Frei Lesen: Das Dampfhaus - 2.Band

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Jules Verne

Das Dampfhaus - 2.Band

Siebentes Capitel.

eingestellt: 26.7.2007



Heute, am 18. September, war unsere Position in Bezug auf den Punkt der Abreise, den Halteplatz und unser Ziel genau folgende:

  1. Von Calcutta tausend dreihundert Kilometer.
  2. Vom Sanatorium im Himalaya dreihundertachtzig Kilometer.
  3. Von Bombay tausend sechshundert Kilometer.


Bezüglich der Entfernung hatten wir also kaum die Hälfte der Reise hinter uns; berücksichtigt man aber die sieben Wochen, welche das Steam-House an der Himalaya-Grenze verweilt hatte, so war schon weit mehr als die Hälfte der für dieselbe bestimmten Zeit verflossen.

Wir hatten Calcutta am 6. März verlassen. Vor Ablauf zweier Monate gedachten wir, wenn nichts dazwischen käme, die Westküste von Hindostan zu erreichen.

Unsere Reiseroute erfuhr übrigens einige Abänderungen. Da man dahin überein kam, die von der Revolution von 1857 betroffenen großen Städte zu umgehen, waren wir genöthigt, eine mehr südliche Richtung einzuhalten. Durch die herrlichen Provinzen des Königreichs Scindia führen schöne fahrbare Straßen, so daß der Stahlriese, wenigstens bis zu den Gebirgen des Centrums hin, nicht auf bemerkenswerthe Schwierigkeiten stoßen konnte. Die Fahrt versprach also unter den günstigsten Bedingungen zu verlaufen.

Der Eintritt Kâlaganis unter das Personal des Steam-Houses konnte hierzu nur noch weiter beitragen. Der Hindu kannte diesen Theil der Halbinsel ganz genau, wovon sich Banks noch an diesem Tage überzeugte. Nach dem Frühstück, als Oberst Munro und Kapitän Hod Siesta hielten, fragte er ihn, unter welchen Verhältnissen und als was er durch diese Provinz gekommen sei.

»Ich war, antwortete Kâlagani, bei einer der zahlreichen Karawanen von Banjaris angestellt, welche für Rechnung der Regierung, wie für Privatleute, Cerealien gewöhnlich mittelst Büffeln befördern. So bin ich doch wenigstens zwanzigmal durch die Gebiete der Centralstaaten und des Nordens von Indien hinaufgezogen oder herabgekommen.

– Ziehen jene Karawanen noch immer durch diesen Theil der Halbinsel? fragte der Ingenieur.

– Gewiß, versicherte Kâlagani, und gerade in der jetzigen Jahreszeit sollte es mich sehr wundernehmen, wenn wir nicht einer Truppe nach dem Norden reisender Banjaris begegneten.

– Nun, Kâlagani, fuhr Banks fort, Ihre genaue Kenntniß des Landes wird uns von großem Nutzen sein. Statt durch die großen Städte des Königreichs Scindia zu gehen, ziehen wir quer durch das Land und Sie werden uns als Führer dienen.

– Mit Vergnügen!« antwortete der Hindu mit jenem kalten Tone, der ihm von jeher eigen war, an den ich mich aber noch immer nicht gewöhnen konnte.

Dann fügte er hinzu:

»Darf ich Ihnen da im voraus die Richtung andeuten, der wir im Allgemeinen zu folgen haben?

– Recht gern, ich höre!«

Mit diesen Worten breitete Banks auf dem Tische eine im großen Maßstabe entworfene Karte dieses Theiles von Indien aus, um zu vergleichen, wie weit Kâlaganis Angaben damit übereinstimmten.

»Die Sache ist höchst einfach, begann der Hindu. Eine gerade Linie führt uns von der Delhi-Bahn nach der von Bombay, die sich in Allahabad vereinigen. Von der Station Etawah aus, die wir nahe der Grenze von Bundelkund eben verließen, ist nur ein unbedeutender Wasserlauf, die Jumna, zu überschreiten, und von dieser Grenze bis zu den Vindhyabergen ein zweiter, die Betwa. Selbst wenn diese Flüsse in Folge der Regenzeit jetzt aus den Ufern getreten sein sollten, wird das, wie, ich glaube, dem Zuge kein besonderes Hinderniß bieten, von einem Ufer zum anderen zu gelangen.

– Das wird keine erheblichen Schwierigkeiten machen, erwiderte der Ingenieur, nun, und wenn wir nach den Vindhyas kommen .....

– Dann wenden wir uns ein wenig nach Südost, um einen bequemen Paß aufzusuchen. Auch das dürfte unsere Fahrt nicht wesentlich behindern. Ich kenne z. B. den Paß von Sirgur, den man gewöhnlich mit Wagen und Pferden überschreitet.

– Kann aber unser Stahlriese, sagte ich, auch überall da fortkommen, wo es Pferden noch möglich ist?

– Daran zweifle ich keinen Augenblick, versicherte Banks; aber jenseits des Passes von Sirgur ist das Land sehr bergig. Könnten wir nicht lieber längs der Vindhyas durch Bhopal fahren?

– Gewiß; doch da finden sich sehr viel Städte, antwortete Kâlagani, denen man kaum aus dem Wege gehen könnte; gerade diese waren übrigens der Hauptsitz der Sipahis während des Unabhängigkeitskrieges.«

Ich verwunderte mich nicht wenig über diese Bezeichnung »Unabhängigkeitskrieg«, welche Kâlagani für die Empörung von 1857 gebrauchte. Doch man durfte ja nicht vergessen, daß es ein Hindu und kein Engländer war, der hier sprach. Allem Anscheine nach hatte Kâlagani übrigens an der Erhebung nicht theilgenommen, mindestens hatte er niemals etwas verlauten lassen, was dafür gezeugt hätte.

»Nun gut, fuhr Banks fort, wir lassen also die Städte von Bhopal westlich liegen, und wenn Sie überzeugt sind, daß der Paß von Sirgur uns nach einer gangbaren Straße führt ...

– O, diese Straße habe ich oft genug kennen gelernt; sie biegt um den Puturia-See und mündet vierzig Meilen von da, nahe Jubbulpore, an der Eisenbahn von Bombay nach Allahabad.

– Richtig, sagte Banks, der den Angaben des Hindus auf der Karte folgte; aber von da aus?

– Von da aus wendet sich die Hauptstraße nach Südwesten und läuft sozusagen neben der Bahnlinie bis Bombay.

– Ja, ja, so ist es, antwortete Banks; ich finde also kein ernsthaftes Hinderniß, durch die Vindhyas zu reisen und wir können uns mit diesem Wege einverstanden erklären. Den Diensten, die Sie uns bisher geleistet haben, Kâlagani, reihen Sie hiermit einen neuen an, der Ihnen nie vergessen werden soll.«

Kâlagani verneigte sich und wollte eben weggehen, als er, sich besinnend, noch einmal auf den Ingenieur zutrat.

»Sie haben noch eine Frage an mich? begann Banks.

– Ja wohl, antwortete der Hindu. Darf ich wohl erfahren, warum Sie so geflissentlich die großen Städte von Bundelkund vermeiden wollen?«

Banks sah mich an. Wir hatten keinen Grund, Kâlagani zu verheimlichen, daß das aus Rücksicht auf Sir Edward Munro geschehe, und so theilten wir ihm denn das Nöthigste darüber mit.

Kâlagani horchte gespannt auf die Worte des Ingenieurs. Dann sagte er mit einem gewissen eigenthümlichen Tone:

»Der Oberst Munro hat von Nana Sahib nichts mehr zu fürchten, wenigstens nicht in diesen Provinzen.

– Weder in diesen Provinzen, noch irgend wo anders, bemerkte Banks dazu. Warum sagen Sie gerade »in diesen Provinzen?«

– Weil der Nabab, wenn er, wie man behauptet, vor einigen Monaten in der Präsidentschaft Bombay aufgetreten war, jedenfalls, da ja alle Nachforschungen vergeblich blieben, die indo-chinesische Grenze wieder überschritten hat.«

Diese Antwort bewies, das Kâlagani von den Ereignissen in den Sautpourra-Bergen nichts wußte und nicht erfahren hatte, daß Nana Sahib bei dem Pal von Tandit durch Soldaten der königlichen Armee getödtet worden war.

»Ich sehe, Kâlagani, sagte darauf Banks, daß die Neuigkeiten, welche sich sonst durch ganz Indien verbreiten, bis in die Wälder des Himalaya nur mit Mühe hinauf dringen!«

Der Hindu sah uns, ohne zu antworten, ziemlich starr an, wie ein Mann, der nicht versteht, was er hörte.

»Ja, fuhr Banks fort, Sie scheinen nicht zu wissen, daß Nana Sahib todt ist.

– Nana Sahib ist todt? rief Kâlagani.

– Gewiß, versicherte Banks; von der Regierung sind auch die näheren Umstände bekannt gemacht worden, unter denen er den Tod gefunden hat.

– Das ist nicht möglich, sagte Kâlagani den Kopf schüttelnd; wo wäre Nana Sahib denn getödtet worden?

– Bei dem Pal von Tandii, in den Sautpourra-Bergen.

– Und wann? ...

– Schon etwa vor vier Monaten, antwortete der Ingenieur, am 25. Mai!«

Kâlagani, an dem mir der Ausdruck seiner Augen hierbei auffiel, kreuzte die Arme und stand schweigend da.

»Haben Sie Gründe, fragte ich ihn, an den Tod Nana Sahibs nicht zu glauben?

– O nein, meine Herren, erwiderte Kalagani, ich glaube ja, was Sie mir sagen!«

Bald nachher, als wir allein waren, kam Banks noch einmal auf diesen Gegenstand zurück.

»Darin gleichen sich doch alle Hindus, sagte er. Der Anführer der rebellischen Sipahis ist zur sagenhaften Persönlichkeit geworden. Die abergläubischen Leute werden nimmermehr an seinen Tod glauben, da sie ihn nicht haben hängen sehen!

– Sie erscheinen mir, fügte ich hinzu, wie die alten Brummbären des Kaiserreiches, die zwanzig Jahre nach Napoleons Tode behaupteten, daß dieser noch immer am Leben sei!«

Seit der Ueberfahrt des oberen Ganges, den das Steam-House vierzehn Tage vorher passirt hatte, dehnte sich ein furchtbares Land mit schönen Straßen vor dem Stahlriesen aus. Es war Doab, das zwischen dem Ganges und der Jumna liegt, bevor diese sich bei Allahabad vereinigen. Weite Alluvialebenen, zwanzig Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung von den Brahmanen urbar gemacht, sehr lückenhafte Kulturfortschritte bei den Bauern, große, durch englische Ingenieure ausgeführte Canalisationsarbeiten, Baumwollanpflanzungen, welche hier ganz besonders gedeihen, das Knarren der Baumwollpressen, die man in jedem Dorfe findet, Gesang der Arbeiter, welche jene bedienen – das sind die Eindrücke, die ich von Doab, wo in der Urzeit die erste kirchliche Gemeinschaft gegründet wurde, zurückbehalten habe.

Unsere Fahrt ging ganz nach Wunsch von statten. Die Landschaften wechselten sozusagen nach den Launen unserer Phantasie. Unsere Wohnung zog ohne Anstrengung weiter zum Ergötzen unserer Augen. Stellte sie nicht, wie Banks im voraus behauptet hatte, die höchste Stufe der Vollkommenheit eines Transportmittels dar? Die Karren mit Ochsengespann, die Wagen mit Pferden oder Mauleseln, ja, die Waggons der Eisenbahnen, was waren sie gegen unsere dahinrollenden Häuser?

Am 19. September hielt das Steam-House am linken Ufer der Jumna an. Dieser bedeutende Fluß scheidet im mittleren Theile der Halbinsel das eigentliche Land der Rajahs oder Rajasthan, von Hindostan, dem engeren Vaterlande der Hindus.

Die Jumna hatte eben einen ziemlich hohen Wasserstand und in Folge dessen auch stärkere Strömungen als gewöhnlich, wodurch unser Uebergang zwar ein wenig erschwert, aber doch keineswegs verhindert wurde. Banks vernachlässigte auch die nöthige Vorsicht nicht. Zunächst mußte ein passender Landungsplatz gesucht werden; einen solchen entdeckten wir bald. Eine halbe Stunde später schon stieg das Steam- House am anderen Ufer des Flusses langsam empor. Für Eisenbahnzüge braucht man große, oft mit ungeheueren Kosten hergestellte Brücken, und eine solche – eine Röhrenbrücke – führt auch bei der Festung von Salimgarh, in der Nähe von Delhi, über die Jumna. Für unseren Stahlriesen sammt den beiden von ihm gezogenen Wagen boten die Wasserläufe einen ebenso bequemen Weg, wie die schönsten macadamisirten Landstraßen der Halbinsel.

Jenseits der Jumna liegen in dem Gebiete von Rajasthan eine Anzahl Städte, welche der Ingenieur vorsichtiger Weise bei unserer Fahrt nicht berühren wollte; so zur linken Hand z. B. Gwalior, an dem Flusse Rawunrika, auf hochaufstrebenden Basaltfelsen mit seiner prächtigen Moschee Musjid, dem Palaste Pal, dem merkwürdigen Elephantenthore, dem berühmten Festungswerke und mit seiner Vihara von buddhistischem Ursprung; es ist eine uralte Stadt, der freilich das in einer Entfernung von zwei Kilometern angelegte neuere Laschkar eine recht ernsthafte Concurrenz macht. Hier, im Herzen dieses Gibraltars von Indien, hatte die Rani von Jansi, Nana Sahibs ergebene Bundesgenossin, bis zur letzten Stunde wahrhaft heldenmüthig gekämpft. Hier wurde sie auch, bei einem Treffen gegen die 2. Escadron der Husaren der königlichen Armee, wie wir wissen, von der Hand des Oberst Munro getödtet, der mit einem Bataillon seines Regimentes bei der Affaire betheiligt war. Von diesem Tage her schrieb sich, wie uns gleichfalls bekannt ist, der unauslöschliche Haß Nana Sahibs, den der Nabab bis zu seinem letzten Athemzuge zu befriedigen gesucht hatte. Ja, es war besser, daß Sir Edward Munros Erinnerungen unter den Thoren von Gwalior nicht wieder wachgerufen wurden!

Nach Gwalior lag, westlich von unserer neuen Reiseroute, Antri mit seiner weit ausgedehnten Ebene, aus der da und dort, gleich den Inseln eines Archipels, spitze Einzelberge emporragen. Ferner Duttiah, das noch nicht fünf Jahrhundert alt ist und an dem man die zahlreichen Häuser ebenso bewundert wie das Festungswerk inmitten der Stadt, neben den Tempeln mit den verschiedenartigsten Thürmen, den verödeten Palast Dirding Deos, das Arsenal Tope Oana – Alles zusammen die Hauptstadt des Königreichs Duttiah bildend, das in der nördlichen Ecke von Bundelkund liegt und unter englischem Schutze steht. Ganz wie Gwalior, waren auch Antri und Duttiah von der Erhebung des Jahres 1857 ernsthaft berührt worden.

Endlich kamen wir am 22. September in einer Entfernung von wenigstens vierzig Kilometer bei Jansi vorüber. Diese Stadt bildet die wichtigste Militärstation von Bundelkund, während unter den niederen Volksschichten daselbst ein leicht erregbarer revolutionärer Geist herrscht. Jansi, eine verhältnißmäßig neue Stadt, treibt bedeutenden Handel mit einheimischem Muslin und blauen Baumwollenwaaren. Es findet sich hier kein Bauwerk aus der Zeit vor der Gründung, welche erst im 17. Jahrhundert stattfand. Immerhin ist es von Interesse, die hiesige Citadelle zu besuchen, deren äußere Mauern die Geschosse der Engländer nicht zu zerstören vermochten, und die Grabstätte der Rajahs, welche einen äußerst pittoresken Anblick bietet. Hier befand sich jedoch der Hauptwaffenplatz der aufrührerischen Sipahis Centralindiens. Hier war es, wo die unerschrockene Rani die erste Erhebung entfachte, die sich bald über ganz Bundelkund ausbreiten sollte. Hier mußte Sir Hugh Rose eine Schlacht liefern, welche nicht weniger als sechs volle Tage dauerte und bei der er fünfzehn Percent seiner Truppen einbüßte. Hier unterlagen endlich, trotz ihres Löwenmuthes, Tantia Topi, Balao Rao, der Bruder Nana Sahibs, und die Rani, obschon sie eine Besatzung von 12.000 Sipahis zur Verfügung und eine Armee von 20.000 zur Unterstützung hatten, den überlegenen englischen Waffen. Hier hatte, wie Mac Neil seiner Zeit erwähnte, der Oberst Munro seinem Sergeanten das Leben gerettet, indem er jenem mitleidig den letzten Tropfen Wasser überließ. Mehr als irgend eine andere jener Städte traurigen Andenkens mußte deshalb Jansi auf einer Reise vermieden werden, deren Richtung die besten Freunde des Obersten mit Rücksicht auf diesen bestimmt hatten.

Am nächsten Tage, am 23. September, bestätigte eine Begegnung, die unsere Fahrt um einige Stunden verzögerte, die früheren Aussagen Kalaganis.

Es war gegen elf Uhr Morgens. Nach dem Frühstück hatten wir Alle ein bequemes Plätzchen aufgesucht, die Einen auf dem Balkon, die Anderen im Salon des Steam-Houses. Der Stahlriese trabte mit einer Geschwindigkeit von neun bis zehn Kilometern in der Stunde vorwärts. Vor ihm hin erstreckte sich zwischen Baumwollen- und Fruchtfeldern eine von schönen Bäumen beschattete herrliche Straße. Das Wetter war schön, die Sonne leuchtete in vollem Glanze. Eine »obrigkeitliche« Besprengung dieser Landstraße wäre freilich nicht zu verachten gewesen, angesichts des feinen weißen Staubes, den der Wind vor uns hertrieb.

In der Entfernung von zwei bis drei Meilen schien sogar die ganze Atmosphäre von solchen Staubwirbeln erfüllt, welche auch ein heftiger Samum in der Lybischen Wüste kaum in dichteren Wolken hätte erheben können.

»Ich begreife nicht, wie jene Erscheinung zu Stande kommen kann, sagte Banks, da nur ein leichter Wind weht.

– Kâlagani wird das zu erklären wissen,« erwiderte Oberst Munro.

Man rief den Hindu, der nach der Veranda kam und einen Blick nach jener Stelle hin warf.

»Das ist eine lange Karawane, sagte er ohne Zögern, die nach Norden hinauf zieht, wie ich Ihnen, Herr Banks, das schon vorher gesagt habe; wahrscheinlich ist es eine Karawane von Banjaris.

– Nun, Kâlagani, bemerkte Banks, da werden Sie ohne Zweifel einige ihrer früheren Gefährten treffen?

– Das wäre wohl möglich, antwortete der Hindu, da ich ziemlich lange unter jenen nomadisirenden Völkern verweilte.

– Beabsichtigen Sie vielleicht, uns in diesem Falle zu verlassen und sich jenen wieder anzuschließen? fragte Kapitän Hod.

– Nein, sicherlich nicht!« erwiderte Kâlagani.

Der Hindu hatte sich nicht getäuscht; eine halbe Stunde später mußte der Stahlriese trotz seiner Kraft alles Vorwärtsdringen gegen eine wahrhafte Mauer von Wiederkäuern aufgeben.

Wir sollten diese Verzögerung übrigens nicht zu bedauern haben. Das Schauspiel, welches sich unseren Blicken darbot, war unstreitig der Beobachtung werth.

Eine mindestens vier bis fünftausend Ochsen zählende Heerde bedeckte nach Süden zu die Straße auf eine Strecke von mehreren Kilometern. Wie Kâlagani vorausgesagt, bildete dieselbe eine Karawane von Banjaris.

»Die Banjaris, erklärte uns Banks, sind die wirklichen Zigeuner Hindostans. Mehr ein Volk als nur ein Stamm, ohne feste Wohnsitze, leben dieselben im Sommer unter Zelten, im Winter in Hütten. Sie sind die Lastträger der Halbinsel, und ich habe sie sogar während der Erhebung von 1857 in Thätigkeit gesehen. In Folge einer Art stillschweigender Uebereinkunft zwischen den kriegführenden Theilen, ließ man ihre Züge unbehelligt durch die aufrührerischen Provinzen passiren. Sie waren die eigentlichen Lieferanten und beschafften die Nahrungsmittel ebenso für die königliche Armee wie für die Natifs. Wenn man einen Theil Indiens als die Heimat dieser Nomaden bezeichnen sollte, so wäre vielleicht Rapoutana, und speciell das Königreich Milwar zu nennen. Da sie aber bei uns vorbei defiliren, so mache ich Sie, lieber Maucler, darauf aufmerksam, sich diese Banjaris genau anzusehen.«

Unser Zug stand jetzt längs der Seite der Landstraße. Es wäre auch unmöglich gewesen, einer solchen Lawine von gehörnten Thieren, vor der alle Raubthiere eiligst zu entfliehen pflegen, Widerstand zu leisten.

Wie mir Banks empfohlen, beobachtete ich aufmerksam den langen Zug; ich muß jedoch gestehen, daß das Steam-House unter den gegebenen Verhältnissen nicht seine gewohnte Wirkung hervorbrachte. Der Stahlriese, der sonst stets allgemeine Bewunderung erregte, zog kaum die Blicke dieser Banjaris auf sich, welche gewohnt zu sein schienen, über nichts zu erstaunen.

Die Männer wie die Frauen dieser Zigeuner-Race zeichneten sich gleichmäßig aus – die Männer waren groß, stark, hatten ausdrucksvolle Gesichtszüge, eine Adlernase, welliges Haar, die Hautfarbe ähnelte einer Bronze mit Ueberschuß von Kupfergehalt; sie trugen einen langen Ueberrock nebst Turban, als Waffen eine Lanze, einen runden Schild und einen langen Säbel an schräg über die Brust hängendem Lederzeug; – die Frauen waren ebenfalls hochgewachsen und gut proportionirt, wie die Männer stolz auf ihren Stamm, hatten den Oberkörper in eine Art Schnürleib eingezwängt, während der übrige Körper unter den Falten eines langen Rockes verschwand und die ganze Gestalt vom Kopfe bis zu den Füßen ein elegant drapirtes Oberkleid umhüllte; dazu trugen sie Edelsteine in den Ohren, glitzernde Halsbänder, Armspangen und Ringe von Gold, Elfenbein oder Muscheln um die Knöchel.

Neben den Männern, Frauen, Greisen und Kindern marschirten in friedlichem Schritt, ohne Sattel und Halfter, Tausende von Ochsen, ihre rothen Troddeln schüttelnd, wobei die am Kopfe angebrachten Schellen erklangen, und trugen quer über den Rücken einen Doppelsack mit Getreide oder anderen Cerealien.

Wir hatten einen ganzen, zu einer Karawane vereinigten Stamm vor uns, der unter Führung eines gewählten Häuptlings, eines »Naik«, dahinzog, welcher für die Dauer der Fahrt unbeschränkte Machtvollkommenheit besitzt.

Die Spitze nahm ein besonders großer Stier ein, der in stolzer Haltung, geschmückt mit scharlachrothen Stoffen, einer ganzen Garnitur von Schellen und Muscheln, voranschritt. Ich richtete an Banks die Frage, welche Bewandtniß es mit diesem prächtigen Thiere habe?

»Darüber wird Kâlagani uns gewiß aufklären können, antwortete der Ingenieur. Wo ist er denn?«

Kâlagani wurde gerufen. Er kam nicht, man suchte nach ihm. Er war nicht mehr im Steam-House.

»Er wird ohne Zweifel einen alten Bekannten getroffen haben, meinte Oberst Munro, aber jedenfalls wiederkehren, bevor wir weiter fahren.«

Eine solche Erklärung schien ganz natürlich, und wir brauchten uns über die augenblickliche Abwesenheit des Hindu wohl nicht zu beunruhigen; dennoch konnte ich mich eines unangenehmen Eindrucks dabei nicht ganz erwehren.

»Nun, sagte Banks, wenn ich nicht irre, repräsentirt dieser Stier bei den Karawanen der Banjaris deren Gottheit. Wohin er geht, gehen sie nach. Bleibt er stehen, so rastet man; ich glaube indeß, der Naik wird dabei heimlich seine Hand mit ihm Spiele haben. Kurz, die ganze Religion jener Nomaden beruht in der Verehrung dieses Stiers.«

Erst zwei Stunden später vermochten wir das Ende des langen Zuges wahrzunehmen. Ich suchte unter den Nachzüglern Kâlagani und sah ihn wirklich im Gespräch mit einem Hindu, der nicht zu den Banjaris gehörte. Offenbar war es einer der Eingebornen, welche zeitweilig bei den Karawanen Dienste nehmen, wie es ja auch Kâlagani wiederholt gethan. Beide sprachen heimlich mit einander. Von wem und wovon mochte die Rede sein? Wahrscheinlich von dem Gebiete, durch welches der wandernde Stamm eben gekommen war und das wir unter der Leitung unseres neuen Führers durchreisen sollten. Der Eingeborne, welcher sich am Ende der Karawane hielt, blieb auf einen Augenblick vor dem Steam-House stehen. Mit einem gewissen Interesse beobachtete er den Zug nebst dessen künstlichem Elephanten, obwohl er am meisten den Oberst Munro ins Auge zu fassen schien und uns übrigens nicht ansprach. Dann winkte er Kâlagani ein Lebewohl zu, schloß sich seinem Zuge wieder an und war bald in den dichten Staubwolken um denselben unseren Blicken verschwunden.

Als Kâlagani zu uns zurückkehrte, sagte er, ohne darum gefragt zu sein, zu Oberst Munro:

»Einer meiner alten Kameraden, der seit zwei Monaten angestellt ist.«

Das war Alles. Kalagani nahm seinen gewöhnlichen Platz wieder ein und bald dampfte das Steam-House auf der, von den Hufen der unzähligen Ochsen zertretenen Straße weiter.

Am nächsten Tage, am 24. September, hielt unser Train an, um fünf bis sechs Kilometer östlich von Ourtcha, am linken Ufer der Betwa, einem der Hauptzuflüsse der Jumna, die Nacht zu verbringen. Von Ourtcha ist nichts zu sagen und war nichts zu sehen. Es ist die alte Hauptstadt von Bundelkund, welche in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch ziemlich in Blüthe stand. Unter den Einfällen der Mongolen von der einen und denen der Maharaten von der anderen Seite, litt sie aber so sehr, daß sie sich niemals ganz erholen konnte. Jetzt stellte die frühere große Stadt Central-Indiens nur noch einen elenden Flecken dar, der kaum einige Hundert Bewohner beherbergt.

Ich sagte, daß wir am Ufer der Betwa Halt machten; eigentlich war das in einer gewissen Entfernung von demselben der Fall.

Der an sich bedeutende Fluß hatte jetzt nämlich Hochwasser und überschwemmte die Ufergelände in ziemlicher Breite. Dieser Umstand konnte unserem Uebergange vielleicht einige Schwierigkeiten bereiten, doch konnten wir uns darüber erst morgen vergewissern. Die Nacht war zu dunkel, um irgend etwas zu sehen.

Nach der Abendmahlzeit suchte also Jeder bald seinen Schlafraum auf.

Außer unter besonderen Umständen ließen wir unser Lager während der Nacht niemals bewachen. Was hätte das auch nützen sollen? Unsere fahrbaren Häuser konnte doch Niemand wegtragen. Konnte es Jemand einfallen, unseren Elephanten stehlen zu wollen? Gewiß nicht. Er hätte sich schon durch sein eigenes Gewicht vertheidigt. Auch ein etwaiger Ueberfall von Landstreichern, welche wohl da und dort die Landstraßen unsicher machen, war nicht gerade wahrscheinlich. Wenn übrigens auch keiner unserer Leute während der Nacht Wache hielt, so hatten wir ja die beiden Hunde, Phann und Black, welche bei jeder verdächtigen Annäherung gewiß angeschlagen hätten.

Eben das kam nun in dieser Nacht vor. Gegen zwei Uhr Morgens wurden wir von wüthendem Gebell erweckt. Ich sprang vom Lager auf und fand die Anderen schon auf den Füßen.

»Was giebt es? fragte Oberst Munro.

– Die Hunde schlagen an, antwortete Banks, und gewiß nicht ganz ohne Ursache.

– Es wird sich ein Panther in dem benachbarten Walde haben hören lassen, sagte Kapitän Hod; wir wollen den Saum des Holzes untersuchen und aus Vorsicht die Gewehre mitnehmen.«

Der Sergeant Mac Neil, Kâlagani und Goûmi waren schon herausgetreten, um zu lauschen, und erörterten unter einander, was im Dunklen vorgehen möge. Wir gingen zu ihnen hin.

»Meiner Ansicht nach, sagte Kapitän Hod, werden zwei oder drei Raubthiere in die Nähe gekommen sein, um im Flusse ihren Durst zu löschen.

– Kâlagani glaubt das nicht, antwortete Mac Neil.

– Und was ist Ihre Meinung? fragte Oberst Munro den Hindu.

– Ich bin mir selbst noch nicht klar, erwiderte Kâlagani, es steht aber fest, daß es sich weder um Tiger oder Panther, auch nicht um Schakals handelt. Ich glaube unter den Bäumen eine unbestimmte Masse zu sehen ...

– Das soll bald aufgeklärt sein! rief Kapitän Hod, der immer den ihm noch fehlenden fünfzigsten Tiger im Gedanken hatte.

– Gedulden Sie sich, Hod, ermahnte ihn Banks, in Bundelkund ist es stets gerathen, vor Landstreichern auf der Hut zu sein.

– Wir sind in der Ueberzahl und wohlbewaffnet, antwortete Kapitän Hod; ich muß Gewißheit über die Sache haben!

– Nun, meinetwegen!« sagte Banks.

Die beiden Hunde bellten zwar noch immer, offenbar aber nicht so wüthend, wie sie es bei der Annäherung reißender Thiere zu thun pflegten.

»Du, lieber Munro, fuhr Banks fort, bleib mit Mac Neil und den Uebrigen am Platze. Hod, Maucler, Kâlagani und ich werden inzwischen auf Kundschaft ausgehen.

– Also vorwärts!« drängte Kapitän Hod, indem er Fox ein Zeichen gab, ihm nachzufolgen.

Phann und Black sprangen zwischen den Bäumen voraus und zeigten den Weg.

Kaum betraten wir den eigentlichen Wald, als sich ein auffälliges Geräusch vernehmen ließ. Offenbar trieb sich hier am Saume des Waldes eine ganze Bande lebender Wesen umher. Wir sahen auch undeutlich einige schweigsame Schatten, welche durch das Dickicht entflohen.

Die Hunde bellten, sprangen hin und her und immer tiefer in das Gehölz.

»Wer da?« rief Kapitän Hod.

Keine Antwort.

»Entweder wollen die Leute nicht Rede stehen, meinte Banks, oder sie verstehen kein Englisch.

– Dann dürften sie die Sprache der Hindus kennen, bemerkte ich.

– Rufen Sie Jene an, Kâlagani, sagte Banks, und wenn sie nicht antworten, geben wir Feuer,«

Kalagani rief in seiner Muttersprache den schattenhaften Erscheinungen zu, hervorzutreten.

Es erfolgte ebenso wenig eine Antwort wie das erste Mal.

Da krachte ein Schuß. Der ungeduldige Kapitän Hod hatte nach einem Schatten geschossen, der sich zwischen den Bäumen hindurchwand.

Auf den Knall des Gewehres ward es plötzlich lebendig überall; nach links und rechts sahen wir eine große Menge Geschöpfe auseinander stieben. Phann und Black, welche ein Stück voraus waren, kamen bald darauf ruhig wieder und überzeugten uns, daß Alles geflohen sei.

»Ob das nun Landstreicher, oder Nachzügler von der Karawane waren, sagte Kapitän Hod, jedenfalls haben sie sehr schnell Fersengeld gegeben!

– Ja, es wird uns nichts Anderes übrig bleiben, als in das Steam-House zurückzukehren. Ich will aber doch bis Tagesanbruch Wachen ausstellen.«

Kurze Zeit darauf waren wir bei den Anderen zurück. Mac Neil, Goûmi und Fox übernahmen es, zu wachen, während wir unsere Lagerstätten wieder aufsuchten. Die Nacht verlief ohne weitere Störung. Es war also anzunehmen, daß die Unbekannten, als sie das Steam-House so vortrefflich vertheidigt sahen, es vorgezogen hatten, zu verschwinden.

Am nächsten Tage, am 25. September, sollten wir, Oberst Munro, Kapitän Hod, Mac Neil, Kâlagani und ich, während schon die Abfahrt vorbereitet wurde, noch einmal den Saum des Waldes untersuchen.

Von der Bande, welche diese Nacht hier gewesen war, fand sich keine Spur mehr. Wir konnten uns also wohl jeder Besorgniß entschlagen.

Als wir zurückkamen, traf Banks eben Anstalt über die Betwa zu gehen. Der stark geschwollene Fluß wälzte seine gelblichen Fluthen auf beiden Seiten weit über den Ufern hin. Die Strömung erwies sich als so heftig, daß der Stahlriese ihr gerade entgegenarbeiten mußte, um nicht zu sehr thalabwärts gezogen zu werden.

Der Ingenieur bemühte sich, zunächst eine geeignete Landungsstelle zu erspähen, und betrachtete deshalb mit dem Fernrohr das gegenüberliegende Ufer. Das Bett der Betwa mochte an der Stelle, wo wir uns befanden, augenblicklich wohl eine Meile in der Breite messen. Es war das also der bedeutendste Wasserübergang, den unser Zug bisher ausgeführt hatte.

»Aber, fragte ich, was beginnen die Reisenden oder Kaufleute, wenn sie an einen solchen, durch Hochwasser angeschwollenen Fluß kommen? Ich glaube kaum, daß man mit einer Fähre gegen eine solche Strömung, die schon mehr einer Stromschnelle gleicht, ankämpfen könnte.

– Ei, versetzte Kapitän Hod, das ist sehr einfach – sie gehen eben nicht über das Wasser.

– Und doch, fiel Banks ein, wenigstens, wenn sie Elephanten zur Hand haben.

– Wie? Elephanten konnten eine so weite Strecke schwimmend zurücklegen?

– Gewiß, versicherte der Ingenieur, und dabei verfährt man in der Weise, daß alles Gepäck auf den Rücken .....

– Dieser Proboscidien geschafft wird! fuhr Kapitän Hod, in Erinnerung an seinen Freund Mathias Van Guitt, fort.

– Die Mahouts, erklärte Banks weiter, treiben sie dann in die Strömung. Zuerst zögert das Thier, weicht zurück und giebt einige unwillige Laute von sich; bald besinnt es sich aber anders, tritt ruhig ins Wasser und überschreitet wacker schwimmend den Lauf des Flusses. Es kommt wohl vor, daß einmal einer von der Strömung fortgeführt wird, doch geschieht das unter der Hand eines geschickten Führers höchst selten.

– Gut, versetzte Kapitän Hod, wenn wir auch nicht »mehrere« Elephanten zur Hand haben, so besitzen wir doch einen ....

– Der uns nicht im Stiche lassen wird, fiel Banks ein. Gleicht er nicht jenem Oructor Amphibolis des Amerikaners Evans, der schon im Jahre 1804 auf der Erde hinrollte und auf dem Wasser schwamm?«

Jeder nahm nun seinen Platz im Zuge wieder ein; Kâlouth stand an der Feuerthür, Storr saß in dem Thürmchen und Banks, gleichsam als Steuermann, neben ihm.

Zuerst mußten wir gegen fünfzig Schritte durch das überschwemmte Uferland fahren und gelangten dann in die eigentliche Strömung. Der Stahlriese setzte sich langsam und sicher in Gang. Seine breiten Füße tauchten zwar schon in die Fluth, doch schwamm er noch nicht auf derselben. Der Uebergang von dem festen Boden in die dahineilende Fluth erforderte einige Vorsicht.

Plötzlich schlug ganz dasselbe Geräusch, welches wir in der Nacht gehört hatten, an unser Ohr.

In den tollsten Sprüngen wälzten sich wohl hundert Gestalten aus dem Walde hervor.

»Alle Teufel, rief Kapitän Hod, aus vollem Herzen lachend, das sind also Affen gewesen!«

In der That stürzte eine dichte Gesellschaft jener possirlichen Geschöpfe auf das Steam-House zu.

»Was mögen die Kerle vorhaben? fragte Mac Neil.

– Sie wollen uns sicherlich überfallen, meinte Kapitän Hod, der immer zur Abwehr bereit war.

– O, nein, warf Kâlagani, der die Affengesellschaft beobachtet hatte, ein, das ist nicht zu befürchten.

– Nun, was haben sie dann vor? fragte Mac Neil noch einmal.

– Sie wollen in unserer Gesellschaft über den Fluß setzen, weiter nichts!« antwortete der Hindu.

Kâlagani täuschte sich nicht. Wir hatten es hier weder mit jenen langarmigen, starkbehaarten Gibbons zu thun, welche unverschämt sind und sogar gefährlich werden können, noch mit »Mitgliedern der aristokratischen Familie«, die den Palast von Benares bewohnt. Es waren vielmehr sogenannte »Langours«, die größten Affen der Halbinsel, geschmeidige Vierhänder mit schwarzem Fell und glattem, von weißem Backenbarte umrahmten Gesichte, was ihnen das Ansehen alter Advocaten verlieh. Bezüglich ihrer bizarren Haltung und maßlosen Gesticulation hätte sogar Mathias Van Guitt in ihnen seinen Meister gefunden. Ihr Chinchillapelz war auf dem Rücken grau, am Bauche fast weiß und den Schwanz trugen sie meist hoch.

Ich erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß die Langours in ganz Indien als geheiligte Thiere betrachtet werden. Der Sage nach stammen sie von den Kriegern Ramas ab, welche die Insel Ceylon eroberten. In Amber haben sie einen Palast, den Zehnanah, inne, wo sie von Touristen vielfach aufgesucht werden. Sie zu tödten, ist ausdrücklich verboten, und die Mißachtung dieses Gesetzes hat schon manchem englischen Officier das Leben gekostet.

Diese Affen sind von sanftem Charakter und leicht zähmbar, dagegen äußerst gefährlich, wenn man sie angreift, und Louis Rousselet sagt von ihnen mit Recht, daß sie verwundet ebenso gefährlich wie Hyänen und Panther werden können.

Uns kam es jedoch gar nicht in den Sinn, die Langours anzugreifen, und Kapitän Hod setzte auch das Gewehr wieder beiseite.

Hatte Kâlagani Recht, indem er behauptete, daß die ganze Gesellschaft, welche nicht über den Strom gelangen konnte, unseren schwimmenden Apparat zu benutzen gedachte, um die Betwa zu überschreiten?

Das war ja möglich, und wir sollten uns auch sogleich davon überzeugen.

Der Stahlriese, der jetzt das Ufergelände überschritten hatte, erreichte eben das eigentliche Bett des Stromes. Bald schwamm der ganze Zug mit ihm. In Folge einer Biegung des Flusses stand das Wasser an eben dieser Stelle fast stille, so daß auch das Steam-House sich kaum fortbewegte.

Die Affenheerde war inzwischen nahe herangekommen und plätscherte in dem seichten Wasser, welches das nächstliegende Land bedeckte.

Von feindseligen Absichten bemerkten wir nichts. Plötzlich aber fingen Männchen und Weibchen, Alte und Junge an zu hüpfen und zu springen, reichten einander die Hand und gelangten zuletzt bis an den Zug, der sie zu erwarten schien.

Binnen wenig Secunden saßen gegen Zehn auf dem Stahlriesen, etwa Dreißig auf jedem Hause – eine ganze Gesellschaft lustiger Burschen, welche untereinander lebhaft zu plaudern schienen und offenbar ihre Befriedigung zu erkennen gaben, zu so gelegener Zeit einen schwimmenden Apparat angetroffen zu haben, der ihnen die Fortsetzung ihrer Wanderung ermöglichte.

Der Stahlriese trieb bald in die Strömung hinein und wendete sich dieser entgegen.

Banks hatte einen Augenblick gefürchtet, diese Ueberlastung mit Passagieren werde unseren Zug zu schwer machen; das war jedoch nicht der Fall. Die Affen hatten sich wirklich recht geschickt über denselben vertheilt. Sie hockten da auf dem Rücken, dem Thürmchen, Halse und dem Rüssel des Elephanten bis zur äußersten Spitze, wo sie nicht einmal der ausgestoßene Dampf erschreckte. Andere befanden sich auf den abgerundeten Dächern unserer Pagoden, die einen zusammengekauert, andere stehend, diese auf die Füße gestützt, jene sich auf dem Schwanze haltend – selbst unter der Veranda des Balkons.

Das Steam-House hielt sich also, in Folge seiner glücklich vertheilten Luftkästen, in der richtigen Schwimmlinie, so daß auch diese Mehrbelastung keine Gefahr erzeugte.

Kapitän Hod und Fox waren höchst verwundert – vorzüglich der Diener. Es fehlte nicht viel, so hätte er das grimassenschneidende lustige Volk im Namen des Steam-Houses begrüßt. Er sprach wirklich mit den Langours, drückte ihnen die Hand und nahm den Hut vor denselben ab. Ja, er hätte gern alle Zuckervorräthe der Speisekammer geplündert, wenn Monsieur Parazard, ungehalten, sich in solcher Gesellschaft zu befinden, nicht dagegen Einspruch erhob.

Der Stahlriese arbeitete rastlos mit seinen vier Füßen, welche gleich langen Pagaien wirkten. Immer zurückgedrängt, hielt er doch stets die schräge Linie nach dem Punkte ein, wo wir anlanden wollten.

Nach einer halben Stunde hatte er ihn erreicht; kaum berührte er aber das Ufer, als die ganze Gesellschaft vierhändiger Clowns ans Land sprang und unter tausend luftigen Sätzen verschwand.

»Sie hätten sich wenigstens bedanken können!« rief Fox, den diese Rücksichtslosigkeit der ungebetenen Theilnehmer an der Ueberfahrt verletzte.

Ein allgemeines Lachen antwortete ihm. Mehr verdiente ja wohl die Bemerkung des empfindlichen Dieners nicht.

< Sechstes Capitel.
Achtes Capitel. >



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