Frei Lesen: Das Dampfhaus - 1.Band

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Jules Verne

Das Dampfhaus - 1.Band

Zehntes Capitel.

eingestellt: 25.7.2007



Das Königreich Audh war früher eines der bedeutendsten der Halbinsel und ist noch heute eines der reichsten in ganz Indien. Es besaß verschiedene mächtige und ohnmächtige Herrscher. Die Ohnmacht eines derselben, Wajad Ali Schahs, ermöglichte am 6. Februar 1857 die Einverleibung seines Reiches in das Territorium der Compagnie. Es geschah das also kaum einige Monate vor dem Ausbruche der Empörung, und diese Gebiete bildeten dann auch den Schauplatz der entsetzlichsten Metzeleien und darauf der furchtbarsten Repressalien.

Zwei Namen von Städten, Laknau und Khanpur, sind seit jener Zeit zu wirklich trauriger Berühmtheit gelangt.

Laknau ist die Hauptstadt, Khanpur einer der wichtigsten Orte des ehemaligen Königreiches.

Nach Khanpur wollte Oberst Muuro gehen; und nach einer Fahrt längs des rechten Gangesufers und mitten durch eine weite Ebene voller Indigoplantagen, langten wir am Morgen des 29. Mai daselbst an. Zwei Tage über hatte sich der Stahlriese mit einer Durchschnitts-Geschwindigkeit von drei Meilen in der Stunde fortbewegt, wobei wir die zweihundertfünfzig Kilometer von Allahabad nach Khanpur zurücklegten.

Jetzt befanden wir uns tausend Kilometer von Calcutta, unserem Ausgangspunkte.

Khanpur ist eine Stadt von etwa 60.000 Seelen. Es bedeckt am rechten Ufer des Ganges einen schmalen Streifen von fünf Meilen Länge. Hier liegt auch eine Garnison von 7000 Mann.

In der ganzen Stadt würde der Reisende vergeblich ein seiner Aufmerksamkeit würdiges Baudenkmal suchen, obgleich jene sehr alten Ursprungs sein und sogar aus der vorchristlichen Aera herrühren soll. Neugierde hatte uns auch sicherlich nicht nach Khanpur verlockt. Nur der ausgesprochene Wille Sir Edward Munros führte uns hierher.

Am 30. Mai frühmorgens verließen wir unseren Halteplatz. Banks, Kapitän Hod und ich folgten dem Oberst und dem Sergeanten Mac Neil auf diesem Schmerzenswege, dessen wichtigste Punkte Sir Edward Munro zum letzten Mal besuchen wollte.

Hierzu ist es nöthig, das Folgende zu kennen, was ich nach dem Berichte des Ingenieurs auszugsweise wiedergebe:

»Khanpur, das zur Zeit der Annexion des Königreiches Audh von sehr verläßlichen Truppen bewacht wurde, zählte beim Ausbruch des Aufstandes nur zweihundertfünfzig Mann der königlichen Armee, gegen drei Regimenter eingeborner Infanterie, das 1., 53. und 56., zwei Regimenter Cavallerie und eine Batterie Artillerie der Armee von Bengalen. Außerdem befanden sich hier eine beträchtliche Anzahl Europäer, Beamte, Kaufleute u. dergl., ferner achthundertfünfzig Frauen und Kinder des 32. königlichen Regiments, das in Laknau garnisonirte.

»Oberst Munro wohnte schon seit mehreren Jahren in Khanpur. Hier lernte er auch das junge Mädchen kennen, das später sein Weib wurde.

»Mrs. Honlay war eine reizende, geistvolle junge Engländerin mit edlem Charakter und hochherzigem Sinne, eine heroische Natur und würdig, von einem Manne wie der Oberst geliebt zu werden, der sie bewunderte und anbetete. Sie bewohnte in Gesellschaft ihrer Mutter einen Bungalow in der Nähe der Stadt, wo sich Edward Munro 1855 mit ihr vermählte.

»Zwei Jahre nach der Hochzeit, 1857, als sich in Mirat die ersten Auftritte der Empörung abspielten, mußte Oberst Munro unverzüglich bei seinem Regimente eintreten. Gattin und Schwiegermutter ließ er in Khanpur zurück, empfahl ihnen aber, sich sofort zur Abreise nach Calcutta bereit zu machen. Oberst Munro sagte sich, daß Khanpur nicht sicher sei, und die späteren Ereignisse sollten seine Ahnung leider in vollstem Maße bestätigen.

»Mrs. Honlays und Lady Munros Abreise erlitt einige Verzögerungen, die von den schlimmsten Folgen sein sollten. Die unglücklichen Frauen wurden von den Ereignissen überrascht und konnten Khanpur dann nicht mehr verlassen.

»Die Division, zu der Oberst Munros Regiment gehörte, stand damals unter dem Befehle des Generals Sir Hugh Wheeler, eines geraden, ehrlichen Soldaten, der dem arglistigen Verfahren Nana Sahibs sehr bald zum Opfer fiel.

»Der Nabab bewohnte jener Zeit sein Schloß in Bilhour, zehn Meilen von Khanpur, und heuchelte immer das beste Einvernehmen mit den Europäern.

»Sie wissen, lieber Maucler, daß die ersten Insurrections-Versuche in Mirat und Delhi zutage traten. Am 14. Mai erreichte die Nachricht davon Khanpur. Am nämlichen Tage zeigte auch schon das 1. Sipahi-Regiment eine feindselige Haltung.

»Da bot Nana Sahib der Regierung seine Dienste an. General Wheeler mußte schlecht genug unterrichtet sein, um an die Ehrlichkeit jenes Schurken zu glauben, dessen eigene Soldaten sich fast gleichzeitig der Gebäude des Schatzamtes bemächtigten.

»Denselben Tag ermordete auch ein auf dem Marsche nach Khanpur begriffenes, irreguläres Sipahi-Regiment seine europäischen Officiere vor den Thoren der genannten Stadt.

»Jetzt zeigte sich die Gefahr in ihrer ganzen Größe. General Wheeler befahl allen Europäern, sich in die Kaserne zu flüchten, welche die Frauen und Kinder des 32. Regiments von Laknau bewohnten – eine Kaserne in unmittelbarer Nähe der Straße nach Allahabad, der einzigen, von welcher her man auf eintreffende Hilfe hoffen konnte.

»Ebenda mußten sich auch Lady Munro und ihre Mutter einschließen. Während der ganzen Dauer dieses unfreiwilligen Aufenthaltes bewies die junge Frau ihren Unglücksgefährten eine Hingebung ohnegleichen. Sie sorgte für jene mit eigener Hand, unterstützte dieselben aus ihrer Börse, ermuthigte sie durch Wort und Beispiel und zeigte ihre wahre Natur, das große Herz und, wie ich schon sagte, das heldenmüthige Weib.

»Das Arsenal wurde inzwischen unter die Obhut der Soldaten Nana Sahibs gestellt.

»Nun erhob der Verräther aber die Fahne des Aufstandes, und am 7. Juni griffen die Sipahis auf sein Anstiften die Kaserne an, zu deren Vertheidigung nur dreihundert kampffähige Soldaten vorhanden waren.

»Die braven Leute wehrten sich jedoch nach Kräften gegen das Feuer der Angreifer, trotz eines wahren Hagels von Geschossen, trotz Krankheiten jeder Art, halb sterbend vor Hunger und Durst, denn an Lebensmitteln trat bald empfindlicher Mangel ein und die Senkbrunnen versiegten nur zu zeitig.

»Der Widerstand dauerte bis zum 27. Juni.

»Da brachte Nana Sahib eine Capitulation in Vorschlag, auf welche General Wheeler unverzeihlicher Weise einging, trotz Lady Munros dringendster Bitte, den Kampf noch nicht aufzugeben.

»Nach dem Wortlaute jener Capitulation sollten alle Männer, Frauen und Kinder – gegen fünfhundert Personen, auch Lady Munro nebst ihrer Mutter – auf Fahrzeuge gebracht und auf dem Ganges nach Allahabad hinunter befördert werden.

«Kaum stießen die Schiffe vom Ufer ab, als die Sipahis ein mörderisches Feuer auf dieselben eröffneten und sie mit Kanonenkugeln und Kartätschen überschütteten. Infolge dessen sanken einige derselben, andere geriethen in Brand. Einem einzigen Fahrzeuge glückte es, wenige Meilen auf dem Strome hinabzugelangen.

»Auf demselben befanden sich Lady Munro und ihre Mutter. Einen Augenblick konnten sie sich wohl für gerettet halten. Die Söldner des Nana verfolgten sie jedoch, fingen sie wieder ein und schleppten alle nach den Cantonnements zurück.

»Hier traf man eine Auswahl unter den Gefangenen. Die Männer wurden sofort niedergemetzelt. Die Frauen und Kinder sperrte man mit denen zusammen, die am 27. Juni dem Tode entgangen waren.

»Das ergab zusammen zweihundert arme Opfer, denen ein langer Todeskampf vorbehalten war, und welche man in einem Bungalow unterbrachte, dessen Name, »Bibi-Ghar«, eine traurige Berühmtheit erlangt hat.

– Wie sind Sie aber zur Kenntniß dieser grauenhaften Einzelheiten gekommen? fragte ich Banks.

– Durch einen alten Sergeanten des 32. Regiments der königlichen Armee, antwortete mir der Ingenieur. Der Mann entkam damals wie durch ein Wunder und wurde von dem Rajah von Raïschwarah – eine der Provinzen des Königreichs Audh – ebenso wie mehrere andere Flüchtlinge mit größter Menschenfreundlichkeit aufgenommen.

– Und was wurde aus Lady Munro und deren Mutter?

– Darüber, was später vorgegangen ist, lieber Freund, fuhr Banks fort, fehlen uns Berichte von Augenzeugen, doch läßt sich das ohne Schwierigkeit muthmaßen. Die Sipahis waren ja thatsächlich die Herren von Khanpur, wenigstens bis zum 15. Juli – neunzehn Tage – neunzehn Jahrhunderte! Die unglücklichen Gefangenen harrten von Stunde zu Stunde auf Entsatz, der leider nur zu spät eintreffen sollte.

»Schon seit einiger Zeit marschirte General Havelock von Calcutta aus nach Khanpur zur Hilfe und zog daselbst, nachdem er die Aufständischen wiederholt geschlagen, am 17. Juli ein.

»Zwei Tage vorher aber, als Nana Sahib vernommen, daß die königlichen Truppen den Pandou-Niddi-Fluß überschritten hatten, beschloß er, die letzten Stunden seiner Herrschaft durch einen abscheulichen Massenmord zu bezeichnen. Gegenüber den Eroberern Indiens hielt er eben Alles für erlaubt!

»Einige männliche Gefangene, welche die Haft im Bibi-Ghar mit den Frauen getheilt hatten, wurden vor ihn geführt und unter seinen Augen erwürgt.

»Nun blieb noch die Menge der Frauen und Kinder übrig, und darunter auch Lady Munro nebst ihrer Mutter. Eine Abtheilung des 6. Sipahi-Regiments erhielt Befehl, diese durch die Fenster des Bnngalow niederzuschießen. Die Execution nahm ihren Anfang; da sie für Nana Sahib, der auf den Rückzug denken mußte, aber nicht schnell genug förderte, schickte der blutdürstige Fürst auch noch die muselmanischen Fleischer unter seine Henker ... nun gab es ein Gemetzel wie im Schlachthofe!

»Am nächsten Tage wurden die Frauen und die Kinder, gleichviel ob lebend oder todt, in einen benachbarten Brunnenschacht geworfen, und als Havelocks Soldaten eintrafen, soll der bis zum Rande angefüllte Brunnen noch gedampft haben!

»Jetzt nahm die Wiedervergeltung ihren Anfang. Eine gewisse Anzahl Rebellen, Helfershelfer Nana Sahibs, waren dem General Havelock in die Hände gefallen. Dieser erließ einen schrecklichen Tagesbefehl, dessen Wortlaut ich nimmermehr vergessen werde.

»Der Brunnen, welcher die Ueberreste der armen, auf Befehl Sahibs ermordeten Frauen und Kinder enthält, wird mit Erde angefüllt und in der Form eines Grabes hergestellt. Ein von ihrem Officier commandirtes Detachement europäischer Soldaten wird heute Abend diese fromme Pflicht erfüllen. Das Haus und die Räumlichkeiten, in denen das Gemetzel stattgefunden, werden nicht durch die Landsleute der Opfer gereinigt und gewaschen. Der Brigadier will, daß jeder Tropfen unschuldigen Blutes von den Verurtheilten mit der Zunge beseitigt und vor der Vollstreckung des Todesurtheils aufgeleckt werde, jeder nach seinem Range und dem Antheil, den er bei der Mordthat gehabt hat. Nach Verlesung des Todesurtheils wird also Jeder nach jenem Hause geführt werden, um daselbst einen Theil des Fußbodens zu säubern. Man wird Sorge tragen, die Arbeit den religiösen Empfindungen der Verurtheilten so widerlich wie möglich zu machen, und der Profoß mag die Peitsche nicht schonen, wenn das nöthig erscheint. Nach vollendeter Arbeit wird der Ausspruch des Kriegsgerichts an dem neben dem Hause errichteten Galgen vollstreckt.«

»So lautete, fuhr Banks tiefbewegt fort, jener Tagesbefehl, der Punkt für Punkt zur Ausführung kam. Und doch, die bedauernswerthen Opfer athmeten ja nicht mehr – sie waren einmal ermordet, verstümmelt, zerfleischt! Als Oberst Munro, der zwei Tage nachher eintraf, den Versuch machte, von Lady Munro und deren Mutter Ueberreste zu entdecken, fand er nichts ... nichts!«

Obige Mittheilungen hatte mir Banks vor unserer Ankunft in Khanpur gemacht, und jetzt begab sich der Oberst nach dem Platze, wo einst jenes entsetzliche Blutbad stattfand.

Vorher jedoch wollte er den Bungalow wiedersehen, in dem früher Lady Munro gewohnt und ihre Jugend verbracht, die Stätte, wo er sie zum letzten Male gesehen, die Schwelle auf der sie ihn zum letzten Male umarmt hatte.

Dieser Bungalow lag etwas abgesondert außerhalb der Vorstädte, unfern den militärischen Cantonnements. Ruinen, geschwärzte Mauerreste, einige umgehackte, jetzt verdorrte Bäume, das war Alles, was von dem früheren traulichen Heim noch übrig war. Der Oberst hatte von einer Wiederherstellung nichts wissen wollen. Nach sechs Jahren lag der Bungalow also noch ebenso da, wie ihn die Hände der Mordbrenner zugerichtet hatten.

Wir verbrachten eine Stunde an dieser vereinsamten Stelle. Sir Edward Munro ging stumm durch den Trümmerhaufen, der in ihm so viele Erinnerungen wach rief. Er gedachte wohl der früheren glücklichen Zeiten, die ihm später nichts mehr wiedergeben konnte. Er sah wohl das junge Mädchen wieder, wie sie sich heiteren Sinnes in ihrem Geburtshause bewegte, in dem er sie dereinst kennen lernte, und zuweilen schloß er die Augen, um die Bilder seines Geistes besser zu erkennen!

Endlich aber wendete er sich plötzlich, doch als müsse er sich dabei Gewalt anthun, zurück und führte uns mit hinweg.

Banks hatte gehofft, der Oberst werde sich damit begnügen, jenen Bungalow zu besuchen ... weit gefehlt! Sir Edward Munro mochte beschlossen haben, den bitteren Kelch bis zur Neige zu leeren. Nach der Wohnstätte Lady Munros wollte er auch die Kaserne wiedersehen, wo so viele Unschuldige, für welche seine heldenmüthige Frau sich damals so aufopferungsvoll abmühte, alle Schrecken einer Belagerung ausgehalten hatten.

Diese Kaserne lag in der Ebene vor der Stadt und jetzt baute man eine Kirche an der Stelle, wohin sich seiner Zeit die Einwohner von Khanpur flüchten mußten. Der Weg nach derselben führte auf einer macadamisirten, von schönen Bäumen beschatteten Straße hin.

Hier also hatte sich der erste Act der schauerlichen Tragödie abgespielt, hier lebten, litten und kämpften einst Lady Munro und ihre Mutter mit dem Tode, bis die Capitulation so viele Opfer den Händen Nana Sahibs auslieferte, welche dieser schon einem schrecklichen Tode geweiht hatte, als der Verräther gelobte, sie heil und gesund nach Allahabad ziehen zu lassen. In der Umgebung des noch unvollendeten Baues gewahrte man da und dort Mauerüberreste als Zeugen für die Maßnahmen zur Vertheidigung, die General Wheeler getroffen hatte.

Oberst Munro stand lange regungslos und still vor diesen Ruinen. In der Erinnerung traten ihm wohl die Schauerscenen vor Augen, deren Schauplatz jene gewesen – nach dem Bungalow, wo Lady Munro so glücklich gelebt, die Kaserne, in der sie über alle Beschreibung gelitten hatte!

Jetzt war nur noch der Bibi-Ghar zu besuchen, jene Wohnstätte, aus der Nana einen Kerker gemacht hatte, wo einst jener Brunnenschacht gähnte, der die Leichen der Opfer seiner Grausamkeit bunt durcheinander aufnahm.

Als Banks den Oberst sich nach jener Richtung wenden sah, ergriff er dessen Arm, wie um ihn zurückzuhalten.

Sir Edward Munro blickte ihm gerade ins Gesicht und sagte mit erschreckend ruhiger Stimme:

»Laß uns gehen!

– Munro, ich bitte Dich ...

– So gehe ich allein!«

Hier half kein Widerstreben.

Wir begaben uns also nach Bibi-Ghar, vor dem wohl gepflegte und mit schönen Bäumen bestandene Gärten liegen.

Hier erhebt sich eine gothische achteckige Colonade. Sie umschließt die Stätte des früheren Brunnens, dessen Mündung jetzt mit Steinen verdeckt ist. Letztere bilden eine Art Sockel mit einer Figur aus weißem Marmor, den Engel der Barmherzigkeit darauf, eines der letzten Werke des Meißels Marochettis.

Lord Canning, der General-Gouverneur von Indien zur Zeit der furchtbaren Empörung 1857, ließ dieses Todtendenkmal nach den Entwürfen des Genie-Obersten Yule errichten und wollte die Kosten sogar aus eigenen Mitteln decken.

An dieser Stelle, wo die beiden Frauen, die Mutter und die Tochter, nachdem sie von den Metzgern Nana Sahibs niedergeschlagen worden, vielleicht noch lebend in den Brunnen gestürzt worden waren, konnte Sir Edward Munro sich der Thränen nicht erwehren. Er sank am Fuße des Denkmals in die Kniee.

Dicht bei ihm stand der Sergeant Mac Neil und weinte still.

Uns Allen brach fast das Herz, da wir keine Worte fanden, in diesem unheilbaren Schmerz zu trösten, während wir doch hofften, daß Sir Edward Munro hier die letzten Thränen vergießen werde.

Ach, wäre er unter den ersten Soldaten gewesen, die in Khanpur eindrangen und nach jener beispiellosen Metzelei in den Bibi-Ghar gelangten – der Schmerz würde ihn getödtet haben.

Einer der englischen Officiere lieferte darüber folgenden Bericht, den Rousselet in seinem erwähnten Werke citirt:

»Gleich nach unserem Eindringen in Khanpur, forschten wir nach den armen Frauen und Kindern, die wir in des scheußlichen Nana Sahibs Händen wußten, erfuhren aber nur zu bald von deren unmenschlicher Abschlachtung. Gepeinigt von unstillbarem Durste nach Rache und durchdrungen von dem Gefühle der furchtbaren Leiden, welche jene armen Opfer zu erdulden gehabt, erwachten in uns ganz fremdartige, wilde Gedanken. Halb wahnsinnig stürzten wir nach der Opferstelle. Geronnenes Blut, untermischt mit Fetzen jeder Art, bedeckte den Fußboden des kleinen Raumes, in dem jene eingesperrt gewesen waren, so hoch, daß es uns bis an die Knöchel reichte. Lange, seidenweiche Haarflechten, zerrissene Stücke von Kleidern, Schuhe von kleinen Kindern neben Spielsachen derselben lagen auf dem besudelten Fußboden umher. Die mit Blut bespritzten Wände zeugten für die entsetzlichen Todesqualen. Ich hob ein kleines Gebetbuch auf, dessen erste Seite folgende ergreifende Worte zeigte: »27. Juni, die Schiffe verlassen ... 7. Juli, Gefangene Nanas ... unglücksschwerer Tag.« Das war aber nicht der einzige grause Anblick der unserer harrte. Noch schrecklicher erschien der Anblick des tiefen Brunnens, in den die verstümmelten Ueberreste der zarten Wesen geworfen worden waren! ...«

Sir Edward Munro war nicht dabei, als die ersten Truppen Hauelocks sich der Stadt bemächtigten. Er kam erst zwei Tage nach dem gräßlichen Menschenopfer. Und jetzt zeigte sich seinem Blicke nur die Stelle, wo sich einst der schreckliche Brunnenschacht befand, ein namenloses Grab von zweihundert Opfern Nana Sahibs!

Hier gelang es Banks mit Hilfe des Sergeanten, ihn mit Gewalt wegzuziehen.

Oberst Munro vergaß gewiß niemals die zwei Worte, die einer der Soldaten Havelocks mit dem Bajonnet auf den Rahmen des Brunnens gekritzelt hatte:

»Remember Cawnpore!«
»Gedenk an Khanpur!«

< Neuntes Capitel.
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