Frei Lesen: Der Archipel in Flammen

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Jules Verne

Der Archipel in Flammen

Siebentes Kapitel.

eingestellt: 28.7.2007



Am Tage darauf, gegen 10 Uhr vormittags, ging Nikolas Starkos an der Mole ans Land und begab sich zu dem Hause des Bankiers. Nicht zum erstenmale erschien er in diesem Kontor, vielmehr wurde er dort immer als ein Kunde empfangen, dessen Geschäfte nicht von der Hand zu weisen seien.

Elisundo kannte ihn jedoch; Elisundo mußte vieles aus seinem Leben wissen; Elisundo war es auch nicht fremd, daß er der Sohn jener Patriotin war, über die er einmal mit Henry dAlbaret gesprochen hatte. Sonst aber wußte niemand und konnte niemand wissen, wie es um den Kapitän der »Karysta« stand.

Nikolas Starkos wurde augenscheinlich erwartet, deshalb auch sogleich vorgelassen, als er sich meldete. Der vor 48 Stunden aus Arkadia eingelaufene Brief war nämlich von ihm. Der Bankier schloß, als Nikolas Starkos in seinem Privatkontor stand, der Vorsicht halber die Tür ab.

Nun standen die beiden Männer einander gegenüber.

Niemand würde sie stören, niemand würde hören können, was in diesem Zwiegespräch verlautete.

»Guten Tag, Elisundo,« hub der Kapitän der »Karysta« an und ließ sich mit der Ungezwungenheit eines Menschen, der sich zu Hause fühlt, in einen Sessel fallen; »bald ein halbes Jahr ist es nun her, seit ich Sie zum letztenmal gesehen, wenn Sie auch öfter von mir gehört haben. Dicht an Korfu mochte ich doch nicht vorbeifahren, ohne auszusteigen und einen Händedruck mit Ihnen zu wechseln.«

»Bloß um mich zu sehen oder um ein paar freundschaftliche Worte mit mir zu wechseln, sind Sie nicht hergekommen, Nikolas Starkos,« versetzte der Bankier mit dumpfer Stimme – »was also ist Ihr Begehr?«

»Sieh da! sieh da!« rief der Kapitän, »daran erkenne ich meinen alten Freund Elisundo! Von Sentimentalität keine Spur! Geschäftsmann vom Scheitel bis zur Sohle. Es muß lange her sein, seit Sie Ihr Herz im geheimsten Geheimfach Ihres Geldschranks verschlossen – seit Sie den Schlüssel zu diesem Geheimfach verloren haben!«

»Wollen Sie mir sagen, was Sie herführt und warum Sie mir geschrieben haben?« fragte Elisundo wieder.

»Im Grunde haben Sie recht, Elisundo! Keine Gemeinplätze, keine Redensarten! Sprechen wir ernstlich! Es gibt für heute sehr wichtige Interessen zu erörtern – Interessen, die keinen Aufschub erleiden!«

»In Ihrem Schreiben sprechen Sie von zwei Geschäften,« fuhr der Bankier fort: »einem, das in die Kategorie unserer gewohnten Beziehungen schlägt, und einem andern, das lediglich Ihre Person angeht.«

»Sehr richtig, Elisundo!«

»Nun, dann reden Sie, Nikolas Starkos! ich möchte wissen. um was es sich bei den beiden Geschäften handelt.«

Der Bankier war in seiner Ausdrucksweise, wie man sieht, sehr bestimmt: leider stand hiermit der dumpfe Ton, in welchem er sprach, nicht im Einklang; ganz augenscheinlich war es von den beiden Männern, die einander hier gegenüber standen, nicht der Bankier, welcher die Lage beherrschte. Kein Wunder, daß der Kapitän der »Karysta« so etwas wie ein Lächeln nicht verbergen konnte, von welchem indessen Elisundo, der die Augen zu Boden gesenkt hielt, nichts wahrnahm.

»Welche der beiden Fragen diskutieren wir zuerst?« fragte Starkos.

»Ich meine: zuerst die, welche Sie allein persönlich angeht,« sagte der Bankier mit ziemlich großer Lebhaftigkeit.

»Wir fangen aber doch wohl besser mit der andern an,« versetzte der Kapitän in scharfem, allen Widerspruch abschneidendem Tone.

»Meinetwegen, Nikolas Starkos! um was handelt es sich denn?«

»Um einen Gefangenentrupp, den wir in Arkadia übernehmen und nach der Insel Scarpanto schaffen sollen, von wo aus ich ihn an die Küste der Berberei hinüberbringen will: 237 Köpfe, Männer, Weiber und Kinder. Nun wissen Sie ja, Elisundo, aus unseren früheren Geschäften, daß die Türken ihre Ware bloß ausliefern gegen Bargeld oder gegen Tratten mit gutem Giro. Sie sollen mir also die Tratten girieren, Elisundo, und ich verlasse mich darauf, daß Sie mir den Gefallen tun werden, wenn ich Skopelo mit den Tratten sende. – Gilt das als abgemacht – wie?«

Der Bankier gab keine Antwort, aber sein Schweigen ließ sich bloß als ein Ja auf die Frage des Kapitäns auffassen: ließen ihm doch frühere Geschäfte gleicher Art kaum eine andere Wahl!

»Hinzusetzen muß ich,« fuhr Nikolas Starkos mit Ungezwungenheit fort, »daß das Geschäft kein schlechtes sein dürfte. Die türkische Sache nimmt in Griechenland eine schlimme Wendung. Die Seeschlacht von Navarino dürfte, da sich die europäischen Mächte nun einmischen, für die Türken unheilvoll ausgehen. Müssen sie den Krieg einstellen, ists aus mit Kriegsgefangenen, mit Sklavenschacher und Profit. Darum dürften sich für diese letzten Transporte, die man uns noch immer zu ziemlich günstigen Bedingungen läßt, an den Küsten von Afrika Liebhaber zu guten Preisen finden: Wir werden also bei diesem Geschäft mit Vorteil arbeiten, und Sie mit! – Ich darf mich also auf Ihr Giro verlassen?«

»Ich werde Ihnen die Tratten diskontieren,« erwiderte Elisundo, »brauche also dann nicht girieren.«

»Ganz nach Wunsch, Elisundo,« versetzte der Kapitän, »aber Ihr Giro würde uns genügt haben«. Früher zögerten Sie nicht damit!«

»Früher ist nicht jetzt,« erwiderte Elisundo; »jetzt habe ich andere Meinung über all diese Dinge!«

»Ei! was Sie sagen!« rief der Kapitän; »nun, ganz nach Wunsch, wie gesagt! Aber ist es denn wahr, daß Sie das Geschäft an den Nagel hängen wollen, wie ich von Leuten gehört habe?«

»Jawohl, Nikolas Starkos!« versetzte der Bankier mit festerer Stimme, »und zwischen uns beiden wird dieses Geschäft das letzte sein, das gemacht wird ... sofern Sie es noch machen wollen!«

»Freilich will ich es noch machen, Elisundo!« versetzte Nikolas Starkos schroff.

Dann stand er auf, ging ein paarmal durch das Kontor, aber ohne den Bankier aus den Augen zu lassen, deren Blick nicht eben freundlich oder gar wohlwollend war. Endlich trat er vor ihn hin und fragte spöttisch:

»Meister Elisundo! Sie sind also wohl schwer reich, wenn Sie daran denken, das Geschäft an den Nagel zu hängen?«

Der Bankier gab keine Antwort.

»Hm,« machte der Kapitän, »was soll denn aus all den Millionen werden, die Sie verdient haben? mit in die andere Welt hinüber können Sie sie doch nicht nehmen! Wäre doch zu schwere Fracht für diese letzte Reise! An wen fallen sie, wenn Sie mal hinüber sind?«

Elisundo schwieg nach wie vor.

»An Ihre Tochter natürlich fallen Sie,« fuhr Nikolas Starkos fort, »an die schöne Hadschina Elisundo! die wird Erbin sein der Schätze ihres Vaters! was wäre auch rechter und billiger? Aber was soll sie damit anfangen? allein im Leben, im Besitze von soviel Millionen?«

Nicht ohne Anstrengung richtete der Bankier sich auf und stieß rasch, wie jemand, der ein Geständnis macht, das ihm schwer wird, die Worte hervor:

»Allein stehen im Leben wird meine Tochter nicht!«

»So? also verheiraten wollen Sie das Mädel?« versetzte der Kapitän; »und mit wem, bitte? wer wird Hadschina Elisundo nehmen wollen, sobald er weiß, woher das Vermögen ihres Vaters zum größtenteile stammt? ja ich möchte fragen: wem wird Hadschina Elisundo die Hand zu reichen wagen, sobald sie das erfährt?«

»Wie soll sie das erfahren?« versetzte der Bankier; »bis jetzt weiß sie nichts, und wer wirds ihr sagen?«

»Ich, wenns sein muß!«

»Sie?«

»Ich! Hören Sie mich an, Elisundo, und rechnen Sie mit meinen Worten,« versetzte der Kapitän der »Karysta« mit berechneter Unverschämtheit, »denn ich werde auf meine heutigen Worte nicht wieder zurückkommen. Dieses ungeheure Vermögen rührt vornehmlich her von mir, von den Geschäften, die wir zusammen gemacht haben und bei denen ich Kopf und Kragen riskiert habe! Nur durch den Handel mit geraubtem Gut, nur durch den Einkauf und Verkauf Kriegsgefangener während des Unabhängigkeitskrieges haben Sie diese Gewinne aufgestapelt, deren Summe sich auf Millionen beläuft! Nun meine ich, daß es nur gerecht sein dürfte, wenn diese Millionen wieder an mich fielen. Vorurteile kenne ich nicht, das ist Ihnen nicht fremd; ich kümmere mich also nicht darum, woher Ihr Vermögen rührt. Sobald der Krieg aus ist, werde auch ich mich von den Geschäften zurückziehen. Aber ich mag nicht allein im Leben dastehen und rechne darauf, – verstehen Sie recht: ich rechne darauf – daß Hadschina Elisundo das Weib von Nikolas Starkos wird!«

Der Bankier sank in seinen Sessel zurück. Er fühlte recht gut, daß er sich in dieses Mannes Händen befand, dessen Helfershelfer er seit langen Jahren war. Er wußte, daß dieser Mann vor nichts zurückschrecken würde, um zum Ziele zu gelangen. Er zweifelte keine Sekunde, daß der Kapitän der Mann wäre, nötigenfalls die ganze Vergangenheit des Bankhauses bloßzulegen.

Dem Bankier blieb als Ablehnung dieser Zumutung aus Nikolas Starkos Munde, auf die Gefahr hin, einen Auftritt hervorzurufen, bloß eine Antwort übrig, und diese Antwort gab er nicht ohne einiges Zaudern.

»Meine Tochter kann Ihre Frau nicht werden, Nikolas Starkos, weil sie die Frau eines andern Mannes werden muß!«

»Eines andern Mannes?« schrie Nikolas Starkos. »Na, wahrhaftig! da bin ich ja gerade zurecht gekommen! So so! die Tochter des Bankiers Elisundo vermählt sich ...?«

»Binnen heut und fünf Tagen."

»Und wen heiratet sie?« fragte der Kapitän der »Karysta«, dessen Stimme vor Zorn bebte."

»Mit einem fränkischen Offizier!«

»Mit einem Franken? mit einem fränkischen Offizier?« wiederholte der Kapitän der »Karysta« – »so so! wohl mit solchem Philhellenen, deren wir mehr als genug im Lande haben?«

»Ja.«

"Sein Name?«

»Kapitän Henry dAlbaret.«

»Hm, Meister Elisundo,« fuhr Nikolas Starkos fort, dicht an den Bankier herantretend, und ihm während der ganzen Zeit scharf in die Augen sehend, »ich sage Ihnen nochmals: sobald dieser Herr Henry dAlbaret weiß, was für ein Herr Sie sind, wird er sich schön bedanken für Ihre Tochter, und wenn Ihre Tochter weiß, aus welcher Quelle das Vermögen ihres Vaters stammt, wird sie nicht mehr daran denken, die Frau dieses Herrn Henry dAlbaret zu werden! Wenn Sie also dieses Verlöbnis nicht heute auflösen, wird es sich morgen von selber auflösen ... denn morgen werden Braut und Bräutigam wissen, wie alles steht ... jawohl! jawohl! sie sollens wissen! Mord und Brand! ich müßte nicht Nikolas Starkos sein!«

Der Bankier richtete sich nochmals auf. Starr sah er dem Kapitän der »Karysta« ins Auge, und dann sprach er, mit einer Verzweiflung, über die keine Täuschung möglich war:

»Es sei! ... ich bringe mich um, Nikolas Starkos, um nicht länger eine Schande zu sein für mein Kind!«

»Das werden Sie in Zukunft bleiben,« erwiderte der Kapitän, »wie Sie es zur Zeit sind! denn durch Ihren Tod werden Sie nicht austilgen, daß Elisundo der Bankhalter der Seeräuber im Archipel war!«

Niedergeschmettert sank Elisundo zurück – außer stande, zu antworten, als der Kapitän hinzusetzte:

»Und darum, Elisundo, wird Hadschina die Frau nicht dieses Henry dAlbaret, sondern von Nikolas Starkos werden!«

Noch eine halbe Stunde lang währte dieses Zwiegespräch unter Bitten von der einen und Drohungen von der andern Seite. Ganz ohne Frage! um Liebe handelte es sich nicht bei Nikolas Starkos, wenn er Elisundos Tochter zum Weibe begehrte, sondern einzig und allein um den Besitz der Millionen. Nach ihnen trachtete er, und kein Grund, kein Vorhalt vermochte ihn von diesem Ziele abzubringen.

Hadschina hatte nichts gehört von jenem Schreiben, das die Ankunft des Kapitäns der »Karysta« meldete; aber seit dem Tage, da dies geschehen war, war ihr Vater ihr trauriger, finsterer als sonst erschienen, ganz so, wie wenn ihn eine heimliche Sorge bedrückte. Kein Wunder, daß sie sich einer noch lebhafteren Unruhe nicht zu erwehren vermochte, als sich Nikolas Starkos im Bankhause einfand. Sie hatte den Mann während der letzten Kriegsjahre öfter bei ihrem Vater gesehen, kannte ihn also; er hatte ihr immer einen Abscheu eingeflößt, über den sie sich Rechenschaft nicht geben konnte. Er maß sie, wie es schien, mit Blicken, die ihr wohl oder übel mißfallen mußten, obgleich er immer nur Worte ohne Belang an sie gerichtet hatte, wie schließlich jeder andere Kunde der Firma auch. Aber dem jungen Mädchen war es nicht entgangen, daß ihr Vater immer, wenn dieser Mann dagewesen war, und immer eine ganze Zeitlang, in eine niedergedrückte Stimmung verfiel. Daher ihre Abneigung gegen Nikolas Starkos, für die bis zur Zeit wenigstens ein gerechter Grund nicht vorhanden war.

Hadschina Elisundo hatte mit Henry dAlbaret noch kein Wort über diesen Mann gesprochen. Was ihn mit dem Bankhause verknüpfte, konnten ja doch bloß Angelegenheiten geschäftlicher Natur sein. Hierüber wußte sie nun aber so gut wie gar nicht Bescheid, und über solche Dinge wurde zwischen ihnen niemals gesprochen. Der junge Offizier hatte also keine Ahnung von den Beziehungen, die einesteils zwischen Nikolas Starkos und dem Bankier, andernteils zwischen Nikolas Starkos und jener tapfern Griechin vorhanden waren, der er in dem Treffen von Chaidari das Leben gerettet hatte und die er lediglich unter dem Namen Andronika kannte.

Wie aber Hadschina, so hatte auch Xaris wiederholt Gelegenheit gehabt, Nikolas Starkos im Kontore der Strada Reale zu sehen, und zu begrüßen. Auch er fühlte Widerwillen gegen diesen Mann, ganz wie das junge Mädchen. Bloß äußerten sich bei dem entschlossenen, kräftigen Manne diese Empfindungen wesentlich anders als bei ihr. Ging Hadschina jeder Gelegenheit, ihm zu begegnen, beflissen aus dem Wege, so suchte Xaris solche Gelegenheit weit lieber auf, in der Absicht – wie er sich manchmal äußerte – »ihm, sobald es sich machen ließe, die Rippen zu brechen«.

»Ein Recht dazu habe ich ja offenbar nicht,« dachte er bei sich, »vielleicht findet sich das aber noch!«

Aus alledem leuchtet hervor, daß der letzte Besuch des Kapitäns der »Karysta« im Kontor des Bankiers Elisundo weder von Xaris noch von dem jungen Mädchen mit Freude wahrgenommen wurde. Kein Wunder, daß sie es beide als eine Erleichterung empfanden, als Nikolas Starkos nach einem Zwiegespräch, über dessen Natur nichts verlautete, das Haus verlassen und den Weg zum Hafen hinunter eingeschlagen hatte.

Eine Stunde lang blieb Elisundo in seinem Kontor. Nicht einmal, daß er sich bewegt hätte! Aber seine Weisungen in dieser Hinsicht waren streng: weder seine Tochter, noch Xaris durften sein Kontor betreten, ohne daß sie gerufen wurden. Da nun aber der Besuch diesmal lange gedauert hatte, war natürlicherweise ihre Besorgnis nach Maßgabe der verflossenen Zeit gestiegen.

Plötzlich klingelte der Bankier – aber es hörte sich an, als hätte eine recht schwache, unsichere Hand die Klingel gerührt.

Xaris eilte zur Kontortür, die nicht mehr von innen verschlossen war, und stand dem Bankier gegenüber, der noch immer in seinem Sessel saß in halb gedrückter Haltung, und ganz so aussah wie jemand, der einen schweren Kampf mit sich geführt habe. Er hob den Kopf, sah Xaris an, als ob er Mühe hätte, ihn zu erkennen, strich sich mit der Hand über die Stirn und fragte:

»Hadschina?«

Xaris nickte und ging hinaus. Kurz nachher befand sich das junge Mädchen bei ihrem Vater. Sogleich richtete dieser, ohne alle Einleitung, aber mit gesenkten Blicken und mit einer durch die Erregung stark veränderten Stimme, die Worte an sie:

»Hadschina ... aus der Heirat mit dem Kapitän Henry dAlbaret ... kann nichts ... kann nichts werden!«

»Was sagst du, Vater?« rief das junge Mädchen, von diesem unvermuteten Schlag mitten ins Herz getroffen.

»Es geht nicht, Hadschina ... es geht nicht!« wiederholte Elisundo. »Es kann nichts draus werden!«

»Vater, wirst du mir sagen, warum du dein Wort zurücknimmst, das du ihm und mir gegeben?« fragte das junge Mädchen; »du weißt, es ist meine Gewohnheit nicht, darüber zu rechten, was du als deinen Willen erklärt hast, und auch heute wird das geschehen, gleichviel wie du entscheidest! ... Aber wirst du mir den Grund sagen, weshalb ich auf die Heirat mit Henry dAlbaret verzichten muß?«

»Weil es sein muß, Hadschina! weil du das Weib eines andern werden mußt!« murmelte Elisundo.

So leise er auch gesprochen hatte, das Mädchen hatte doch verstanden.

»Eines andern!« wiederholte sie, von diesem zweiten Schlage nicht minder grausam getroffen als von dem ersten ... »und dieser andere ... wer ist das?«

»Kapitän Starkos!«

»Den Menschen? ... den?«

Unwillkürlich entschlüpften diese paar Worte Hadschinas Lippen. Sie mußte sich am Tische festhalten, um nicht umzusinken.

Dann rief sie, in einer letzten Aufwallung gegen diese Entschließung sich wehrend:

»Vater, in diesem Befehle, den du mir wohl gar wider Willen gibst, liegt etwas mir Unerklärliches! liegt ein Geheimnis versteckt, das du mir nicht sagen magst!«

»Frage mich nicht!« schrie Elisundo, »frage mich nichts!« »Nichts fragen soll ich? ... Vater! Vater! ... Nun, es sei ... Aber wenn ich auch, dir gehorsam, verzichten kann darauf, Henry dAlbarets Frau zu werden, so kann ich doch, und müßte ich daran sterben, Nikolas Starkos zum Manne nicht nehmen! ... Das würdest du nicht wollen.«

»Es muß sein, Hadschina!« wiederholte Elisundo.

»Mein Glück steht auf dem Spiele!« rief das junge Mädchen.

»Und meine Ehre!«

»Kann Elisundos Ehre abhängig sein von einem andern als ihm selber?« fragte Hadschina.

»Ja! ... von einem andern ... und dieser andere .. ist Nikolas Starkos!«

Als diese Worte den Weg über seine Lippen gefunden hatten, stand der Bankier auf, mit geisterhaftem Blick, mit verzerrtem Gesicht, ganz so, als ob er einen Schlaganfall gehabt hätte.

Vor diesem Bilde fand Hadschina all ihre Seelenstärke wieder ... und Seelenstärke brauchte sie, fürwahr! um von dem Vater zu gehen mit den Worten:

»Es sei, Vater! ... ich will dir gehorchen!«

Ihr Leben war gebrochen auf ewig, aber sie hatte begriffen, daß es sich hier um irgend ein furchtbares Geheimnis in dem Verhältnis des Bankiers zum Kapitän der »Karysta« handeln müsse ... sie hatte begriffen, daß sich ihr Vater in den Händen dieses abscheulichen Menschen befand ... sie beugte sich ... sie brachte sich zum Opfer! ... die Ehre ihres Vaters erheischte dieses Opfer!

Xaris fing das einer Ohnmacht nahe junge Mädchen in den Armen auf und trug sie in ihr Zimmer. Dort erfuhr er alles von ihr, was sich zugetragen, in welchen Verzicht sie gewilligt hatte ... Kein Wunder, daß sich der Haß, den er gegen Nikolas Starkos im Herzen trug, verzehnfachte.

Eine Stunde darauf trat Henry dAlbaret seiner Gewohnheit gemäß in das Bankhaus. Eine Dienstfrau beschied ihn, Hadschina Elisundo sei nicht zu sprechen. Er fragte nach dem Bankier: der Bankier könne ihn nicht vorlassen. Er fragte nach Xaris: derselbe sei nicht im Kontor.

Aufs höchste beunruhigt, kehrte Henry dAlbaret ins Hotel zurück. Solcher Bescheid war ihm noch niemals erteilt worden. Er nahm sich vor, gegen Abend nochmals vorzusprechen, und wartete in Seelenangst.

Um 6 Uhr wurde im Hotel ein Brief für ihn abgegeben. Er sah die Adresse an: er erkannte, daß sie von Elisundo selber geschrieben war. Der Brief enthielt nur die wenigen Zeilen:

»Herr Henry dAlbaret wird ersucht, das zwischen ihm »und der Tochter des Bankiers Elisundo geplante Heirats-»projekt fallen zu lassen. Aus Gründen, die mit ihm selber »nicht das geringste zu tun haben, kann diese Verheiratung »nicht stattfinden. Herr Henry dAlbaret wird deshalb gut »tun, seine Besuche im Bankhause hinfort zu unterlassen.

Elisundo.«

Im ersten Moment verstand der junge Offizier kein Wort von dem, was er gelesen hatte. Dann las er den Brief noch einmal ... er war wie vom Donner gerührt. Was war bei Elisundo vorgegangen? Weshalb solche Abfertigung? Noch tagsvorher war er dort gewesen und hatte gesehen, wie rege die Zurüstungen zur Hochzeit betrieben wurden; der Bankier hatte mit ihm verkehrt wie immer; nichts an dem jungen Mädchen hatte solche Veränderung ihm gegenüber ahnen lassen! –

»Aber der Brief ist ja auch nicht mit Hadschina unterzeichnet!« sprach er bei sich; »sondern mit Elisundo! ... Nein, Hadschina hat nicht gewußt und weiß nicht, was ihr Vater mir schreibt ... ohne ihr Wissen hat er seine Absichten geändert! Warum? ich habe doch keinen Anlaß dazu gegeben! ... Ha! ich muß wissen, welcher Natur das Hindernis ist, welches sich zwischen das Mädchen und mich gestellt hat!« und da er im Hause des Bankiers keinen Zutritt fand, schrieb er an den Bankier und bat um Bekanntgabe der Gründe, weshalb er diese Hochzeit, die sozusagen vor der Tür gestanden, rückgängig gemacht habe, mit dem Bemerken, daß er ein unbedingtes Recht habe, dieselben kennen zu lernen.

Sein Brief blieb ohne Antwort. Er schrieb einen zweiten, dritten, vierten: ganz das gleiche Schweigen!

Nun wandte er sich an Hadschina selber, beschwor sie im Namen ihrer Liebe, ihm Antwort zu geben, und wenn sie ihm auch nur sollte schreiben können, daß jedes Wiedersehen ausgeschlossen sei.

Dem jungen Mädchen war sein Brief, allem Anschein nach, nicht in die Hände gekommen. Zum wenigsten mußte das Henry dAlbaret annehmen. Kannte er doch ihren Charakter genug, um recht gut zu wissen, daß sie ihm Antwort gegeben haben würde.

Nun suchte der junge Offizier in seiner Verzweiflung, Xaris zu treffen. Er wich nicht mehr von der Strada Reale. Ganze Stunden lang streifte er um das Haus des Bankiers herum. Umsonst: Xaris, vielleicht den Befehlen des Bankiers, vielleicht auch der Bitte des Mädchens gehorsam, setzte keinen Fuß mehr aus dem Hause.

So verstrichen über vergeblichen Bemühungen der 24. und der 25. Oktober. Unter unsäglicher Angst meinte Henry dAlbaret, die äußerste Grenze des Herzeleids erreicht zu haben.

Er irrte sich.

Am 26. kam eine Neuigkeit in Umlauf, die ihn mit einem noch schrecklicheren Schlage treffen sollte.

Nicht bloß sein Verlöbnis mit Hadschina Elisundo war gebrochen – eine Tatsache, die nun die ganze Stadt wußte – sondern Hadschina Elisundo ging ein Verlöbnis ein mit einem andern!

Henry dAlbaret war, als ihm diese Kunde zu Ohren kam, vernichtet – ein anderer sollte Hadschinas Gatte sein!

»Ich muß wissen, wer es ist!« schrie er; »sei wer es sei, ich will ihn kennen! ... ich werde den Weg zu ihm finden! ... will mit ihm reden! ... und Rede und Antwort soll er mir stehen!«

Es sollte nicht lange dauern, bis der junge Offizier den Namen seines Nebenbuhlers erfuhr. Ja er sah ihn in das Bankhaus gehen; er wartete, bis er herauskam; er ging ihm hinterdrein; er spähte ihm nach bis zum Hafen, wo am Fuße der Mole die Gig seiner wartete; er sah ihn zur Sakolewa hinüber fahren, die eine halbe Meile weit in offener See vor Anker lag.

Nikolas Starkos war es, der Kapitän der »Karysta«!

Das trug sich am 27. Oktober zu. Genaue Erkundigungen, die Henry dAlbaret einziehen konnte, ergaben, daß die Hochzeit von Nikolas Starkos und Hadschina Elisundo in allerehester Zeit stattfinden solle, denn die Vorbereitungen würden mit aller Hast betrieben. Die Trauung wurde auf den 30. laufenden Monats, also auf den gleichen Tag festgesetzt, an welchem Henrys Trauung mit Hadschina hatte stattfinden sollen. Bloß sollte nicht er, sondern dieser Schiffskapitän der Bräutigam sein, von dem niemand wußte, woher er kam, wohin er ging!

Kein Wunder, daß Henry dAlbaret, in einen Grimm verfallen, dessen er nicht Herr zu werden vermochte, willens war, Nikolas Starkos herauszufordern, und müßte er ihn von den Stufen des Altars reißen! Erschlug nicht er ihn, so würde ihm doch dieses Schicksal winken und dann würde es aus sein mit diesem unerträglichen Dasein!

Umsonst sagte er sich, daß diese Heirat, wenn sie stattfände, doch mit Elisundos Einwilligung stattfände! Umsonst sagte er sich, daß doch derjenige, der über Hadschinas Hand verfügte, ihr Vater sei!

»Ja! aber wider ihren Willen geht dies alles vor sich! ... sie erliegt einem Zwange, der sie an diesen Menschen liefert ... sie bringt sich zum Opfer!«

Im Laufe des 28. Oktobers versuchte Henry dAlbaret, Nikolas Starkos zu treffen. Er lauerte ihm am Hafen auf, an der Anlande, an der Tür zum Kontor. Umsonst. Und in zwei Tagen sollte diese schändliche Hochzeit stattfinden – in zwei Tagen, an denen der junge Offizier nichts unversucht ließ, zu dem jungen Mädchen zu gelangen oder Nikolas Starkos Auge in Auge gegenüber zu stehen.

Aber am 29., gegen 6 Uhr abends, vollzog sich ein unvermutetes Ereignis, das die Lösung des Knotens beschleunigen sollte ... am Nachmittag kam das Gerücht in Umlauf, der Bankier sei von einem Gehirnschlag getroffen worden!

Und das Gerücht fand Bestätigung: zwei Stunden später war Elisundo eine Leiche.

< Sechstes Kapitel.
Achtes Kapitel. >



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