Frei Lesen: Fünf Wochen im Ballon

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Jules Verne

Fünf Wochen im Ballon

Zwanzigstes Capitel

eingestellt: 15.8.2007



Der Wind wurde heftig und unregelmäßig, und der Victoria lavirte förmlich in der Luft. Bald nach Norden, bald nach Süden geworfen, konnte er keine beständige Luftströmung antreffen.

»Wir fahren sehr rasch, ohne eigentlich vorwärts zu kommen, sagte Kennedy, als er die häufigen Schwankungen der Magnetnadel bemerkte.

– Der Victoria zieht mit einer Schnelligkeit von mindestens achtzehn Meilen auf die Stunde,« erwiderte Samuel Fergusson. Blickt herab und überzeugt euch, wie schnell das Feld zu unsern Füßen verschwindet. Dieser Wald sieht aus, als wollte er sich auf uns losstürzen!

– Aus dem Walde ist schon eine Lichtung geworden, bemerkte der Jäger.

– Und aus der Lichtung ein Dorf, setzte Joe einige Augenblicke später hinzu; ich glaube einige erstaunte Negergesichter zu erkennen!

– Das ist ganz natürlich, erklärte der Doctor. Die französischen Bauern haben beim ersten Erscheinen der Ballons auf dieselben geschossen, weil sie sie für Ungeheuer der Lüfte hielten. Ein Sudanischer Neger hat also wohl ein Recht, die Augen weit aufzureißen.

– Ich möchte mir wohl einen Spaß mit ihnen machen, sagte Joe, während der Victoria hundert Fuß hoch über einem Dorfe hinstreifte. Mit Ihrer Erlaubniß, Herr Doctor, will ich den Kerlen eine leere Flasche hinwerfen; wenn sie heil unten ankommt, werden sie sie anbeten; zerbricht sie, so werden sie sich Amulette aus den Stücken machen!«

Und mit diesen Worten schleuderte er eine Flasche hinab, die alsbald in tausend Stücke zerschellte, während die Eingeborenen ein lautes Geschrei ausstießen und in ihre runden Hütten stürzten.

Als man ein wenig weiter gekommen war, rief Kennedy:

»Seht doch diesen sonderbaren Baum an; er ist oben vollständig anders wie unten.

– Ach, meinte Joe, in diesem Lande wächst ein Baum auf dem andern!

– Es ist ganz einfach ein Feigenbaumstamm, erklärte der Doctor, auf welchem sich ein wenig fruchtbare Erde festgesetzt hat. Durch den Wind ist eines schönen Tages Saat von einem Palmbaum darauf geweht, und der Palmbaum wie auf offenem Felde emporgeschossen.

– Eine herrliche Mode, die ich in England einführen werde, rief Joe. Es wird sich in den Londoner Parks gut ausnehmen, ganz abgesehen davon, daß es ein vorzügliches Mittel ist, die Obstbäume zu vervielfältigen. Man würde Gärten in der Höhe bekommen, und alle kleinen Besitzer dürften das sehr wohl zu würdigen wissen.«

In diesem Augenblick mußte man den Victoria steigen lassen, um einen Wald von über dreihundert Fuß hohen Bäumen, einer Art hundertjähriger Bananen, zu überschreiten.

»Herrliche Bäume! rief Kennedy aus, ich kenne nichts so Schönes, als den Anblick dieser ehrwürdigen Wälder. Sieh doch, Samuel!

– Die Höhe dieser Bananen ist wirklich wunderbar, lieber Dick, und doch würde sie in den Wäldern der neuen Welt nichts Erstaunliches haben.

– Wie, es giebt noch höhere Bäume?

– Ganz gewiß, und zwar unter denen, welche mir die « mammouth trees« nennen. So hat man in Californien eine vierhundertundfünfzig Fuß hohe Ceder gefunden, eine Höhe, welche den Thurm des Parlamentsgebäudes und selbst die große ägyptische Pyramide überragt. Der untere Stamm des Baumes hatte hundertundzwanzig Fuß im Umkreise, und nach den concentrischen Ringen seines Holzes fristete er eine mehr als viertausendjährige Existenz.

– Nun, Herr Doctor, dann finde ich seine Dicke sehr natürlich; wenn man viertausend Jahre lebt, hat man Zeit genug, sich eine gute Figur zuzulegen!«

Aber während der Erklärung des Doctors und Joes Erwiderung war der Wald bereits einer großen Vereinigung von Hütten gewichen, welche kreisförmig um einen Platz gebaut waren. In der Mitte desselben wuchs ein einzelnstehender Baum, bei dessen Anblick Joe in Ekstase ausrief:

»Nun, wenn der da seit viertausend Jahren solche Blüthen trägt, so mache ich ihm nicht mein Compliment dafür.«

Und er wies auf eine riesenhafte Sykomore, deren Stamm fast gänzlich unter einem Haufen menschlicher Gebeine verschwand. Die Blüthen, von denen Joe sprach, waren frisch abgeschnittene, mit Dolchen in der Rinde befestigte Menschenköpfe.

»Der Kriegsbaum der Kannibalen! sagte der Doctor. Die Indianer nehmen nur die Schädelhaut, die Afrikaner aber den ganzen Kopf.

– Modesache!« bemerkte Joe.

Aber schon verschwand das Dorf mit den blutigen Köpfen am Horizont; ein anderes, etwas weiter hin, bot ein nicht minder widerliches Schauspiel dar; halbverzehrte Leichname, vermodernde Skelette, hier und da zerstreute menschliche Gliedmaßen waren den Hyänen und Schakalen zum Fraß gelassen.

»Dies sind jedenfalls die Körper der Verbrecher; man giebt sie, wie in Abessynien, den wilden Thieren preis, die ihre Opfer in aller Gemüthsruhe verschlingen, nachdem sie ihnen mit einem einzigen Biß in die Kehle den Garaus gemacht haben.

– Das ist nicht viel grausamer, als der Galgen, äußerte der Schotte, es ist schmutziger, das ist der ganze Unterschied.

– In den Gegenden des südlichen Afrikas, versetzte der Doctor, begnügt man sich damit, den Verbrecher mit seinen Thieren und, unter Umständen, seiner Familie in der eigenen Hütte einzuschließen. Man zündet dann diese an, und Alles verbrennt zu gleicher Zeit. Ich nenne das Grausamkeit, räume jedoch mit Kennedy ein, daß der Galgen, wenn auch weniger grausam, doch ebenso barbarisch ist.«

Joe signalisirte jetzt einige Schwärme fleischfressender Vögel, die er mit seinem scharfen Auge am fernen Horizont bemerkte:

»Es sind Adler, rief Kennedy aus, nachdem er sie mit dem Fernglase recognoscirt hatte, prächtige Vögel, deren schneller Flug dem unsrigen gleichkommt.

– Der Himmel schütze uns vor ihren Angriffen, sagte der Doctor, wir haben sie mehr zu fürchten, als die wilden Thiere und Völkerstämme.

– Pah! höhnte der Jäger, ich würde sie bald mit Flintenschüssen verjagen.

– Bei allem Vertrauen auf Deine Geschicklichkeit, möchte ich sie in diesem Falle doch lieber nicht in Anspruch nehmen, lieber Dick; der Taffet unsers Ballons würde gegen einen ihrer Schnäbelhiebe nicht Stand halten. Doch hoffentlich werden diese furchtbaren Vögel von unserer Maschine mehr erschreckt als angezogen werden.

– Ach, mir kommt ein Gedanke, sagte Joe, sie wachsen mir heute zu Dutzenden im Gehirn: Wenn mir ein Gespann lebender Vögel einfingen, könnten wir sie an unsere Gondel ketten, und sie würden uns durch die Lüfte ziehen!

– Man hat dies Mittel im Ernste vorgeschlagen, entgegnete Fergusson, aber ich halte es für wenig zweckentsprechend, da diese Vögel ihrer Natur nach so störrig sind.

– Man könnte sie abrichten, schlug Joe vor; anstatt mit einem Gebiß würde man sie mit Scheuklappen versehen, welche ihnen das Gesicht beschränken. Einäugig, würden sie nach rechts oder links abweichen, und blind, überhaupt nicht von der Stelle zu bringen sein.

– Erlaube, daß ich einen günstigen Wind Deinem Adlergespann vorziehe, mein guter Joe; das kostet weniger Futter und ist sicherer.«

Es war zwölf Uhr. Der Victoria hatte seit einiger Zeit seine Schnelligkeit gemäßigt; das Land ging nur noch im Schritt unter ihm her, es war nicht mehr auf der Flucht.

Plötzlich vernahmen die Reisenden ein lautes Schreien und Pfeifen, sie sahen hernieder und bemerkten in einer offenen Ebene ein Schauspiel, von dem sie aufs Tiefste ergriffen wurden.

Zwei Völkerschaften waren im erbittertsten Kampfe mit einander begriffen, und Wolken von Pfeilen flogen in der Luft hin und her. Die Kämpfenden, von wilder Mordlust entflammt, wurden von der Annäherung des Victoria nichts gewahr; es waren ihrer ungefähr dreihundert, die in einem verworrenen Handgemenge auf einander stießen. Die Meisten, vom Blut der Verwundeten, in dem sie sich wälzten, roth, gewährten einen scheußlichen Anblick.

Bei der Erscheinung des Luftschiffes hielt man betroffen einen Augenblick inne; das Geheul verdoppelte sich; einige Pfeile wurden nach der Gondel abgesandt, und einer derselben flog so weit, daß Joe ihn mit der Hand abfangen konnte.

»Steigen wir aus ihrem Bereich! rief der Doctor Fergusson. Keine Unvorsichtigkeit! Dergleichen Fährlichkeiten dürfen wir uns nicht aussetzen«

Das Gemetzel wurde auf beiden Seiten mit Streitäxten und Sagajen fortgesetzt; sobald ein Feind auf dem Boden lag, beeilte sich sein Gegner, ihm den Kopf abzuschneiden; die Frauen, welche mitten im Gewühl waren, sammelten die blutigen Köpfe, thürmten sie zu beiden Seiten des Schlachtfeldes auf, und oft schlugen sie sich, um diese scheußlichen Trophäen zu erobern.

»Eine entsetzliche Scene! rief Kennedy mit tiefem Abscheu.

– Es sind garstige Kerle! bemerkte Joe; wenn sie aber in einer Uniform steckten, würde man an ihnen wenig Besonderes finden.

– Ich fühle einen unwiderstehlichen Drang, in dem Kampfe zu interveniren, versetzte der Jäger, indem er seinen Carabiner zur Hand nahm.

– Nein, erklärte entschieden der Doctor; bekümmern wir uns um unsere eigenen Angelegenheiten! weißt Du, wer hier Recht oder Unrecht hat, daß Du die Rolle der Vorsehung spielen willst? Laß uns sobald wie möglich vor diesem widerlichen Schauspiel fliehen! Wenn die großen Feldherrn so den Schauplatz ihrer Heldenthaten beherrschen könnten, würden sie schließlich vielleicht den Geschmack an Eroberungen und Blutvergießen verlieren!«

Der Anführer einer der wilden Parteien zeichnete sich durch einen athletischen Wuchs und eine herkulische Kraft aus. Mit einer Hand senkte er seine Lanze in die dichten Reihen der Feinde, und mit der andern vollführte er wuchtige Axtschläge. Jetzt eben warf er seine blutgeröthete Sagaje von sich, stürzte auf einen Verwundeten zu, dem er mit einem Schlage den Arm abhieb, nahm denselben in die Hand, und biß, ihn zum Munde führend, gierig hinein.

»Ha! rief Kennedy; die schauerliche Bestie! ich halte es nicht länger aus!«

Und der Krieger, von einer Kugel an der Stirn getroffen, fiel rücklings zu Boden.

Bei diesem plötzlichen Falle bemächtigte sich seiner Krieger Staunen und Entsetzen; der Muth ihrer Widersacher wurde von Neuem angefacht, und in wenigen Secunden war das Schlachtfeld von der Hälfte der Kämpfenden verlassen.

»Suchen mir mehr in der Höhe eine Strömung auf, die uns von dannen führt, sagte der Doctor; dieses Schauspiel ekelt mich an!«

Vor dem Abgange mußte er indessen noch mit ansehen, wie der siegreiche Stamm sich auf die Todten und Verwundeten warf, um das noch warme Fleisch miteinander raufte und sich gefräßig daran weidete.

»Puh! schüttelte sich Joe, das ist widerwärtig!«

Der Victoria erhob sich durch Ausdehnung des Gases, das Geheul der rasenden Horde verfolgte ihn noch einige Augenblicke, aber endlich entfernte er sich in der Richtung nach Süden von dieser Scene des Blutbades und Kannibalismus.

Das Terrain zeigte nunmehr mannigfache Unebenheiten und zahlreiche Wasserbäche, die nach Osten flossen; sie ergossen sich zweifellos in die Zuflüsse des Nu-Sees oder des Gazellenflusses, über welchen Herr Guillaume Lejean so merkwürdige Nachrichten verbreitet hat.

Bei Einbruch der Nacht warf der Victoria nach einer Fahrt von 150 Meilen Anker unter 27° L. und 4° 20 nördl. Br.

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