Frei Lesen: Der Chancellor

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Jules Verne

Der Chancellor

X.

eingestellt: 22.7.2007



Am 20. und 21. Oktober. –

Unter diesen Umständen setzt der Chancellor seine Fahrt mit so vielen Segeln fort, als seine Masten tragen können. Manchmal beugen sich seine Obermasten so, als ob sie brechen sollten, aber Robert Kurtis wacht aufmerksam. Er bleibt immer neben dem Steuerrade, da der Mann daselbst nicht sich allein überlassen sein soll. Durch kleine geschickte Schwenkungen giebt er der Brise nach, wenn die Sicherheit des Fahrzeugs compromittirt sein könnte, und so weit, als es möglich ist, verliert der Chancellor unter der Hand, die ihn regiert, nichts an seiner Schnelligkeit.

Heute, am 20. October, sind alle Passagiere auf das Oberdeck gekommen. Sie haben offenbar die abnorme Temperaturerhöhung im Innern bemerken müssen; da sie indeß die Wahrheit nicht ahnen, so verursacht ihnen dieselbe keinerlei Unruhe. Da sie Alle starkes Schuhwerk tragen, so haben sie auch die Wärme, welche trotz der Begießung mit Wasser durch das Verdeck dringt, nicht gefühlt. Die fortwährende Thätigkeit der Pumpen hätte zwar ihre Aufmerksamkeit erregen sollen; doch nein, meist strecken sie sich auf die Bänke aus und lassen sich vollkommen ruhig von dem Rollen des Schiffes wiegen.

Mr. Letourneur allein scheint erstaunt, daß sich die Mannschaft einer auf Kauffahrtei-Schiffen ganz ungewohnten Reinlichkeit befleißigt. Er spricht darüber einige Worte zu mir, und ich antworte ihm in gleichgiltigem Tone. Dieser Franzose ist übrigens ein energischer Mann, ihm könnte ich wohl Alles mittheilen; ich habe Robert Kurtis jedoch versprochen zu schweigen, also schweige ich.

Wenn ich mir aber die möglichen Folgen der bevorstehenden Katastrophe vergegenwärtige, dann steht mir das Herz fast still. Achtundzwanzig Personen sind wir an Bord, vielleicht ebenso viele Opfer, denen die Flammen keine rettende Planke übrig lassen werden!

Heute hat die Conferenz zwischen dem Kapitän, dem zweiten Officier, dem Lieutenant und dem Hochbootsmann stattgefunden. Kapitän Huntly ist, wie vorauszusehen war, ganz gebrochen. Er hat weder kaltes Blut, noch Energie, und überläßt das Commando des Schiffes an Robert Kurtis. Die Fortschritte der Feuersbrunst im Innern sind nun unbestreitbar, und schon kann man in dem am Vordertheile gelegenen Mannschaftsraum kaum noch verweilen. Offenbar ist man nicht im Stande, das Feuer zu beschränken, und früher oder später muß es zum Ausbruch kommen.

Was wird nun zu thun sein? Es giebt nur ein Mittel: So bald als möglich das Land erreichen! Das nächstgelegene Land ist den Beobachtungen nach die Inselgruppe der kleinen Antillen, und kann man wohl hoffen, bei fortdauerndem Nordostwinde schnell dahin zu gelangen.

Da man sich in dieser Ansicht geeinigt hat, so will der zweite Officier die schon seit vierundzwanzig Stunden eingeschlagene Richtung weiter beibehalten. Die Passagiere, denen auf dem unendlichen Oceane jeder Anhaltepunkt fehlt, und die mit den Compaßangaben sehr wenig vertraut sind, haben die Aenderung in der Richtung des Chancellor nicht wahrnehmen können, der jetzt mit dem ganzen Segelwerk die Antillen zu gewinnen sucht, von denen er noch gegen 600 Meilen entfernt ist.

Auf eine von Mr. Letourneur an ihn hierüber gerichtete Frage antwortet Robert Kurtis, daß er, da man gegen den Wind nicht aufzukommen vermöge, im Westen günstige Strömungen aufzusuchen beabsichtige.

Es bildet das die einzige Bemerkung, welche die dem Chancellor ertheilte andere Richtung hervorgerufen hat.

Am anderen Tage, am 21. October, hat sich in unserer Lage nichts geändert. In den Augen der Passagiere geht die Fahrt unter den gewöhnlichen Umständen von Statten, und die Lebensweise an Bord erleidet keinerlei Abweichung. Uebrigens verrathen sich die Fortschritte des Feuers äußerlich noch auf keine Weise, und das ist ein gutes Zeichen. Alle Oeffnungen sind so hermetisch verschlossen, daß kein Rauch den Brand im Innern bemerken läßt. Vielleicht wird es doch noch möglich, das Feuer auf den Kielraum zu beschränken, und vielleicht verlöscht es gar noch ganz oder glimmt nur langsam fort, ohne die ganze Ladung zu ergreifen. Hierauf gründet Robert Kurtis seine Hoffnung und hat aus übermäßiger Vorsicht sogar die Oeffnungen der Pumpen verstopfen lassen, deren im Kielraum mündendes Rohr einige Lufttheilchen eintreten lassen konnte.

Möge uns der Himmel zu Hilfe kommen, denn wir sind nicht im Stande, selbst etwas Weiteres für uns zu thun!

Dieser Tag wäre ohne weitere Ereignisse vergangen, wenn der Zufall mich nicht zum Hörer weniger Worte eines Gesprächs gemacht hätte, aus welchen hervorgeht, daß unsere ohnehin sehr ernste Lage jetzt wahrhaft schrecklich wurde.

Man urtheile selbst.

Ich saß auf dem Oberdeck; zwei der Passagiere plauderten mit leiser Stimme, ohne zu ahnen, daß es mir dort verständlich sein könnte. Diese beiden Passagiere waren der Ingenieur Falsten und der Kaufmann Ruby, welche sich Beide öfter mit einander unterhalten.

Meine Aufmerksamkeit wird erst durch einige ausdrucksvolle Gesten des Ingenieurs erregt, der seinem Vis-à-Vis lebhafte Vorwürfe zu machen scheint. Ich kann nicht umhin, zu lauschen, und höre denn dabei Folgendes:

»Aber das ist ein Wahnsinn! wiederholt Falsten, wie können Sie so unklug sein! – Bah, antwortet Ruby ganz sorglos, es wird ja nichts geschehen!

– Im Gegentheil, es kann das schlimmste Unheil geschehen! versetzte der Ingenieur.

– Gut, gut, erwiderte der Kaufmann, es ist nicht das erste Mal, daß ich mit dem Zeuge umgehe.

– Ein Stoß genügt aber schon, eine Explosion hervorzurufen.

– Das Gefäß ist sorgfältig verpackt, Mr. Falsten. und ich wiederhole Ihnen, daß Nichts zu fürchten ist.

– Weshalb haben Sie den Kapitän nicht davon unterrichtet?

– Ei, weil er mein Colli dann nicht mitgenommen hätte.«

Der Wind hat sich seit einigen Augenblicken gelegt und trägt mir die Worte nicht mehr zu; offenbar leistet aber der Ingenieur noch immer Widerstand, während Ruby sich begnügt, mit den Achseln zu zucken.

Jetzt, jetzt dringen aufs Neue einzelne Worte an mein Ohr.

»Doch, doch, sagte Falsten, der Kapitän muß davon erfahren. Das Colli muß ins Meer geworfen werden; ich verspüre keine Lust, mich in die Luft sprengen zu lassen!«

In die Luft sprengen! Ich erhebe mich rasch bei diesen Worten. Was will der Ingenieur damit sagen? Worauf spielt er an? Er kennt ja die Situation des Chancellor nicht und weiß nicht, daß eine Feuersbrunst seine Fracht verzehrt!

Aber ein Wort, – ein »furchtbares« unter den thatsächlichen Verhältnissen, jagt mich auf. Und dieses Wort »Natron-Pikrat« kommt mehrmals vor.

Im Augenblick bin ich neben den beiden Männern und unwillkürlich fasse ich mit unwiderstehlicher Gewalt Ruby beim Kragen.

»Es ist Pikrat an Bord?

– Ja, antwortet Falsten, ein Colli mit etwa dreißig Pfund.

– Und wo?

– Im Raum, bei der Schiffsfracht!«


 

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