Frei Lesen: Die fünfhundert Millionen der Begum

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Jules Verne

Die fünfhundert Millionen der Begum

Siebzehntes Capitel.

eingestellt: 4.7.2007



Die jungen Leute erwarteten gewiß nichts weniger als diese Frage. Sie verwunderten sich darüber fast mehr, als sie etwa ein Gewehrschuß erschreckt hätte.

Von allen Hypothesen, die Marcel bezüglich dieser in Todtenschlaf versenkten Stadt durch den Kopf gingen, hatte er die eine allerdings nicht aufgestellt, daß ihn Jemand ganz ruhig fragen würde, was er hier suche. Sein Unternehmen, das ganz erklärlich erschien, wenn man Stahlstadt als verlassen ansah, gewann ein ganz anderes Aussehen, wenn jenes noch Bewohner hatte. Was im ersten Falle für eine Art archäologischer Untersuchung gelten konnte, wurde im zweiten zum bewaffneten Ueberfalle gemeiner Einbrecher.

Diese Gedanken stürmten zuerst so sehr auf Marcel ein, daß er sprachlos stehen blieb.

»Wer da?« wiederholte die Stimme etwas ungeduldig.

Diese Ungeduld war gewiß ganz am Platze. Wer so vielerlei Hindernisse überwunden, um zu dieser Thüre zu gelangen, dabei Mauern erklettert und ganze Stadttheile in die Luft gesprengt hatte, ohne hier auf die einfache Frage nach dem Zwecke seines Erscheinens Antwort geben zu können, der mußte damit wohl einige Verwunderung erregen.

Eine halbe Minute reichte für Marcel hin, um sich über die Schiefheit seiner Lage klar zu werden, und er antwortete sofort:

»Freund oder Feind, wie Ihr wollt. Ich will Herrn Schultze sprechen.«

Kaum verhallten diese Worte, als er durch die halbgeöffnete Thür einen Aufschrei des Erstaunens hörte.

»Ah!« klang es durch dieselbe heraus.

Marcel konnte dabei durch den Thürspalt ein Stückchen rothen Backenbart, einen struppigen Schnurrbart und ein glotzendes Auge bemerken. An Allem erkannte er Sigimer, seinen früheren Wächter.

»Johann Schwartz, rief der Riese, halb entsetzt und halb erfreut. Johann Schwartz!«

Das unerwartete Wiedererscheinen seines Gefangenen schien ihn nicht weniger Wunder zu nehmen, als dessen geheimnißvolles Verschwinden.

»Kann ich Herrn Schultze sprechen?« wiederholte Marcel, da er keine andere Antwort erhielt als jenen Ansruf.

Sigimer schüttelte den Kopf.

»Keinen Befehl! sagte er. Ohne solchen hier nicht eintreten!

– Können Sie Herrn Schultze wenigstens wissen lassen, daß ich hier bin und ihn zu sprechen wünsche?

– Herr Schultze nicht hier. Herr Schultze abgereist! erwiderte der Riese mit einem Anflug von Bedauern.

– Doch wo ist er? Wann kehrt er zurück?

– Weiß nicht! Wache nicht abgelöst. Niemand eintreten ohne Befehl!«

Diese abgerissenen Sätze waren Alles, was Marcel aus Sigimer herauslocken konnte, der allen weiteren Fragen ein halsstarriges Schweigen entgegensetzte.

»Weshalb sollen wir hier länger um die Erlaubniß zum Eintreten bitten? sagte er. Wir nehmen sie uns ganz einfach!«

Er stemmte sich gegen die Thür, um sie mit Gewalt zu öffnen. Indeß, die Kette widerstand und ein dem seinigen überlegener Druck hatte bald den Flügel zugeschlagen, hinter dem man die beiden Riegel vorschieben hörte.

»Hinter dem Brette muß mehr als Einer stecken!« sagte Octave beschämt über diesen Ausgang.

Er legte das Auge an das Bohrloch und rief plötzlich erstaunt:

»Da ist noch ein zweiter Riese!

– Etwa Arminius?« antwortete Marcel. Nun blickte auch er durch die enge Oeffnung. »Richtig, das ist Arminius, Sigimers Kamerad!«

Plötzlich veranlaßte eine andere, scheinbar vom Himmel herabtönende Stimme Marcel, den Kopf zu heben.

»Wer da?« rief diese Stimme.

Diesmal war es die Arminius.

Der Kopf des Wächters erschien über der Mauer, die jener mit Hilfe einer Leiter erstiegen haben mochte. »Das wißt Ihr ja längst recht gut, Arminius! entgegnete Marcel, Nun vorwärts! Wollt Ihr öffnen oder nicht?«

Noch hatte er den Satz nicht vollendet, als eine Gewehrmündung über der Mauerzinne erschien. Sofort krachte ein Schuß und eine Kugel streifte die Hutkrämpe Octaves.

»Warte, Dir will ich Antwort geben!« rief Marcel, der eine Dynamitpatrone unter die Thür steckte und sie in Stücken sprengte.

Nach geöffneter Bresche drangen Octave und Marcel, den Karabiner in der Faust und das Messer zwischen den Zähnen, in den Park ein.

An einem durch die Explosion zerrissenen Stück der Mauer, durch welche sie eben gelangten, lehnte noch eine Leiter, an deren Fuße sich Blutspuren zeigten. Aber weder Sigimer noch Arminius waren sichtbar, um den Eingang zu vertheidigen.

Vor den Blicken der beiden Angreifer lagen die Gärten in der ganzen Pracht ihrer Vegetation. Octave war entzückt.

»O wie herrlich! rief er. Doch Achtung! ... Gehen wir als Tirailleure vor ... Diese Sauerkrautfresser könnten hinter irgend einem Busche versteckt liegen!«

Octave und Marcel trennten sich und eilten Jeder nach einer Seite der vor ihnen liegenden Allee, wo sie nach den Grundprincipien der Strategie für den Einzelkampf vorsichtig von Baum zu Baum, von Deckung zu Deckung weiter vordrangen.

Bald erwies sich der Nutzen dieser Maßregel. Kaum hatten sie hundert Schritte zurückgelegt, als ein zweiter Schuß krachte. Eine Kugel sprengte die Rinde des von Marcel eben verlassenen Baumes ab.

»Keine Dummheiten! ... Lang auf die Erde!« rief Octave halblaut.

Er folgte selbst sogleich seinem Befehle und kroch auf Knieen und Ellbogen bis zu einem Dornenbusch am Rande des Rundtheiles, in dessen Mitte der Stierthurm sich erhob. Marcel, der jener Mahnung nicht sofort gefolgt war, erhielt noch einen dritten Schuß und konnte sich nur hinter den Stamm einer Palme werfen, um einem vierten zu entgehen.

»Zum Glück schießen die Kerle wie Recruten! rief Octave seinem etwa dreißig Schritte entfernten Begleiter zu.

– Still! antwortete Marcel mit den Augen wie mit den Lippen. Siehst Du den Rauch dort aus dem Fenster des Erdgeschosses? ... Dort haben sich die Banditen versteckt! ... Nun werde ich ihnen aber nach meiner Art aufspielen!«

Im Augenblicke hatte Marcel auch einen ziemlich langen Pfahl hinter dem nächsten Busche herausgerissen; dann warf er seine Jacke ab, diese über das Holz, setzte seinen Hut darüber und stellte eine Vogelscheuche her. Darauf stellte er das Ganze so auf den von ihm eingenommenen Platz, daß Hut und Aermel sichtbar blieben, glitt zu Octave hinüber und raunte diesem ins Ohr:

»Jetzt beschäftige die Beiden dadurch, daß Du einmal von hier und einmal von meinem Platze aus nach dem Fenster feuerst. Ich werde ihnen in den Rücken fallen!«

Marcel ließ nun Octave schießen und glitt selbst durch das dichte Gebüsch auf dem Rundbeete des Thurmes.

Eine Viertelstunde verging, während der wohl zwanzig Kugeln erfolglos gewechselt wurden.

Marcels Jacke und Hut waren buchstäblich wie ein Sieb durchlöchert, er selbst hatte natürlich keinen Schaden dabei gelitten. Die Jalousien des Erdgeschoßfensters hatte Octave seinerseits in Stücke geschossen.

Plötzlich schwieg das Feuer und Octave hörte eine halberstickte Stimme rufen:

»Zu Hilfe! ... Ich hab ihn fest! ...«

Sein Versteck zu verlassen, ohne Deckung über das Rundbeet zu eilen und das Fenster zu erklettern, das war für Octave nur das Werk einer halben Minute. Gleich darauf sprang er in den Raum hinab.

Wie zwei Schlangen um einander gewunden, lagen Marcel und Sigimer in verzweifeltem Ringen am Boden. Ueberrascht von dem urplötzlichen Angriffe des Feindes, der eine Thür hinter ihm unversehens geöffnet hatte, konnte der Riese von den Waffen keinen Gebrauch machen. Seine herkulische Stärke machte ihn aber trotzdem zu einem furchtbaren Gegner, und obwohl zur Erde geworfen, hoffte er doch immer noch, die Oberhand zu gewinnen. Marcel seinerseits entwickelte ganz außerordentliche Kraft und Gewandtheit.

Der Kampf mußte nothwendiger Weise mit dem Tode des einen der beiden Ringenden enden, wenn Octaves Dazwischentreten nicht einen minder tragischen Ausgang herbeigeführt hätte. Von zwei Paar Armen gepackt und entwaffnet, ward Sigimer gefesselt, daß er sich nicht rühren konnte.

»Und der Andere?« fragte Octave.

Marcel wies nach dem anderen Ende des Raumes, wo Arminius über und über blutig auf einem Sopha ausgestreckt lag.

»Hat er eine Kugel bekommen? fragte Marcel.

»Ja!« bestätigte Octave.

Marcel trat an Arminius heran.

»Er ist todt! sagte er.

– Meiner Treu, er hats verdient, bemerkte Octave.

– Nun sind wir Herren des Platzes, rief Marcel. Jetzt laß uns eine sorgfältige Untersuchung vornehmen. Zuerst Herrn Schultzes Cabinet!«

Von dem Wartezimmer aus, wo sich der letzte ernsthafteste Act abspielte, folgten die beiden jungen Leute nun der Reihe von Zimmern, die zum Allerheiligsten des Stahlkönigs führte.

Octave staunte über alle die Wunder, welche ihm entgegentraten.

Marcel lächelte nur und öffnete nach und nach alle Thüren bis zu dem grün und goldenen Salon.

Er erwartete wohl, hier etwas Neues zu finden, doch nimmermehr ein so eigenthümliches Bild, wie es sich jetzt seinen Blicken bot. Man hätte meinen sollen, das Central-Postamt von New-York oder Paris wäre geplündert worden und man hätte Alles bunt durcheinander in diesen Salon geworfen. Allüberall lagen Briefe, versiegelte Packete auf dem Schreibtisch, auf allen Möbeln und dem Fußboden umher. Bis ans Knie versank man in dieser Ueberschwemmung. Die ganze, alle Geld-Angelegenheiten, die Fabrik oder auch nur die eigene Person des Herrn Schultze betreffende Correspondenz, die sich tagtäglich in dem Briefkasten an der Parkmauer angesammelt hatte, war von Arminius und Sigimer getreulich hierher gebracht worden und füllte nun das Privatcabinet des Herrn.

Wie viele Anfragen, Schmerzen, ängstliche Erwartung, Elend und Thränen mochten diese stummen, kleinen Papiere mit der Adresse des Herrn Schultze wohl verbergen! Wie viele Millionen auch in Papiergeld, Wechseln, Anweisungen und Rechnungen aller Art! ... Alles das schlief jetzt gleichsam bewegungslos wegen der Abwesenheit der einzigen Hand, welcher das Recht zustand, diese schwachen und doch unverletzlichen Hüllen zu lösen.

»Es handelt sich nun darum, sagte Marcel, die verborgene Thür zum Laboratorium aufzufinden!«

Er begann also die Bücher der reichhaltigen Bibliothek wegzuräumen. Vergebens. Es gelang ihm nicht, den geheimen Eingang, den er früher in Begleitung des Herrn Schultze passirt hatte, wieder aufzufinden. Fruchtlos rüttelte er an allen Gestellen und sprengte sie mit einer aus dem Kamine entnommenen Eisenstange los. Vergeblich klopfte er an die Mauer, um irgendwo einen hohlen Klang zu vernehmen. Offenbar hatte Schultze im Bewußtsein, nicht mehr der einzige Kenner jener Thür zu seinem Laboratorium zu sein, dieselbe überhaupt beseitigt,

Nothwendiger Weise mußte er dafür aber eine andere hergestellt haben.

»Aber wo? fragte sich Marcel. Es kann nur hier sein, da Arminius und Sigimer die Briefschaften in diesen Raum beförderten. In diesem Salon muß Herr Schultze sich auch nach meinem Weggange aufgehalten haben. Ich kenne seine Gewohnheiten gut genug, um zu wissen, daß er nach Vermauerung des alten Zuganges einen anderen in unmittelbarer Nahe und geschützt vor indiscreten Blicken haben mußte ... Sollte sich unter dem Teppich eine Fallthüre befinden?«

Der Teppich erwies sich als unverletzt. Man hatte ihn auch nicht vom Boden abgelöst und aufgenommen. Das Tafel für Tafel untersuchte Parquet zeigte ebenfalls nichts Verdächtiges.

»Wer sagt Dir, daß sich die Oeffnung in diesem Raume befindet? fragte Octave.

– Ich bin davon überzeugt! erwiderte Marcel. – Dann bleibt mir nichts übrig, als die Decke zu untersuchen!« antwortete Octave auf einen Stuhl steigend.

Er beabsichtigte, den Kronleuchter zu erklettern und die Rosette um denselben mit Kolbenstößen zu untersuchen. Kaum hing indeß Octave an dem vergoldeten Leuchter, als er denselben zu seinem höchsten Erstaunen herabsinken sah. Ein Stück der Decke folgte nach und ließ eine gähnende Oeffnung zurück, aus welcher eine leichte stählerne Leiter bis zum Parquet herabglitt.

Das Ganze sah aus wie eine Einladung zum Hinaufsteigen.

»Aha, da haben wirs ja!« sagte Marcel gelassen, und schwang sich, sein Genosse dicht hinter ihm, auf die Leiter.

< Sechzehntes Capitel.
Achtzehntes Capitel. >



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