Frei Lesen: Der Archipel in Flammen

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Jules Verne

Der Archipel in Flammen

Achtes Kapitel.

eingestellt: 28.7.2007



Welche Folgen dieses jüngste Ereignis zeitigen würde, hätte noch niemand zu ermessen vermocht. Henry dAlbaret mußte ganz natürlich, als er die Neuigkeit hörte, die Meinung haben, diese Folgen könnten nur günstig für ihn sein. Jedesfalls erlitt Hadschinas Vermählung Aufschub, und wenn auch anzunehmen war, daß sie von tiefem Schmerz überwältigt sein mußte, zögerte der Offizier doch nicht, im Hause der Strada Reale vorzusprechen. Aber weder Hadschina noch Xaris konnte er sprechen. Es blieb ihm also nichts übrig, als zu warten.

»Wenn sich Hadschina,« so dachte er, »dem Wunsche des Vaters opferte, als sie diesem Starkos ihr Wort gab, so wird jetzt, nachdem ihr Vater tot ist, aus dieser Heirat nichts mehr werden!«

Dieser Gedankengang war richtig: er ergab die ganz natürliche Folgerung, daß, wenn sich Henry dAlbarets Chancen verbessert hatten, sich Nikolas Starkos Chancen um eben soviel verschlechtert hatten. Es wird also niemand Wunder nehmen, daß am nächsten Morgen an Bord der Sakolewa zwischen Skopelo und seinem Kapitän eine Unterredung hierüber gepflogen wurde, die von dem ersteren ausging, denn er hatte die Neuigkeit in der Stadt vernommen und bei seiner Rückkehr gegen 6 Uhr morgens mit an Bord gebracht.

Man hätte wohl annehmen dürfen, daß sich Nikolas Starkos bei den ersten Worten aus Skopelos Munde vor Zorn nicht kennen würde. Dem war aber nicht so, denn der Kapitän wußte sich zu beherrschen und war kein Freund davon, gegen Tatsachen, die sich nicht ändern ließen, Kräfte zu vergeuden.

»So so! Elisundo ist also tot?« fragte er bloß.

»Ja! ... Elisundo ist tot!«

»Etwa Selbstmord?« setzte er halblaut, wie im Selbstgespräch mit sich, hinzu.

»Nein,« versetzte Skopelo, der den Gedanken des Kapitäns gehört hatte, »nein! Die Aerzte haben festgestellt, daß Bankier Elisundo von einem Schlaganfall ...«

»Hingeschmettert worden?«

»So ungefähr! er hat auf der Stelle das Bewußtsein verloren und vor seinem Tode kein Wort mehr sprechen können.«

»Kein Schade, daß es so gekommen ist, Skopelo!«

»Ohne Widerrede, Kapitän! besonders insofern nicht, als die Transaktion mit Arkadia schon in Ordnung war ...«

»Völlig in Ordnung,« antwortete Nikolas Starkos; »unsere Tratten sind diskontiert worden, so daß du den Gefangenentransport gegen bare Kasse übernehmen kannst.«

»Ei, Mord und Brand, Kapitän,« rief der Leutnant, »das war aber die höchste Zeit! Wie stehts denn aber mit der zweiten Affaire, wenn die erste im Lote ist?«

»Mit der zweiten?« versetzte gelassen Nikolas Starkos; »hm, die wird verlaufen, wie sie verlaufen sollte; Hadschina Elisundo wird ihrem Vater im Tode ganz ebenso gehorchen, wie sie ihm im Leben gehorcht haben würde, und aus den nämlichen Gründen!«

»Also liegt es nicht in Eurer Absicht, Kapitän,« fragte Skopelo weiter, »die Sache fallen zu lassen?«

»Fallen lassen? die Sache fallen lassen?« rief Nikolas Starkos in einem Tone, der seinen festen Willen, jedes Hindernis zu zermalmen, verriet. »Sprich doch, Skopelo, meinst du, es gäbe auf der Welt einen Menschen, einen einzigen, der die Hand von selber schlösse, wenn er sie bloß aufzumachen braucht, damit ihm zwanzig Millionen hineinfallen?«

»Zwanzig Millionen!« wiederholte Skopelo, indem er lächelnd den Kopf wiegte; »freilich! auf reichlich zwanzig Millionen hatte ich das Vermögen unsers alten Freundes Elisundo geschätzt!«

»Runde schöne Summe das! in guten Werten,« versetzte Nikolas Starkos, »die sich ohne Verzug versilbern lassen werden ...«

»Sobald Ihr sie im Besitze haben werdet, Kapitän; denn zunächst fällt doch dies ganze Vermögen an die schöne Hadschina!«

»Die mir zufallen wird! mir! Sei ohne Furcht, Skopelo! mit einem einzigen Worte kann ich die Ehre des Bankiers vernichten, und seine Tochter wird nach seinem Tode wie zu seinen Lebzeiten diese Ehre höher schätzen als sein Vermögen! Aber ich werde nichts sagen, und werde nichts zu sagen haben! den Druck, den ich auf ihren Vater übte, werde ich immer auf sie ausüben! Diese zwanzig Millionen wird sie mit Freuden ihrem Nikolas Starkos als Mitgift in die Ehe bringen, und wenn du Zweifel hierin setzest, Skopelo, nun! so kennst du den Kapitän der »Karysta« nicht!«

Nikolas Starkos sprach mit solcher Zuversicht, daß sein Leutnant, so wenig er sonst zu Illusionen neigte, die Meinung gewann, daß der Vorfall vom gestrigen Abend den Verlauf der Angelegenheit nicht hindern würde. Höchstens verschleppen, sonst aber nichts weiter!

Wie lange die Angelegenheit verschleppt werden könnte, das allein war die Frage, die Skopelo und auch Nikolas Starkos beschäftigte, obwohl der letztere auch solche Möglichkeit nicht recht zugeben mochte. Am andern Tage versäumte er nicht, dem Begräbnis des reichen Bankiers beizuwohnen, das in sehr einfacher Weise stattfand und dem nur eine geringe Anzahl Leidtragender beiwohnte. Bei diesem Anlaß war er mit Henry dAlbaret zusammengetroffen, aber nur einige Blicke waren zwischen ihnen gewechselt worden – nichts weiter!

Während der ersten fünf Tage nach Elisundos Tode versuchte der Kapitän der »Karysta« umsonst, bis zu dem jungen Mädchen zu dringen. Die Kontortür blieb für jedermann geschlossen. Es schien, als sei das Bankhaus zusammen mit dem Bankier verschieden.

Uebrigens war Henry dAlbaret nicht glücklicher als Nikolas Starkos. Er konnte sich weder persönlich noch schriftlich mit Hadschina in Verbindung setzen; und schon stellte er sich die Frage, ob das junge Mädchen nicht etwa schon unter Xaris Schutze, der sich auch kein einzigesmal sehen ließ, Korfu verlassen habe.

Weit entfernt, seine Pläne fallen zu lassen, gefiel es dem Kapitän der »Karysta«, sich in den Gedanken zu wiegen, daß ihre Verwirklichung sich eben nur verschleppe. Zufolge seiner Reden, zufolge Skopelos Maßnahmen, zufolge der Gerüchte, die dieser absichtlich verstreute, war die Heirat zwischen Nikolas Starkos und Hadschina Elisundo für niemand Gegenstand des Zweifels. Es mußte bloß solange gewartet werden, bis die Trauerzeit vorbei sei, vielleicht auch noch, bis die finanzielle Lage der Firma völlig ins Reine gebracht sei.

Daß das von dem Bankier hinterlassene Vermögen sich auf eine ungeheure Ziffer belief, war in ganz Korfu bekannt. Natürlich stieg es durch die Klatschbasen im Viertel und durch die Gerüchte in der Stadt schnell um das fünffache. Ja wirklich! es wurde behauptet, Elisundo hinterlasse nicht weniger als hundert Millionen. War das eine reiche Erbin, diese junge schöne Hadschina! und war das ein glücklicher Mann, dieser Nikolas Starkos, dem ihre Hand versprochen war! In ganz Korfu wurde von nichts anderm mehr gesprochen, und in seinen beiden Vorstädten bis hinaus in die fernsten Dörfer der Insel nicht minder! Sicher traf es ja zu, daß Elisundo ein ungeheures Vermögen hinterließ, nahezu zwanzig Millionen, und zwar, wie Nikolas Starkos und Skopelo in ihrer letzten Unterredung ganz richtig gesagt hatten, in sichern, leicht realisierbaren Wertpapieren, nicht in Liegenschaften.

Das stellte während der ersten Tage nach des Bankiers Ableben Hadschina Elisundo fest; das stellte im Verein mit ihr Xaris fest. Aber was ihnen auch nicht verschlossen blieb, das war der Ursprung dieses Riesenvermögens, das waren die Quellen, aus denen es geflossen war. Xaris besaß in der Tat von Bankgeschäften Uebung genug, um sich über die Vergangenheit des Bank-Kontors Elisundo ein genaues Bild zu machen, sobald er die Handelsbücher und Papiere zur Verfügung hatte. Zweifelsohne mochte es Elisundos Absicht gewesen sein, sie später zu vernichten, aber der Tod hatte ihn überrascht. Bücher und Papiere waren da. Bücher und Papiere sprachen Bücher für sich.

Jetzt wußten Hadschina und Xaris nur zu genau, woher diese Millionen geflossen waren! auf wieviel schmählichen Geschäften, auf wieviel Jammer und Elend all dieser Reichtum beruhte, brauchte ihnen nun niemand mehr zu sagen. Zufolgedessen also hielt Nikolas Starkos den Bankier in seiner Gewalt! Der Bankier war des Kapitäns Helfershelfer! mit einem einzigen Worte konnte er ihn ehrlos machen! Zog er es dann vor zu verschwinden, so wäre es niemand möglich gewesen, seine Spuren wieder aufzufinden! und das Stillschweigen dieses Menschen hatte der Vater dadurch erkaufen müssen, daß er ihm die Tochter zur Ehe versprach!

»Der Schurke! ... der Schurke!« rief Xaris.

»Schweig!« verwies ihm Hadschina die Rede.

Und Xaris schwieg, denn er fühlte recht gut, daß seine Worte über Nikolas Starkos hinaus nicht reichen würden.

Indessen mußte die Situation über kurz oder lang ihre Lösung finden. Zudem war ja Hadschina Elisundo selber unendlich viel daran gelegen, im Interesse aller, daß diese Lösung schnell erfolgte.

Am sechsten Tage nach Elisundos Tode, gegen 7 Uhr abends, war Nikolas Starkos ersucht worden, sich nach dem Bankhause zu bemühen. An der Treppe der Mole wurde er von Xaris erwartet.

Daß ihm diese Mitteilung in sonderlich liebenswürdigem Tone gemacht worden wäre, möchte sich nicht wohl sagen lassen. Der Ton, in welchem Xaris sprach, war nichts weniger als einladend und seine Stimme nichts weniger als sanft, als er den Kapitän der »Karysta« anredete. Aber dieser war nicht der Mann, sich durch solche Kleinigkeit irritieren zu lassen. Er folgte Xaris zum Kontor, woselbst er sofort Zutritt fand.

Für die Nachbarsleute, die Nikolas Starkos den Fuß in das Bankhaus setzen sahen, das bislang so hartnäckig fest verschlossen geblieben war, gab es nun keinen Zweifel mehr, daß sich die Chancen zu seinen Gunsten gestaltet hätten.

Nikolas Starkos traf Hadschina Elisundo im Kontor ihres Vaters. Sie saß vor dem Schreibtisch, auf welchem eine Menge Papiere und Schriftstücke umherlagen. Der Kapitän begriff, daß sich das Mädchen Einblick in die Geschäfte der Firma verschafft haben müsse, und er befand sich nicht im Irrtum. Aber waren ihr die Beziehungen bekannt geworden, die der Bankier mit den Piraten des Archipels unterhalten hatte? Diese Frage stellte sich der Kapitän der »Karysta«.

Als derselbe eintrat, erhob sich Hadschina Elisundo – was sie der Verpflichtung überhob, ihm einen Stuhl anzubieten – und winkte Xaris, sie mit dem Besucher allein zu lassen. Sie ging in Trauer. Ihr ernstes Gesicht, ihre von schlaflosen Nächten müden Augen wiesen in ihrer ganzen Erscheinung auf eine große physische Abspannung, nicht aber auf seelische Ermüdung. In dieser Unterredung, die für beide so ernste Folgen herbeiführen sollte, durfte die Ruhe sie nicht einen einzigen Augenblick verlassen.

»Hier bin ich, Hadschina Elisundo,« sagte der Kapitän, »und stehe zu Ihrem Befehl. Warum haben Sie mich rufen lassen?«

»Aus zweierlei Gründen, Nikolas Starkos,« versetzte das junge Mädchen, die gerade auf ihr Ziel zusteuern wollte. »Vorerst muß ich Ihnen sagen, daß das mir von meinem Vater, wie Sie ja recht gut wissen, auferlegte Heiratsprojekt als zwischen uns aufgelöst zu betrachten ist.«

»Und ich,« versetzte hierauf Nikolas Starkos mit Kälte, »werde mir an der Antwort genügen lassen, daß Hadschina Elisundo, wenn sie so spricht, wohl an die Folgen ihrer Worte nicht gedacht haben würde.«

»Ich habe reiflich überlegt,« antwortete das junge Mädchen, »und Sie werden begreifen, daß mein Entschluß unwiderruflich sein muß, da ich über die Natur der Geschäfte, die das Bankhaus Elisundo mit Ihnen und den Ihrigen, Nikolas Starkos, geführt hat, keiner Aufklärung mehr bedarf.«

Nicht ohne lebhaftes Mißbehagen nahm der Kapitän der »Karysta« diese sehr klare und deutliche Antwort des jungen Mädchens hin. Ganz sicher war er darauf gefaßt gewesen, daß ihm Hadschina Elisundo in aller Form den Abschied geben würde, aber er baute ebenso darauf, ihren Widerstand dadurch zu brechen, daß er ihr sagen wollte, was ihr Vater gewesen war und welche Beziehungen zwischen ihrem Vater und ihm bestanden hatten. Nun wußte sie aber dies alles. Mithin zerbrach eine Waffe, seine beste vielleicht, ihm in der Hand. Immerhin hielt er sich nicht für entwaffnet und versetzte in leicht ironischem Tone:

»So? Sie haben Kenntnis von den Geschäften des Hauses Elisundo und führen trotzdem solche Sprache?«

»Ich führe solche Sprache, Nikolas Starkos, und werde solche Sprache immer führen, weil es meine Pflicht ist, sie zu führen!«

»Soll ich also glauben,« erwiderte Nikolas Starkos, »daß Kapitän Henry dAlbaret ...«

»Lassen Sie den Namen Henry dAlbaret bei dieser ganzen Sache beiseite!« versetzte Hadschina lebhaft. Dann aber gewann sie die Herrschaft wieder über sich und setzte, um jede Möglichkeit einer weitern Herausforderung abzuschneiden, kalt und ruhig hinzu: »Sie wissen recht gut, Nikolas Starkos, daß Kapitän dAlbaret sich niemals dazu verstehen wird, eine eheliche Verbindung mit der Tochter des Bankiers Elisundo einzugehen.«

»Schwer dürfte das sein.«

»Aber ehrenhaft wird es sein!«

»Und warum?«

»Weil niemand eine Erbin heiratet, deren Vater der Bankhalter von Seeräubern gewesen ist. Nein! kein Mann von Ehre kann ein Vermögen nehmen, das auf so schändliche Weise erworben worden.«

»Aber mir scheint,« versetzte Nikolas Starkos, »als redeten wir da von Dingen, die der Frage, um deren Lösung es sich handelt, absolut fremd sind?«

»Diese Frage ist gelöst!«

»Erlauben Sie mir die Bemerkung hierzu, daß Hadschina Elisundo den Kapitän Starkos, nicht den Kapitän dAlbaret heiraten sollte. Der Tod ihres Vaters dürfte ihre Absichten so wenig verändert haben, wie er die meinigen verändert hat.«

»Ich gehorchte meinem Vater,« erwiderte Hadschina, »gehorchte ihm, ohne die geringste Kenntnis der Beweggründe, die ihn dazu nötigten, mich zu opfern. Jetzt weiß ich, daß ich durch meinen Gehorsam seine Ehre rettete.«

»Nun also, wenn Sie wissen ...« erwiderte Nikolas Starkos.

»Ich weiß,« versetzte Hadschina, ihm das Wort abschneidend, »ich weiß, daß Sie, sein Mitschuldiger, ihn in diese schmählichen Geschäfte hineingezogen haben, daß Sie diese Millionen in das Bankhaus gebracht haben, das ehrenhaft dastand, bevor Sie mit ihm in Verkehr traten. Ich weiß, daß Sie ihm gedroht haben seine Schande der Oeffentlichkeit preiszugeben, sofern er sich weigerte, Ihnen seine Tochter zu geben. Wahrlich! Nikolas Starkos, haben Sie glauben können, daß ich aus irgend welchem andern Grunde, als Gehorsam gegen meinen Vater, darein gewilligt hätte, die Ihre zu werden?«

»Recht, Hadschina Elisundo, ich brauche Sie also nicht gescheit zu machen!! Wenn Sie aber auf die Ehre Ihres Vaters so fürsorglich bedacht waren bei seinen Lebzeiten, müssen Sie es ganz ebenso sein nach seinem Tode, und sollten Sie darauf bestehen wollen, Ihr Wort mir gegenüber nicht zu halten ...«

»So werden Sie alles an die große Glocke hängen, Nikolas Starkos!« rief das junge Mädchen mit einem solchen Ausdruck von Abscheu und Verachtung, daß auf die Stirn des frechen Patrons etwas wie Röte stieg.

»Ja ... alles!« versetzte er.

»Das werden Sie bleiben lassen, Nikolas Starkos.«

»So? warum?«

»Weil das für Sie hieße, sich selber in Anklage zu setzen!«

»Mich in Anklage setzen, Hadschina Elisundo? Meinen Sie denn, solche Geschäfte seien je unter meinem Namen gemacht worden? Bilden Sie sich ein, Nikolas Starkos sei es, der den Archipel abfährt und Kriegsgefangene verschachert? Nein! wenn ich den Mund auftue, werde ich mich nicht bloßstellen, und auftun werde ich den Mund, wenn Sie mich dazu zwingen!«

Das junge Mädchen sah dem Kapitän ins Gesicht, ihre Augen, denen die ganze Kühnheit der Ehrenhaftigkeit innewohnte, senkten sich nicht vor den seinigen, so grimmig sie auch blickten.

»Nikolas Starkos,« versetzte sie, »ich könnte Sie mit einem einzigen Worte entwaffnen, denn Sie haben diese Ehe weder aus Mitgefühl für mich, noch aus Liebe zu mir gefordert! Der Grund war lediglich, daß Sie in den Besitz von meines Vaters Vermögen gelangen wollten! Nun könnte ich Ihnen ja sagen: Sie wollen ja doch bloß die Millionen! na, hier sind sie! nehmen Sie sie sich! und gehen Sie! auf Nimmerwiedersehen! ... Aber so, Nikolas Starkos, werde ich nicht sprechen! ... Nein, Nikolas Starkos! diese Millionen, die ich erbe ... die sollen Sie nicht bekommen! Sie nicht! ... die werde ich behalten ... die werde ich verwenden, wie es mir paßt! ... Nein! die sollen Sie nicht haben ... nun und nimmer! ... Und jetzt hinaus aus diesem Zimmer ... hinaus aus diesem Hause! ... Hinaus!«

Mit gestrecktem Arme und erhobenen Hauptes stand jetzt Hadschina Elisundo da, genau so, wie wenige Wochen früher Andronika Starkos stand auf der Schwelle des väterlichen Hauses, und gleich wie Andronika schien jetzt Hadschina den Mann zu verfluchen. Wenn aber an jenem Tage Nikolas Starkos vor der Gebärde der Mutter zurückgewichen war, so schritt er diesmal entschlossen auf das Mädchen zu ...

»Hadschina Elisundo,« sprach er – »ja! ich brauche diese Millionen ... so oder so muß ich sie bekommen ... und werde sie bekommen!«

»Nein! ... lieber vernichte ich sie ... lieber werfe ich sie in den Golf!« versetzte Hadschina.

»Ich werde sie bekommen, sage ich dir ... ich muß sie haben ... und will sie haben!«

Nikolas Starkos hatte das Mädchen am Arme gepackt. Der Zorn machte ihn von Sinnen. Er war nicht mehr Herr über sich! sein Blick trübte sich – er wäre imstande gewesen, sie zu ermorden!

Hadschina Elisundo sah dies alles in einem Nu. Sterben! ha! was lag ihr noch am Leben? was hatte der Tod für sie Schreckliches? ... Aber das energische Mädchen hatte anderes über sich bestimmt! sie hatte sich verurteilt zum Leben!

»Xaris!« rief sie.

Die Tür ging auf. Xaris erschien.

»Xaris! jag diesen Kerl hinaus!«

Nikolas Starkos hatte nicht Zeit gehabt, sich umzudrehen, so schnell war er von zwei Eisenarmen umschlungen. Der Atem ging ihm aus ... er wollte sprechen, schreien, es gelang ihm so wenig, wie es ihm gelang, sich von dieser schrecklichen Umarmung frei zu machen. Dann wurde er draußen vorm Hause auf die Erde gestellt, zerschunden am ganzen Leibe, halb erstickt, außer stande zu mucksen.

Und dort sprach Xaris nichts weites zu ihm als:

»Tot schlage ich dich nicht, Kerl, weil sie es mich nicht geheißen hat. Aber wenn sies mir sagt, dann tue ichs!«

Und dann schloß er die Tür.

Zu dieser Zeit und Stunde war die Straße leer. Niemand hatte sehen können, was vorging: daß nämlich Nikolas Starkos aus dem Hause des Bankiers Elisundo gejagt worden war. Aber hinein gehen hatte man ihn gesehen, und das war genug. Hieraus ging hervor, daß Henry dAlbaret, wenn er erfuhr, sein Nebenbuhler sei dort eingelassen worden, wo man ihm den Einlaß verweigerte, gleich aller Welt die Meinung gewinnen mußte, der Kapitän der »Karysta« sei mit dem jungen Mädchen auf dem Fuße eines Bräutigams verblieben.

Welch ein Schlag war das für ihn! Nikolas Starkos hatte Einlaß gefunden in jenem Hause, das ihm unerbittlich verschlossen gehalten wurde! Zuerst fühlte er die Versuchung an sich heranschleichen, dem Mädchen zu fluchen: und wem an seiner Statt wäre es vielleicht nicht so gegangen? Aber bald gewann er die Herrschaft über sich, seine Liebe trug den Sieg davon über seinen Zorn, und trotzdem der äußere Schein gegen das Mädchen sprach, rief er:

»Nein! nein! das kann nicht sein! ... Sie ... mit diesem Menschen! ... das kann nicht sein! das ist nicht! ... Nein, nein! das ist nicht!«

Indessen war Nikolas Starkos, trotz der von Hadschina Elisundo gegen ihn ausgestoßenen Drohungen nach reiflicher Ueberlegung zu dem Entschlusse gekommen, zu schweigen, nichts von dem Geheimnis zu offenbaren, das auf dem Leben des Bankiers lastete. Verhielt er sich ruhig, so blieb ihm völlige Handelsfreiheit, und Zeit dazu blieb ihm ja immer noch, falls es die Umstände später notwendig machten.

So wurde zwischen ihm und Skopelo vereinbart. Er verheimlichte seinem Leutnant nicht das geringste von dem, was zwischen ihm und Hadschina gesprochen und vorgegangen war, und Skopelo war gleich ihm der Meinung, nichts verlauten zu lassen und Zurückhaltung zu wahren, hingegen die Augen offen zu halten, um sofort handeln zu können, falls die Dinge eine ihren Plänen günstige Wendung nehmen sollten. Was ihm vornehmlich bedenklich vorkam, war die Abneigung der Erbin dagegen, sein Schweigen durch Ausfolgung der Erbschaft zu erkaufen. Warum sie hierzu nicht geneigt war, das vermochte er tatsächlich nicht zu verstehen.

Während der folgenden Tage, bis zum 12. November, wich Nikolas Starkos nicht vom Bord seines Schiffes, nicht auf eine Stunde. Er sann und kombinierte, Mittel und Wege zu finden, die ihn zum Ziele brächten. Zudem rechnete er halb und halb auf den glücklichen Zufall im Leben, der ihm während seiner ganzen Verbrecherlaufbahn in hervorragender Weise dienstbar gewesen war. Diesmal aber verrechnete er sich.

Nicht anders verhielt sich Henry dAlbaret: auch er lebte ganz ebenso abseits. Seine Versuche, eine Zusammenkunft mit dem jungen Mädchen zu erlangen, hatte er einstellen zu müssen geglaubt. Aber der Verzweiflung gab er sich nicht hin. Am 12. abends wurde ein Brief für ihn im Hotel abgegeben. Eine Ahnung sagte ihm, daß derselbe von Hadschina komme. Er öffnete ihn, blickte auf die Unterschrift und sah, daß er sich nicht geirrt hatte.

Der Brief enthielt nur wenige Zeilen, die von der Hand des jungen Mädchens geschrieben waren, und zwar die folgenden:

»Henry! »Meines Vaters Tod hat mich in den Rückbesitz meiner »Freiheit gesetzt. Aber Sie müssen auf mich verzichten! Die »Tochter des Bankiers ist Ihrer nicht würdig. Nie werde »ich Nikolas Starkos, einem Schurken, angehören – aber »die Ihrige, eines Ehrenmannes Frau! kann ich nicht werden! »Nachsicht und Lebewohl!

Hadschina Elisundo.««

Kaum hatte er zu Ende gelesen, als er auch schon, ohne zu überlegen, unterwegs war nach dem Hause in der Strada Reale.

Das Haus war geschlossen, verlassen, stand leer ... als hätte Hadschina Elisundo es mit ihrem getreuen Xaris verlassen auf Nimmerwiederkehr.

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