte der Doctor zum erstenmal die Sonne am Rande des Horizonts streifen sehen, ohne daß ihre leuchtende Scheibe untertauchte; seit 31. Januar hatten ihre Bahnkreise täglich zugenommen, und es herrschte jetzt ununterbrochene Tageshelle.

Für Zuschauer, die es nicht gewohnt sind, ist diese ununterbrochene Dauer des Tages etwas erstaunlich Merkwürdiges, das selbst beschwerlich wird; man kann kaum glauben, wie sehr die Dunkelheit der Nacht für die Gesundheit der Augen nöthig ist; es verursachte dem Doctor wirklichen Schmerz, um sich an dies fortwährende Licht zu gewöhnen, welches durch den Reflex der Strahler auf den Eisebenen noch schmerzhafter blendete.

Am 5. Mai fuhr der Forward über den zweiundsiebenzigsten Breitegrad. Zwei Monate später hätte er hier zahllose Wallfischfahrer getroffen, welche in diesen hohen Strichen dem Fischfang obliegen; aber die Straße war noch nicht frei genug, daß diese Fahrzeuge es wagen konnten, ins Baffins-Meer zu dringen.

Am folgenden Morgen kam die Brigg, nachdem sie vor der Fraueninsel vorübergefahren, vor Uppernawik an, der nördlichsten Niederlassung Dänemarks an diesen Küsten.

< Achtes Capitel.
Zehntes Capitel. >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.