Frei Lesen: Das Dampfhaus - 1.Band

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Jules Verne

Das Dampfhaus - 1.Band

Fünftes Capitel.

eingestellt: 25.7.2007



Ich habe nie ein größeres Erstaunen gesehen, als das der auf der Landstraße von Calcutta nach Chandernagor am Morgen des 6. Mai befindlichen Leute, die, Männer, Frauen und Kinder, Hindus so gut wie Engländer, demselben den zweifellosesten Ausdruck gaben. In der That schien diese starre Verwunderung nicht mehr als natürlich. Mit Sonnenaufgang verließ nämlich eine der letzten Vorstädte der Hauptstadt Indiens ein fremdartiges Fuhrwerk, wenn dieser Name überhaupt noch für den sonderbaren Apparat, der sich längs des Hougly-Ufers hin bewegte, zulässig ist. An der Spitze und dem Anscheine nach als einzig bewegende Kraft des kleinen Zuges schritt ruhig und geheimnißvoll ein riesiger, etwa zwanzig Fuß hoher, dreißig Fuß langer und entsprechend breiter Elephant. Sein Rüssel war halb zurückgebogen, wie ein ungeheures Füllhorn, mit dem spitzen Ende in der Luft. Die über und über vergoldeten Zähne ragten, zwei drohenden Sicheln gleich, aus der gewaltigen Kinnlade hervor. Ueber den dunkelgrünen, unregelmäßig gefleckten Körper hing eine reiche, farbenprächtige Decke mit Silber- und Gold-Filigranschmuck und umsäumt mit großen Troddeln und gewundenen Fransen. Auf dem Rücken trug das Ungeheuer eine Art verzierten Thurm mit rundem, nach indischer Mode geformtem Dache, und in dessen Wänden große Linsengläser, ähnlich den Lichtpforten in den Schiffscabinen.

Dieser Elephant schleppte einen Zug aus zwei enormen Wagen oder vielmehr aus zwei wirklichen Häusern, eine Art rollender Bungalows bestehend, welcher jeder auf vier, an der Nabe, dem Kranze und den Felgen mit Sculpturen versehenen Rädern ruhte. Von den Rädern sah man übrigens nur das untere Segment, während den übrigen Theil der Unterbau jener ungeheuren Locomotions-Apparate verdeckte. Eine schmale gegliederte Brücke, die sich jeder Wendung anpaßte, verband den ersten Wagen mit dem zweiten.

Konnte denn aber ein einziger, wenn auch noch so starker Elephant die beiden massiven Bauwerke scheinbar ohne Anstrengung wegziehen? Und doch that es das wunderbare Thier. Seine breiten Füße hoben und senkten sich mit ganz mechanischer Regelmäßigkeit und er ging sofort vom Schritt in Trab über, ohne daß sich die Stimme oder Hand eines »Mahout« sehen oder hören ließ.

Hierüber mußten ja wohl alle Neugierigen erstaunen, so lange sie in einiger Entfernung blieben. Bei Annäherung an den Koloß nahmen sie aber, während ihr Erstaunen in Bewunderung überging, Folgendes wahr:

Zunächst traf das Ohr eine Art abgemessenes Sausen und Brausen, sehr ähnlich dem eigentümlichen Schrei dieser Riesen der indischen Fauna, Weiter drang aus dem aufwärts gerichteten Rüssel kurz nach einander eine wirbelnde Dampfwolke hervor.

Und doch schien das Ganze ein Elephant zu sein. Seine runzliche, schwärzlich grünliche Haut bedeckte zweifelsohne einen so mächtigen Knochenbau, wie ihn die Natur jenem Könige der Pachydermen verliehen hat! Seine Augen glänzten wie lebend! Seine Glieder waren ja beweglich!

Gewiß! Doch, wenn ein Neugieriger gewagt hätte, die Hand an das gewaltige Thier zu legen, so hätte Alles seine Erklärung gefunden. Das Ganze war eine höchst gelungene Augentäuschung, eine überraschende Nachbildung, die selbst in der Nähe gesehen, anscheinend Leben besaß.

In der That bestand dieser Elephant aus Stahlblech und verbarg eine vollständige Straßenlocomotive in seinen Weichen.

Der Train, oder »das Steam-House«, um die ihm geziemende Bezeichnung zu gebrauchen, war die von dem Ingenieur versprochene fortrollende Wohnung.

Der erste Wagen, oder richtiger das erste Haus, diente dem Oberst Munro, Kapitän Hod, Banks und mir als Wohnstätte.

In dem zweiten hauste der Sergeant Mac Neil nebst den zum Personal der Expedition gehörigen Leuten.

Banks hatte sein Versprechen gehalten, Oberst Munro das seinige, und so kam es, daß wir am Morgen des 6. Mai in dieser außergewöhnlichen Weise aufbrachen, um die nördlichen Theile der Indischen Halbinsel zu besuchen.

Wozu aber dieser künstliche Elephant? Warum dieses Aufgebot von Phantasie, die dem so praktischen Sinn der Engländer sonst doch so fern liegt? Bisher war es noch Niemand in den Sinn gekommen, einer Locomotive, ob diese nun auf dem Macadam der Landstraße oder auf den Schienen der Eisenwege dienen sollte, die Gestalt eines Vierfüßlers zu geben!

Ich gestehe, daß sich unserer beim ersten Anblick dieser überraschenden Maschine ein nicht geringes Erstaunen bemächtigte. Anfragen nach dem Warum und Wie regneten förmlich auf Freund Banks hernieder. Nach seinen Plänen und unter seiner Leitung war diese Straßenlocomotive hergestellt worden. Wer in aller Welt konnte ihn auf den bizarren Einfall gebracht haben, sie unter den Stahlwänden eines mechanischen Elephanten zu verbergen?

»Liebe Freunde, antwortete Banks gelassen und ernsthaft, kennen Sie den Rajah von Bouthan?

– Ich kenne ihn, antwortete Kapitän Hod, oder vielmehr ich kannte ihn, denn er ist seit drei Monaten todt.

– Richtig, bestätigte der Ingenieur; bevor er aber starb, lebte der Rajah von Bouthan nicht allein, sondern auch auf andere Weise als andere Menschenkinder. Vor Allem liebte er den Prunk auf jede Art und Weise. Er versagte sich nichts – ich sage nichts von Allem, was ihm einmal in den Kopf gekommen war. Sein Gehirn arbeitete stets, das Unmögliche zu erdenken, und wenn dieses Organ auch unerschöpft geblieben wäre, so wäre doch seine Börse erschöpft worden, um alle seine Hirngespinste ins Werk zu setzen. Er war ja reich, wie die Nababs der früheren Zeit. Seine Cassen strotzten von Gold. Er hatte nur die Leidenschaft, seine Thaler auf etwas weniger banale Weise wegzuwerfen, als seine Millionär-Brüder. Da kam ihm denn eines Tages ein Gedanke, der sich seiner bald so sehr bemächtigte, daß er ihm den Schlaf raubte, ein Gedanke, auf den auch Salomo stolz gewesen wäre und den er unzweifelhaft verwirklicht hätte, wenn er schon den Dampf kannte, es war der, auf eine vollkommen neue Art zu reisen und ein Fuhrwerk zu besitzen, wie es Niemand vor ihm geträumt hatte. Er kannte mich, ließ mich an seinen Hof kommen und entwickelte mir selbst den Plan zu seinem Locomotions-Apparat. Wenn Sie etwa glauben, ich hätte bei diesem Vorschlage des Rajah hell aufgelacht, so irren Sie sich stark. Ich begriff sehr wohl, wie diese großartige Idee in dem Gehirn des indischen Rajah entstehen konnte, und hatte nur den einen Wunsch, sie sobald als möglich so zu verwirklichen, daß sie meinen poetischen Clienten und mich befriedigte. Ein beschäftigter Ingenieur hat nicht alle Tage Gelegenheit, sich im Gebiete der Phantasie zu bewegen und die Fauna der Apokalypse oder die Wesen aus Tausend und einer Nacht durch ein Geschöpf seiner Laune zu bereichern. Alles in Allem schien die Idee des Rajah realisirbar. Sie wissen, daß man durch die Mechanik ja so gut wie Alles leistet. Ich ging also ans Werk und es gelang mir, in dieser Hülle von Stahlblech, die einen Elephanten vorstellt, den Dampfkessel, die Maschine und den Tender einer Straßenlocomotive nebst allem Zubehör unterzubringen. Der bewegliche Rüssel, der nach Bedarf gehoben und gesenkt werden kann, diente mir als Rauchfang; ein Excenter vermittelt die Verbindung der Beine meines Thieres mit den Rädern des Apparates; die Augen desselben richtete ich gleich den Linsen eines Leuchtturmes ein, um zwei elektrische Lichtbündel daraus hervorstrahlen zu lassen, und so wurde der künstliche Elephant vollendet. Die Sache ging aber nicht so glatt vorwärts. Ich hatte so manche Schwierigkeit zu überwinden, die nicht im Handumdrehen zu lösen war. Dieser Motor – ein großes Spielzeug, wenn Sie wollen – kostet mir manche Nachtwache, so daß mein Rajah, der seine Ungeduld gar nicht zu zügeln vermochte und der den größten Theil seiner Zeit in meiner Werkstätte zubrachte, mit Tode abging, bevor der letzte Hammerschlag des Monteurs seinen Elephanten in den Stand gesetzt hatte, seinen Gang über Land zu beginnen. Der Arme kam nicht mehr dazu, sein bewegliches Haus zu erproben. Die Erben aber, übrigens nüchternere Leute als er, betrachteten den Apparat mit Entsetzen und Aberglauben als das Werk eines Thoren. Sie hatten nichts Eiligeres zu thun, als sich dessen zu jedem annehmbaren Preise zu entledigen, und so kaufte ich das Ganze für Rechnung des Obersten zurück. Sie begreifen nun, meine Freunde, warum und auf welche Weise wir allein in der ganzen Welt, wofür ich einstehe, jetzt einen Dampf-Elephanten zur Verfügung haben mit achtzig Pferdekräften, um nicht zu sagen, von achtzig Elephantenkräften zu dreihundert Kilogramm-Metern!

– Bravo, Banks, bravo! rief Kapitän Hod. Ein Meister von Ingenieur, der noch dazu Künstler ist, ein Dichter in Stahl und Eisen, das ist ein weißer Sperling heutzutage!

– Nach des Rajah Tode und dem Kaufe seines Elephanten, fuhr Banks fort, konnte ich es nicht über mich gewinnen, meinen Elephanten zu zerstören und der Locomotive ihre gewöhnliche Gestalt wiederzugeben.

– Und daran haben Sie sehr wohlgethan! rief der Kapitän. O unser Elephant ist prächtig, ist herrlich! Und welches Aufsehen werden wir erregen mit diesem gewaltigen Thiere, wenn es uns durch die weiten Ebenen und die Dschungeln von Hindostan befördert! Das ist ein Rajah-Gedanke! Und diesen Gedanken werden wir uns zunutze machen, nicht wahr, Herr Oberst?«

Oberst Munro hatte dazu fast gelächelt. Das war bei ihm gleichbedeutend mit der vollkommensten Billigung der Worte des Kapitäns. Die Reise wurde also endgiltig beschlossen und so war denn ein Elephant von Stahl, ein ganz eigenes Geschöpf seiner Art, ein künstlicher Leviathan dazu ausersehen, die bewegliche Wohnung von vier Engländern fortzuschleppen, statt einen der reichsten Rajah der Indischen Halbinsel in all seinem Pomp spazieren zu fahren.

Die Straßenlocomotive, bei welcher Banks alle Errungenschaften der modernen Wissenschaft verwerthet hatte, war folgendermaßen construirt:

Zwischen den vier Rädern befand sich der ganze Mechanismus, mit Cylindern, Treibstangen, Steuerung, Speisepumpe, Excentern, worüber der Kessel angebracht war. Dieser Röhrenkessel, ohne rücklaufende Flammenzüge, bot sechzig Quadratmeter Feuerfläche. Er nahm den vorderen Theil des Raumes in dem stählernen Elephanten ein, während dessen Rücken nach hinten zu den für den Wasser- und Kohlenvorrath bestimmten Tender bedeckte. Zwischen Kessel und Tender, die beide auf einem Gestelle montirt waren, blieb ein Raum für den Heizer frei. Der Maschinist hielt sich in dem kugelfesten Thürmchen auf dem Rücken des Thieres auf, in welchem für den Fall eines ernstlichen Angriffes Alle Platz finden konnten. Der Maschinist hatte die Sicherheitsventile und den Manometer zur Angabe der Dampfspannung vor Augen und den Regulator sowie den Hebel zur Steuerung bequem zur Hand, so daß er letzteren von hier aus beliebig umlegen und den ganzen Apparat folglich nach Belieben vor- oder rückwärts gehen lassen konnte.

Von dem Thürmchen aus vermochte er auch durch die dicken Linsengläser, die in enge Fensteröffnungen eingesetzt waren, die Straße nach vorwärts zu beobachten und mittelst eines Pedals die Stellung der Vorderräder zu verändern und damit jeder beliebigen Curve zu folgen.

An den Achsen befestigte Federn aus bestem Stahl trugen Kessel und Tender, um bei Unebenheiten des Bodens die Stöße zu mildern. Die Räder selbst, welche mehr als die nöthige Tragkraft hatten, waren an ihrem Umfange gerieft, so daß sie in den Boden eingreifen und nicht »gleiten« konnten.

Die Maschine leistete, wie Banks gesagt, achtzig nominelle Pferdekräfte, man konnte sie aber auf hundertfünfzig effective Pferdekräfte steigern, ohne die Gefahr einer Explosion befürchten zu müssen. Die nach dem System Field construirte Maschine hatte doppelte Cylinder mit verstellbarer Expansion. Ein hermetisch geschlossener Kasten umschloß den ganzen Mechanismus, um diesen vor dem Straßenstaube zu schützen, der ihn sonst bald beschädigt haben würde. Der größte Vorzug desselben lag aber darin, daß er wenig consumirte und viel leistete. Im Vergleiche zu dem Nutzeffect war der mittlere Verbrauch der Maschine ein unerhört geringer, ob man nun mit Kohle oder mit Holz heizte, denn der Rost des Feuerherdes war zur Verwendung jedes Brennmaterials gleich geeignet. Die Normalgeschwindigkeit dieser Straßenlocomotive schätzte der Ingenieur auf fünfundzwanzig Kilometer in der Stunde, bei günstigem Terrain könne sie wohl auch vierzig erreichen. Die Räder konnten, wie gesagt, nicht gleiten, und zwar nicht allein, weil sie ein wenig in den Boden eingriffen, sondern auch weil die Aufhängung des Apparates in Federn erster Sorte eine höchst vollkommene war und das durch die Stöße sich verschiebende Gewicht sehr gleichmäßig vertheilte.

Die Räder hatte man übrigens durch Luftbremsen gänzlich in der Gewalt, wodurch sie nach Belieben langsam angehalten oder sofort unbeweglich fest gestellt werden konnten.

Auch die Leichtigkeit, mit der die Maschine Steigungen überwand, war wirklich bemerkenswerth. Banks erreichte diese Resultate durch die sorgsame Berücksichtigung des Gewichts und der auf jeden Kolben wirkenden Triebkraft seiner Locomotive, so daß sie Steigungen von 10–12% bequem emporlief.

Uebrigens sind die von den Engländern in Indien angelegten Straßen, deren Netz eine Gesammtlänge von mehreren tausend Meilen hat, wirklich ausgezeichnet. Sie mußten sich zu dieser Art der Fortbewegung von Lasten besonders gut eignen. Erwähnt sei hier nur die Great Trunk Road, welche die Halbinsel durchschneidet und sich über eine Strecke von zwölfhundert Meilen, d.h. nahe zweitausend Kilometer erstreckt.

Gehen wir nun zu dem Steam-House über, das der künstliche Elephant nachzog.

Banks hatte von den Erben des Nabab für Rechnung des Oberst Munro nicht nur die Straßenlocomotive, sondern auch den Train, welchen diese schleppte, zurückgekauft. Man wird nicht darüber erstaunen, daß der Rajah von Bouthan diesen nach seinem Geschmacke und nach indischer Mode hatte herrichten lassen. Ich nannte ihn einen rollenden Bungalow; er verdient diesen Namen in der That, und die beiden Wagen, aus denen er besteht, repräsentiren ein wahres Wunder der einheimischen Architektur.

Stelle man sich etwa zwei Pagoden ohne Minarets vor mit ihrer Bedeckung durch einen doppelten Dachstuhl, der einen ausgebauchten Dom bildet, mit den Fenstervorbauen, die auf schön bearbeiteten Pilastern ruhen, mit ihrem Schmucke aus farbigen, zierlich geschnitzten Holzarten, den Contouren, welche in eleganten Bogen verlaufen, und mit den reichen Verandas an der Vorder- und Rückseite. Ja! Zwei Pagoden, die man für aus dem geheiligten Hügel Sonnaghur entnommen ansehen möchte, und welche, die eine verbunden mit der anderen, im Schlepptau des stählernen Elephanten die Landstraße hinziehen sollten!

Hier ist auch noch eine Eigenschaft dieses wunderbaren Elephanten zu erwähnen, die ihn sehr bemerkenswerth vervollständigt, nämlich seine Fähigkeit, auch schwimmen zu können. Die untere Partie des Elephantenkörpers, oder dessen Bauch, der die Maschine enthält, und der Unterbau der beiden beweglichen Häuser bilden nämlich wirkliche Schiffsrumpfe aus leichtem Blech. Sperrt nun ein Wasserlauf den Weg, so geht der Elephant hinein, der Train folgt ihm, und die durch Treibstangen gleich Radschaufeln bewegten Tatzen des Thieres ziehen das ganze Steam-House über die Oberfläche der Flüsse und Ströme hin. Hierin liegt ein unschätzbarer Vortheil, vorzüglich in dem ausgedehnten Gebiete Indiens, wo es sehr viel Wasserläufe giebt, denen es noch gänzlich an Brücken fehlt.

So war also dieser einzig dastehende Train beschaffen und so hatte ihn der launenhafte Rajah von Bouthan haben wollen. Wenn Banks aber auch jener ausschweifenden Phantasie insoweit gefolgt war, dem Motor die Gestalt eines Elephanten und den Wagen die äußere Form von Pagoden zu geben, so hatte er das Innere doch nach englischem Geschmack eingerichtet und für eine lang dauernde Reise berechnet. Dieser Zweck schien auch vollkommen erreicht.

Steam-House bestand, wie gesagt, aus zwei Wagen, welche im Innern eine Breite von nicht weniger als sechs Meter hatten. Sie übertraf damit die der Radachsen, welche nur fünf Meter lang waren. Durch die Aufhängung der Wagen in sehr langen und außerordentlich biegsamen Federn glichen sich die Stöße beim Fahren ebenso vollkommen aus, wie die geringsten Erschütterungen auf gut angelegten Eisenbahnen.

Der vordere Wagen maß fünfzehn Meter in der Länge. Am Vordertheil bedeckte eine auf leichten Säulen ruhende Veranda einen geräumigen Balkon, auf dem sich wohl zehn Personen bequem ergehen konnten. Nach dem Salon hin öffneten sich zwei Fenster und eine Thür, übrigens erhielt jener noch weiteres Licht durch zwei Fenster an den Seiten. Der mit einem Tische und einer Bibliothek möblirte Salon, um den sich ringsum schwellende Divans hinzogen, war kunstreich geschmückt und mit prächtigen Stoffen ausgeschlagen. Ein dicker Smyrna-Teppich bedeckte seinen Boden.

»Tattis«, d.s. eine Art Matten, vor den Fenstern, welche immer mit wohlriechendem Wasser befeuchtet wurden, erhielten stets eine wohlthuende Kühle ebenso im Salon, wie in den als Schlafräume dienenden Nebenzimmern. Von der Decke herab hing eine »Punka«, die ein Transmissionsriemen in Bewegung setzte, so lange der Train in Gang war, und die ein Diener bewegte, wenn man Halt machte. Es erschien ja unumgänglich nothwendig, alle Hilfsmittel gegen die übermäßige Temperatur in Anspruch zu nehmen, die sich in einigen Monaten selbst im Schatten manchmal bis 45° C. steigert. An der Rückseite des Salons und der Verandathür gegenüber, befand sich eine zweite, aus kostbarem Holz gefertigte Thür, die nach dem Speisesaal führte, der nicht nur durch Seitenfenster, sondern auch durch ein Oberlicht aus mattem Glase erhellt wurde. Der in der Mitte befestigte Tisch bot für acht Personen hinlänglich Platz; da wir nun Vier waren, konnten wir es uns mehr als bequem machen. Buffets und Schenktische, ausgestattet mit all dem Luxus an Silbergeschirr, Glas und Porzellan, den der englische Comfort verlangt, bildeten das weitere Meublement des Speisezimmers. Es versteht sich von selbst, daß alle zerbrechlichen Gegenstände zur Hälfte in besonderen Einschnitten standen, wie es auf Schiffen gebräuchlich ist, und so gegen jede Art Stöße geschützt waren, selbst auf den schlechtesten Wegen, wenn unser Train jemals genöthigt war, solche einzuschlagen.

Die Thür am Ende des Speisesaales stellte die Verbindung mit einem Gang her, der nach einem zweiten Balkon auslief, über welchem sich wieder eine Veranda ausbreitete. Längs des Ganges lagen vier Zimmerchen mit Seitenlicht, darin je ein Bett, eine Toilette und ein kleines Sofa, ganz so eingerichtet wie in den Cabinen der großen transatlantischen Dampfboote. Das erste dieser Zimmerchen war für Oberst Munro bestimmt, das zweite rechts für den Ingenieur Banks, letzterem folgte zur rechten Hand das des Kapitän Hod, das meinige lag wiederum links neben dem des Obersten.

Der zweite, zwölf Meter lange Wagen hatte so wie der erste eine Balkon-Veranda, die mit einer geräumigen Küche in Verbindung stand, an deren Seiten zwei, reich mit allem Nothwendigen versehene Speise- und Vorratskammern lagen. Diese Küche communicirte ebenfalls mit einem Gange, der sich zu einem viereckigen Mittelraume, dem durch Deckenfenster erleuchteten Speisezimmer der Bedienung, erweiterte. An dessen Seiten lagen vier Cabinen für den Sergeant Mac Neil, den Maschinisten, den Heizer und für die Ordonnanz des Oberst Munro: ferner an der Rückenwand zwei weitere Cabinen, die eine für den Koch, die andere für den Diener des Kapitän Hod; noch andere Räumlichkeiten dienten als Waffenkammer, als Eisbehälter, Gepäckraum u. s. w., und öffneten sich nach dem Balkon auf der Rückseite.

Wie man sieht, hatte Banks die beiden rollenden Wohnungen von Steam-House ebenso praktisch als bequem eingerichtet. Im Winter konnten dieselben durch eine von der Maschine ausgehende Luftheizung erwärmt werden, welche alle Räume versorgte, während im Salon und im Speisesaale noch überdies zwei kleine Oefen aufgestellt waren. Wir konnten also auch jeder Unbill der kalten Jahreszeit, selbst an den Abhängen der Berge von Tibet, ruhig entgegen sehen.

Natürlich war auch die hochwichtige Frage bezüglich der Nahrungsmittel nicht vernachlässigt worden, denn wir führten in ausgewählten Conserven so viel mit, um die ganze Expedition ein Jahr lang davon zu ernähren. Den größten Vorrath hatten wir an conservirtem Fleisch der besten Marken; vorzüglich gekochtes und gedämpftes Rindfleisch, und an jenen »Mourghis« oder Hühnerpasteten, die auf der ganzen indischen Halbinsel in so ausgedehntem Maße consumirt werden.

In Folge der neuen Zubereitungsmethoden, welche es gestatten, flüssige Nahrungsmittel in concentrirtem Zustande weithin zu transportiren, sollte uns auch die Milch nicht bei dem ersten Morgenimbiß fehlen, der dem eigentlichen Frühstück vorausgeht, noch die Bouillon für den »Tiffin«, den gewöhnlichen Vorläufer der Abendmahlzeit.

Nach vorausgegangener Verdampfung nämlich, die sie in teigartigem Zustande zurückläßt, wird die Milch in hermetisch verschlossenen Büchsen von etwa 450 Gramm Inhalt gebracht, welche, durch Vermengung mit dem fünffachen Gewichte Wasser, gegen drei Liter Flüssigkeit ergeben. Die Mischung hat dann dieselbe Zusammensetzung wie frische, gute Milch. Ungefähr ebenso ist es mit der Bouillon, welche auf ähnliche Weise erst eingedickt, dann in Tafelform gebracht wird und durch einfache Auflösung eine ausgezeichnete Suppe liefert.

Das in warmen Ländern besonders wichtige und angenehme Eis konnten wir uns in kurzer Zeit mittelst der bekannten Carréschen Apparate, die durch Verdunstung von verflüssigtem Ammoniakgas eine schnelle Temperatur-Erniedrigung hervorbringen, herstellen. Einer der erwähnten Räume im Hintertheile des zweiten Wagens diente als Eisschrank, und unsere Jagdbeute konnte auf diese Weise beliebig lange aufbewahrt werden. Wir besaßen darin, wie Jeder leicht begreift, ein sehr schätzbares Hilfsmittel, das uns unter allen Verhältnissen ausgezeichnet erhaltene Nahrung sicherte.

Auch der Keller barg einen reichlichen Vorrath an Getränken, Französische Weine, verschiedene Biere, Branntwein, Arrak hatten darin ihren Platz in einer für die ersten Bedürfnisse mehr als hinreichenden Menge.

Ich bemerke hierbei, daß unser Weg niemals weit von den bewohnten Gebieten der Halbinsel abwich. Indien ist ja keineswegs eine Wüste. Wer nur die Rupien nicht spart, kann sich daselbst bequem nicht nur das Nöthigste, sondern auch noch viel darüber verschaffen. Höchstens während einer Ueberwinterung im nördlichen Theile, am Fuße des Himalaya, konnten wir vielleicht auf unsere eigenen Hilfsquellen angewiesen sein. Der praktische Geist unseres Banks hatte eben Alles vorgesehen und wir durften die Sorgen für unseren Lebensunterhalt getrost ihm überlassen.

Unsere Reiseroute – die übrigens nur im Princip aufgestellt wurde, um je nach unvorhergesehenen Umständen abgeändert werden zu können – war die folgende:

Von Calcutta ausgehend, wollten wir dem Gangesthale bis Allahabad folgen und das Königreich Audh hinaufziehen bis zu den ersten Bodenerhebungen von Tibet, daselbst einige Monate an dem einen oder anderen Orte verweilen, um Kapitän Hod Gelegenheit zu geben, seiner Jagdlust zu fröhnen, und dann bis Bombay zurückkehren.

Die zurückzulegende Strecke maß gegen 900 Meilen, wobei freilich das ganze Haus mit all seinen Insassen mitreiste. Wer würde unter solchen Verhältnissen einen Augenblick zögern, nöthigenfalls mehrmals eine Reife um die Welt zu machen?

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