Frei Lesen: Der Archipel in Flammen

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Jules Verne

Der Archipel in Flammen

Zwölftes Kapitel.

eingestellt: 28.7.2007



Wenn Kreta, wie die Fabel erzählte, die Wiege der Götter war, so war das Karpathos des Altertums, das heutige Scarpanto, die Wiege der Titanen, der kühnsten unter ihren Widersachern. Die Seeräuber der Neuzeit, insofern als sie nur einfachen Sterblichen zu Leibe gehen, dürfen ganz sicher als die würdigen Abkömmlinge dieser mythologischen Missetäter gelten, die vor dem Sturm auf den Olymp nicht zurückscheuten. Zur Zeit unserer Erzählung hatte es nun ganz den Anschein, als ob der Abschaum der gesamten Welt sein Hauptquartier auf dieser Insel aufgeschlagen hätte, auf der die vier Söhne des Japetos, die Enkel Titans und der Erde, das Licht der Welt erblickten.

Wahrlich! Scarpanto war auch der richtige Schlupfwinkel des Archipels für Korsarengesindel. Ziemlich isoliert am südöstlichen Ende dieser Meere und über 40 Meilen von der Insel Rhodus gelegen, sind seine hohen Berggipfel schon von weitem sichtbar. Bei einem Durchmesser von 20 Meilen ist die Insel zerstückelt, ausgefranst, ausgebuchtet in viele Zacken, die durch unendlich viele Klippen beschützt werden. Hat, wie es der Fall ist, die Insel ihren Namen den sie umgebenden Gewässern geliehen, so ist der Grund hierfür in dem Respekt zu suchen, in den sie sich bei den Alten schon ebenso gut zu setzen gewußt hat wie bei den Neuen. Wer nicht im Karpathischen Meere zu Hause und alt geworden ist, für den ist es noch immer ein gefährliches Ding, sich hinauf zu wagen. Und wie heute, war es genau im Altertum.

Indessen fehlt es der Insel, welche die letzte Perle in dem großen Rosenkranze der Sporaden bildet, keineswegs an guten Ankerplätzen. Vom Kap und vom Kap Pernisa bis zum Kap Bonandra und zum Kap Andemo auf ihrer Nordküste lassen sich zahlreiche Zufluchtsplätze finden. Die 4 Häfen Agata, Porto di Tristano, Porto Grato und Porto Malo Nato wurden ehedem stark von Levantefahrern angesprochen, bevor ihnen Rhodus ihre kommerzielle Bedeutung nahm. Jetzt haben nur sehr wenige Schiffe noch Interesse, hier vor Anker zu gehen.

Scarpanto ist eine griechische Insel oder wird wenigstens von einer griechischen Bevölkerung bewohnt, gehört aber zum ottomanischen Reiche. Auch als das Königreich Griechenland endgültig errichtet worden war, verblieb sie im Besitze der Türken unter der Verwaltung eines einfachen Kadi, der damals eine Art Feste bewohnte, die oberhalb der neuen Burg von Arlassa liegt.

Zur Zeit unserer Erzählung würde der Leser hier eine große Zahl von Türken angetroffen haben, die bei den Inselbewohnern, die sich am Unabhängigkeitskriege nicht beteiligt hatten, eine, wie man sagen muß, durchaus nicht schlechte Aufnahme fanden. Allmählich zum Mittelpunkte von Handelsgeschäften geworden, wie sie verbrecherischer nicht mehr zu denken sind, waren auf Scarpanto Schiffe ottomanischer Herkunft ganz ebenso willkommen wie Korsarenschiffe, die ihre Gefangenenfrachten hier ausluden. In Scarpanto fanden sich die Mäkler von Kleinasien ebenso ein wie diejenigen aus den Barbareskenstaaten, um sich auf einem bedeutenden Jahrmarkte, zu dem Menschenware angefahren wurde, einander zu überbieten. Hier wurden Auktionen abgehalten, hier wurden die Preise für Angebot und Nachfrage festgesetzt. Der Kadi war, wie gesagt werden muß, hierbei gewiß nicht mindestbeteiligte Person, denn er fungierte als Auktionator und die Händler hätten es als einen Verstoß gegen kaufmännische Pflicht angesehen, wenn sie ihm nicht einen gewissen Satz vom Hundert ihrer Ware abgegeben hätten.

Der Transport dieser Unglücklichen nach den Bazaren von Smyrna oder Afrika wurde auf Schiffen bewirkt, die in der Regel in dem an der Westküste gelegenen Hafen von Arkassa ihre Fracht einnahmen. Reichten die Schiffe nicht aus, so wurde Ersatz von der gegenüberliegenden Küste herangeholt, und die Korsaren weigerten sich niemals, sich zu diesem erbärmlichen Geschäft herzugeben.

Als die »Syphanta« vor Scarpanto sich einfand, lagen im Osten der Insel, in den Tiefen fast unauffindbarer Wasserläufe, an zwei Dutzend größerer und kleinerer Fahrzeuge, mit einer Besatzung von 12–1300 Mann. Diese Flottille wartete bloß auf ihren Anführer, um auf neue Verbrechensfahrten auszuziehen.

Am 2. September abends ging die »Syphanta« eine Kabellänge von der Mole, auf trefflichem Untergrunde von 10 Faden Tiefe, im Hafen von Arkassa vor Anker. Henry dAlbaret war, als er den Fuß auf die Insel setzte, kaum einen Moment im Zweifel, daß ihn der Zufall direkt zum Hauptmarktplatze für den Sklavenhandel geführt hatte.

»Meinen Sie eine Zeitlang in Arkassa vor Anker zu bleiben, Kommandant?« fragte Kapitän Todros, als das Schiff festlag.

»Kann es noch nicht sagen,« erwiderte dAlbaret; »es können Umstände eintreten, die uns zu sofortiger Abfahrt zwingen, aber auch andere, die uns zum Bleiben bestimmen können.«

»Wird die Mannschaft ans Land gehen?«

»Ja, aber bloß rondenweis; die halbe Mannschaft soll immer an Bord konsigniert bleiben.«

»Zu Befehl, Kommandant!« versetzte Todros; »wir stecken hier mehr in türkischem als in griechischem Lande, und die Klugheit gebietet, die Augen scharf offen zu halten.«

Der Leser wird sich besinnen, daß Henry dAlbaret weder mit seinem zweiten Offizier noch den übrigen Herren vom Stabe von den Beweggründen gesprochen hatte, die ihn nach Scarpanto führten, auch nicht von der Aufforderung, die in dem Brief ohne Unterschrift an ihn gerichtet worden war, sich zu Anfang September hier einzufinden. Uebrigens rechnete er darauf, daß ihm hier neue Mitteilungen darüber gemacht werden würden, was der geheimnisvolle Briefschreiber von der Anwesenheit der Korvette in den Gewässern des Karpathischen Meeres erwarte oder erhoffe.

Was aber nicht weniger seltsam war, das war dies plötzliche Verschwinden der Brigg jenseits vom Kanal von Casos, gerade als die »Syphanta« sie einholen zu können meinte.

Henry dAlbaret hatte auch noch immer die Partie nicht aufgeben wollen, und, ehe er in Arkassa vor Anker ging, alle Buchten und Baien der Küste, soweit es ihm der Tiefgang seiner Korvette gestattete, abgesucht. Aber in solchem Sammelsurium von Klippen, wie es an dieser Küste auftritt, unter dem Schutze hoher steiler Felsufer, mußte es für ein Schiff wie die verfolgte Brigg leicht sein, Unterschlupf oder Versteck zu finden. Zwei Tage lang suchte die Korvette, ohne den geringsten Anhalt zu finden: genau so unsichtbar war und blieb die Brigg, als wenn sie hinter Casos jäh unter Wasser gegangen wäre.

Am andern Tage, zwischen 3 und 5 Uhr nachmittags, sammelte sich in der kleinen Stadt Arkassa allerhand Volk von der Insel, die vielen Fremden aus Europa und Asien ungerechnet, an deren Zulauf es bei solcher Gelegenheit nicht fehlen konnte: es war nämlich großer Markttag. Unglückliche Wesen jeglichen Alters und jeglichen Standes, die Kriegsgefangenen der Türken während der letzten Wochen, sollten hier zur Versteigerung kommen, auf dem »Batistan« oder dem Sklavenbazar, den man in vielen Städten der Barbareskenstaaten antrifft. An die hundert Gefangene, Männer, Weiber und Kinder, lagen zur Zeit im Batistan von Arkassa, in einem Hofe, der keinen Schatten gegen die Sonne bot, bunt durcheinander gewürfelt, mit Fetzen auf dem Leibe, Verzweiflung auf dem Antlitz, von Hunger und Durst geplagt, schlotterig an Leib und Gliedern. Bis Käuferlaune das Weib vom Manne, die Kinder von den Eltern trennen sollte, saßen die Unglücklichen familienweis zusammen; jedem anderen als diesen grausamen »Baschis«, ihren Wächtern, die kein Schmerz, kein Herzeleid mehr rühren konnte, hätten sie das tiefste Mitleid eingeflößt ... und was waren die Qualen hier im Vergleich zu jenen, die ihrer in den sechzehn Bagnos von Algier, Tunis und Tripolis warteten, wo der Tod so schnelle Lücken riß, die unablässig gefüllt werden mußten?

Indessen war den Gefangenen noch immer nicht alle Hoffnung, die Freiheit wieder zu erringen, genommen. Machten die Käufer ein gutes Geschäft beim Einkauf, so sicher kein schlechteres, wenn sie die Sklaven in die Freiheit zurück verkauften, was immer zu sehr hohen Preisen geschah, und durchaus keine Seltenheit war, denn wer noch Angehörige in der Heimat hatte, die über Mittel verfügten oder Mittel aufzubringen vermochten, der durfte rechnen, daß diese nicht eher ruhten, als bis solchen in Sklaverei schmachtenden Verwandten oder Familiengliedern die Freiheit winkte. Nicht selten nahm auch der Markt selber die Auslösung von Gefangenen in die Hand oder die reiche »Gnadenbrüderschaft« trat ein, die zu solchem Zwecke Kollekten in ganz Europa veranstaltete.

Auf dem Markte von Arkassa fanden die Auktionen statt. Allen, Fremden wie Einheimischen, stand das Befugnisrecht zu, gleichwie das Recht des Bietens; heute aber waren nur Großkäufer für die Bagnos der Berberei zur Stelle, deshalb sollte heute kein Einzelverkauf, sondern nur Enbloc-Verkauf der am Markte befindlichen Ware erfolgen, die dann, je nachdem der Zuschlag lautete, en bloc nach Algier, Tunis oder Tripolis zur Verschiffung kam. Bis um 5 Uhr nachmittags dauerte die Versteigerung; ein Kanonenschlag von der Citadelle verkündete ihren Schluß und den Zuschlag.

Am 3. September fehlte es im Batistan nicht an Kauflustigen. Aus Smyrna und anderen Nachbarplätzen Kleinasiens waren Agenten der Barbaresken-Bagnos zur Stelle. Der starke Zudrang war höchst erklärlich. Aus den letzten Kriegsereignissen ließ sich schließlich schließen, daß der Friede in naher Aussicht stand. Ibrahim Pascha war in den Peloponnes zurückgedrängt, während General Maison mit einem Korps von 2000 Franzosen in Morea gelandet war. Künftighin erlitt also die Ausfuhr von Gefangenen erhebliche Beschränkung, ihr Kaufwert mußte also, zur lebhaften Genugtuung des Kadis, bedeutend steigen.

Im Lauf des Morgens hatten die Mäkler den Batistan besucht und die zu Markte kommende Ware besichtigt; sie hatten die Meinung mit hinweggenommen, daß dieselbe aller Wahrscheinlichkeit nach sehr hohe Preise erreichen würde.

»Beim Mahomet!« rief ein Agent aus Smyrna, der unter seiner Sippe das Wort führte, »die Zeit der feinen Geschäfte ist vorbei! Gedenkt Ihr noch jener Zeiten, da die Schiffe uns die Gefangenen tausend- und nicht hundertweis herschafften!«

»Ja! ... wie seinerzeit bei dem Gemetzel auf Scio!« erwiderte ein anderer; »mit einem Schlage weit über 40 000 Gefangene! Da gabs nicht Schiffe genug, die Last zu bezwingen!«

»Gewiß, gewiß,« rief ein dritter, der mit sehr gesundem Kaufmannsverstande ausgestattet zu sein schien; »aber zuviel Ware, zuviel Angebot und zuviel Preisdrückerei! Besser schon, es ist wenig Ware zu gutem Preise am Platze, denn die Nachfrage bleibt dann immer rege, und die paar Frachtgroschen mehr auf das einzelne Stück spielen keine Rolle!«

»Jawohl! ... vor allem nicht in der Berberei! ... Aber die zwölf Prozent für den Pascha, Kadi oder Statthalter sprechen mit!«

»Und die hundert Prozent für den Unterhalt der Mole und der Küstenbatterien!«

»Und das eine Prozent, das aus unserer Tasche noch an die Priester fällt!«

»Ja, diese Prozente über Prozente machen die Reederschaft pleite und uns Mäkler mit!«

Solche Reden flogen zwischen diesen Agenten, die für die Schändlichkeit ihres Handels keine Spur von Verständnis hatten, hin und her. Immer die gleichen Klagen über die gleichen Fragen! und hätte ihren Reden nicht die Marktglocke ein Ende gemacht, so würden die Klagen zweifellos zu weit schärferem Ausdruck gelangt sein.

Der Kadi leitete von einer Estrade aus, unter dem Schutz eines Zeltes, das von dem türkischen Halbmond überragt wurde, die Auktion, mit echt türkischer Ungeniertheit in halb liegender Stellung auf großen Polsterkissen.

Neben ihm stand der Ausrufer, der aber keine Gelegenheit fand, sich die Lunge sonderlich anzustrengen. Nein! denn bei Geschäften dieser Art lassen sich im Orient die Käufer Zeit.

Das erste Gebot wurde von einem Händler aus Smyrna mit tausend Pfund türkisch gemacht.

»Taufend Pfund türkisch!« wiederholte der Ausrufer.

Dann schloß er die Augen, als wenn ihm Muße genug zum Schlummern bleiben würde, bis ein neues Gebot erfolgte.

Während der ersten Stunde ging das Gebot von tausend auf zweitausend Pfund türkisch herauf, nach französischem Gelde also auf annähernd 47 000 Francs. Die Mäkler sahen einander an, hielten einander im Auge, schwatzten untereinander von allerhand anderen Dingen. Was sie bieten wollten, wußten sie zum voraus. Ihr Höchstgebot würde erst wenige Minuten vor Auktionsschluß geschehen: darüber waren sich alle klar.

Aber die Ankunft eines neuen Konkurrenten sollte diese Dispositionen über den Haufen rennen und Leben in die Auktion bringen.

Gegen 4 Uhr waren nämlich auf dem Markte von Arkassa zwei Männer eingetroffen. Woher? sicher aus dem orientalischen Teile der Insel, nach der Richtung wenigstens zu schließen, aus welcher die Araba, die sie hergeführt hatte, kam.

Ihr Erscheinen rief eine lebhafte Bewegung vor. Erstaunen und Unruhe malte sich auf den Gesichtern. Eine Persönlichkeit auf dem Markte sozusagen »einspringen« zu sehen, mit der sie zu rechnen haben würden, darauf waren die Mäkler offenbar nicht gefaßt.

»Bei Allah!« rief einer von ihnen: »das ist Nikolas Starkos in Person!«

»Mit seinem vermaledeiten Hundsfott Skopelo!« setzte ein anderer hinzu; »und wir meinten, die beiden Kerle seien längst beim Teufel.«

In der Tat: es waren die beiden, die auf dem Markte von Arkassa jeder kannte. Schon mehr denn einmal hatten sie ungeheure Geschäfte gemacht beim Einkaufe von Gefangenen für Rechnung afrikanischer Händler. An Geld fehlte es ihnen nicht, wiewohl niemand recht wußte, woher sie es nahmen; aber das ging niemand als sie an. Der Kadi aber, von seinem Standpunkt als Geschäftsmann aus, konnte sich zur Ankunft dieser beiden gefürchteten Mitbieter nur gratulieren.

Ein einziger Blick hatte für Skopelo, einen gewiegten Kenner, zur Schätzung des Wertes genügt, den die am Markte befindliche Ware besaß. Ein paar Worte, Nikolas Starkos ins Ohr geflüstert, waren alles, was er von sich gab. Nikolas Starkos antwortete durch ein bloßes Nicken.

Ein so scharfer Beobachter aber der Leutnant der »Kalysta« war, so hatte er doch die Bewegung des Abscheus nicht gesehen, die durch die Ankunft des Kapitäns der »Karysta« bei einer der gefangenen Frauen hervorgerufen worden war.

Es war eine alte Frau von hohem Wuchs. Sie saß abseits in einer Ecke des Batistan. Als wenn sie eine unwiderstehliche Gewalt triebe, erhob sie sich, machte ein paar Schritte ... es sah aus, als wollte sie aufschreien ... aber sie besaß Kraft genug, an sich zu halten. Dann wich sie langsam zurück, vom Kopf bis zum Fuße gehüllt in einen alten, verschossenen Mantel, zurück bis zu ihrem Platze unter den Gefangenen, aber jetzt so weit zurück, daß sie völlig verborgen saß. Augenscheinlich war es ihr nicht genug, das Gesicht vor Nikolas Starkos Blicken zu verhüllen: er sollte von ihrer ganzen Gestalt nichts sehen!

Unterdessen ließen die Mäkler, wenn sie auch das Wort nicht an ihn richteten, keinen Blick vom Kapitän der »Karysta«, der sich um sie aber nicht im geringsten zu kümmern schien. Kam er tatsächlich, ihnen den Transport vor der Nase weg zu kaufen? Befürchten mußten sie es, in Anbetracht der Beziehungen, in denen Nikolas Starkos zu den Paschas und Beys der Barbareskenstaaten stand.

Hierüber sollten sie nicht lange in Ungewißheit bleiben. Gerade war der Ausrufer wieder aufgestanden, um mit lauter Stimme das letzte Gebot zu wiederholen:

»2000 Pfund türkisch!«

»2500!« rief Skopelo, bei solchen Gelegenheiten das Sprachrohr seines Kapitäns.

»2500!« verkündete der Ausrufer.

Wieder nahmen die Gespräche zwischen den verschiedenen Gruppen ihren Anfang, wieder betrachtete alles einander mit mißtrauischen Blicken.

Eine Viertelstunde verfloß. Hinter Skopelo war kein Gebot abgegeben worden. Nikolas Starkos ging gleichgiltig und hochmütig um den Batistan herum. Es erschien im Grunde wohl kaum jemand zweifelhaft, daß ihm schließlich, sogar ohne erheblichen Widerspruch, der Zuschlag erteilt werden würde.

Der Agent von Smyrna trat mit ein paar seiner Kollegen zusammen und besprach sich. Dann bot er von neuem:

»2700 Pfund!«

»2700 Pfund!« Wiederholte der Ausrufer.

»3000!«

Nikolas Starkos hatte diesmal geboten.

Was war denn passiert? Warum mischte er sich persönlich in den Wettkampf? Woher kam es, daß seine sonst so kalte Stimme eine scharfe Erregung verriet, die selbst Skopelo überraschte? Man soll es gleich hören.

Seit ein paar Minuten ging Nikolas Starkos, der über die Schranke des Batistans getreten war, mitten unter den Gefangenen auf und ab; die alte Frau hatte sich, sobald sie ihn kommen sah, noch dichter in ihren Mantel gehüllt. Er hatte sie also nicht sehen können.

Plötzlich war aber seine Aufmerksamkeit auf zwei andere Gefangene gelenkt worden, die eine Gruppe für sich bildeten. Wie fest genagelt blieb er stehen.

Neben einem Manne von großer Figur lag ein junges Mädchen, von Anstrengung erschöpft, an der Erde.

Der Mann, als er Nikolas Starkos erblickte, fuhr wild in die Höhe. Da schlug auch das junge Mädchen die Augen auf. Sobald sie aber des Kapitäns der »Karysta« ansichtig wurde, fuhr sie jäh zurück.

»Hadschina!« schrie Nikolas Starkos.

Ja! Hadschina Elisundo war es, die Xaris, wie um sie zu schützen, mit den Armen umfaßte.

»Hadschina!« wiederholte Nikolas Starkos.

Das Mädchen hatte sich aus Xaris Armen freigemacht und sah dem einstigen Geschäftskunden der Firma ihres Vaters ins Angesicht.

In diesem Moment hatte Nikolas Starkos, außer stande, zu fassen, wie die Erbin des Bankiers Elisundo auf den Sklavenmarkt von Arkassa kam, mit erregter Stimme sein Gebot getan.

»3000 Pfund!« hatte der Ausrufer wiederholt.

Jetzt war es kurz nach halb fünf. Noch 25 Minuten ungefähr, und der Kanonenschlag dröhnte herüber zum Zeichen, daß der Zuschlag dem letzten Bieter gehöre.

Aber schon schickten sich die Mäkler, nach kurzer Beratung, zum Weggange an, da sie nicht willens waren, die Preise höher zu treiben. Es schien mithin so gut wie ausgemacht, daß der Kapitän der »Karysta«, da kein Bieter mehr da war, den Platz behaupten würde, als der Smyrnaer Agent einen letzten Versuch machen wollte, die Ware zu halten.

»3500 Pfund!« schrie er.

»4000 Pfund!« überbot im Nu Nikolas Starkos.

Skopelo, den Hadschina nicht bemerkt hatte, fand für diese maßlose Hitze des Kapitäns kein Verständnis. Seiner Schätzung nach war der Wert der vorhandenen Ware mit dem Satze von 4000 Pfund schon weit überboten. Deshalb fragte er sich, was wohl der Grund zu solchem Verhalten bei Nikolas Starkos sein könne.

Auf die letzten Worte des Ausrufers war lange Stille gefolgt. Sogar der Smyrnaer Mäller hatte auf einen Wink seiner Kollegen die Partie aufgegeben. Daß Nikolas Starkos Sieger bleiben und binnen wenigen Minuten im Besitz des Zuschlags sein werde, schien außer Zweifel.

Xaris hatte das Verhalten des Kapitäns der »Karysta« begriffen. Enger umschloß er das junge Mädchen mit seinen Armen. Niemand sollte den Weg anders zu ihr finden als über seine Leiche!

Da, inmitten der tiefen Stille, die über dem ganzen Markte lag, eine zitternde Stimme! und zu dem Ausrufer klangen zwei Worte hinüber:

»5000 Pfund!«

Nikolas Starkos drehte sich um.

Am Eingange zum Batistan war eine Schar Matrosen erschienen, an ihrer Spitze ein Offizier.

»Henry dAlbaret!« rief Nikolas Starkos ... »Henry dAlbaret ... hier ... auf Scarpanto!«

Bloßer Zufall hatte den Kommandanten der »Syphanta« auf den Marktplatz geführt. Wußte er doch nicht einmal, daß heute – 24 Stunden nach seiner Einfahrt im Hafen von Arkassa – Sklavenmarkt daselbst sei. Da er andererseits die Sakolewa nicht vor Anker gefunden hatte, mußte er nicht weniger erstaunt sein, hier Nikolas Starkos zu finden als umgekehrt dieser ihn. Nikolas Starkos wiederum hatte keine Ahnung, daß die Korvette von Henry dAlbaret befehligt würde, wenngleich ihm bekannt war, daß sie in Arkassa vor Anker lag. Und wenn nun Henry dAlbaret mit diesem gänzlich unvermuteten Gebot dazwischen geschneit war, so war der Grund, daß er eben unter den Gefangenen im Batistan Hadschina und Xaris bemerkt hatte – Hadschina, die wieder in die Gewalt von Nikolas Starkos fallen sollte! ... Aber Hadschina hatte ihn gehört, hatte ihn gesehen ... und wäre, hätten sie die »Baschis« nicht daran verhindert, zu ihm hinüber gestürzt.

Mit einer kurzen Handbewegung beruhigte Henry dAlbaret das junge Mädchen und bedeutete sie, ihren Platz nicht zu verlassen. So tief auch seine Empörung war, als er sich seinem verhaßten Nebenbuhler gegenübersah, so blieb er doch Herr über sich. Ja! und sollte es sein ganzes Vermögen kosten, an Nikolas Starkos sollten die in Arkassa am Markte befindlichen Gefangenen nicht fallen, nicht mit ihnen diejenige, die er so lange gesucht, die wiederzusehen er kaum noch gehofft hatte!

Der Kampf, dessen war er sich bewußt, würde heiß werden. Konnte auch Nikolas Starkos nicht fassen, wieso Hadschina Elisundo sich unter diesen Gefangenen befand, so war und blieb sie für ihn doch die reiche Erbin des korfiotischen Bankiers. Dessen Millionen konnten doch nicht verschwunden sein; von einer Gefahr also, im Gebote zu hoch zu gehen, bei einer Sklavin mit solchem Vermögen konnte für ihn keine Rede sein! Kein Wunder also, daß Nikolas Starkos zu dem festen Entschlusse gelangte, seinem Nebenbuhler gegenüber – noch dazu demjenigen Nebenbuhler, den Hadschina ihm vorzog – vom Kampfe nicht abzulassen.

»6000 Pfund!« rief er.

»7000!« antwortete der Kommandant der »Syphanta«, ohne Säumen, ohne sich nach dem Gegner auch nur umzusehen.

Der Kadi konnte sich zu solcher Wendung der Dinge nur gratulieren. Diesen beiden Bietern gegenüber hielt er es der Mühe für gar nicht wert, die Befriedigung zu verbergen, die sich all seiner ottomanischen Gravität zum Trotz zum Ausdruck brachte. Wenn aber dieser habgierige Vertreter der Obrigkeit schon ausrechnete, wie hoch sich der Profit aus diesem Geschäft für ihn stellen würde, so verlor Skopelo nachgerade alle Herrschaft über sich. Freilich hatte er Henry dAlbaret erkannt und auch Hadschina Elisundo. Ließ sich Nikolas Starkos aus Haß verleiten, die Sache – die bis zu gewissem Grade ja ein gutes Geschäft geblieben wäre – weiterzutreiben, so drohte schließlich, besonders, wenn das Mädchen mit ihrer Freiheit auch ihr Vermögen verloren hatte, was schließlich ja nicht unmöglich war, ein ganz gefährlicher Verlust: deshalb zog er jetzt Nikolas Starkos beiseite und versuchte ihm mit Unterwürfigkeit Vorhalte zu machen. Aber er kam so übel an, daß er es von neuem kaum wieder gewagt hätte. Von jetzt ab machte der Kapitän der »Karysta« seine Gebote selber und schleuderte sie dem Ausrufer mit maßloser Geringschätzung, berechnet auf die Kränkung seines Rivalen, zu.

Die Mäkler waren, wie man sich denken kann, am Platze geblieben, um dem so heiß entbrennenden Kampfe bis zu Ende zu folgen. Die neugierige Menge, gereizt durch diesen Kampf um Tausende von Pfunden, bekundete ihr Interesse durch überlautes Klatschen. Wenn auch die meisten der Anwesenden den Kapitän der Sakolewa kannten, so kannte doch kein einziger von ihnen den Kommandanten der »Syphanta«. Ja man wußte nicht einmal, was diese Korvette unter korfiotischer Flagge im Hafen von Scarpanto wollte. Aber seit dem Beginn des Krieges waren soviel Schiffe aller möglichen Nationen mit Gefangenentransport befaßt gewesen, daß solche Annahme auch betreffs der »Syphanta« am nächsten lag. Mochten die Gefangenen also von Henry dAlbaret gekauft werden oder von Nikolas Starkos, so änderte das, nach der Meinung der Arkassaner, nicht das mindeste: keiner von beiden kaufte sie zu anderm Zwecke, als um sie in die Sklaverei zu führen.

Jedenfalls ging die Frage binnen jetzt und fünf Minuten ihrem Abschluß entgegen.

Auf das letzte, durch den Ausrufer verkündete Gebot hatte Nikolas Starkos ohne Zögern geantwortet mit dem Rufe:

»8000 Pfund!«

»9000 Pfund!« hatte Henry dAlbaret geboten.

Neue Stille. Wer Kommandant der »Syphanta«, nach wie vor Herr über sich, verfolgte Nikolas Starkos, der in grimmiger Erregung auf und ab lief, mit den Blicken. Skopelo wagte kein Wort wieder an seinen Kapitän. Uebrigens hätte jetzt kein Vorhalt, keine Erwägung die Wut der Gebote hemmen können!

»10 000 Pfund!« schrie Nikolas Starkos.

»11 000 Pfund!« antwortete Henry dAlbaret.

»12 000 Pfund!« versetzte, diesmal ohne eine Sekunde zu zögern, Nikolas Starkos.

Kommandant dAlbaret hatte nicht auf der Stelle geantwortet. Nicht als ob er sich besonnen hätte! Durchaus nicht! Aber er hatte gesehen, daß sich Skopelo auf Nikolas Starkos stürzte, um ihm in diesem tollen Beginnen Einhalt zu tun – ein Umstand, der auch die Aufmerksamkeit des Kapitäns der »Karysta« auf Zeit von Sekunden ablenkte.

Zur selben Zeit hatte sich die gefangene Griechin, die sich bislang so hartnäckig versteckt und verhüllt gehalten hatte, zu voller Höhe aufgerichtet, wie wenn sie den Einfall bekommen hätte, Nikolas Starkos ihr Gesicht zu zeigen.

Da blitzte auf dem Mauerkranze der Citadelle von Urkassa in einer Schlange weißen Dampfes eine jähe Flamme empor ... aber ehe noch der Schuß bis zum Batistan herüber gedröhnt war, erfolgte mit schallender Stimme ein neues Gebot:

»13 000 Pfund!«

Dann dröhnte der Schuß ... endloses Hurrageschrei folgte ... Nikolas Starkos hatte Skopelo mit solcher Gewalt von sich gestoßen, daß er sich am Boden wälzte ... Jetzt, war es zu spät! Nikolas Starkos war nicht mehr im Rechte zu überbieten! Hadschina Elisundo war ihm entronnen ... und ohne Zweifel für alle Zeit!

»Komm!« sprach er mit dumpfer Stimme zu Skopelo.

Dann hätte man, wer gut hören konnte, die Worte, die halb zwischen seinen Zähnen blieben, hören können:

»So wirds sicherer sein und billiger sein!«

Sie stiegen beide in ihre Araba und verschwanden hinter dem Knie, das die nach dem Innern der Insel führende Straße unmittelbar hinter dem Marktplatze machte.

Schon war Hadschina, von Xaris gezogen, über die Schranke des Batistans getreten. Schon lag sie in Henrys Armen, der sie an sein Herz preßte und ihr zuflüsterte:

»Hadschina! ... Hadschina! ... all mein Vermögen hätte ich geopfert, um dich loszukaufen!«

»Wie ich das meinige geopfert habe, um die Ehre meines Namens zu erkaufen!« versetzte das junge Mädchen. »Ja, Henry! ... Hadschina ist jetzt arm ... arm ... und deiner würdig!«

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