Frei Lesen: Der Archipel in Flammen

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Jules Verne

Der Archipel in Flammen

Sechstes Kapitel.

eingestellt: 28.7.2007



Der Kurs Nordnordwest, der von der Sakolewa gehalten wurde, führte sie mitten durch das pittoreske Sammelsurium, das die ionischen Inseln bilden. Ein Glück für die »Karysta«, daß sich ihre wahre Natur hinter ihr biederes Aussehen als Levantefahrzeug, halb Vergnügungsjacht, halb Kauffahrteischiff, versteckte. Sonst wäre es nicht klug von ihrem Kapitän gewesen, sich bis unter die Kanonen der britischen Forts und zwischen die britischen Fregatten hinein so auf Gnade und Ungnade zu ergeben.

Etwa 15 Seemeilen höchstens liegen zwischen Arkadien und der Insel Zante, »der Blume der Levante«, wie sie poetisch von den Italienern genannt wird. Vom Hintergrunde des Golfs aus, durch den die »Karysta« jetzt segelte, sah man sogar die grünenden Gipfel des Skopos, an dessen Wänden sich Oliven- und Orangenhaine hinaufziehen, die an Stelle der von Homer und Orangenhaine hinaufziehen, die an Stelle von Homer ... Setzerfehler: doppelte Zeile, Setzerfehler: fehlende Zeile

Der Wind war günstig. Aus Südosten blies eine kräftige Landbrise. Unter ihren Mars- und Besan-Bonnetten strich die Sakolewa munter durch die Fluten von Zante, die fast so ruhig lagen wie die eines Sees.

Gegen Abend segelte sie in Sicht der Hauptstadt gleichen Namens mit der Insel. Eine liebliche italienische Stadt, die auf dem Boden des Zakynthos, des Sohnes des Trojaners Dardanos, aufblüht. Vom Deck der »Karysta« aus waren bloß die Lichter der Stadt sichtbar, die sich über den Raum einer halben Meile am Saum einer kreisförmigen Bucht erstreckt. Diese in verschiedenen Höhen, von den Hafenkais bis zu den Zinnen des in 300 Fuß Höhe gelegenen Schlosses venetianischen Ursprungs hinauf, verstreuten Lichter bildeten gleichsam ein Sternbild von gewaltiger Größe, als dessen Sterne erster Größe die Lichter gelten konnten, die die Plätze anzeigten, wo die im Renaissance-Stil erbauten Paläste der Hauptstraße und die Kathedrale des heiligen Dionysios von Zakynthos sich erheben.

Mit dieser zantiotischen Bevölkerung, die sich durch den innigen Verkehr mit Venetianern, Franzosen, Engländern und Russen stark mit fremdem Blut durchsetzt hat, konnte Nikolas Starkos unmöglich die gleichen Berührungspunkte haben, wie mit den Türken des Peloponnes. Hier auf dieser Insel, der Heimat des berühmten italienischen Dichters Hugo Foscolo zu Ende des 18. Jahrhunderts und des zu den Berühmtheiten von Neugriechenland zählenden Dichters Salomos, hatte Nikolas Starkos keine Veranlassung, Signale mit der Hafenwache auszutauschen oder vor Anker zu gehen.

Die »Karysta« steuerte durch den schmalen Meeresarm, welcher die Insel Zante von Achaia und Elis trennt. Mehr als ein Ohr an Bord hätte sich am liebsten den Gesängen verschlossen, die vom Winde, Gondelliedern vom Lido Venetiens gleich, herübergetragen wurden. Aber man mußte sich darein finden! Die Sakolewa glitt mitten durch diese italischen Melodieen hin und lag am andern Morgen vor dem Hafen von Patras, dem tiefen Einschnitt, welcher die Fortsetzung des Golfs von Lepanto bis zum Isthmus von Korinth bildet.

Nikolas Starkos stand jetzt auf dem Vorderdeck der »Kalysta«. Sein Blick schweifte über diese ganze Küste von Akarnanien an der nördlichen Grenze des Golfs. Von diesem Boden stiegen große, unvergängliche Erinnerungen auf, die einem Sohne Griechenlands das Herz hätten zusammenschnüren müssen, wenn dieser Sohn nicht seit Jahren schon zum Verleugner und Verräter seiner Mutter geworden wäre!

»Missolunghi!« sagte Skopelo, indem er mit der Hand gen Nordosten zeigte. »Alberne Menschen! Dummes Gesindel, das sich lieber in die Luft sprengen läßt, als sich ergibt!«

Dort hätte sich allerdings vor zwei Jahren für Gefangenen-Aufkäufer und Sklavenverkäufer kein Geschäft machen lassen. Nach zehnmonatlichem Ringen hatten die in Missolunghi belagerten Griechen, von den Strapazen zermartert, vom Hunger erschöpft, Stadt und Feste in die Luft gesprengt, statt sich an Ibrahim Pascha zu ergeben. Männer, Weiber, Kinder, alles war bei der Explosion umgekommen, die nicht einmal die Sieger verschonte. Und im Jahre zuvor, fast an derselben Stelle, wo das Griechenvolk Marco Botsaris, einen der Heroen des Unabhängigkeitskrieges, beerdigt hatte, war Lord Byron, dessen sterbliche Ueberreste noch immer keine Ruhestatt in Westminster gefunden haben, trotzdem er einer der herrlichsten Söhne der britischen Erde ist, entmutigt und verzweifelt gestorben. Aber sein Herz ist auf griechischer Erde verblieben, die er so heiß geliebt hat und der die Freiheit, für die er begeistert schwärmte, erst nach seinem Tode zuteil wurde.

Eine heftige Gebärde war die ganze Antwort, die Nikolas Starkos auf Skopelos Bemerkung hin machte. Dann nahm die Sakolewa, die sich rasch aus dem Golfe von Patras entfernte, Kurs auf Kefalonia.

Bei so günstigem Winde vom Lande her waren nur wenige Stunden notwendig, um die Entfernung zwischen Kefalonia und Zante zurückzulegen, zumal die »Karysta« keine Veranlassung fand, in Argostoli, der Hauptstadt, anzulaufen, deren Hafen, wenn er auch nur geringe Tiefe hat, darum doch zu den besten für Fahrzeuge mittleren Tonnengehaltes rechnet. Die »Karysta« steuerte kühn in die engen Fahrstraßen hinein, die sich um die Ostküste von Kefalonia ziehen, und erreichte gegen 3 Uhr abends die Spitze von Thiaki, dem Ithaka des Altertums.

Diese Insel von acht Meilen Länge bei anderthalb Meilen Breite ist eine seltsame Felseninsel von grandioser Wildheit, besitzt großen Reichtum an Oel und Wein und zählt etwa ein Dutzend tausend Einwohner. An sich von keiner geschichtlichen Bedeutung, ist es im Altertum durch Odysseus und Penelopeia, deren Vaterland es war und an die noch die Gipfel des Anogi, die Höhle im Sankt-Stefansberge in den Ruinen auf dem Berge Oetos, in den Gefilden Eumeas, am Fuße des sogenannten Rabenfelsens, auf welchem die poetischen Wasser der Arethusa-Quelle entspringen sollten, zu hoher Schönheit gelangt.

Bei sinkender Nacht war das Land des Sohnes des Laertes allmählich im Schatten verschwunden, etwa ein Dutzend Meilen jenseits vom letzten Vorgebirge von Kefalonia. Zur Nachtzeit gewann die »Karysta« mehr offne See, weil sie dem engen Kanal ausbiegen mußte, der die Nordspitze Ithakas von der Südspitze Santa Mauras trennt, und fuhr etwa zwei Meilen vom Ufer an der Ostküste dieser Insel entlang.

Bei hellem Mondschein würde man von hier aus eine Art weißer Uferwand, wenn auch kaum deutlich, bemerkt haben, die etwa 180 Fuß hoch über das Meer heraufragt, nämlich den durch Sappho und Artemisia, die von hier aus den Tod gesucht haben sollen, als »Leukates Sprung« berühmten Felsen. Aber von dieser, noch heute den Namen Leukate tragenden Insel verblieb bei aufsteigender Sonne im Süden keine Spur mehr, und die Sakolewa verfolgte nun an der albanesischen Küste hin die Richtung nach Korfu.

Etwa 20 Meilen waren an diesem Tage noch zu fahren, wenn Nikolas Starkos vor Einbruch der Nacht noch in den Gewässern der Hauptstadt dieser Insel einlaufen wollte.

Die kühne und flinke »Karysta«, die soviel Segelzeug gesetzt hatte, daß sie mit ihrem Bord fast auf der Wasserfläche lag, bezwang diese Aufgabe leicht. Die Brise hatte sich erheblich verstärkt. Der Steuermann mußte scharfen Ausguck halten, um unter so hohem Segeldruck nicht in Gefahr zu kommen. Zum Glück waren die Masten fest und sicher, das Takelwerk so gut wie neu und von vortrefflicher Beschaffenheit. Kein Reff wurde eingezogen, keine einzige Bonnette gesenkt.

Die Sakolewa schoß durch das Wasser, als wenn es sich um den ersten Preis bei einer internationalen Wettfahrt gehandelt hätte, an dem Eilande Paxos vorbei. Nach Norden hin zeigte sich bereits das Profil der ersten Höhen von Korfu, zur Rechten an der albanesischen Küste, fern am Horizont, die Zackenkette des Akrokeraunischen Gebirges. Ein paar Kriegsschiffe unter britischer, zum Teil auch türkischer Flagge kamen in diesen ziemlich stark befahrenen Gewässern des Ionischen Meeres in Sicht. Die »Karysta«« ging weder den einen noch den andern aus dem Wege. Wäre ihr das Signal beizulegen gegeben worden, so würde sie unbedenklich gehorcht haben, denn sie führte weder Fracht noch Konsignation an Bord, die ihre Herkunft hätten verraten können.

Gegen vier Uhr nachmittags faßte die Sakolewa schärfer Wind, um in den Kanal Einfahrt zu gewinnen, der Korfu vom Festlande scheidet. Die Schoten wurden gesteift und der Mann am Ruder luvte um eine Quart, um das Kap Blanco an der Südspitze der Insel zu nehmen.

Dieses erste Stück des Kanals ist lachender als sein nördlicher Teil. Schon hierdurch bildet er einen glücklichen Gegensatz zu der noch so gut wie unkultivierten, halb wilden Küste. Ein paar Meilen weiter verbreitet sich der Kanal durch die Ausbuchtung, welche die korfiotische Küste hier aufweist. Die Sakolewa konnte also an Fahrt gewinnen, indem sie schrägen Kurs nahm, und passierte gegen 5 Uhr, nahe dem Eilande des Odysseus, die Oeffnung, welche den See Kalikiopulo, den Hylläischen Hafen des Altertums, mit dem Meere verbindet. Dann folgte sie den Umrissen jener lieblichen »Cannone«, die mit Aloe und Agaven bepflanzt ist und bereits von den Gefährten und Reitern belebt wird, die eine Meile südlich von der Stadt in der erquickenden Luft sich an dem herrlichen Panorama weiden, dessen Horizont auf dem andern Kanalufer die albanesische Küste bildet. Vorüber an der Bai von Kardakio und den sie überragenden Ruinen, vorbei an dem Sommerpalaste des Lord-Oberkommissariats, ließ die »Karysta« die Bucht von Kastrades, auf der sich die Vorstadt gleiches Namens in der Runde hinzieht, dann die Strada Marina, mehr Promenade als Straße, das Zuchthaus, das alte Fort Salvador und die ersten Gebäude der korfiotischen Hauptstadt zur Linken, segelte um das Kap Sidero, das die Citadelle trägt, gleichsam eine kleine Militärstadt für sich und doch groß genug, um Platz für die Kommandanturgebäude, die Offiziersquartiere, ein Spital und eine griechische Kirche zu bieten, die von den Briten in ein protestantisches Gotteshaus umgewandelt worden ist – endlich, nach kurzer Biegung in westlicher Richtung, um die Landspitze San Nicolo, von da an dem Ufer vorbei, hinter welchem die Gebäude des nördlichen Stadtteils aufsteigen, und bis auf eine halbe Kabellänge an die Mole heran, um da Anker zu werfen.

Das Boot wurde bemannt, Nikolas Starkos und Skopelo stiegen ein –der erstere nicht ohne daß er eins jener Messer mit kurzer, breiter Klinge, wie sie in den Landstrichen Messeniens stark im Brauche sind, in den Gürtel geschoben hatte. Die beiden Männer gingen bei der Sanitätswache ans Land und legten dort ihre Schiffspapiere vor, die in völliger Ordnung befunden wurden. Es stand ihnen hiernach frei sich nach Belieben hierhin oder dorthin zu begeben, und nach kurzer Verabredung, sich um 11 Uhr zu treffen, um sich zusammen an Bord zu begeben, trennten sie sich.

Skopelo begab sich, um für die »Karysta« allerhand Geschäfte zu besorgen, in die engen kurzen krummen Gassen und Gäßchen der Handelsstadt mit ihren italienischen Namen, unter die »Lauben«, mit den Kauf- und Schauläden, in das dichte bunte Gewühl eines echt neapolitanischen Stadtviertels.

Nikolas Starkos dagegen wollte diesen Abend benutzen, um »zu horchen« – wie man im Volksmunde sagt. Zu dem Zwecke begab er sich auf die »Esplanade«, den vornehmsten Teil der korfiotischen »City«.

Diese Esplanade oder der Paradeplatz, zu beiden Seiten mit herrlichen Bäumen bepflanzt, erstreckt sich zwischen der Stadt und der Citadelle, von der sie durch einen breiten Graben geschieden wird. Fremde und Einheimische bildeten dort ein unaufhörliches Wogen und Treiben, das aber einen nichts weniger als festlichen Anstrich an sich hatte. Stafetten eilten in den auf der Nordseite des Platzes befindlichen Palast, der von dem britischen General Maitland erbaut worden ist, und verließen denselben durch das Sankt-Georgs- oder Sankt-Michaels-Tor, die sich zu beiden Seiten der weißen Kalkstein-Fassade erheben. Zwischen dem Gouverneurspalast und der Citadelle mit dem Standbilde des Generals Schulenburg, fand ein unablässiger Meldeverkehr statt.

Nikolas Starkos mischte sich unter die Menge. Er erkannte auf der Stelle, daß dieselbe unter dem Eindruck keiner täglichen Aufregung stand. Da er der Mann nicht war, um selber Fragen zu stellen, begnügte er sich damit, die Ohren offen zu halten. Was ihm vor allem auffiel, war ein Name, der unter allen Gruppen, fast ohne Ausnahme, mit Beigaben recht unerfreulicher Art immer und immer wieder genannt wurde.

Dieser Name schien seine Neugierde zuerst halb und halb zu reizen. Dann zuckte er aber geringschätzig mit den Achseln und stieg dann die Esplanade wieder hinunter bis zu der Terrasse, die über das Meer hinausragend ihren Abschluß bildet.

Dort hatte sich eine gewisse Zahl Neugieriger um einen kleinen Tempel kreisrunder Form geschart, der vor kurzem zum Gedächtnis Sir Thomas Maitlands errichtet worden. Und auch hier schwebte auf aller Lippen der Name, der schon auf der Esplanade den Weg zu seinem Ohre gefunden, auch hier schien aller Zwist und Hader vergessen zu sein, und aller Groll und Zorn sich in einem einzigen, ewig gleichlautenden Fluche Luft zu machen:

»Sakratif! Sakratif! Fluch über den Seeräuber Sakratif!«

Ob die auf und ab wogende Menge in englischer, italischer oder griechischer Zunge redete, ob der verfluchte Name mit diesem oder jenem Accent ausgesprochen wurde, die Flüche, mit denen er überschüttet wurde, waren und blieben der Ausdruck des gleichen Grausens, des gleichen Abscheus, des gleichen Hasses.

Nikolas Starkos hörte nach wie vor zu, sprach aber kein Wort. Von der Höhe der Terrasse aus konnte sein Blick bequem einen großen Teil des Kanals von Korfu, der bis zu den von der Abendsonne beleuchteten Bergen Albaniens eingeschlossen war wie ein See, überschauen.

Der Kapitän der »Karysta« wandte sich nach der Hafenseite. Hier nahm er ein besonders reges Leben und Treiben wahr. Unzählige Barken ruderten zu den Kriegsschiffen hinüber. Signale wurden zwischen diesen Schiffen und dem auf dem Kamm der Citadelle errichteten Flaggenmast gewechselt. Die Batterien und Kasematten derselben lagen tiefversteckt hinter einer Gardine gigantischer Aloebäume.

Augenscheinlich – über all diese Symptome konnte sich ein Seemann schwerlich täuschen – rüsteten sich Schiffe zur Abfahrt von Korfu. War dies der Fall, so mußte man es den Korfioten lassen, daß sie ein tatsächlich auffällig reges Interesse hieran nahmen.

Aber schon war die Sonne hinter den hohen Bergspitzen der Insel verschwunden, und bei der unter diesen Breiten ziemlich kurzen Dämmerung konnte der Einbruch der Nacht nicht lange auf sich warten lassen. Nikolas Starkos hielt es demnach für geraten, die Terrasse zu verlassen. Er begab sich zurück auf die Esplanade, ohne sich um die Menge von Menschen zu bekümmern, die dort aus Neugierde noch zurückgehalten wurden. Dann lenkte er die Schritte gemächlich nach den »Lauben« unter dieser Häuserfolge, welche die westliche Seite des Paradefeldes abschließt.

Dort fehlte es weder an den hellerleuchteten Cafés, noch an den langen Reihen von Stühlen, die auf der Straße weithin aufgestellt sind und schon von zahlreichen Kaffeehausgästen besetzt gehalten wurden. Indessen fand man bald heraus, daß all diese Herrschaften den Mund mehr zum »Konversieren« als zum »Konsumieren« zu haben schienen, sofern es statthaft ist, solche allzu modernen Ausdrücke auf die Korfioten der Anfangsjahrzehnte des verwichenen Jahrhunderts anzuwenden.

Nikolas Starkos setzte sich in der festen Absicht, sich kein Wort von den an den Nebentischen geführten Gesprächen entgehen zu lassen, an einen kleinen Tisch.

»Wahrlich!« rief ein Reeder aus der Strade Marina, »von Sicherheit für den Handel läßt sich gar nicht mehr sprechen, und wertvolle Fracht nach Levanteplätzen darf man gar nicht mehr riskieren.«

»Und nur zu bald,« setzte sein Tischnachbar hinzu, einer jener protzigen Briten, die immer, gleich dem Sprecher ihres Oberhauses, auf einem Vollsack zu sitzen scheinen – »nur zu bald wird keine Mannschaft mehr zu finden sein, die an Bord von Archipel-Fahrzeugen Dienste leisten will.«

»O! dieser Sakratif! ... Dieses Luder von Sakratif!« klang es voll aufrichtigen Abscheus aus allerlei Gruppen.

»Ein Name, ganz danach, daß man sich die Kehle verrenken kann,« dachte der Kaffeehauswirt, »der doch veranlassen sollte, dieses notwendige Organ unseres Organismus zu schmieren!«

»Wann soll denn die »Syphanta« in See stechen?« fragte der Reeder.

»Um 8 Uhr,« erwiderte der Korfiote. »Aber,« setzte er in einem Tone hinzu, der nicht gerade vertrauensvoll klang, »mit dem Stechen in See ists nicht abgemacht, es soll auch der Ort erreicht werden, wohin das Schiff bestimmt ist!«

»Ei! der Ort wird auch erreicht werden!« rief ein anderer Korfiote – »es wird sich doch nicht sagen lassen, daß ein einziger Pirat die britische Marine in Schach halten könne ...«

»Mitsamt der griechischen und französischen und italischen Marine!« setzte phlegmatisch ein englischer Offizier hinzu, der jedem Staate seinen Anteil an der Blamage gewahrt wissen wollte.

»Aber,« fuhr der Reeder fort, indem er von seinem Stuhle aufstand, »die Stunde kommt heran, und wenn wir bei der Abfahrt der »Syphanta« dabei sein wollen, dürfte es wohl Zeit sein, sich auf die Esplanade zu begeben.«

»Nein,« erwiderte sein Tischnachbar, »es hat noch keine Eile. Zudem muß doch ein Kanonenschlag die Abfahrt verkünden.« Man steuerte seinen Anteil zu Verwünschungen weiter bei, von denen es noch immer gegen Sakratif hagelte.

Zweifelsohne hielt Nikolas Starkos den Augenblick für günstig, sich in das Gespräch zu mischen, und ohne daß ihn der leiseste Accent als einen Griechen aus dem südlichen Landesteile hätte verraten können, wandte er sich mit den Worten an seine Tischnachbarn:

»Meine Herren, dürfte ich mir die Frage erlauben, wie es sich eigentlich verhält um diese »Syphanta«, von der heute alle Welt spricht?«

»Die Syphanta, mein Herr, ist eine Korvette,« wurde ihm zur Antwort, »eine Korvette, zu deren Ankauf, Armierung und Bemannung sich aus englischen, französischen und korfiotischen Reedern eine Gesellschaft gebildet hat. Die Mannschaft setzt sich aus diesen drei Nationalitäten zusammen. Auslaufen wird die Korvette unter dem Kommando des erprobten Kapitäns Stradena. Vielleicht gelingt ihm, was den Kriegsschiffen Englands und Frankreichs nicht gelingen will!« »Ah!« rief Nikolas Starkos, »eine Korvette, die in See sticht! und nach welchen Gewässern, wenn ich bitten darf?«

»Dorthin, wo er das Aas von Sakratif treffen, fangen und hängen kann!«

»Da muß ich Ihre Liebenswürdigkeit noch mit einer weiteren Frage in Anspruch nehmen,« fuhr Nikolas Starkos fort, »was ist denn das für ein Mensch, dieser Sa –«

»Sakratif!« half ihm der Korfiote ein, trotzdem er über die Frage ganz verblüfft wurde, dem aber der Engländer durch einen am richtigsten durch den Laut »au!« wiedergegebenen Ruf der Verwunderung beisprang – »Sie fragen, was dieser Sakratif für ein Kerl ist?«

Ein Mensch, der in Korfu, mitten in der Stadt, in dem Moment da dieser Name in aller Munde war, noch darüber in Unwissenheit war, wem er gehörte, mußte notwendigerweise als Phänomen angestaunt werden! Der Kapitän der »Karysta« merkte auch sofort, welche Wirkung seine Unwissenheit auf die versammelte Gesellschaft hervorbrachte. Er beeilte sich deshalb hinzuzufügen:

»Ich bin fremd, meine Herren, komme gerade von Zara, also direkt von der Adria her, also kann ich nicht gut wissen, was auf den ionischen Inseln vorgeht!«

»Sagen Sie lieber, was im Archipel vorgeht!« rief der Korfiote, »denn, wirklich und wahrhaftig, dieser Sakratif hat den ganzen Archipel zum Schauplatz seiner Seeräuberei gemacht!«

»Ah!« machte Nikolas Starkos, »von einem Seeräuber ist die Rede?«

»Von einem Seeräuber, einem Strandräuber, einem Küstenmarder, einem Meer-Werwolf!« versetzte der protzige Brite, ... »jawohl! all diese Titel verdient dieser Sakratif! Das Wörterbuch ist gar nicht reich genug an Schimpfwörtern und Flüchen, die diesem Schufte zukommen!«

Der Engländer war schier außer Atem.

»Was mich bloß wundert, mein Herr,« setzte er hinzu, »ist die Tatsache, daß man noch einen Europäer trifft, der nicht weiß, was und wer Sakratif ist!«

»O mein Herr,« versetzte Nikolas Starkos, »völlig unbekannt, glauben Sie mir, ist mir der Name nicht; aber daß sich die ganze Stadt heute durch ihn hat in Alarm setzen lassen, das wußte ich nicht. Ist etwa Korfu durch einen Ueberfall dieses Piraten bedroht?«

»Das dürfte er doch wohl nicht riskieren!« rief der Reeder; »den Fuß auf unsere Insel zu setzen, wird er sich wohl niemals beikommen lassen!«

»Ah ... wirklich?« versetzte der Kapitän der »Karysta«.

»Ganz gewiß, Herr, und wäre es wirklich an dem, dann wär ihm der Galgen nicht weit! wie Pilze würden die Galgen emporschießen und nach ihm zuschnappen, wenn er vorbeikäme!«

»Woher dann aber diese Aufregung?« fragte Nikolas Starkos; »kaum seit einer Stunde bin ich gelandet und kann mir tatsächlich nicht erklären, wie sich eine ganze Bevölkerung dermaßen alarmieren lassen kann.«

»Der Grund ist der, mein Herr,« antwortete der Engländer, »vor etwa vier Wochen sind zwei Kauffahrer, der »Carnatic« und die »Three Brothers« von diesem sakrischen Sakratif gekapert und was von beiden Besatzungen mit dem Leben davongekommen, in Tripolis auf den Sklavenmärkten verkauft worden.«

»Nicht möglich!« rief Nikolas Starkos; »hm, eine schlimme Affäre, die diesem Sakratif wohl noch leid tun könnte!«

»Daraufhin hat sich eben eine Gesellschaft von Reedern zusammengetan und hat eine Kriegskorvette armiert, einen Schnellfahrer ersten Ranges, mit auserlesener Mannschaft unter dem Kommando eines unerschrockenen Seemanns! ja, unser Stradena wird diesem Sakratif schon ans Leder gehen! Diesmal steht wirklich zu hoffen, daß dieser Seeräuber, der den ganzen Archipel in Schach hält, seinem Schicksal nicht entrinnen wird!«

»Schwer wirds ihm jedenfalls werden,« versetzte Nikolas Starkos.

»Und wenn Sie heute die ganze Bevölkerung auf den Beinen und auf der Esplanade versammelt sehen,« setzte der Reeder hinzu, »so hat das keinen andern Grund, als weil ganz Korfu der »Syphanta« ein Hurra zum Abschied nachrufen will, wenn sie den Kanal hinunter segelt!«

Nikolas Starkos wußte nun jedenfalls, was er wissen wollte. Er dankte seinen Tischnachbarn, stand auf und mischte sich von neuem unter die Menge, welche die Esplanade füllte. Was von diesen Engländern und Korfioten gesagt worden war, war keineswegs übertrieben, sondern nur allzu wahr. Seit mehreren Jahren schon kennzeichneten sich Sakratifs Raubzüge durch Gewalttätigkeit der empörendsten Art. Unzählige Kauffahrteischiffe aller Nationalität waren von diesem Seeräuber, dessen Verwegenheit mit seiner Blutgier um den Rang stritt, überfallen worden. Woher kam der Bandit? welcher Herkunft war er? gehörte er jenem Piratengesindel an, das an den Küsten der Berberei zu Hause ist? Wer hätte es sagen können? Es kannte ihn niemand. Es hatte ihn niemand gesehen. Keiner von all denen, die unter das Feuer seiner Kanonen geraten waren, war davongekommen: wer nicht den Tod gefunden hatte, war in die Sklaverei geschickt worden. Wer hätte die Schiffe nennen können, die er fuhr? Er wechselte unablässig mit dem Kommando, war bald auf diesem, bald auf jenem Schiffe; führte seine Schläge bald mit einer flinken Levante-Brigg, bald mit einer jener leichten Korvetten, deren Schnelligkeit kein Schiff übertrumpfen kann, und führte immer die Schwarzflagge. Im Nu war er verschwunden, sobald er merkte, daß er im Nachteil war, daß er sich einem zu starken Gegner gegenüber befand. Und in welchen unbekannten Schlupfloch, in welchem entlegenen Winkel des Archipels hätte man ihn suchen sollen? Kannte er doch die geheimsten Engen dieser Küsten, deren Kunde damals noch außerordentlich zu wünschen ließ.

War der Seeräuber Sakratif ein tüchtiger Seemann, so war er nicht minder ein schrecklicher Draufgänger. Immer von Mannschaft umringt, die vor nichts zurückschreckte, vergaß er niemals ihr nach dem Kampfe den »Teufelsteil« zu lassen, das heißt: ein paar Stunden zu Mord und Plünderung. Darum folgten ihm auch seine Scharen, wohin er sie führte; darum führten sie seine Befehle aus, gleichviel wie sie lauteten. Einer wie alle hätten sich erschlagen lassen für ihn! Die Androhung der furchtbarsten Strafen hätte sie zu keinem Verrat an ihrem Häuptling bestimmt, der einen wirklichen Zauber auf sie übte. Gerieten solche Leute mit den Enterhaken an ein Schiff, so war Widerstand freilich nur selten möglich, vornehmlich dann, wenn es ein Kauffahrteischiff war, dem es ja an ausreichenden Verteidigungsmitteln in der Regel fehlt.

Uebrigens hätte Sakratif, wäre ihm trotz aller Gewandtheit einmal ein Kriegsschiff über den Hals gekommen, sich eher in die Luft gesprengt, als sich ergeben. Ja man erzählte sich, daß er bei solcher Gelegenheit einmal, als ihm die Kugeln ausgingen, den auf Deck liegenden Leichen die Köpfe abgeschnitten und damit seine Kanonen geladen!«

Auf die Verfolgung solches Mannes also wurde die »Syphanta« ausgeschickt – das also war der furchtbare Seeräuber, dessen fluchbeladener Name in der korfiotischen Hauptstadt ein solches Maß von Aufregung verursacht hatte!

Bald dröhnte ein Schuß. Ueber dem Hauptwall der Citadelle zuckte ein greller Blitz auf; eine Rauchwolke stieg auf. Es war das Abfahrtssignal. Die »Syphanta« lichtete die Anker und fuhr den Kanal von Korfu hinunter, um die südlichen Gewässer des Ionischen Meers zu gewinnen.

Alles Volk drängte zum Rande der Esplanade, zur Terrasse hin, wo Sir Maitlands Monument stand. Nikolas Starkos, gebieterisch fortgerissen durch eine vielleicht stärkere Empfindung als die bloßer Neugierde, befand sich im Nu vorn in der ersten Reihe.

Allmählich trat im hellen Mondlicht die Korvette mit ihren Positionsfeuern in Sicht. In langsamer Fahrt bog sie um die Spitze des Kap Blanco herum, das sich im Süden von der Insel in die See hinaus schiebt. Ein zweiter Kanonenschlag dröhnte von der Citadelle herüber, dann ein dritter – und von der »Syphanta« herüber, ihre Stückpforten aufhellend, dröhnten drei Kanonenschläge als Antwort herüber. Tausendfaches Hurrageschrei antwortete auf die Salve, und ihr letztes Echo gelangte zu der Korvette hinüber in dem Augenblick, als sie die Bucht von Kardakio passierte.

Dann versank alles in tiefes Schweigen. Allmählich verlief sich die Menge in den Straßen der Vorstadt Kastrades und überließ den Platz den spärlichen Spaziergängern, die noch durch ein geschäftliches Interesse oder aus Lust am Vergnügen auf der Esplanade zurückgehalten wurden.

Noch eine Stunde lang verweilte Nikolas Starkos, in tiefes Sinnen versunken, auf dem großen Paradefelde, das jetzt so gut wie verödet lag. Aber Stille zog weder in sein Hirn noch in sein Herz. In seinen Augen leuchtete ein Feuer, das die Lider nicht zu verdecken vermochten. Sein Blick starrte, gleichsam zufolge unfreiwilliger Regung, in der Fahrtrichtung, die die hinter der verworrenen Inselmasse entschwindende Korvette genommen hatte.

Als es an der Sankt Spiridion-Kirche elf schlug, fiel es Nikolas Starkos ein, daß er sich an der Sanitätswache mit Skopelo hatte treffen wollen, und darum schritt er durch die Straßen des Stadtviertels, die zur neuen Feste hin führen. Bald war er auf dem Kai. Dort wartete Skopelo.

Der Kapitän der Sakolewa trat auf ihn zu.

»Eben ist die Korvette »Syphanta« in See gestochen!« sagte er.

»So?« machte Skopelo.

»Ja ... um auf Sakratif das Jagen zu eröffnen!«

»Die oder eine andere – was tuts?« lautete Skopelos einfache Antwort, indem er mit der Hand auf die Gig wies, die sich am Treppenfuße auf den letzten Wellenschlägen der Kabelsee schaukelte.

Ein paar Minuten später legte das Boot an der »Karysta« an und mit den Worten: »Morgen zu Elisundo!« sprang Nikolas Starkos an Bord.

< Fünftes Kapitel.
Siebentes Kapitel. >



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