Frei Lesen: Das Dampfhaus - 1.Band

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Jules Verne

Das Dampfhaus - 1.Band

Sechstes Capitel.

eingestellt: 25.7.2007



Am 6. Mai mit Tagesanbruch hatte ich das Hotel Spencer, eines der besten in Calcutta, in dem ich seit meiner Ankunft in Indien wohnte, verlassen; die große Stadt hatte mir jetzt nichts mehr zu bieten. Morgenpromenaden zu Fuß, während der ersten Tagesstunden, Abendspaziergänge zu Wagen, am »Strand« bis zur Esplanade des Fort William mitten unter den glänzenden Equipagen der Europäer, welche mit stolzer Verachtung die nicht minder glänzenden Wagen der großen und dicken eingebornen Babous kreuzen; Besuche jener wunderbaren Geschäftsstraßen, die mit Recht den Namen Bazars führen; Ausflüge nach den Verbrennungsstätten der Todten am Ufer des Ganges, nach den botanischen Gärten des Naturforschers Hooker, zur »Madame Kâli«, dem schrecklichen Weibe mit vier Armen, der wilden Todesgöttin, die sich in einem kleinen Tempel einer jener Vorstädte verbirgt, wo die moderne Civilisation und die einheimische Barbarei einander berühren – das war gethan und geschehen. Den Palast des Vicekönigs zu betrachten, der sich dem Hotel Spencer gegenüber erhebt; den merkwürdigen Palast des Chowringhi Road und die Town-Hall, die dem Andenken der großen Männer unserer Zeit gewidmet ist, zu bewundern; die interessante Moschee von Hougly eingehend zu studiren; am Hafen zu flaniren, der von den schönsten Kauffarteischiffen der englischen Marine strotzt; Abschied zu nehmen von den Arghiilas, Adjutanten oder Philosophen – diese Vögel haben gar zu viele Namen – denen es sozusagen obliegt, die Straßen zu reinigen und die Stadt in gutem Gesundheitszustände zu erhalten, das war auch geschehen, und es blieb mir nun nichts Anderes übrig, als abzureisen.

Am erwähnten Morgen nahm mich also ein Palkighari, eine Art schlechter vierrädriger, zweispänniger Wagen – der sich zwischen den bequemen Erzeugnissen der englischen Wagenbaukunst freilich nicht sehen lassen darf – am Gouuernementsplatze auf und hatte mich bald nach dem Bungalow des Oberst Munro befördert.

Hundert Schritte vor der Vorstadt wartete unser Train, Wir brauchten uns nur darin »häuslich einzurichten« – das ist die richtige Bezeichnung,

Selbstverständlich war unser Gepäck schon vorher in dem dafür bestimmten Raume untergebracht worden. Wir nahmen übrigens nichts als das Notwendigste mit. Nur bezüglich der Waffen verblieb Kapitän Hod bei der Anschauung, daß das unbedingt Nöthige mindestens aus vier Enfields-Büchsen mit explodirenden Kugeln, vier Jagdgewehren, zwei Entenflinten und noch einer Anzahl anderer Flinten und Revolver zu bestehen habe, womit wir Alle überreichlich bewaffnet werden konnten. Dieses große Kriegsgeräth war gewiß mehr zur Erlegung von Bestien ausgewählt, als zur Jagd auf eßbares Wild, doch der Nimrod der Expedition ließ sich in dieser Beziehung nichts dreinreden.

Kapitän Hod schwelgte übrigens vor Entzücken! Das Vergnügen, den Obersten der Einsamkeit seiner Klause zu entreißen, die Freude, die nördlichen Provinzen Indiens in einem Fuhrwerk ohne Gleichen zu durchstreichen, die Aussicht auf ganz außergewöhnliche Jagdzüge und Ausflüge in die Himalaya-Berge, alles das belebte und reizte ihn mehr als gewöhnlich und machte sich in unendlichen Ausrufen und Händedrücken Luft, bei denen er dem Anderen fast die Knochen zerbrach.

Die Stunde der Abfahrt kam heran. Der Kessel hatte Dampf, die Maschine war bereit zu arbeiten. Der Maschinist stand auf seinem Posten, die Hand am Regulator. Der gewöhnliche schrille Pfiff erschallte.

»Vorwärts, rief Kapitän Hod, den Hut schwenkend, Stahlriese, vorwärts!«

Der Name Stahlriese, den unser enthusiastischer Freund dem wunderbaren Motor unseres Train gegeben, war gewiß ein berechtigter und blieb ihm auch für immer.

Hier noch ein Wort über das Personal der Expedition, das im zweiten beweglichen Hause wohnte.

Der Maschinist Storr, ein Engländer von Geburt, gehörte früher zur Compagnie der »Great-Southern of India«, von der er erst vor wenig Monaten ausgeschieden war. Banks, der ihn kannte, wußte, daß er sehr tüchtig sei und hatte ihn veranlaßt, in Oberst Munros Dienste zu treten. Es war ein Mann von vierzig Jahren, ein geschickter Arbeiter und in seinem Fache gründlich erfahren, der uns sehr wichtige Dienste leisten sollte.

Der Heizer hieß Kâlouth. Er stammte aus jener Classe von Hindus, die von den Eisenbahngesellschaften deshalb so hoch geschätzt werden, weil sie die Tropenhitze Indiens neben der eines Dampfkessels ungestraft auszuhalten vermögen. Dasselbe gilt von den Arabern, denen die Seetransport-Gesellschaften die Besorgung der Kessel bei der Fahrt auf dem Rothen Meere anvertrauen. Diese wackeren Leute begnügen sich, da nur zu sieden, wo Europäer in kurzer Zeit braten würden.

Die Ordonnanz des Oberst Munro war ein Hindu von fünfunddreißig Jahren, der Race nach ein Gourgkah, Namens Goûmi. Er gehörte dem Regiment an, das als Beweis unerschütterlicher Disciplin ohne Murren den Gebrauch der neuen Munition annahm, welche die erste Veranlassung, mindestens den Vorwand für den Aufstand der Sipahis abgab. Klein, flink, wohlgebaut, aber von einer Ergebenheit ohne Gleichen, trug er noch immer die schwarze Uniform der »Rifles-Brigade«, an der er mit Leib und Seele hing.

Der Sergeant Mac Neil und Goûmi waren in Krieg und Frieden die beiden Getreuen des Oberst Munro.

Nachdem sie sich an seiner Seite in allen Kämpfen in Indien geschlagen, ihn bei seinen fruchtlosen Versuchen, Nana Sahib aufzufinden, begleitet, waren sie ihm auch nach seinem Ruhesitze gefolgt, um ihn niemals wieder zu verlassen.

Neben Goumi, der Ordonnanz des Obersten, ist Fox, ein lustiger, sehr mittheilsamer Vollblut-Engländer zu nennen, als Diener des Kapitän Hod und nicht minder eifriger Jäger als dieser. Um keinen Preis der Welt hätte er seine jetzige Stellung gegen irgend eine andere vertauscht. Seine Schlauheit machte ihn des Namens Fox, d. i. Fuchs, werth; er war aber ein Fuchs, der schon beim siebenunddreißigsten Tiger angelangt war, und damit hinter seinem Herrn nur um drei Stück zurückblieb. Er rechnete jedoch stark darauf, noch weiter vorwärts zu kommen.

Zur vollständigen Aufzählung des Personals der Expedition fehlt nur noch unser schwarzer Koch, der im vorderen Theile des zweiten Hauses zwischen den beiden Vorrathskammern schaltete. Ein Franzose von Geburt, der schon unter allen Breiten gebraten worden war, glaubte »Monsieur Parazard« – so lautete sein Name – nicht ein gewöhnliches Handwerk auszuüben, sondern ein Amt von hoher Bedeutung zu verwalten. Er entfaltete eine beispiellose Würde dabei, wenn er sich an dem einen oder dem anderen Ofen zu schaffen machte, oder mit der peinlichen Genauigkeit eines Chemikers Pfeffer, Salz oder andere Würze, welche seine gelehrten Präparate verlangten, hinzugab. Da Monsieur Parazard übrigens geschickt und sauber war, so verzieh man ihm wohl gern seine culinarische Eitelkeit.

Zehn Personen also, nämlich Sir Edward Munro, Banks, Kapitän Hod und ich einerseits, Mac Neil, Storr, Kâlouth, Goûmi, Fox und Monsieur Parazard anderseits bildeten die Expedition, welche der Stahlriese in zwei beweglichen Häusern nach dem Norden der indischen Halbinsel beförderte. Doch vergessen wir auch nicht die beiden Hunde Phann und Black, die der Kapitän bezüglich ihrer ausgezeichneten Eigenschaften als Gehilfen bei der Jagd auf Wild und Federvieh gar nicht genug zu loben wußte.

Bengalen ist, wenn auch nicht die merkwürdigste, jedenfalls aber die reichste Präsidentschaft von Hindostan. Es ist zwar nicht das eigentliche Land der Rajahs, das mehr den centralen Theil dieses weiten Reiches umfaßt; diese Provinz erstreckt sich dagegen über ein stark bevölkertes Gebiet, welches vielleicht als das wahre Land der Hindus zu betrachten ist. Es reicht nach Norden zu bis zu der unübersteiglichen Grenze, die der Himalaya bildet, und unsere Reiseroute sollte dasselbe schräg durchschneiden.

Nach Feststellung der ersten Etappen der Fahrt hatten wir uns über Folgendes geeinigt: Wir wollten einige Meilen dem Hougly, d. h. dem Arm des Ganges folgen, der an Calcutta vorbeiströmt, dann die französische Stadt Chandernagor rechts liegen lassen, der Eisenbahnlinie, bis Burdwan nachgehen und auf bequemstem Wege durch Behar ziehen, um in Benares wieder an den Ganges zu kommen.

»Meine Freunde, hatte Oberst Munro dabei geäußert, ich überlasse Euch vollständig die Bestimmung der Richtung unserer Reise ... bestimmt sie nur ohne mich, Alles, was Ihr thut, wird mir genehm sein.

– Lieber Munro, erwiderte Banks darauf, Du wirst doch wohl auch Deine Ansicht zu erkennen geben müssen ...

– Nein, nein, Banks, fiel der Oberst ein, ich ordne mich Dir unter und beanspruche kein Vorrecht, die eine Provinz etwa eher zu besuchen als die andere. Doch möge mir eine einzige Frage gestattet sein: Welche Richtung soll eingeschlagen werden, wenn wir nach Benares gekommen sind?

– Die nach Norden! rief Kapitän Hod bestimmt, der Weg, welcher direct nach den ersten Abhängen des Himalaya führt, also quer durch das Königreich Audh!

– Gut, gut, liebe Freunde, antwortete Oberst Munro, dann werde ich an Euch vielleicht das Ansuchen stellen ... Doch davon sprechen wir später. Bis dahin macht nur alles nach Eurem Gutdünken!«

Diese Worte Sir Edward Munros mußten nothwendig einiges Erstaunen erwecken. Welcher Gedanke lag denselben wohl zu Grunde?

Sollte er dieser Reise nur mit dem Hintergedanken zugestimmt haben, daß der Zufall ihn vielleicht finden ließ, was dem eifrigsten Willen mißglückte? Glaubte er, wenn Nana Sahib noch am Leben war, diesen etwa im Norden von Indien aufzuspüren? Ich für meinen Theil hatte das bestimmte Gefühl, daß sich Oberst Munro von ähnlichen Motiven leiten ließ, und es schien mir sogar, als ob der Sergeant Mac Neil in seines Herrn Geheimnisse eingeweiht sei.

Während der ersten Stunden dieses Morgens hatten wir im Salon von Steam-House Platz genommen. Die Thür und die beiden Fenster nach der Veranda zu standen offen, und die Punka, welche die Luft in Bewegung erhielt, machte die Temperatur recht erträglich.

Der Regulator in den Händen Storrs zügelte den Stahlriesen. Nur eine Meile in der Stunde, mehr verlangten für jetzt die Reisenden nicht, welche neugierig das Land umher betrachteten.

Von der Vorstadt Calcuttas aus, folgten uns zuerst etwa hundert Europäer, welche unser Fuhrwerk anstaunten, neben einer Unmasse Hindus, die es mit einer Art mit Furcht untermischten Verwunderung anstarrten. Nach und nach verminderte sich die Menge, doch entgingen wir nicht den bewundernden Ausrufen der Passanten, die ihre »Wahs! wahs!« fast verschwendeten. Selbstverständlich galten diese Zeichen der Bewunderung weniger den beiden prächtigen Wagen, als dem gigantischen Elephanten, der diese unter Ausstoßen von Dampfwirbeln dahinschleppte.

Um zehn Uhr wurde im Speisesaale die Tafel gedeckt, und da wir wirklich weniger geschüttelt wurden, als in einem Salonwagen erster Classe, so that Jeder dem Frühstück Monsieur Parazards alle Ehre an.

Der Weg, welchen unser Zug einhielt, führte am Ufer des Hougly hin, den westlichsten der zahlreichen Arme des Ganges, welche zusammen das unentwirrbare Netz der sogenannten Sunderbunds bilden. Der ganze Landstrich hier besteht aus Alluvialboden.

»Was Sie hier sehen, Lieber Maucler, sagte Banks zu mir, ist das Erzeugniß des Wettstreites zwischen dem heiligen Ganges und dem nicht minder geheiligten Golf von Bengalen. Das Ganze ist eine Frage der Zeit. Vielleicht liegt hier kein Bröckchen Erde, das nicht von dem Himalaya herstammt, von wo die Strömung des Ganges dieselbe herabführte. Der Fluß hat allmälich das Gebirge abgenagt, um den Boden dieser Provinz zu bilden, in dem er für sich selbst ein Bett aussparte ...

– Das er oft genug gegen ein anderes vertauscht! setzte Kapitän Hod hinzu. O, dieser Ganges ist ein Sonderling, ein Phantast, ein Mondsüchtiger! Man erbaut eine Stadt an einem Ufer, und wenig Jahrhunderte später liegt diese mit trockenen Quais mitten im Lande, da der Strom seine Richtung und Mündung gewechselt hat. So badeten früher Rajmahal und Gaur ihren Fuß in dem ungetreuen Wasserlaufe und sterben jetzt vor Durst inmitten der dürren Reisfelder der Ebene.

– Nun, fragte ich, steht nicht auch zu befürchten, daß Calcutta einst dasselbe Loos trifft?

– Wer weiß?

– Oho, sind wir denn gar nicht da, warf Banks ein. Giebt es denn keine Deiche? Wenn es sich nöthig macht, wird man das Austreten des Ganges schon zu hindern wissen. Man legt ihm eben einfach die Zwangsjacke an!

– Es ist ein Glück für Sie, lieber Banks, bemerkte ich, daß Sie hier keine Hindus in dieser Weise über ihren heiligen Strom sprechen hören; das würden Sie Ihnen niemals verzeihen.

– Freilich, mußte Banks zugestehen, der Ganges gilt ihnen ja als der Sohn der Gottheit, wenn nicht als diese selbst, und was er thut, ist in ihren Angen nie ein Uebel.

– Nicht einmal das Fieber, die Cholera und die Pest, die er niemals ganz ausgehen läßt! rief Kapitän Hod. Die Tiger und Krokodile, von denen es in den Sunderbunds wimmelt, befinden sich freilich nicht schlechter dabei. Im Gegentheil, man möchte sagen, die verderbliche Luft sei für diese Geschöpfe ebenso zuträglich, wie die reine Atmosphäre eines Sanatoriums während der heißen Jahreszeit für die Anglo-Indianer. O, dieses Raubzeug! – Fox! rief Hod, indem er sich zu seinem Diener wandte, der die Tafel abräumte.

– Herr Kapitän? meldete sich Fox.

– Nicht wahr, Du hast den siebenunddreißigsten erlegt?

– Ja, Herr Kapitän, zwei Meilen von Port Canning, antwortete Fox. Es war eines Abends ...

– Schon gut! unterbrach ihn Kapitän Hod, der ein tüchtiges Glas Grog ausleerte. Ich kenne die Geschichte Deines siebenunddreißigsten; die des achtunddreißigsten würde mich weit mehr interessiren.

– Der achtunddreißigste ist noch nicht getödtet, Herr Kapitän!

– Du wirst ihn aber tödten, Fox. Ebenso wie ich den einundvierzigsten!«

Im Gespräche zwischen Kapitän Hod und seinem Diener wurde, wie man sieht, das Wort »Tiger« einfach weggelassen. Das war überflüssig. Die beiden Jäger verstanden sich schon.

Je weiter sie vorwärts kamen, desto mehr verengerte sich das Bett des Hougly, der vor Calcutta nahe einen Kilometer breit ist. Stromaufwärts von dieser Stadt begrenzen ihn nur sehr niedrige Ufer. Hier entwickeln sich manchmal furchtbare Cyclonen, die ihre Zerstörung über die ganze Provinz verbreiten. Ganze Stadtviertel werden dabei vernichtet, Hunderte von Häusern eines an dem anderen zertrümmert, ungeheure Anpflanzungen verwüstet, während Tausende von Leichnamen die Stadt und das Land bedecken – das sind die Jammerbilder, welche diese schrecklichen Meteore hinterlassen, unter denen der Cyclon von 1844 die anderen an Heftigkeit besonders übertraf.

Bekanntlich besteht das Klima Indiens aus drei Jahreszeiten: der Regenzeit, der kalten und der heißen Jahreszeit. Die letztere ist zwar die kürzeste, aber auch die beschwerlichste. März, April und Mai sind besonders furchtbare Monate. Unter allen ist der Mai der heißeste. Wer sich zu dieser Zeit mehrere Stunden am Tage der Sonne aussetzt, riskirt dabei das Leben, wenigstens ein Europäer. Es ist nicht so selten, daß das Thermometer selbst im Schatten bis auf 106° Fahrenheit (etwa 41° Celsius) ansteigt.

»Die Menschen, sagt de Balbezen, dampfen dabei wie die Pferde, und während des Krieges zur Unterdrückung des Aufstandes mußten die Soldaten zu Kaltwasser-Douchen über den Kopf ihre Zuflucht nehmen, um dem Blutandrang nach dem Gehirn zu steuern.«

Dank der eigenen Bewegung des Steam-House, dem durch das Schwingen der Punka unterhaltenen Luftwechsel und der feuchten Atmosphäre, welche durch die unausgesetzt benetzten Fenstermatten eindrang, litten wir von der Hitze nicht allzusehr. Uebrigens näherte sich die Regenzeit, welche vom Juni bis zum October dauert, und diese konnte uns vielleicht unangenehmer werden, als die heiße Saison. Unter den Verhältnissen, wie wir reisten, war indeß von keiner Seite etwas Ernstliches zu fürchten.

Gegen ein Uhr Nachmittag kamen wir nach einer köstlichen Promenade, die wir machten, ohne aus dem Hause zu gehen, bei Chandernagor an.

Ich hatte diesen Erdenwinkel, den einzigen, der in der ganzen Präsidentschaft Bengalen noch Frankreich angehört, schon früher besucht. Diese unter dem Schutze der dreifarbigen Fahne stehende Stadt, welche nur das Recht hat, fünfzehn Soldaten zu ihrer eigenen Bewachung zu unterhalten, die alte Rivalin Calcuttas während der Kämpfe des 18. Jahrhunderts, ist jetzt verfallen, ohne Gewerbfleiß, ohne Handel, ihre Bazars sind verlassen, ihre Forts nicht besetzt. Vielleicht hätte Chandernagor einen neuen Impuls bekommen, wenn die Eisenbahn nach Allahabad durch dieselbe oder doch längs ihrer Mauern hingeführt worden wäre; in Folge der Anforderungen der französischen Regierung aber sah die englische Gesellschaft sich genöthigt, eine andere Linie auszuwählen und das französische Gebiet zu umgehen, wodurch Chandernagor die letzte Gelegenheit verloren hat, sich wieder zu einiger Handelsbedeutung aufzuraffen.

Unser Train berührte die Stadt also auch nicht. Er hielt drei Meilen davon auf der Straße, beim Eingang in einen Latanien-Wald an. Als wir uns hier zur Rast einrichteten, sah es aus, als ob der Bau eines Dorfes an der betreffenden Stelle begonnen worden wäre. Das Dorf war freilich beweglich, und am Morgen des 7. Mai nahm es seinen unterbrochenen Marsch wieder auf, nachdem wir eine ruhige Nacht in unseren comfortablen Cabinen zugebracht hatten.

Während des Aufenthaltes sorgte Banks für Erneuerung des Brennmaterials. Obwohl die Maschine nur wenig gebraucht hatte, hielt er doch stets darauf, daß der Tender seine volle Ladung, an Wasser und an Kohlen, führte, um sechzig Stunden den Bedarf decken zu können.

Diesen Grundsatz wendeten der Kapitän Hod und sein getreuer Fox auch redlich auf sich selbst an, und ihr innerer Ofen – ich wollte sagen ihr Magen, der eine sehr große Heizfläche bot – war stets mit reichlichem stickstoffhaltigen Brennmaterial versehen, das ja unentbehrlich ist, um die menschliche Maschine längere Zeit gut in Gang zu erhalten.

Die zunächst zurückzulegende Strecke sollte eine längere sein. Wir wollten zwei Tage lang fahren, zwei Nächte ruhen, um Burdwan zu erreichen – und dieser Stadt einen Besuch abzustatten.

Um sechs Uhr Morgens gab Storr das Abfahrtssignal mit der Dampfpfeife, blies die Cylinder aus, und der Stahlriese setzte sich etwas schneller als vorher in Gang.

Einige Stunden lang hielten wir uns in der Nähe des Schienenweges, der über Burdwan das Gangesthal bei Rajmahal wieder erreicht, dem er dann bis Benares folgt. Eben flog der Zug von Calcutta vorüber. Er schien uns durch die bewundernden Blicke der Passagiere herauszufordern. Wir beachteten diese Herausforderung nicht. Sie mochten schneller fahren als wir, bequemer jedenfalls nicht.

Die Landschaft, durch welche wir in diesen zwei Tagen kamen, war unveränderlich eben und deshalb ziemlich einförmig. Da und dort schaukelten sich einige schlanke Cocospalmen, welche Baumgattung jenseits Burdwan bald ganz verschwindet. Diese zu der großen Familie der Palmen gehörenden Bäume sind nämlich Freunde der Küste und gedeihen nur, wenn ihre Athmungsluft einige Partikelchen Meeresluft enthält. Deshalb begegnet man ihnen auch nicht mehr außerhalb einer ziemlich schmalen Uferzone und würde sie vergeblich im Innern Indiens suchen. Die Flora des Binnenlandes ist jedoch nicht weniger interessant und artenreich.

Zu beiden Seiten des Ganges bildete das Land sozusagen ein riesiges Schachbrett von Reisfeldern, das sich unübersehbar weit hinaus erstreckte. Der Boden war in Vierecke getheilt und eingedeicht, etwa wie die Salzsümpfe der Lagunen oder die Austernparks der Seeküste. Hier herrschte jedoch die grüne Farbe vor und die Ernte auf diesem feuchten und warmen Erdreich mit seiner üppigen Fruchtbarkeit schien sehr ergiebig werden zu sollen.

Am nächsten Abend stieß die Maschine zur festgesetzten Stunde und mit einer Pünktlichkeit, um die sie jeder Eilzug hätte beneiden können, die letzte Dampfwolke aus und hielt vor den Thoren von Burdwan.

In administrativer Hinsicht bildet diese Stadt den Hauptort eines englischen Bezirkes, der aber selbst einem Maharajah unterthan ist, welcher an die Regierung nicht weniger als zehn Millionen Steuern bezahlt. Die Stadt besteht größtenteils aus niedrigen Häusern mit schönen Baumalleen zwischen denselben. Letztere sind breit genug, um unseren Train den Durchgang zu gestatten. Wir sollten diese Nacht also an einem reizenden Punkte voller Schatten und Frische zubringen. An jenem Abend zählte die Residenz des Maharajah ein kleines Stadtviertel mehr, nämlich unseren tragbaren Weiler, unser aus zwei Häusern bestehendes Dörfchen, das wir jedoch nicht gegen das ganze Stadtviertel vertauscht hätten, in dem sich der glänzende Palast des Beherrschers von Burdwan in anglo-indischem Baustyl erhebt.

Unser Elephant brachte natürlich auch hier die gewohnte Wirkung hervor, d.h. einen mit Verwunderung gemischten Schrecken bei allen Bengalen, die von rechts uud links im bloßen Kopfe mit einer Haarfrisur à la Titus herzuströmten, die Männer nur bekleidet mit einem Schurz um die Lenden, die Weiber mit dem weißen »Sarri«, (d. i. ein burnusähnliches Hemd), das sie vom Kopf bis zu den Füßen verhüllt.

»Es beschleicht mich hier nur die eine Furcht, begann da Kapitän Hod, daß es dem Maharajah einfallen könnte, unseren Stahlriesen kaufen zu wollen, und, daß er dafür eine Summe böte, die uns nöthigte, ihn Seiner Hoheit zu überlassen.

– Das wird nie geschehen! rief Banks. Wenn er es wünscht, baue ich ihm eher einen neuen Elephanten und von solcher Stärke, daß er seine ganze Hauptstadt von einem Ende des Reichs zum anderen fortziehen könnte. Den unsrigen verkaufen wir jedoch um keinen Preis. Nicht wahr, Munro?

– Um keinen Preis,« bestätigte der Oberst mit der Miene eines Mannes, den auch das Angebot einer Million nicht rühren würde.

Ein etwaiger Verkauf unseres Riesen kam jedoch eigentlich gar nicht in Frage. Der Maharajah befand sich zur Zeit gar nicht in Burdwan. Wir erhielten nur den Besuch seines »Kândar«, eine Art Geheimsekretär, der unser Gefährt in Augenschein nahm. Dafür bot uns der Mann – worauf wir mit Vergnügen eingingen – an, die Gärten des Palastes zu besuchen, welche die schönsten Exemplare von tropischen Pflanzen enthalten, und von lebendem Wasser, das sich in Teichen ansammelt oder in Bächen dahinfließt, benetzt werden; ferner den mit phantastischen Kiosks geschmückten Park zu durchwandern, in dem sich herrliche grüne Rasenplätze, aber auch Ziegen, Hirsche, Damhirsche und Elephanten als Repräsentanten der Hausthiere im Freien, dagegen Tiger, Löwen, Panther, Bären als Vertreter der Raubthiergeschlechter in prachtvollen hausähnlichen Käfigen vorfinden.

»Tiger im Käfig wie Stubenvögel, Herr Kapitän! rief Fox. Es ist doch zum Erbarmen!

– Gewiß, Fox! antwortete der Kapitän. Wenn es nach ihrem Willen ging, würden die letzteren gern frei in den Dschungeln umherschweifen, selbst vor dem Laufe einer Büchse mit explodirenden Geschossen!

– Das mein ich auch!« bestätigte der Diener tief aufseufzend.

Am nächsten Tage, am 10. Mai, verließen wir Burdwan. Das mit Allem wohlversorgte Steam-House kreuzte die Eisenbahn auf einem Niveau-Uebergang, und wandte sich direct nach Ramghur, eine etwa fünfundsiebenzig Meilen entfernt liegende Stadt.

Diese Reiseroute ließ freilich zu unserer Rechten die nicht unbedeutende Stadt Mourchedabad, die weder in ihrem indischen, noch im englischen Quartiere etwas Interessantes bietet; Monghir, eine Art Birmingham Hindostans, gelegen auf einem Vorberge, der das Bett des geheiligten Stromes beherrscht; Patna, die Hauptstadt jenes Königreichs Behar, das wir schräg durchziehen wollten, ein reiches Handelscentrum für den Opium-Export, welches unter den Schlingpflanzen, die hier besonders üppig gedeihen, zu verschwinden Gefahr läuft; doch wir hatten Besseres zu thun: wir mußten einer meridionalen Richtung zwei Grade unterhalb des Gangesthales folgen.

Während dieses Theiles der Fahrt wurde der Stahlriese etwas mehr angetrieben und unterhielt einen leichten Trott, der uns die vortreffliche Einrichtung unserer schwebenden Häuser überzeugend vor Augen führte. Uebrigens war die Straße gut und eignete sich zu dieser Probe. Vielleicht erschraken die Raubthiere vor dem gigantischen Elephanten, der Rauch und Dampf ausathmete. Mindestens sahen wir zum großen Erstaunen des Kapitän Hod in den Dschungeln dieses Landes kein einziges. Doch wollte Jener seiner Jagdleidenschaft ja auch erst in den nördlichen Gebieten Indiens, und nicht schon hier in Bengalen nachgehen, so daß er sich vorläufig nicht beklagte.

Am 15. Mai befanden wir uns in der Nähe von Ramghur, gegen fünfzig Meilen von Burdwan. Die mittlere Fahrgeschwindigkeit betrug bisher fünfzehn Meilen in zwölf Stunden, nicht mehr.

Drei Tage später, am 18., hielt der Zug, hundert Kilometer weiter, bei der kleinen Stadt Chittra an.

Dieser erste Theil der Reise war ohne jeden Zwischenfall verlaufen. Die Tage waren warm, die Siesta unter dem Schutze der Veranda dagegen desto angenehmer. Da brachten wir diese heißesten Stunden unter köstlichem Farniente zu.

Abends reinigten Storr und Kâlouth unter den Augen Banks den Kessel und revidirten die Maschine.

Unterdeß gingen wir, Kapitän Hod und ich, begleitet von Fox und Goûmi und den beiden Vorstehhunden, in der Nachbarschaft des Halteplatzes jagen. Noch gab es nur kleines Wild und Federvieh; wenn der Kapitän das als Jäger auch verachtete, so schätzte er es doch als Feinschmecker, und am nächsten Tage enthielt der Speisezettel des Monsieur Parazard zu seiner größten Befriedigung einige saftige Gerichte mehr, wobei wir unsere Vorräthe schonen konnten.

Zuweilen blieben Goûmi und Fox wohl auch zurück, um Holz zu fällen und Wasser zu tragen. Es mußte ja der Tender für den ganzen nächsten Tag gefüllt werden. Banks wählte deshalb auch den Halteplatz mit Vorliebe am Ufer eines Baches und in der Nähe eines Gehölzes. Die Versorgung mit dem nöthigen Material geschah stets unter der Aufsicht des Ingenieurs, der sich selbst um Alles bekümmerte.

War das Alles vollbracht, so zündeten wir uns die Cigarren an – ausgezeichnete »Cherouts« aus Manilla – und rauchten während eines Gespräches über dieses Land, das Hod und Banks ja gründlich kannten. Der Kapitän verachtete die gewöhnliche Cigarre und sog mit seinen kräftigen Lungen durch einen zwanzig Fuß langen Schlauch den aromatischen Duft aus einem »Houkah«, den sein Diener mit aller Sorgfalt gestopft hatte.

Unser größtes Vergnügen wäre es gewesen, wenn Oberst Munro sich einmal diesen kurzen Ausflügen in die nächsten Umgebungen angeschlossen hätte. Stets machten wir ihm vor dem Aufbruch diesen Vorschlag, doch ebenso oft lehnte er unser Angebot ab und blieb mit Sergeant Neil zurück. Beide gingen dann nur auf der Straße je hundert Schritt hin und her. Sie sprachen wenig, schienen sich aber vollkommen zu verstehen, und hatten es nicht nöthig, viel Worte zu wechseln, um ihre Gedanken auszutauschen. Beide schienen ganz von den furchtbaren Erinnerungen erfüllt zu sein, die nichts verlöschen konnte. Wer weiß, ob sich diese Erinnerungen nicht noch mehr belebten, je mehr Oberst Munro und der Sergeant sich dem Schauplatz des schrecklichen Aufstandes näherten.

Offenbar hatte den Obersten eine fixe Idee, die wir erst später erfahren sollten, und nicht der einfache Wunsch, sich nicht von uns zu trennen, zum Anschluß an diese Fahrt nach Norden von Indien veranlaßt. Banks und Kapitän Hod theilten hierüber meine eigenen Anschauungen, und wir legten uns unwillkürlich und mit einiger Sorge vor der Zukunft die Frage vor, ob dieser Elephant, während er durch die Ebenen der Halbinsel schritt, nicht ein ganzes Drama zur Entwicklung bringen werde.

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