Jules Verne
Der Archipel in Flammen
Zehntes Kapitel.
eingestellt: 28.7.2007
Die »Syphanta«, eine Korvette zweiter Klasse, führte 22 Geschütze, sämtlich 24pfünder, und – damals eine Rarität für Schiffe dieser Klasse – ein halbes Dutzend Deck-Kannonaden, 12pfünder, an Bord. Sie war ein stattliches Schiff von tadellosem Bau und konnte es mit den besten Fahrzeugen damaliger Zeit aufnehmen, was Standfestigkeit und Fahrtgeschwindigkeit anbetrifft. Sie trug eine Besatzung von 250 Mann, zur reichlicheren Hälfte Franzosen, Levante-Leute
und Provenzalen; die andere kleinere Hälfte setzte sich zusammen aus Briten, Griechen und Korfioten: durchweg geschickte, kouragierte Seeleute, auf die fester Verlaß war: erprobte Mannschaft! Steuerleute, Bootsleute und Bootsmannsmaate bildeten ein Korps, wie es als Bindeglied zwischen Offizierkorps und Mannschaft von gleicher Tüchtigkeit kaum auf einem zweiten Schiffe zu finden sein mochte. Der Stab setzte sich zusammen aus vier Leutnants, acht Fähnrichen, zu gleichen Teilen korfiotischen,
englischer und französischer Herkunft, und einem zweiten Offizier, Kapitän Todros, einer alten »Wasserratte« vom Archipel, sehr befahren in diesen Meeren und genau bekannt mit allen Engen und Buchten und Häfen. Knapp 50 Jahre alt und Grieche aus Hydra, hatte er schon unter Kanaris und Tomasis Dienste getan und durfte als wertvoller Beirat für den Kommandanten der »Syphanta« gelten.
Die ersten Kreuzfahrten hatte die »Syphanta« im Archipel unter dem Kommando des Kapitäns Stradena
gemacht, und zwar in den ersten Wochen, wie schon gesagt, mit ziemlich viel Glück. Sie hatte Schiffe in Grund gebohrt und ganz hübsche Prisen aufgebracht, ganz sicher kein schlechter Anfang. Aber die Fahrt hatte im weiteren Verlauf ziemliche Verluste an Mannschaft und Offizieren gefordert, und wenn man von der »Syphanta« ziemlich lange ohne Nachricht geblieben war, so war die Ursache in einem Gefecht zu suchen, das die Korvette am 27. Februar auf der Höhe von Lemnos gegen eine Korsarenflottille
zu bestehen hatte.
Dieses Gefecht hatte nicht bloß einen Mannschaftsverlust von 40 Köpfen, Blessierte und Tote zusammen, gebracht, sondern auch den Kommandanten Stradena, gekostet, der auf der Kommandobrücke von einer Kugel getroffen worden war. Seitdem führte Kapitän Todros die Korvette; er hatte zunächst das Gefecht siegreich beendet, war aber dann in den Hafen von Aegina eingelaufen, um allerhand Havarie schlimmer Art ausbessern zu lassen. Kurz darauf verlautete, zur nicht
geringen Ueberraschung von Offizieren und Mannschaft, daß die »Syphanta« um ein gutes Stück Geld für Rechnung eines Ragusaner Bankiers angekauft worden sei, der auch bald einen mit Vollmacht ausgestatteten Vertreter zur Umschreibung der Schiffspapiere an Bord sandte. Diese Besitzveränderung, bei der die korfiotischen Reeder ein gutes Geschäft gemacht hatten, zog aber keine Aenderung in der Bestimmung der Korvette nach sich, die nach wie vor den Archipel von seeräuberischem Gesindel reinigen,
gefangene Griechen, wo sich irgend Gelegenheit bot, in die Heimat zurückschaffen und nicht eher ruhen sollte, als bis sie die griechischen Gewässer von dem schrecklichsten aller Bösewichte, dem Korsaren Sakratif, befreit hätte. Als die Havarie ausgebessert war, erhielt der stellvertretende Kapitän Tudros Befehl, an der Nordküste von Scio zu kreuzen, von wo aus der neue Kapitän an Bord kommen würde. All dies erfuhr Henry dAlbaret aus einer Unterredung, die er mit Kapitän Todros hatte. Das
Schriftstück, durch welches ihm das Kommando über die Korvette übertragen wurde, war in tadelloser Ordnung, die Bestallung des jungen Offiziers also nicht anfechtbar: sie wurde auch nicht angefochten. Zudem kannten ihn mehrere Offiziere an Bord; man wußte, daß er im Rang eines Schiffsleutnants stand, daß er zwar einer der jüngsten, aber auch einer der tüchtigsten Offiziere der französischen Marine war. Ein wohlverdientes Ansehen hatte ihm seine Teilnahme am Unabhängigkeitskriege eingebracht.
Kein Wunder, daß ihm von der ersten Parade an, die er an Bord der »Syphanta« abnahm, die Mannschaft zujubelte.
»Offiziere und Matrosen,« so hatte seine schlichte Ansprache gelautet, »ich kenne die Mission, mit der unsere »Syphanta« betraut worden ist. Wenn es unserm Herrgott gefällig ist, so werden wir unsere Mission erfüllen. Ehre Euerm Kapitän Stradena, der ruhmvollen Tod fand auf dieser Brücke! Ich rechne auf Euch! rechnet Ihr auf mich! ... Abtreten!«
Am Tage
darauf, dem 2. März, in aller Frühe, ließ die Korvette die Küsten von Scio hinter sich, bald auch den Gipfel des Eliasberges, und hielt Kurs nach dem Norden des Archipels, ließ die Insel Mitylene, eine der größten derselben, im Osten und kam am andern Morgen in Höhe derselben. Hier hatten zu Beginn des Krieges, 1821, die Griechen über die türkische Flotte einen bedeutenden Vorteil errungen.
»Da war ich dabei,« sagte Kapitän Todros zum Kommandanten dAlbaret; »das war im Mai. Wir waren
an die 70 Briggs und damit hinter 5 Türkenschiffen, 4 Fregatten und 4 Korvetten her, die sich in den Hafen von Mitylene flüchteten. Ein Schiff, ein 74pfünder, brach aus, um von Konstantinopel Hilfe zu holen. Hui! war das eine Jagd! und mitsamt seinen 950 Matrosen flog der Racker in die Luft! Ja, Kommandant! da war ich dabei und hab selber den Brand an die Schwefel- und Pechhemden gelegt, die wir ihm über seinen Kiel gezogen hatten. Prächtige Garderobe, solche Hemden, halten sakrisch warm,
Kommandant! empfehle sie Ihnen für vorkommende Fälle ... bei den Herren Korsaren natürlich!«
Es war ein Gaudium, Kapitän Todros mit echtem Vorstevenmanns-Humor von seinen Kriegstaten zur See erzählen zu hören! aber was er erzählte, das war auch erlebt und vollbracht, und richtig erlebt und vollbracht!
Nicht ohne triftigen Grund hatte sich Kapitän Henry dAlbaret, nachdem er das Kommando der Korvette übernommen, zum Kurs nach Norden entschlossen. Kurz vor seiner Abfahrt von
Rio waren verdächtige Schiffe in der Nähe von Lemnos und Samothraka signalisiert worden. Ein paar Levantefahrer waren fast unmittelbar am Gestade der europäischen Türkei geplündert und in den Grund gebohrt worden. Vielleicht hielt es das Korsaren-Gesindel, seit die »Syphanta« ihnen so scharf auf den Haxen war, für klüger, sich in den nördlichen Gewässern des Archipels aufzuhalten, was man ihnen im Grunde bloß als Klugheit anrechnen konnte.
In den Gewässern von Mitylene war nichts zu
finden, außer ein paar Kauffahrteischiffen, die sich an die Korvette anschlossen, deren Anwesenheit ihnen nur willkommen war.
Vierzehn Tage lang erfüllte die »Syphanta«, obwohl sie unter dem schlimmen Wetter, das bei Tag- und Nachtgleiche immer eintritt, schwer zu leiden hatte, schlecht und recht ihre Mission. Ein paar scharf hintereinander einsetzende Böen zwangen sie, Sturmsegel zu setzen, und gaben Henry dAlbaret Gelegenheit, sich ein Urteil über die Seetüchtigkeit seines
Schiffs sowohl als seiner Mannschaft zu bilden. Aber auch die Mannschaft gewann Respekt vor den taktischen Fähigkeiten ihres Kapitäns, über dessen Mut und Tapferkeit im Feuer Zweifel ohnehin nicht bestanden. Er wies sich aber nicht bloß als Taktiker, sondern auch als Praktiker auf See: er war im Handumdrehen mit allen »Finessen« seiner Mannschaft vertraut und wußte alle Vorteile, die ihm Schiff und Mannschaften boten, aufs klügste und geschickteste zu nützen. Dabei besaß er ein verwegenes
Temperament, Seelenstärke, Kaltblütigkeit: mit einem Worte, er war Seemann durch und durch – vom Scheitel bis zur Sohle!
Während der zweiten Hälfte im März rekognoszierte die Korvette die Küsten von Lemnos. Diese Insel, die bedeutendste auf dieser Seite des ägäischen Meeres, mißt in der Länge 15, in der Breite 5-6 Meilen und war, gleichwie ihre Nachbarinsel Imbro, vom Unabhängigkeitskriege noch nicht berührt worden. Indessen waren die Korsarenschiffe hin und wieder bis vor ihre
Reede gekommen und hatten Kauffahrer, auf der Ausfahrt begriffen, direkt in Sicht von Lemnos überfallen. Die Korvette steuerte, um Proviant und Munition einzunehmen, in den momentan übervollen Hafen. Es befanden sich nämlich gerade auf der Inselwerft zahlreiche Schiffe im Bau, aber aus Furcht vor den Korsaren blieben dieselben, ohne seeklar gemacht zu werden, im Dock: zufolgedessen die Ueberfülle an Schiffen im Hafen.
Was der Kommandant der »Syphanta« in Lemnos erfuhr, konnte ihn nur
bestimmen, nördlichen Kurs für seine Korvette zu halten. Wiederholt wurde sogar ihm und seinen Offizieren gegenüber der Name »Sakratif« laut.
»Ha!« rief Kapitän Todros, »wäre wirklich gespannt, diesem sakrischen Kerl mal Auge in Auge gegenüberzustehen. Kommt mir schier schon vor, als sei der ganze Kerl bloß Fabel! Wär mir doch wenigstens Beweis, daß er wirklich existiert!«
»Setzen Sie in seine Existenz etwa Zweifel?« fragte Henry dAlbaret lebhaft. »Auf Seemannsehre,
Kapitän!« erwiderte Todros, »wenn Sie meine wahre Meinung hören wollen, dann glaube ich nicht recht an diesen sakritischen Patron von Sakratif, ich wüßte auch niemand, der sich rühmen könnte damit, ihn je in seinem Leben gesehen zu haben! Vielleicht ists ein sogenannter nom de guerre,den all diese Korsarenkapitäne, die hier zusammen ihr Unwesen treiben, reihum annehmen! Mag wohl schon mehr als einer, denk ich mir, der diesen stolzen Namen führte, an einer Raaspitze gebaumelt haben!
Kommt übrigens nicht viel darauf an, wer von den Kerlen baumelt – Hauptsache ist, daß keiner dem Strick entrinnt! Na, dafür ist ja gesorgt!«
»So unmöglich ist das übrigens nicht, was Sie da sagen, Kapitän Todros!« meinte Henry dAlbaret, »das würde auch erklären, daß dieser Sakratif die Gabe, überall und nirgends zu sein, zu besitzen scheint.«
»Sie haben recht, Kommandant,« bemerkte einer der fränkischen Offiziere: »wenn Sakratif, wie behauptet wird, an verschiedenen
Punkten zur gleichen Zeit und Stunde gesehen worden ist, dann muß er sich doch aus verschiedenen Personen zusammensetzen, dann muß der Name von mehreren Korsarenhäuptlingen zugleich geführt werden.«
»Und wenn es sich so verhält, dann tuns die Schufte bloß, um ehrliche Leute, die auf sie Jagd machen, auf falsche Fährte zu locken!« versetzte Kapitän Todros; »aber ich sage Ihnen: ein schönes Mittel gibts, diesen Namen aus der Welt zu schaffen, nämlich: alle Kerle fangen und hängen, die
ihn führen; und alle desgleichen, die ihn nicht führen! Bloß auf diese Weise entwischt der richtige Sakratif, wenn er existiert, dem Stricke nicht, der ihm mit vollem Rechte gebührt!«
»Kapitän Todros,« fragte nun Henry dAlbaret, »sind Sie denn niemals auf Ihren ersten Kreuzfahrten mit der »Syphanta« oder auch auf andern Fahrten, die Sie gemacht haben, einer Sakolewa von hundert Tonnen begegnet, die unter dem Schilde »Karysta« segelt?«
»Niemals, Kommandant,« antwortete
Todros.
»Und Sie, meine Herren, auch nicht?« wandte sich der Kommandant an seine Offiziere.
Keiner von ihnen hatte je von einer Sakolewa »Karysta« gehört, und doch fuhren sie fast alle seit dem Beginn des Unabhängigkeitskrieges in diesen Gewässern.
»Der Kapitän dieser Sakolewa heißt Nikolas Starkos; auch dieser Name ist Ihnen nie zu Ohren gekommen?« fragte Henry dAlbaret weiter.
Keiner von den Offizieren hatte je solchen Namen gehört; wobei
übrigens im Grunde kaum etwas Verwunderliches war, denn es handelte sich ja doch bloß um einen bloßen Kauffahrteikapitän, wie man ihrer in den Levantehäfen zu Hunderten begegnet. Ganz unklar meinte sich jedoch Kapitän Todros zu besinnen, den Namen Starkos einmal in Arkadia in Messenien, als er dort vor Anker lag, gehört zu haben, und zwar mußte so, wenn er sich nicht sehr irrte, der Kapitän eines jener Schmugglerschiffe heißen, die den Transport der von den türkischen Behörden in Sklaverei
verkauften Kriegsgefangenen an die Küsten der Berberei übernehmen.
»Hm, das kann aber der Starkos nicht sein, nach welchem Sie fragen!« setzte er hinzu; »Sie sagen ja, der habe eine Sakolewa geführt? mit einer Sakolewa kann niemand solche Schmuggelgeschäfte treiben!«
»Allerdings nicht,« pflichtete Henry dAlbaret bei und ließ das Gespräch fallen.
Daß ihm Nikolas Starkos in Gedanken lag, rührte daher, weil ihm das undurchdringliche Geheimnis von dem zwiefachen
Verschwinden Hadschinas und Andronikas nicht aus den Gedanken kam. Diese beiden Namen wichen nun in seiner Erinnerung nicht mehr von einander.
Um den 25. März herum befand sich die »Syphanta« auf Höhe der Insel Samothrake, sechzig Meilen nördlich von Scio, nachdem sie das ganze zwischenliegende Küstengebiet aufs sorgsamste – die Schlupfhäfen, wohin sie selber nicht dringen konnte, durch ihre Boote – abgesucht hatte, ohne indessen auch nur den kleinsten Erfolg verzeichnen
zu können.
Die Insel Samothrake war während des Krieges entsetzlich verwüstet worden und befand sich noch immer unter türkischem Joche. Die Annahme war also nicht ausgeschlossen, daß sich das Korsarengesindel in den zahlreichen Buchten dieser Insel, der ein eigentlicher Hafen fehlt, festgesetzt hatte. Um 5-6000 Fuß ragt der Berg Saoke über die Insel auf, und von dessen Spitze ist es für ausgestellte Wachtposten leicht, jedes Schiff, dessen Annäherung verdächtig zu sein scheint,
zu bemerken und rechtzeitig zu melden. Hierdurch gewannen die Korsaren Zeit zur Flucht, ehe sich ihre Einschließung bewerkstelligen ließ. Wahrscheinlich verhielt es sich so, denn auch in diesen vereinsamten Gewässern traf die »Syphanta« auf keinerlei Fahrzeug.
Henry dAlbaret richtete den Kurs nun nordwestlich in der Absicht, die Insel Thasos, etwa 20 Meilen von Samothrake entfernt, anzulaufen. Die Korvette mußte gegen eine kräftige Brise lavieren, fand aber bald Schutz am Lande und
zufolgedessen eine ruhigere See, die ihr die Fahrt wesentlich erleichterte.
Seltsames Schicksal, das über diesen verschiedenen Inseln des Schicksals schwebte! Während Scio und Samothrake unter dem Türkenjoche so schwer zu leiden hatten, war an Thasos die Kriegsfurie ebenso vorübergezogen wie an Lemnos und Imbro. Dabei ist die gesamte Bevölkerung hier griechisch, herrscht noch altgriechische Sitte und sogar auch noch altgriechische Tracht. Die Türken, die seit Beginn des 15.
Jahrhunderts im Besitz von Thasos sind, hätten hier also rauben und plündern können, ohne einer Spur von Widerstand zu begegnen, aber ein seltsames Privilegium, für das sich keine Erklärung finden ließ, hatte den Bewohnern von Thasos, trotzdem ihr Reichtum die Habgier der Türken hätte reizen müssen, bis jetzt Ruhe und Frieden gesichert. Indessen wäre ihm dieses Glück, ohne die Ankunft der »Syphanta« in ihrer Reede, wohl kaum noch lange beschert geblieben. Am 2. April nämlich war der im Norden
der Insel befindliche Hafen, der heute den Namen Pyrgo führt, von einer Korsaren-Landung ernstlich bedroht worden. Etwa ein halbes Dutzend ihrer Schiffe, Mistiken und Djemen unter dem Schutze einer Brigantine von etwa einem Dutzend Kanonen, kam in Sicht der Stadt. Gelang dem Gesindel die Landung, so brach über die Insel mit ihrer friedlichen, des Kampfes ungewohnten, jeglicher Streitmacht ermangelnden Bevölkerung ohne Frage das schwerste Unglück herein.
Kaum erschien jedoch die
Korvette auf der Reede, als am Großmast der Brigantine ein Wimpel aufging und sämtliche Korsarenschiffe zur Schlacht formierten: ein Anzeichen von seltsamer Verwegenheit auf ihrer Seite! »Ob sies riskieren sollten?« rief Kapitän Todros, bei zum Kommandanten auf die Brücke getreten war.
»Die Offensive ... oder Defensive?« versetzte, nicht wenig verwundert über die Haltung der Piraten, Henry dAlbaret.
»Mord und Brand! eher hätte ich gedacht, die Kerle würden mit allem
Segelzeug, das sie setzen können, fliehen!«
»Schon besser, Kapitän Todros, sie stehen uns, als daß sie Fersengeld geben, denn dann würden uns doch schließlich ein paar entwischen ... am liebsten wäre es mir schon, sie griffen selber an! ... Signalisieren Sie »klar zum Gefecht!« Kapitän Todros.«
Des Kommandanten Befehl wurde im Nu ausgeführt. Die Kanonen wurden geladen, die Lunten angesteckt, die Kugeln in Handweite der Bedienungsmannschaft aufgeschichtet; die Karronaden auf
Deck wurden montiert, die Waffen, Musketen, Pistolen, Säbel und Enterbeile, unter die Mannschaft verteilt. Alles geschah so prompt und schneidig wie auf einem Kriegsschiffe, auf welchen Charakter die »Syphanta« im Grunde nicht Anspruch erheben konnte.
Unterdes rückte die Korvette an die Korsaren-Flottille heran; der Kommandant nahm die Brigantine aufs Korn: eine Breitseite sollte sie kampfunfähig machen; dann gedachte er sie anzurennen und zu entern. Wahrscheinlich rechneten aber die
Korsaren, während sie scheinbar zum Kampfe rüsteten, bloß auf gute Gelegenheit zur Flucht. Wenn sie diese nicht schon früher ergriffen hatten, so trugen nicht sie die Schuld daran, sondern lediglich die Korvette, die sie überrumpelt hatte und jetzt die Ausfahrt sperrte. Es blieb den Korsaren also bloß übrig, so zu manövrieren, daß ihnen der Versuch eines gewaltsamen Durchbruchs gelang.
Eröffnet wurde das Feuer durch die Brigantine, die ihre Geschosse ins Mastwerk der Korvette
dirigierte. Gelang es ihr, dem Feinde auch nur einen Mast zu rauben, so befand sie sich in erheblich besserer Möglichkeit, zu fliehen.
Die feindliche Salve strich etwa 7 Fuß hoch über das Deck der »Syphanta«, zerriß ein paar Drissen, zerschlug ein paar Schoten und Raaen, zersplitterte ein Stück vom Deck zwischen Groß- und Besanmast und blessierte, aber nicht schwer, drei bis vier Mann; richtete also im großen und ganzen keinen ernstlichen Schaden an.
Henry dAlbaret gab
nicht sofort Antwort; er ließ rechts auf die Brigantine zu halten und seine Salve erst abgeben, als der Rauch der ersten Schüsse sich verzogen hatte. Ein großes Glück für die Brigantine, daß ihr Kapitän unter Wahrnehmung der Brise hatte abschwenken können: so bekam er bloß ein paar Kugeln in den Rumpf über der Schwimmlinie. Ein paar Mann waren wohl gefallen, dadurch wurde sein Schiff aber nicht kampfunfähig.
Die Geschosse der Korvette, welche an der Brigantine vorbeigingen, waren
nicht verloren, sondern hatten der durch die Schwenkung der Brigantine bloßgelegten Mistike die Backbordwand zerschlagen und zwar so energisch, daß sie sofort voll Wasser lief.
»Muß die Brigantine nicht dran glauben, dann ihr Begleitschiff, das sein Bohnendeputat weg hat!« rief einer der auf dem Vorsteven postierten »Syphanta«-Matrosen.
»Meine Weinration wett ich, daß sie in fünf Minuten sinkt.«
»In drei Minuten!«
»Ich pariere – und soll mir dein
Wein so flott in den Schlund kollern, wie der Mistike das Wasser durch ihre Löcher in den Rumpf!«
»Sie sinkt! sie sinkt!«
»Bis zum Gürtel schon futsch ... gleich gehts ihr über den Rand! dann über den Kopf!«
»Hei! und die Satansbrut kopfüber hinein in die Fluten, um sich durch Schwimmen zu retten!«
»Na, ganz gescheit! Der Strick um den Hals ist ihnen lieber als zuviel Wasser im Bauche – lassen wir den Kerlen den Willen!«
Die Mistike
sank tiefer und tiefer. Die Mannschaft war in das Meer gesprungen, in der Absicht, auf ein anderes Schiff hinüber zu gelangen. Dort hatte die Mannschaft aber anderes zu tun, als Kameraden aus dem Wasser zu fischen. Alles suchte bloß noch, sich das Entkommen zu sichern. Was im Wasser lag, fand den Tod durch Ertrinken. Kein einziges Stück Tau fand den Weg zu ihnen hinunter.
Zudem hatte die »Syphanta« eine zweite Breitlage gefeuert: auf eine Djerme, die quer vor sie geraten war; aller in
das Meer gesprungen, in der Absicht auf ein anderes Schiff hinüber zu gelangen. Dort hatte die Mannschaft aber anderes zu tun, als Kameraden aus dem Wasser zu fischen. Alles suchte bloß noch, sich das Entkommen zu sichern. Was im Wasser lag, fand den Tod durch Ertrinken. Kein einziges Stück Tau fand den Weg zu ihnen hinunter.
Zudem hatte die »Syphanta« eine zweite Breitlage gefeuert: auf eine Djerme, die quer vor sie geraten war; aller Masten, der ganzen Schanzkleidung beraubt,
war die Djerme im Nu in einem Flammenmeer versunken; ein halbes Dutzend Brandkugeln hatte ihr Deck unter Feuer gesetzt.
Die beiden anderen kleinen Schiffe erkannten an diesem Resultate, daß sie gegen die Kanonen der Korvette nichts auszurichten vermochten; ja daß ihnen vor solchem Schnellsegler wie dieser Korvette kaum die Flucht gelingen würde. Der Kapitän der Brigantine ergriff deshalb die einzige rätliche Maßregel, wenn er seine Mannschaft retten wollte: er gab das Signal zum
Sammeln. Im Nu hatten sich die Korsaren, eine Mistike und eine Djerme, nachdem sie Feuer an sie gelegt, im Stich lassend, an Bord der Brigantine geflüchtet.
Mistike und Djerme flogen in die Luft.
Aber die Mannschaft der Brigantine war um etwa hundert Mann verstärkt, also für den Enterkampf, falls ihnen die Flucht nicht gelänge, wesentlich besser gerüstet. Mit allen Mitteln suchte sie nun, die hohe See und die türkische Küste zu gewinnen. Zwischen den Klippen dort war sie
sicher vor Verfolgung; denn wenn sie die Korvette vielleicht dort entdeckte, ihr nachsetzen in diese schmalen Gewässer konnte sie nicht. Mit allem Segelzeug, das sich setzen ließ, auf die Gefahr hin, daß ihr die Masten brachen, floh nun die Brigantine vor der »Syphanta«.
»Famos!« schrie Kapitän Todros; »sollte mich faktisch wundern, wenn ihre Beine die gleiche Länge hätten, wie die unserer Korvette!«
Dann drehte er sich zum Kommandanten herum, der Befehle desselben
gewärtig.
Im selben Moment wurde dessen Aufmerksamkeit nach anderer Seite hin in Anspruch genommen. Nicht die Brigantine mehr sah er: in seinem auf den Hafen von Thasos gerichteten Fernrohr kam ein leichtes Fahrzeug in Sicht, das mit allem Segeldruck das Weite zu gewinnen suchte.
Eine Sakolewa war es! Von steifer Nordwestbrise getragen, die ihr volle Segel zu setzen erlaubte, hatte sie die südliche Hafenzufahrt gewonnen, deren Passage ihr zufolge ihres geringen Tiefganges
möglich war. Noch ein scharfer Blick zu ihr hinüber, dann warf Henry dAlbaret das Fernrohr beiseite. »Die »Karysta«!« schrie er.
»Was? die Sakolewe, von der Sie uns erzählt haben?« versetzte Todros.
»Dieselbe! und sonst was möchte ich opfern, wenn ich sie einholen ...«
Henry dAlbaret vollendete den Satz nicht. Zwischen der von einer zahlreichen Korsarenschar bemannten Brigantine und der »Karysta«, trotzdem sie zweifelsohne von Nikolas Starkos befehligt war,
durfte seine Pflicht nicht schwanken. Gab er die Verfolgung der Brigantine auf, gewann er die südliche Zufahrt, schnitt er der Sakolewa den Weg dort ab, dann mußte er sie abfangen, ganz ohne Zweifel! Aber das hätte bedeutet, sein persönliches dem allgemeinen Interesse zu opfern; solches durfte er nicht tun! Die Brigantine anrennen, ohne einen Moment zu säumen, sie entern und in den Grund bohren: das war seine Aufgabe, und diese Aufgabe vollbrachte er. Noch einen letzten Blick warf er auf die
»Karysta«, die mit erstaunlicher Geschwindigkeit durch die freigelassene Enge hinaus ins Meer schoß: dann kommandierte er zur Jagd auf den Korsaren, der sich in entgegengesetzter Richtung zu entfernen versuchte.
Bald schoß die »Syphanta« unter allem Segelzeug im Kielwasser der Brigantine einher. Zugleich wurden ihre Jagdgeschütze in Stellung gerückt, und da die beiden Schiffe bloß noch eine halbe Meile von einander waren, fing die Korvette an zu reden! Was sie redete, war jedenfalls
nicht nach dem Schnabel der Brigantine. Um zwei Viertel luvend, probierte sie, ob es ihr gelänge, durch dieses neue Fahrtempo ihrem Gegner Vorsprung abzugewinnen.
Dies war jedoch nicht der Fall!
Der Steuermann auf der »Syphanta« drehte das Ruder leicht unter den Wind, und die Korvette luvte nun selber.
Eine ganze Stunde wurde die Jagd unter diesen Umständen fortgesetzt. Die Korsaren verloren sichtlich an Terrain; es war nicht mehr zweifelhaft, daß sie vor
Einbruch der Nacht eingeholt wurden. Aber der Kampf zwischen den beiden Schiffen sollte auf andere Weise endigen.
Ein glücklicher Schuß der »Syphanta« raubte der Brigantine den Fockmast. Im Nu fiel sie unter Wind, und die Korvette brauchte nun bloß noch zu brassen, um in der nächsten Viertelstunde quer vor ihr zu liegen.
Da dröhnte – auf knapp halbe Kabellänge – eine furchtbare Salve von der »Syphanta« herüber: durch diese eiserne Lawine wurde die
Brigantine gleichsam über Wasser gekippt; aber bloß ihr »totes Werk«, also die über Wasser ragenden Teile waren getroffen worden, und sie sank nicht unter.
Nichtsdestoweniger sah der Kapitän, dessen Mannschaft durch diese letzte Salve stark gelichtet worden, das Nutzlose längeren Widerstandes und strich die Flagge.
Im Nu flogen die Boote der Korvette zur Brigantine hinüber und holten an Bord, was drüben noch lebte. Dann flogen die Brander ins Segelzeug, und die Brigantine
ging in Flammen auf. Als der Brand die Wasserlinie erreichte, versank das Wrack in den Fluten.
Das war ein wackeres und erfolgreiches Stück Arbeit, das die »Syphanta« verrichtet hatte! Wer der Kapitän dieser Korsarenflottille war, wie er hieß, woher er gebürtig war, sein Vorleben und was sonst noch, das sollte niemand je erfahren, denn er verweigerte hartnäckig jede Antwort auf die ihm gestellten Fragen. Seine Kameraden schwiegen ganz ebenso; vielleicht wußten sie auch, wie das hin
und wieder vorkam, gar nichts über das frühere Leben dessen, der das Kommando über sie führte. Aber daß es durchweg Korsaren waren, die man gefangen hatte, das stand außer Zweifel, und so wurde prompte Justiz an ihnen geübt.
Seltsame Gedanken hatte aber in Henry dAlbaret dies Auftauchen und Verschwinden der Sakolewa geweckt. Die Umstände, unter welchen sie aus Thasos entwichen war, mußten notwendigerweise Verdacht auf sie lenken. Hatte sie den Kampf zu sicherem Entweichen nützen
wollen, in den die Korsarenflottille mit der Korvette verwickelt war? Scheute sie sich, der »Syphanta« gegenüberzutreten, die sie vielleicht erkannt hatte? Ein ehrliches Schiff wäre ruhig im Hafen verblieben, da doch die Korsaren bloß noch das Ziel verfolgten, hinauszugelangen! Dagegen hatte die »Karysta«, auf die Gefahr hin, ihnen in die Hände zu fallen, so schleunig wie möglich gelichtet und das offne Meer zu gewinnen versucht! Zweideutiger konnte sie sich gar nicht verhalten, und man mußte
sich notgedrungen sagen, daß sie im Bunde mit den Korsaren stand! Wahrlich! dem Kommandanten dAlbaret wäre es keine Ueberraschung mehr gewesen, in Nikolas Starkos einen Seeräubergenossen zu erkennen. Leider ließ sich jetzt bloß noch auf den Zufall rechnen, seine Fährte wieder zu finden. Die Nacht stand vor der Tür, und die »Syphanta« hätte, auch wenn sie den Kurs südlicher nahm, kaum Chancen gehabt, der Sakolewa wieder zu begegnen. Darum blieb Henry dAlbaret, so schmerzlich es ihm war, der
Gelegenheit, die ihm Nikolas Starkos in die Hände spielen wollte, verlustig gegangen zu sein, nichts übrig, als sich in das Unvermeidliche zu schicken. Dafür hatte er das tröstliche Bewußtsein, seine Pflicht getan zu haben. Als Resultat des bei Thasos gewonnenen Sieges war die Zerstörung von fünf feindlichen Schiffen ohne erheblichen Verlust an Mannschaft zu verzeichnen. Vielleicht ergab sich hieraus, wenigstens auf eine Zeitlang, ein gewisser Grad von Sicherheit in den Gewässern des
Archipels.
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