Jules Verne
Das Dampfhaus - 2.Band
Fünftes Capitel.
eingestellt: 26.7.2007
Die Reise des Oberst Munro erregte in uns doch eine lebhafte Unruhe. Er handelte offenbar in der Erinnerung an eine Vergangenheit, die wir längst für immer abgeschlossen glaubten. Doch was war zu thun? Den Spuren Sir Edward Munros nachzugehen? Wir wußten ja nicht, welche Richtung er zu erreichen sich vorgenommen habe. Andererseits konnten wir uns nicht verhehlen, daß, wenn er gegen Banks über nichts gesprochen hatte, er nur die Einwürfe seines Freundes fürchtete,
denen er enthoben sein wollte. Banks bedauerte jetzt lebhaft, an unserer Expedition theilgenommen zu haben.
Wir mußten uns also zufrieden geben und den Lauf der Dinge abwarten. Oberst Munro wollte ja sicherlich vor Ende August zurück sein, da dieser Monat der letzte war, den wir im Sanatorium zuzubringen gedachten, um dann in südwestlicher Richtung den Weg nach Bombay einzuschlagen.
Kâlagani, dem Banks alle mögliche Sorgfalt widmete, blieb nur vierundzwanzig Stunden im
Steam-House, seine Wunde schien sehr schnell zu vernarben, und er verließ uns, um seinen Dienst im Kraal wieder anzutreten.
Auch zu Anfang des August siel reichlicher Regen – es war ein Wetter, bei dem sich »Frösche einen Schnupfen holen konnten«, wie Kapitän Hod sagte. Immerhin durfte man erwarten, daß dieser Monat weniger regenreich sein werde als der Juli und uns folglich auch mehr Ausflüge in die Umgegend gestatten würde.
Mit dem Kraal standen wir wie bisher in
häufiger Beziehung. Mathias Van Guitt war leider immer noch nicht zufriedengestellt. Auch er wollte sein Lager mit Anfang September aufgeben. Da ihm aber noch immer ein Löwe, zwei Tiger und zwei Leoparden fehlten, hegte er doch einige Zweifel, ob es bis dahin noch gelingen werde, seinen Thierbestand zu completiren.
Statt der Schauspieler, die er für Rechnung seiner Auftraggeber engagiren wollte, fanden sich in seiner Agentur andere ein, für die er kein Interesse hatte.
So
fing sich z. B. am 24. August ein schöner Bär in einer der Fallen.
Wir befanden uns eben im Kraal, als die Chikaris in einem fahrbaren Käfig einen Gefangenen von großem Wuchse, mit schwarzem Pelze, scharfen Krallen und langbehaarten Ohren – dem besonderen Kennzeichen für die Familie der Bären in Indien – zur Stelle schafften.
»Nun, was thue ich mit diesem unnützen Tardigraden! rief der Händler achselzuckend.
– Bruder Ballon! Bruder Ballon!«
ließen sich dagegen die Hindus vernehmen.
Es scheint fast, als ob die Hindus, wenn sie nur die Neffen der Tiger sind, sich als die Brüder der Bären betrachten.
Ungeachtet dieses Verwandtschaftsgrades empfing Mathias Van Guitt Bruder Ballon doch mit ganz unzweideutig schlechter Laune. Bären fangen, wo er Tiger brauchte, daran konnte ihm nicht viel liegen. Was sollte er mit dem lästigen Thiere beginnen? Er verspürte keine Lust, dasselbe zu füttern, ohne die Aussicht, auf
seine Kosten zu kommen.
Der indische Bär ist auf den Märkten Europas nicht besonders gesucht. Er hat weder den Handelswerth des amerikanischen Grizzly, noch den des Eisbären. Deshalb bekümmerte sich Mathias Van Guitt als gewiegter Kaufmann nicht viel um ein so beschwerlich fortzuschaffendes Thier, das er nur schwierig wieder an den Mann bringen konnte.
»Wollen Sie ihn? fragte er den Kapitän Hod.
– Was soll ich denn damit anfangen? antwortete der Kapitän.
– Ei, Sie machen Beefsteaks davon, sagte der Händler, wenn ich mich dieser Katachrese bedienen darf.
– Herr Mathias Van Guitt, bemerkte da Banks ganz ernsthaft, die Katachrese ist eine in jedem Falle erlaubte Redefigur, wo sie, in Ermanglung eines anderen Ausdruckes, den Gedanken passend verdeutlicht. – Das war auch meine Absicht, meinte der Händler.
– Nun, Hod, fuhr Banks fort, nehmen Sie den Bären des Herrn Van Guitt oder nehmen Sie ihn
nicht?
– Meiner Treu, nein! erklärte der Kapitän bestimmt. Beefsteaks von einem erlegten Bären zu essen, das möchte zur Noth noch angehen; aber einen Bären zu schlachten, um ihn zu Beefsteaks zu verarbeiten, das reizt meinen Appetit wahrlich nicht!
– Nun, so setzt den Plantigraden wieder in Freiheit!« rief Mathias Van Guitt seinen Chikaris zu.
Diese gehorchten dem Befehle. Der Käfig wurde aus dem Kraal hinausgeschafft. Einer der Hindus öffnete das
Gitter desselben.
Bruder Ballon, der seine beschämende Lage fühlte, ließ sich das nicht zweimal sagen. Er trabte ruhig durch die Thür des Gefängnisses, schüttelte ein wenig den Kopf, womit er vielleicht seinen Dank ausdrücken wollte, und trollte mit vergnügtem Grunzen seines Weges.
»Da haben Sie ein gutes Werk gethan, sagte Banks, das wird Ihnen Glück bringen, Herr Van Guitt!«
Banks sollte richtig prophezeit haben. Schon der Morgen des 6. August brachte dem
Händler seine Belohnung, da er ihm eines der seiner Menagerie noch fehlenden Raubthiere in die Hand lieferte.
Das ging folgendermaßen zu.
Mathias Van Guitt, Kapitän, Hod und ich in Begleitung Fox, des Maschinisten Storr und Kâlaganis, durchsuchten seit der Morgendämmerung ein Cactus- und Mastixdickicht, als wir plötzlich ein halbersticktes Brüllen vernahmen.
Sofort machten wir die Gewehre zum Feuern fertig, schlossen uns alle Sechs dicht aneinander, um nicht
einzeln überfallen werden zu können, und gingen nach der verdächtigen Stelle langsam vor.
Nach fünfzig Schritten ließ der Händler Halt machen. Aus der Art des Gebrülls schien er zu erkennen, um was es sich hier handle, und so bat er – womit er sich vor Allem an Kapitän Hod wandte – darum, ja nicht unnöthig zu schießen.
Dann ging er allein noch einige Schritte vorwärts, während wir zurückblieben.
»Richtig, ein Löwe!« rief er.
An dem Ende
eines festen, an der Gabelung zweier starken Zweige angebrachten Strickes hing in der That ein gewaltiges Thier.
Es war ein Löwe, zwar ein Löwe ohne Mähne – wodurch die hiesigen sich von ihren Stammverwandten in Afrika unterscheiden – aber doch ein wirklicher Löwe, wie ihn Mathias Van Guitt brauchte und längst suchte.
Das wilde Thier, das mit einer Vordertatze durch den Laufknoten des Strickes gehalten war, riß an diesem zwar heftig herum, konnte sich aber nicht
davon befreien.
Kapitän Hod wollte doch schon, trotz der Ermahnung des Händlers, Feuer geben.
»Schießen Sie nicht, Kapitän! rief Mathias Van Guitt, ich beschwöre Sie, schießen Sie nicht!
– Aber ....
– Nein, nein, sage ich Ihnen! Dieser Löwe hat sich in einer meiner Schlingen gefangen, er gehört mir!«
Wir hatten freilich eine Schlinge – eine Hängeschlinge, möchte ich sagen, – von sehr einfacher und doch sinnreicher
Construction vor uns.
Ein tüchtiger Strick wird an einem starken, aber biegsamen Baumzweige befestigt. Dieser Zweig wird so zur Erde herabgebogen, daß der untere Theil des Strickes, dessen Ende einen Laufknoten bildet, in den Einschnitt eines fest in den Boden gerammten Pfahles geklemmt werden kann. An dem Pfahle selbst bringt man einen Köder in der Weise an, daß ein Thier, wenn es diesen heranholen will, entweder den Kopf oder doch eine Tatze durch die Schlinge stecken muß. Wenn es
nun aber nur ganz wenig an der Lockspeise zerrt, zieht es auch den Strick aus dem Einschnitte, der Zweig schnellt empor, das Thier wird mit in die Höhe gehoben und gleichzeitig gleitet ein schwerer Holzcylinder an dem Stricke herab, schließt dadurch die Schlinge fester und verhindert, daß diese sich durch die Anstrengung des hängenden Thieres wieder öffnet.
Diese Sorten Fallen trifft man in den Wäldern Indiens sehr häufig an, und Raubthiere fangen sich darin leichter, als man auf den
ersten Blick glauben sollte. Meist wird das Thier dabei freilich am Halse eingeschnürt, wodurch es schnell erstickt, während das schwere Holzstück ihm auch den Schädel halb zerschmettert. Der Löwe aber, der sich vor unseren Augen wand, hatte sich nur mit einer Tatze gefangen. Er war also lebend und werth, unter den vierbeinigen Gästen des Kraals zu figuriren.
Erfreut über diesen Fang, sendete Mathias Van Guitt Kâlagani nach dem Kraal, um den fahrbaren Käfig und einen Wagenführer
herbeizuholen. Inzwischen konnten wir das Thier, dessen Wuth unsere Anwesenheit verdoppelte, mit aller Muße beobachten. Der Händler wendete kein Auge von demselben ab. Er umkreiste den Baum von allen Seiten, natürlich mit der Vorsicht, sich außer Schuß- oder eigentlich Hiebweite zu halten, da der Löwe mit den Tatzen gewaltig ausschlug.
Nach einer halben Stunde kam der von zwei Büffeln gezogene Käfig an. Man ließ den Gehängten hineinsinken, was kein so leichtes Stück Arbeit war,
und wir schlugen wieder den Weg nach dem Kraal ein.
»Ich fing wirklich schon an zu verzweifeln, äußerte Mathias Van Guitt; die Löwen sind nicht in zu großer Anzahl unter den Nemoralen Indiens vorhanden....
– Was? Unter den Nemoralen? fragte Kapitän Hod.
– Ja, d. h. unter den Thieren, welche durch die Wälder schweifen, und ich gratulire mir, diesen Kerl, der meiner Menagerie Ehre machen wird, gefangen zu haben.«
Mathias Van Guitt hatte sich
von diesem Tage ab überhaupt nicht mehr über den frühern Unstern zu beklagen.
Am 11. August wurden zwei Leoparden zusammen in der nämlichen Falle gefangen, aus der wir den Händler befreit hatten.
Es waren das zwei Tchitas, ähnlich jenem, der in den Ebenen von Rohilkande den Stahlriesen so kühn angegriffen hatte und dessen wir damals nicht habhaft werden konnten.
Jetzt fehlten nur noch zwei Tiger, um den Stock Mathias Van Guitts vollzählig zu machen.
Der 15. August kam heran. Oberst Munro war noch nicht wieder erschienen, ebensowenig erhielten wir Nachrichten von ihm. Banks war unruhiger, als er sich den Anschein gab. Er befragte Kâlagani, der ja die nepalische Grenze kannte, über die Gefahren, denen Sir Edward Munro ausgesetzt sein könne, wenn er sich in jene unabhängigen Gebiete hineinwagte. Der Hindu versicherte ihm, daß sich in der Nähe von Tibet kein einziger Parteigänger Nana Sahibs mehr aufhalte. Jedenfalls bedauerte er, daß der
Oberst ihn nicht als Führer mitgenommen habe. Seine Dienste wären ihm in einem Lande, das er bis auf den einsamsten Fußsteg kannte, gewiß von Nutzen gewesen. Jetzt war ja aber gar nicht daran zu denken, jenen aufzusuchen.
Kapitän Hod und Fox setzten ihre Ausflüge durch Tarryani unermüdlich fort. Unterstützt von den Chikaris des Kraals, gelang es ihnen, drei weitere mittelgroße Tiger ohne große Gefahr zu erlegen. Zwei von diesen kamen auf Rechnung des Kapitäns, der eine auf Rechnung
des Dieners.
»Achtundvierzig! sagte Hod, der die runde Summe von fünfzig gern voll gemacht hätte, bevor er den Himalaya verließ.
– Neununddreißig!« zählte Fox, ohne von einem gewaltigen Panther zu reden, der unter seiner Kugel gefallen war. .
Am 20. August ging der vorletzte der von Mathias Van Guitt gesuchten Tiger in eine der Fallen, der er aus Instinct oder Zufall bisher ausgewichen war. Wie das gewöhnlich geschieht, verletzte sich das Thier durch den
Fall, doch schien die Wunde keine schwere zu sein. Einige Tage Ruhe genügten zur Heilung derselben, und jedenfalls sah man zur Zeit der Ablieferung an Hagenbeck in Hamburg davon nicht mehr das Geringste.
Die Verwendung solcher Fallen wird von allen Kennern als eine barbarische Methode verurtheilt. Handelt es sich nur darum, die Thiere zu vernichten, so mag wohl jedes Mittel gelten, beabsichtigt man aber, dieselben lebendig einzufangen, so verenden sie doch zu häufig in Folge des
Sturzes, vorzüglich, wenn sie in jene fünfzehn bis zwanzig Fuß tiefen Gruben fallen, welche zum Fange der Elephanten bestimmt sind. Unter zehn findet man kaum eines, das nicht einen gefährlichen Knochenbruch erlitten hat. Selbst in Mysore, wo man diesem Verfahren mit Vorliebe huldigte, wird es, nach Aussage des Händlers, jetzt mehr und mehr verlassen.
Ein einziger Tiger fehlte also noch der Menagerie des Kraals, und Mathias Van Guitt hätte diesen gar zu gern in seinem Käfig gesehen,
denn es drängte ihn jetzt, nach Bombay aufzubrechen.
Dieser Tiger sollte nun zwar bald genug erlangt werden, aber freilich um welchen Preis! Ich muß hierüber etwas ausführlicher berichten, denn das Thier wurde theuer – sehr theuer – bezahlt.
Kapitän Hod hatte für die Nacht des 26. August einen Jagdausflug verabredet. Alle Vorzeichen ließen auf einen günstigen Erfolg rechnen, da der Himmel wolkenlos, die Luft ruhig und der Mond im Abnehmen war. Bei ganz tiefer
Finsterniß verlassen die Raubthiere nur ungern ihre Höhlen, während sie bei mäßigem Lichtschein desto lieber umherschweifen. Der »Meniscus« – ein Wort, womit Mathias Van Guitt den sichelförmigen Mond zu bezeichnen pflegte – der Meniscus mußte also nach Mitternacht seine bleichen Strahlen herabsenden.
Kapitän Hod und ich, Fox und Storr, der an solchem Sport allmälich Gefallen fand, bildeten den Kern der Expedition, der sich der Händler, Kâlagani und einige Hindus
anschließen sollten.
Nach beendigter Mahlzeit und nachdem wir uns von Banks, der eine Einladung, uns zu begleiten, abschlug, verabschiedet hatten, verließen wir das Steam-House gegen sieben Uhr Abends und kamen gegen acht Uhr ohne bemerkenswerthen Zwischenfall an.
Mathias Van Guitt stand eben vom Abendessen auf. Er begrüßte uns in der gewohnten eigenthümlichen Weise. Sofort traten wir zur Berathung zusammen und verabredeten alles Weitere bezüglich der anzustellenden
Jagd.
Wir wollten uns in der Nahe eines Bergstromes auf die Lauer legen, der im Grunde einer jener Schluchten, welche man hier »Nullahs« nennt, zwei Meilen vom Kraal und an einer Stelle vorüberfloß, wohin ein Tigerpärchen jede Nacht zu kommen pflegte. Ein Köder war daselbst nicht angebracht worden, da das nach Aussage der Hindus überflüssig schien. Ein vor kurzer Zeit in diesem Theile Tarryanis abgehaltenes Treibjagen hatte den Beweis geliefert, daß die Tiger schon, um ihren Durst zu
löschen, jene Schlucht regelmäßig aufsuchten. Es war auch bekannt, daß man sich dort günstig aufstellen konnte.
Den Kraal sollten wir vor Mitternacht nicht verlassen. Jetzt war es erst neun Uhr. Nun hieß es warten zu lernen, ohne sich dabei zu sehr zu langweilen.
»Meine Herren, begann Mathias Van Guitt, meine Wohnung steht gänzlich zu ihrer Verfügung. Ich ersuche Sie, es wie ich zu machen und sich niederzulegen. Wir müssen noch vor dem frühen Morgen hinaus, und einige
Stunden Schlaf werden uns für etwaige Strapazen stärken.
– Haben Sie Lust, zu schlafen, Maucler? fragte mich Kapitän Hod.
– Nein, gab ich zur Antwort. Ich werde lieber umherspazieren, bis wir fortgehen, als mich gerade dann wecken zu lassen, wenn ich im tiefsten Schlafe liege.
– Wie es Ihnen beliebt, meine Herren, bemerkte der Händler. Ich für meinen Teil fühle schon jenes spasmodische Blinzeln der Augenlider, welches die Müdigkeit
hervorbringt. Sie sehen, ich schwanke schon so zwischen Wachen und Schlafen!«
Mathias Van Guitt erhob dabei die Arme, warf, wie durch unwillkürliche Muskelbewegung, den Kopf zurück und gähnte recht herzhaft.
Als er mit seinen Verrenkungen fertig war, winkte er uns noch ein Adieu zu und verschwand in der Hütte, wo er jedenfalls bald in sanftem Schlummer lag.
»Und was beginnen wir nun? fragte ich.
– Wir gehen spazieren, antwortete Kapitän Hod, wir
gehen im Kraal auf und ab. Die Nacht ist schön und ich werde zur Zeit besser bereit sein, zu marschieren, als wenn ich jetzt zwei bis drei Stunden schliefe. Der Schlaf ist zwar unser bester Freund, leider läßt er aber manchmal lange Zeit auf sich warten!«
So trotteten wir also plaudernd und träumend, langsam durch den Kraal. Storr, »den sein bester Freund gewöhnlich nicht lange warten ließ«, lag am Fuße eines Baumes und schlief schon fest. Die Chikaris und die Wagenführer hockten
ebenfalls in ihrer Ecke und überhaupt wachte sonst kein Mensch innerhalb der Einzäunung.
Es wäre das auch überflüssig gewesen, da der von einer Palissade umschlossene Kraal vollständig abgesperrt war.
– Kâlagani hatte sich selbst noch überzeugt, ob das Thor gut verwahrt sei; nachdem das geschehen, wünschte er uns im Vorübergehen gute Nacht und begab sich nach dem Häuschen, das er mit seinen Gefährten bewohnte.
Kapitän Hob und ich, wir befanden uns nun ganz
allein.
Nicht allein die Leute Van Guitts, sondern auch die Hausthiere und die Raubthiere schliefen alle, diese in ihren Käfigen, jene zusammen unter großen Bäumen am Ende des Kraals. Drinnen und draußen herrschte allgemeines Schweigen.
Unsere Promenade führte uns zunächst nach der Stelle, wo die Büffel lagen. Die schönen, sanften und gelehrigen Wiederkäuer waren nicht einmal eingeschlossen. Gewohnt, unter dem Blätterdache mächtiger Ahornbäume zu lagern, sahen wir sie
gemächlich hingestreckt, die Hörner untereinander verwickelt, die Füße untergeschlagen, und man hörte nur das langsame, schnaufende Athmen der mächtigen Körper.
Auch unsere Annäherung störte sie nicht aus ihrer Ruhe. Nur einer derselben erhob ein wenig den dicken Kopf, glotzte uns mit dem unsteten Blicke an, der dieser Art von Thieren eigenthümlich ist, und duckte sich dann wieder langsam nieder.
»Da sieht man, wie das Leben im Hause oder vielmehr die Zähmung sie verändern
kann, sagte ich zum Kapitän.
– Ja, erwiderte dieser, und doch sind gerade Büffel sehr gefährliche Thiere, wenn sie in der Wildniß hausen. Aber, wenn es ihnen nicht an Kräften fehlt, so geht ihnen dafür jede Gewandtheit ab, und was vermögen ihre Hörner z. B. gegen den Zahn der Löwen oder gegen die Tatze der Tiger? Offenbar sind diese Raubthiere ihnen gegenüber im Vortheil.«
In dieser Weise plaudernd, hatten wir uns den Käfigen genähert. Auch hier herrschte
vollständige Ruhe. Tiger, Löwen, Panther und Leoparden schliefen in ihren abgesonderten Käfigen. Mathias Van Guitt ließ sie nicht eher zusammen, als bis sie durch einige Wochen Gefangenschaft etwas mürber geworden waren, und daran that er ganz recht. Während der ersten Tage der Einsparung hätten die Bestien wahrscheinlich einander selbst aufgezehrt.
Vollkommen unbeweglich, lagen die drei Löwen, großen Katzen gleich, krumm zusammengebogen. Den Kopf, der zwischen den dicht behaarten
schwarzen Tatzen verschwand, sah man gar nicht; so schliefen sie den Schlaf des Gerechten.
In den Zellen der Tiger herrschte nicht derselbe Friede. Glühende Augen blitzten zuweilen durch das Dunkel auf, eine kräftige Tatze rüttelte wohl auch einmal an den eisernen Gitterstäben. Es war der Schlaf von Raubthieren, deren Grimm selbst der Schlaf nicht sänftigt.
»Sie haben böse Träume, das begreife ich wohl!« sagte der mitleidige Kapitän.
Einige Gewissensbisse oder
wenigstens das Gefühl von Reue schien auch die drei Panther zu quälen. Um diese Stunde waren sie, frei von jeder Fessel, in den Wäldern umhergestrichen und hatten sich nach den Weideplätzen geschlichen, wo sie lebendes Fleisch witterten.
Den Schlaf der vier Leoparden störte offenbar kein Alpdrücken. Sie lagen friedlich und still. Zwei dieser Katzen, ein Männchen und ein Weibchen, besaßen ein gemeinsames Schlafzimmer und befanden sich darin ebenso wohl wie im Grunde ihrer Höhle.
Nur eine einzige Zelle stand noch leer – die, welche der sechste und gar nicht zu erlangende Tiger einnehmen sollte, den Mathias Van Guitt sich noch beschaffen mußte, bevor er Tarryani verlassen konnte.
Unser Spaziergang mochte etwa eine Stunde gewährt haben. Nachdem wir an der inneren Seite der Kraal-Einfriedigung dahingegangen, ließen wir uns am Fuße einer mächtigen Mimose nieder.
Im ganzen Walde ringsum regte sich nichts, selbst der Wind, der gegen Abend
noch durch die Bäume rauschte, hatte sich jetzt gelegt. Kein Blättchen rührte sich. Die Atmosphäre über der Erde war eben so ruhig wie in den oberen Regionen, wo die Sichel des Mondes langsam heraufzog.
Kapitän Hod und ich saßen dicht bei einander, sprachen aber kaum noch ein Wort. Der Schlaf überfiel uns nicht etwa, es machte sich vielmehr der mehr geistige als körperliche Einfluß der Stille in der Natur für uns geltend. Man denkt dann wohl, verleiht aber dem Gedanken keine Worte.
Man träumt wie ein Mensch, der doch nicht schläft, und der Blick, den die Augenlider nicht verschleiern, verliert sich gern in einer phantastischen Vision.
Nur ein Umstand fiel dem Kapitän auf und mit leiser Stimme, wie man es unwillkürlich thut, wenn Alles ringsumher schweigt, sagte er:
»Wissen Sie, Maucler, eine solche Stille setzt mich wirklich in Erstaunen. Gewöhnlich brüllen die Raubthiere im Dunklen und während der Nacht schallt es sonst durch den ganzen Wald. Fehlt
es an Tigern oder Panthern, so hört man dafür die Schakals bellen. Dieser Kraal voll lebender Wesen sollte sie eigentlich zu Hunderten herbeilocken, und doch hört man nicht das Geringste, kein Knacken von dürrem Holz auf der Erde, kein einziges Geheul da draußen. Wenn Mathias Van Guitt wach wäre, würde er sich ebenso darüber wundern wie ich und gewiß irgend ein sonderbares Wort finden, sein Erstaunen auszudrücken!
– Sie haben recht, lieber Hod, antwortete ich, und ich weiß
mir das Ausbleiben aller jener Nachtschwärmer auch nicht zu erklären. Doch, achten wir auf uns selbst, daß wir bei der Stille ringsum nicht zuletzt noch einschlafen.
– Nein, nein, wir müssen, aushalten, meinte Kapitän Hod, indem er die Arme dehnte. Die Stunde zum Aufbruch kommt bald heran!«
Wir fingen also wieder an zu plaudern, wenn auch mit längeren Pausen.
Wie lange das dauerte, vermag ich nicht zu sagen; plötzlich entstand aber eine dumpfe Bewegung, die
mich aus diesem Zustande der Somnolenz weckte.
Kapitän Hod, der ebenfalls wieder völlig munter wurde, sprang gleichzeitig mit mir auf.
Der Lärmen ging offenbar von den Käfigen der Raubthiere aus.
Löwen, Tiger, Panther und Leoparden, die noch eben ganz ruhig gelegen hatten, ließen ein heimliches Murren und Knurren hören. Sie hatten sich erhoben, trabten in ihren Zellen hin und her, schnüffelten hinaus, als wenn sie irgend etwas witterten, und richteten sich
wuthschnaubend an den Eisenstangen der Käfige empor.
»Was mögen sie nur haben? fragte ich.
– Ich weiß es nicht, erwiderte Kapitän Hod, aber ich fürchte, sie wittern die Annäherung von....«
Plötzlich entstand rings um den Kraal ein entsetzliches Gebrüll.
»Das sind Tiger,« rief Kapitän Hod, und eilte nach dem Hause Mathias Van Guitts.
Der Höllenlärm hatte das ganze Personal des Kraals auf die Füße gebracht und der Händler erschien mit
mehreren Leuten an der Thür.
»Ein Ueberfall! ... rief er.
– Ich glaube, ja, antwortete Kapitän Hod.
– Ich werde mich sofort überzeugen!« ...
Ohne ein weiteres Wort zu äußern, ergriff Mathias Van Guitt eine Leiter, die er an die Palissade lehnte. In einem Augenblicke stand er auf der obersten Stufe.
»Zehn Tiger und ein Dutzend Panther! rief er herab.
– Das mag ernsthaft werden, meinte Kapitän Hod. Statt daß wir
jene jagen wollten, werden sie nun uns zu Leibe gehen!
– Die Gewehre! Schnell die Gewehre her!« befahl der Händler.
Alle beeilten sich, dem Gebote zu folgen, und in zwanzig Secunden waren wir fertig, Feuer zu geben.
Solche Ueberfälle einer ganzen Bande von Raubthieren sind in Indien übrigens nicht gar zu selten. Wie oft wurden nicht die Bewohner solcher Gegenden, in denen Tiger hausen, vorzüglich die der Sunderbunds, in den Wohnungen geradezu belagert! Das
sind kritische Stunden, und leider bleibt der Vortheil häufig genug auf Seite der Angreifer.
In das Geheul von draußen mischte sich nun auch noch das Gebrüll in den Behältern. Der Kraal schien dem Walde Antwort zu geben. Wir konnten kaum noch das eigene Wort hören.
»An die Palissaden!« rief Mathias Van Guitt, der sich mehr durch Gesten als durch die Stimme verständlich machte.
Wir stürzten Alle nach der Einfriedung.
Die Büffel packte der Schreck und
sie erhoben sich eben, um den bisher innegehabten Platz zu verlassen. Vergeblich suchten die Wagenführer sie zurückzuhalten.
Plötzlich sprang das Thor, dessen Riegel doch nicht ordentlich geschlossen sein konnte, heftig auf und in tollen Sätzen stürzten eine Menge Bestien in den Kraal herein.
»Kâlagani hatte das Thor doch, wie er das immer that, auch heute gut verwahrt.
»Ins Haus! Ins Haus!« schrie Mathias Van Guitt und eilte nach demselben hin, da dieses jetzt
allein noch einigen Schutz gewähren konnte.
Blieb uns auch Zeit genug, dahin zu entfliehen?
Schon wälzten sich zwei von Tigern überfallene Chikaris auf der Erde. Die Anderen, welche das Haus nicht erreichen konnten, eilten durch den Kraal, um irgend einen Schlupfwinkel zu suchen.
Der Händler, Storr und sechs Hindus befanden sich schon in dem Hause, dessen Thüre gerade in dem Moment zugeworfen wurde, als zwei Panther hineindringen wollten.
Kâlagani, Fox
und die Uebrigen erkletterten die Bäume, um in deren Aesten Schutz zu suchen.
Kapitän Hod und ich fanden weder Zeit noch Gelegenheit, zu Mathias Van Guitt zu gelangen.
»Maucler! Maucler!« rief Kapitän Hod, der von einem Tatzenschlage am Arme verwundet war.
Mich selbst hatte ein furchtbarer Tiger mit dem Schweife zu Boden geworfen. Ich raffte mich wieder auf und sprang, als das Thier eben auf mich losgehen wollte, dem Kapitän zu Hilfe.
Nur eine
Zuflucht blieb uns noch: die leere Zelle des sechsten Käfigs. In einem Augenblicke hatten wir uns Beide dahin geflüchtet und die schnell zugeschlagene Thür schützte uns einstweilen vor den Bestien, welche wüthend an den Gitterstäben emporsprangen.
Die rasende Wuth der Thiere im Hofe und der Tiger in den Zellen ging so weit, daß der auf den Rädern schwankende Käfig fast umgeworfen worden wäre.
Bald ließen die Tiger jedoch von demselben ab, um sich einer bequemeren Beute
zuzuwenden.
Welch entsetzlicher Anblick, von dem uns nichts entging!
»Das ist die verkehrte Welt! rief Kapitän Hod, der sich kaum bemeistern konnte. Sie draußen und wir drinnen!
– Und Ihre Wunde? fragte ich.
– Das hat nichts zu bedeuten!«
Jetzt krachten fünf oder sechs Schüsse. Sie blitzten aus dem Häuschen auf, in dem Mathias Van Guitt sich befand und welches zwei Tiger und drei Panther bestürmten.
Eines der Thiere
fiel von einer Explosionskugel, welche von Storrs Büchse herrühren mußte.
Die übrigen hatten sich gleich anfangs auf die Büffel gestürzt, die sich gegen solche Gegner freilich kaum zu vertheidigen vermochten.
Fox, Kâlagani und die Hindus, welche, um die Bäume erklettern zu können, die Waffen hatten wegwerfen müssen, konnten sie nicht schützen.
Nun gab auch Kapitän Hod, die Büchse durch das Gitter unseres Käfiges steckend, Feuer. Trotz der halben Lähmung seines
rechten Armes in Folge der Wunde, die ihn nicht so sicher wie gewöhnlich zu zielen erlaubte, gelang es ihm doch, seinen neunundvierzigsten Tiger zu erlegen.
Da sprangen die erschrockenen Büffel eben brüllend durch den Kraal. Vergebens versuchten sie, sich den Tigern zu widersetzen, die den Stößen der Hörner durch geschickte, gewaltige Sätze zu entgehen wußten. An einem derselben hatte sich ein Panther festgeklammert, der ihm mit den Tatzen den Nacken zerfleischte – vor
Schmerz betäubt, rannte das arme Thier davon, erreichte das Thor des Kraals und flüchtete nach außen.
Fünf bis sechs andere, denen die Bestien ebenso zusetzten, folgten jenem und flohen gleichfalls.
Mehrere Tiger eilten denselben nach; die noch im Kraal befindlichen Büffel aber lagen schon mit zerbissener Kehle und aufgerissenem Leibe am Boden.
Aus den Fenstern des Häuschen dauerte das Gewehrfeuer fort. Kapitän Hod und ich suchten auch unser Bestes zu thun. Da
schien noch eine neue Gefahr zu nahen.
Die in den Käfigen eingesperrten Thiere, welche das Getöse des Kampfes, der Blutgeruch und das Heulen der Bestien nur noch mehr erhitzte, schäumten geradezu vor unbeschreiblicher Wuth. Sollte es ihnen gelingen, die Gitterstäbe zu durchbrechen? Auf jeden Fall war das zu befürchten.
Schon kam es so weit, daß ein Tigerkäfig umstürzte. Einen Augenblick glaubte ich, dessen Wände könnten gebrochen sein, so daß den Insassen der Weg geöffnet
wäre ....
Zum Glück bestätigte sich diese Annahme nicht; ja, die Insassen konnten jetzt nicht einmal mehr sehen, was draußen vorging, da die vergitterte Seite des Käfigs auf die Erde zu liegen gekommen war.
»Wahrlich, das sind doch zuviel!« brummte Hod, während er die Büchse wieder lud.
Da machte ein Tiger einen furchtbaren Sprung, und mit Hilfe der Krallen gelang es ihm, die Baumgabelung zu erreichen, nach welcher sich zwei oder drei Chikaris geflüchtet
hatten.
Einer der Unglücklichen, den jener an der Kehle packte, versuchte vergeblich, sich fest zu halten und stürzte zur Erde.
Gleich fiel ein Panther über den schon leblosen Körper her, dessen Knochen in einer breiten Blutlache knackten.
»So schießt doch! So schießt doch!« rief Kapitän Hod, als könne er sich Mathias Van Guitt und dessen Leuten vernehmlich machen.
Wir selbst vermochten nichts mehr auszurichten; unsere Patronen waren zu Ende und wir
sahen uns zu ohnmächtigen Zuschauern des entsetzlichen Gemetzels verurtheilt.
Da gelang es einem Tiger in der Zelle neben uns, als er mit aller Macht an den Eisenstaben rüttelte, den Käfig aus dem Gleichgewichte zu bringen, der einen Augenblick hin und her schwankte und dann gänzlich umfiel.
Von dem Falle trugen wir nur leichte Verletzungen davon und erhoben uns wenigstens schnell wieder auf die Kniee. Die Wände hatten ausgehalten, aber auch wir konnten nun nicht mehr
beobachten, was im Hofe geschah.
Doch, wenn auch nichts zu sehen war, so hörte man ja genug. Welch ein Hexensabbath von Gebrüll innerhalb der Planke des Kraals! Wie gewahrte man den Dunst von Blut in der Luft! Es schien, als ob jetzt der Kampf noch wüthender entbrannt wäre. Was war wohl vorgegangen? Sollten die Gefangenen aus den anderen Käfigen entkommen sein? Griffen sie vielleicht Mathias Van Guitts Hütte an? Kletterten Tiger und Panther etwa auf die Bäume, um die Hindus
herabzureißen?
»Und aus diesen vermaledeiten Kasten nicht heraus zu können!« rief Kapitän Hod in voller Wuth.
So verging eine Viertelstunde – eine Viertelstunde, deren endlose Minuten wir beklommen zählten.
Dann legte sich allmälich das Getöse, das Gebrüll wurde schwächer. Die Tiger in den anderen Zellen unseres Käfigs sprangen nur seltener umher. War das Gemetzel zu Ende?
Da hörte ich, wie das Thor des Kraals heftig zugeworfen wurde. Kâlagam
rief laut nach uns und Fox Stimme hörten wir daneben, wie er immer »Herr Kapitän! Herr Kapitän!« halb jammernd wiederholte.
»Kommt hierher!« antwortete Hod.
Man hörte uns und ich fühlte sogleich, wie der Käfig langsam aufgerichtet wurde. Noch einen Augenblick und wir waren wieder befreit.
»Fox! Storr! rief der Kapitän, dessen erster Gedanke seinen Gefährten galt.
– Hier!« erwiderten der Maschinist und der Diener.
Sie waren unverwundet.
Auch Mathias Van Guitt und Kâlagani heil und gesund. Zwei Tiger und eine Pantherin lagen leblos auf dem Boden. Die anderen waren lebendig aus dem Kraal entkommen, dessen Thor Kâlagani sofort sorgfältig verschloß. Wir waren in Sicherheit.
Keines der Thiere der Menagerie hatte während des Kampfes entwischen können, der Händler zählte sogar einen Gefangenen mehr. Ein junger Tiger hatte sich unter dem umgestürzten kleineren fahrbaren Käfig wie in einer Falle gefangen.
Mathias
Van Guitts Stock war also vollzählig – aber wie theuer kam ihm das zu stehen! Fünf von seinen Büffeln waren erwürgt, die anderen entflohen und drei entsetzlich verstümmelte Hindus schwammen im Hofe des Kraals in ihrem Blute!
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