Frei Lesen: Der Chancellor

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Jules Verne

Der Chancellor

XLVII.

eingestellt: 22.7.2007



Am 18. Januar.

– Ich erwarte den Tag mit einer ganz eigenthümlichen Angst! Was wird Hobbart sagen? Mir scheint, er habe ein Recht dazu, mich zu denunciren! Doch nein! Das ist absurd. Wenn ich das Vorgefallene erzählen wollte, wenn ich sagte, wie gut Hobbart lebte, während uns der Hungertod angrinste, wie er sich so lange Tage ohne unser Wissen genährt hat, seine Gefährten würden ihn ohne Erbarmen zerfleischen.

Und doch... ich wünschte, es wäre erst heller Tag.

Augenblicklich ist mein hungriger Magen befriedigt worden, trotzdem, daß das Stückchen Speck nur klein, nur »ein Bissen«, der letzte war, wie der Unglückliche sagte. Indessen, ich leide jetzt nicht mehr, und doch, ich gestehe es offen, mache ich mir fast Vorwürfe, den erbärmlichen Rest nicht mit meinen Unglücksgefährten getheilt zu haben. Ich hätte an Miß Herbey, an André, an seinen Vater denken sollen... und ich habe nur an mich gedacht!

Der Mond steigt langsam nieder, und bald folgt ihm das erste Morgenlicht. Schnell wird es Tag werden, denn wir befinden uns unter jenen niedrigen Breiten, die weder Morgen- noch Abenddämmerung kennen.

Ich habe kein Auge zuthun können; sobald es einigermaßen hell wird, scheint es mir, als schwanke eine unförmliche Masse in halber Höhe am Maste.

Was mag das sein? Noch vermag ich es nicht zu erkennen und verbleibe ausgestreckt auf meinem Segelbündel.

Doch endlich streifen die ersten Sonnenstrahlen über das Meer, und bald sehe ich einen Körper, der an einem Stricke hängt und den Bewegungen des Flosses folgt.

Eine schreckliche Ahnung überschleicht mich fröstelnd und ich nähere mich dem Maste...

Es ist ein Erhängter; und dieser Erhängte ist – der Steward Hobbart, dieser Unglückliche, und ich, ja ich, habe ihn zum Selbstmorde getrieben!

Ich stoße einen Schreckensschrei aus. Meine Gefährten erheben sich, sehen einen Körper und stürzen auf ihn zu. Ob noch ein Fünkchen Leben in ihm schlummere, darnach fragt Niemand!... Uebrigens, Hobbart ist wirklich todt und sein Körper schon erkaltet.

In einem Augenblicke wird der Strick zerschnitten. Der Hochbootsmann, Daoulas, Jynxtrop, Falsten, noch Andere sind bei der Hand, fallen über den Leichnam her...

Nein! Ich habe nichts gesehen! Ich habe nichts sehen wollen – ich nehme keinen Antheil an dieser entsetzlichen Mahlzeit! Weder Miß Herbey, noch André Letourneur oder sein Vater haben eine Erleichterung ihrer Leiden mit diesem Preise bezahlen wollen!

Robert Kurtis? – Das weiß ich nicht... ich habe nicht gewagt, ihn darüber zu fragen.

Die Anderen aber... o, der Mensch verwandelt sich so leicht in ein Raubthier... es ist schrecklich!

Die Herren Letourneur, Miß Herbey und ich, wir haben uns unter das Zelt verkrochen, um nichts mit ansehen zu müssen! Es war schon mehr als zu viel, was wir hörten!

André Letourneur wollte sich auf die Kannibalen stürzen und ihnen die grauenvollen Ueberreste entreißen, so daß ich Noth hatte, ihn davon zurückzuhalten.

Und übrigens, es war ja ihr Recht, das Recht der Unglücklichen! Hobbart ist ja todt; sie haben ihn nicht gemordet! Und wie eines Tages der Hochbootsmann sagte, »es ist besser, von einem Todten zu essen, als von einem Lebendigen«!

Wer weiß aber, ob dieser Auftritt nicht die Einleitung zu noch schrecklicheren sein wird, welche das Floß mit Blut besudeln könnten!

Ich theile André Letourneur meine Gedanken mit, aber ich vermochte das Entsetzen nicht zu unterdrücken, das bei ihm seinen Höhepunkt erreicht und alle seine Qualen verstummen läßt.

Indeß, man bedenke, wir sterben vor Hunger, und acht unserer Gefährten können nun diesem grausamen Tode vielleicht entgehen!

Hobbart war, Dank seinen versteckten Vorräthen, der Wohlgenährteste von uns. Keine organische Krankheit hat sein Körpergewebe verändert, in voller Gesundheit ist er durch einen Gewaltstreich aus dem Leben geschieden! ...

Doch zu welcher entsetzlichen Schlußfolgerung läßt sich mein Geist hinreißen? Wohin gerathe ich? Flößen mir jene Kannibalen jetzt mehr Vergnügen oder mehr Abscheu ein?

In diesem Augenblicke erhebt einer derselben seine Stimme. Es ist Daoulas, der Zimmermann.

Er spricht davon, Meerwasser zu verdampfen, um Salz zu gewinnen.

»Und das Übrigbleibende salzen wir ein, sagt er.

– Ja«, antwortet der Hochbootsmann.

Dann wird es still. Der Vorschlag des Zimmermanns ist ohne Zweifel angenommen worden, denn ich höre nichts mehr. Ein tiefes Schweigen herrscht wieder an Bord des Flosses, und ich schließe daraus, daß meine Gefährten schlafen.

Sie haben jetzt keinen Hunger mehr.


 

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