Frei Lesen: Das Dampfhaus - 1.Band

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Jules Verne

Das Dampfhaus - 1.Band

Sechzehntes Capitel.

eingestellt: 25.7.2007



Einen Monat lang, vom 12. März bis 12. April, hielt Nana Sahib sich in dem Pal verborgen. Er wollte den englischen Behörden Zeit lassen, bis sie entweder jede weitere Nachforschung aufgegeben, oder sich auf falsche Fährten verirrt hätten.

Wenn die beiden Brüder am Tage niemals ausgingen, so durchstreiften dafür ihre Getreuen das Thal, besuchten die Dörfer und Weiler desselben, verkündigten durch verhüllte Anspielungen die bevorstehende Erscheinung eines »gewaltigen Moulti«, eines halben Gottes und halben Menschen, und suchten auf diese Weise die Geister zu einer nationalen Erhebung vorzubereiten.

Mit Anbruch der Nacht wagten sich auch Nana Sahib und Balao Rao aus ihrem Versteck hervor. Sie schweiften dann bis zu den Ufern der Nerbudda hinaus, gingen von Dorf zu Dorf, von Pal zu Pal, in Erwartung der Stunde, wo sie auch im Gebiete der den Engländern lehnspflichtigen Rajahs mit einiger Sicherheit auftreten könnten. Nana Sahib wußte übrigens, daß einige halbunabhängige und des fremden Joches müde Fürsten seinem Rufe auf der Stelle folgen würden. Für jetzt galt seine Thätigkeit jedoch nur den wilden Volksstämmen von Goudwana.

Die barbarischen Bhîls, die nomadisirenden Kounds und die Gounds – ein ebenso wenig wie die eingebornen Inselbewohner im großen Ocean civilisirter Stamm – fand Nana bereit, sich zu erheben, erbötig, ihm zu folgen. Gab er sich aus Klugheit auch nur zwei oder drei mächtigen Stammeshäuptlingen zu erkennen, so genügte ihm das doch, sich zu überzeugen, daß sein Name allein mehrere Millionen der auf den inneren Hochebenen Hindostans zerstreut lebenden Hindus heranziehen werde.

Nach der Rückkunft in den Pal von Tandit berichteten die beiden Brüder dann einander, was sie gehört, gesehen und ausgerichtet hatten. Auch ihre Leute sammelten sich um sie und brachten von überall her die Kunde, daß der Geist der Empörung schon wie ein Sturmwind durch das Nerbuddathal wehe. Die Gounds warteten nur darauf, den »Kisri«, den Kriegsruf der Bergbewohner, erschallen zu lassen und sich auf die Militär-Niederlassungen der Präsidentschaft zu stürzen.

Noch war der rechte Zeitpunkt nicht gekommen.

Offenbar genügte es noch nicht, das Gebiet zwischen der Sautpourrabergen und den Vindhyas in Flammen zu setzen. Die Fackel des Aufstandes mußte sich vielmehr von Ort zu Ort weiter verbreiten. Daraus ergab sich die Nothwendigkeit, auch in den, der Botmäßigkeit der Engländer mehr untergebenen Nachbarprovinzen der Nerbudda Brennmaterial aufzuhäufen. Alle jene Städte und Flecken von Rhopal, Malwa und Bundelkund, sowie das ganze Königreich Scindia sollten einen einzigen, entzündungsfertigen Herd bilden. Mit gutem Grunde ließ es Nana Sahib aber seine eigene Sorge sein, die alten Parteigänger aus der Erhebung von 1857 aufzusuchen, die Eingebornen, welche, treu seiner Sache und niemals an seinen Tod glaubend, von Tag zu Tag darauf harrten, ihn wieder auftreten zu sehen.

Einen Monat nach seiner Ankunft im Pal von Tandit glaubte Nana Sahib mit voller Sicherheit vorgehen zu können. Er meinte, die Kunde von seinem Wiedererscheinen in der Provinz werde nun für falsch gehalten werden. Vertraute Spießgesellen unterrichteten ihn von allen Maßregeln, die der Gouverneur der Präsidentschaft Bombay zu seiner Gefangennehmung getroffen hatte. Er wußte recht gut, daß die Behörden während der ersten Tage, freilich vergebens, eifrig thätig gewesen waren. Jener Fischer von Aurungabad, der frühere Gefangene Nanas, war unter seinem Dolche gefallen, und Niemand hatte Verdacht geschöpft, daß der fliehende Fakir mit dem Nabab Dandou Pant, auf dessen Kopf ein Preis gesetzt war, identisch sei. Eine Woche später legte sich die anfängliche Aufregung, die Bewerber um den Preis von 2000 Pfund gaben alle Hoffnung auf, und Nana Sahibs Name versank wieder in Vergessenheit.

Der Nabab konnte also wieder persönlich thätig sein und ohne Furcht, erkannt zu werden, seine Aufwiegeleien fortsetzen. Bald in der Kleidung eines Parsi, bald in der eines schlichten Raïot (Bauern), heute allein, morgen in Begleitung seines Bruders, zog er nun von dem Pal von Tandit aus, wandte sich nach Norden, nach der anderen Seite der Nerbudda, und selbst bis über den Westabhang der Vindhyas hinab.

Ein Spion, der ihm auf allen Schlichen und Wegen gefolgt wäre, hätte jenen am 12. April in Indore getroffen.

Von dieser Hauptstadt des Königreiches Holcar aus setzte sich Nana Sahib, unter Einhaltung des strengsten Incognitos, mit der zahlreichen, meist der Cultur von Mohnfeldern obliegenden Landbevölkerung in Verbindung. Diese bestand aus thatenlustigen und fanatischen Rihillas, Mekranis und Valayalis, meist fahnenflüchtige Sipahis aus den Natifs-Regimentern, die sich unter der Verkleidung als Hindubauern verbargen.

Dann ging Nana Sahib über die Betwa, einen Nebenfluß der Jumna, die an der Westgrenze Bundelkunds nach Norden zu verläuft, und kam am 19. April, durch ein herrliches Thal mit zahllosen Dattel- und Mangobäumen, in Souari an.

Hier befinden sich merkwürdige Baudenkmäler von sehr hohem Alter, nämlich die sogenannten »Tôpes«, eine Art Grabmäler mit halbkugeligem Kuppeldache, welche im Norden des Thales die Hauptgruppe von Saldhara bilden. Aus den Grabstätten, diesen Wohnungen der Todten, deren, dem buddhistischen Ritus geweihte Altäre unter steinernen Schirmen geschützt stehen, quollen, auf Nana Sahibs Ruf, Hunderte von Flüchtlingen hervor. Vergraben unter diesen Ruinen, um den schrecklichen Repressalien der Engländer zu entgehen, genügte ein Wort, ihnen klar zu machen, was der Nabab von ihnen verlangte, eine Andeutung zur rechten Zeit mußte hinreichen, sie in Menge auf die Eroberer zu hetzen. Am 24. April weilte Nana in Bhîlsa, der Hauptstadt eines mächtigen Bezirks von Malwa, und versammelte in den Ruinen der alten Stadt die Elemente zur Empörung, welche ihm die neue nicht geliefert hätte.

Am 27. April erreichte der Nabab Rayguoh, nahe der Grenze des Königreichs Pannah, und am 30. die Reste der alten Stadt Sangoe, nicht weit von der Stelle, wo General Sir Hugh Rose den Aufständischen eine sehr blutige Schlacht lieferte, die ihm mit dem Engpaß von Maudampore den Schlüssel zu den Schluchten der Vindhyas in die Hände lieferte.

Hier schloß sich dem Nabab sein Bruder wieder an, der in Begleitung Kâlaganis nachgekommen war, und Beide gaben sich den Häuptlingen der hervorragendsten Stämme zu erkennen. In den mit diesen eröffneten Verhandlungen wurden die Grundzüge einer allgemeinen Erhebung besprochen und festgestellt. Während Nana Sahib und Balao Rao im Süden operirten, sollten ihre Bundesgenossen auf dem nördlichen Abhang der Vindhyas das Commando führen.

Bevor sie nach dem Nerbuddathale zurückkehrten, wollten die beiden Brüder noch das Königreich Pannah besuchen. Sie begaben sich dahin längs der Keyne, unter dem Dache riesiger Teks, gewaltiger Bambus und unter dem Schutze unzähliger Schlingpflanzen, welche bestimmt scheinen, ganz Indien zu überwuchern. Hier gewannen sie zahlreiche, wilde Anhänger unter dem armseligen Personal, das für den dortigen Rajah die Diamantengruben der Umgegend ausbeutet. »Dieser Rajah, sagt Rousselet, zog, da er einsah, zu welcher Rolle die Herrschaft der Engländer ihn verurtheilte, die eines reichen Grundbesitzers der Rolle eines Schattenfürsten vor. Ein reicher Grundbesitzer war er in der That! Die ihm gehörende Diamantenregion erstreckte sich im Norden von Pannah in einer Länge von dreißig Kilometern hin, und die Bearbeitung seiner Gruben, deren Edelsteine in Benares und Allahabad zu den gesuchtesten zählen, beschäftigte eine große Menge Hindus. Unter diesen Unglücklichen, welche die härtesten Arbeiten auszuführen hatten und die der Rajah einfach köpfen ließ, wenn sich die Ausbeute an Diamanten verminderte, mußte Nana Sahib Tausende von Parteigängern finden, welche entschlossen waren, für die Unabhängigkeit ihres Vaterlandes zu kämpfen und zu sterben – und er fand sie.

Von hier aus begaben sich die zwei Brüder endlich nach der Nerbudda hinab, um sich vorläufig wieder im Pal von Tandit zu verbergen. Bevor der Aufstand nämlich im Süden, gleichzeitig mit dem im Norden losbrechen sollte, gedachten sie erst noch Bhopal aufzuwiegeln. Das ist eine große muselmanische Stadt, die stets der Hauptsitz des Islam in Indien geblieben ist, und deren Begum sich den Engländern während des ganzen großen Aufstandes treu ergeben erwiesen hatte.

In Begleitung von etwa zwölf Gounds kamen Nana Sahib und Balao Rao am 24. Mai in Bhopal, am letzten Tage der Moharum-Feste an, mit denen die Muselmanen Neujahr feiern. Beide trugen die Costüme der »Joguis«, einer unheimlichen Bettlersecte, welche lange Dolche mit abgerundeten Klingen bei sich führen, mit denen sie sich in Verzückung schlagen, ohne sich dabei besonders zu verletzen.

Unkenntlich in dieser Kleidung, folgten die beiden Brüder einer Procession durch die Straßen der Stadt, inmitten zahlreicher Elephanten, die auf dem Rücken sogenannte »Tadzias«, das heißt kleine Tempel von zwanzig Fuß Höhe, trugen; sie mischten sich dabei unter die Muselmanen mit reichen goldgestickten Ueberröcken und hohen Musselin-Mützen, und befanden sich dann wieder unter den Musikern des Zuges oder unter Soldaten, Bajaderen, jungen Leuten in weiblicher Tracht – eine bunte Menge, welche der ganzen Ceremonie einen mehr carnevalistischen Anstrich verlieh. Mit den Hindus aller Classen, unter denen sie viel Getreue zählten, hatten sie dabei unmerkbare, aber den Aufständischen vom Jahre 1857 verständliche Zeichen tauschen können.

Später Abends begab sich die ganze Volksmasse nach dem See, der dicht vor der östlichen Vorstadt liegt.

Unter betäubendem Geschrei, dem Knattern von Feuerwaffen und dem Krachen von Petarden, so wie beim Schein Tausender von Fackeln stürzten die Gläubigen die Tadzias in die Fluthen des Sees. Die Moharum-Feste fanden damit ihren Abschluß.

Da fühlte Nana Sahib, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte. Er drehte sich um. Ein Bengali stand neben ihm.

Nana Sahib erkannte in dem Hindu einen seiner alten Waffengefährten von Laknau. Er blickte den Mann fragend an.

Der Bengali theilte ihm flüsternd das Folgende mit, was Nana Sahib anhörte, ohne seine Erregung auch nur durch eine Miene zu verrathen.

»Der Oberst Munro hat Calcutta verlassen.

– Und wo ist er?

– Er war gestern in Benares.

– Wohin geht er?

– Nach der Grenze von Nepal.

– In welcher Absicht?

– Einige Monate daselbst zu verweilen.

– Und nachher...?

– Nach Bombay zurückzukehren.«

Jetzt erschallte ein leiser Pfiff. Ein Hindu glitt durch die Menge und näherte sich Nana Sahib.

Das war Kâlagani.

»Mach Dich sofort auf den Weg, befahl diesem der Nabab. Suche Munro auf, der jetzt nach Norden zu unterwegs ist. Schließ Dich ihm an. Erweise ihm irgend welche Dienste und setze schlimmsten Falles das Leben aufs Spiel, aber weiche nicht von seiner Seite, bevor er jenseits der Vindhyas nach dem Nerbuddathale hinabgezogen ist. Dann, aber erst dann, gieb mir von seinem Aufenthalte Nachricht!«

Kâlagani antwortete nur durch ein bestätigendes Zeichen und verschwand wieder unter der Menge. Ein Wink des Nabab galt ihm als Befehl. Zehn Minuten später hatte er Bhopal schon im Rücken.

Jetzt trat Balao Rao an seinen Bruder heran.

»Es ist Zeit, daß wir aufbrechen.

– Ja wohl, erwiderte Nana Sahib, wir müssen vor Tagesanbruch wieder im Pal von Tandit sein.

– Auf den Weg also!«

Beide folgten nun in Begleitung ihrer Gounds dem nördlichen Ufer des Sees bis zu einer verlassenen Farm. Hier erwarteten sie und ihre Escorte die nöthigen Pferde. Diese gehörten zu der flüchtigen Race, denen man ein sehr gewürzreiches Futter verabreicht und welche fünfzig Meilen in einer Nacht zurücklegen können. Um acht Uhr galoppirten sie auf der Straße von Bhopal nach den Vindhyas hin.

Nur aus Vorsicht wollte der Nabab vor Tage im Pal von Tandit eintreffen, da es jedenfalls gerathener erschien, unbemerkt in das Thal zurückzukehren.

Die kleine Truppe flog also dahin, was die Pferde laufen konnten.

Nana Sahib und Balao Rao sprachen zwar, während sie so nebeneinander ritten, kein Wort, doch erfüllte sie ein und derselbe Gedanke. Von diesem Ausfluge über die Vindhyas brachten sie nicht nur die Hoffnung, nein, die Gewißheit mit heim, daß sich unzählige Anhänger ihrer Sache anschließen würden. Das Hochland von Central-Indien war vollständig in ihrer Hand. Die auf den weiten Gebieten zerstreuten schwachen Militär-Cantonnements konnten unmöglich dem ersten Anprall der Empörer Widerstand leisten. Mit ihrer Vernichtung gewann der Aufstand freien Raum, und bald mußte sich dann von einer Küste zur anderen eine Mauer fanatischer Hindus erheben, an der die königliche Armee voraussichtlich zerschellte.

Gleichzeitig dachte Nana Sahib aber auch an den glücklichen Zufall, der ihm Munro in den Weg führte. Endlich hatte der Oberst Calcutta, wo ihm nur schwer beizukommen war, einmal verlassen. In der nächsten Zeit konnte ihm keine seiner Bewegungen entgehen. Ohne daß er sich dessen versah, würde ihn Kâlaganis Hand ja nach den wildesten Berggegenden der Vindhyas leiten, und dort konnte ihn nichts mehr vor der Rache retten, die Nana Sahib noch immer gegen ihn hegte.

Balao Rao wußte von der Unterredung seines Bruders mit jenem Bengali kein Wort. Erst nahe dem Aufgang zu dem Pal von Tandit, als man die Pferde kurze Zeit verschnaufen ließ, machte ihm Nana Sahib eine kurze Mittheilung darüber.

»Munro hat Calcutta verlassen und begiebt sich nach Bombay.

– Die Straße nach Bombay führt bis zum Strande des indischen Oceans!

– Die Straße nach Bombay, entgegnete Nana Sahib mit eigenthümlichem Tone, reicht diesesmal nur bis zu den Vindhyas!«

Diese Antwort sagte Alles.

Die Gesellschaft stieg wieder zu Pferde und verschwand in dem Baumdickicht vor dem Ufer der Nerbudda.

Es war jetzt fünf Uhr Morgens. Schon graute der Tag. Nana Sahib, Balao Rao und ihre Genossen kamen eben an dem Wildbett der Nazzur an, das den Weg nach dem Pal hinauf bildet.

An diesem Punkte ließ man die Pferde unter der Aufsicht zweier Gounds zurück, die sie nach dem nächsten Dorfe führen sollten.

Die Uebrigen folgten den beiden Brüdern und Alle kletterten die unter dem Wasser des Bergbaches erzitternden Stufen hinan.

Ringsum war es still. Noch unterbrach das Geräusch des Tages nicht die Stille der Nacht.

Plötzlich donnerte ein Schuß durch die Luft, dem mehrere andere nachfolgten. Gleichzeitig hörte man von oben ein dreifaches Hurrah!

Ein Officier, der einen Trupp von fünfzig Soldaten führte, erschien neben dem Pal.

»Feuer! Daß Keiner entkomme!« rief er noch einmal.

Sofort erfolgte eine neue Salve, welche aus nächster Nähe auf die Nana Sahib und seinen Bruder umgebenden Gounds abgegeben wurde.

Fünf ober sechs Hindus fielen; die Uebrigen sprangen in das Bett des Nazzur zurück und verschwanden im Walde.

»Nana Sahib! Nana Sahib!« riefen die Engländer, während sie in die enge Schlucht hinabdrangen.

Da erhob ein zu Tode Getroffener noch einmal die Hand gegen sie.

»Tod und Verderben den Eroberern!« preßte er mit schrecklicher Stimme noch hervor und fiel bewegungslos zurück.

Der Officier trat an den Leichnam heran.

»Ist das etwa Nana Sahib? fragte er.

– Ja, er ist es, antworteten zwei Soldaten des Detachements, die den Nabab von ihrem Aufenthalte in Khanpur her genau kannten.

– Nun, dann auf die Anderen!« commandirte der Officier. Die ganze Abtheilung eilte in den Wald zur Verfolgung der Gounds.

Kaum waren Alle verschwunden, als ein Schatten geräuschlos den Abhang vom Pal herunterglitt.

Es war die wandelnde Flamme, eingehüllt in ein langes Stück braunen Stoffes, den ein Strick um die Hüften zusammenhielt.

Am Vorabend hatte die Wahnsinnige unbewußt den Officier und seine Leute hierher geführt. Kaum in das Thal zurückgekehrt, suchte sie ganz willenlos den Pal von Tandit auf, nach dem eine Art Instinct sie hinzog. Diesmal aber ließ das sonderbare Wesen, das man sonst für stumm hielt, einen Namen über die Lippen gleiten, nur den einen des Massenmörders von Khanpur!

»Nana Sahib! Nana Sahib!« wiederholte sie immer, als ob das Bild des Nabab durch eine unerklärliche Ahnung wieder vor ihre Seele getreten wäre.

Dieser Name erregte die Aufmerksamkeit des Officiers im höchsten Grade. Er folgte der Wahnsinnigen auf dem Fuße. Sollte hier der Nabab sich versteckt halten, auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt worden war?

Der Officier traf die geeigneten Maßregeln und ließ das Bett des Nazzur bis zum Anbruch des Tages bewachen. Als Nana Sahib und die Gounds dasselbe betreten hatten, empfing er sie mit einer Salve, welche mehrere zu Boden streckte und unter diesen den Anführer des Aufstandes der Sipahis.

Der Art war das Zusammentreffen, welches der Telegraph noch am nämlichen Tage dem Gouverneur der Präsidentschaft Bombay meldete. Die Nachricht verbreitete sich blitzschnell über die ganze Halbinsel, und so konnte sie Oberst Munro am 26. Mai aus der Zeitung von Allahabad erfahren.

Diesesmal war an dem Tode Nana Sahibs nicht zu zweifeln. Seine Identität wurde ja festgestellt und das Journal brachte die Worte:

»Das indische Reich hat für die Zukunft nichts mehr zu fürchten von dem unmenschlichen Rajah, der ihm so viel Blut gekostet hat!«

Nachdem die Wahnsinnige den Pal verlassen, stieg auch sie in dem Bette des Nazzur herab. Aus ihren unsteten Augen leuchtete es wie ein inneres Feuer, das plötzlich aufgeflammt schien, und ihre Lippen murmelten den Namen des Nabab.

So kam sie nach der Stelle, wo die Leichen lagen, und stand vor der still, welche die Soldaten von Khanpur erkannt hatten. Das Gesicht des Todten hatte noch einen drohenden Ausdruck.

Die Wahnsinnige kniete nieder und legte ihre Hand auf den von Kugeln durchbohrten Körper, dessen Blut die Falten ihrer Hülle befleckte. Sie sah ihn lange stier an, erhob sich, mit dem Kopfe schüttelnd, und stieg langsam das Bett des Nazzur hinab.

Dann versank die wandelnde Flamme wieder in ihre gewohnte Theilnahmlosigkeit, und der Name des von Allen verwünschten Nana Sahib kam nicht mehr über ihre Lippen.

< Fünfzehntes Capitel.



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