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Jules Verne

Kein Durcheinander

VI.

eingestellt: 23.7.2007



Der Präsident Barbicane hatte nicht allein versichert, daß er sein Ziel erreichen werde – und jetzt, mit dem nöthigen Capital in der Hand, war er in der Lage, das ohne Rücksicht auf etwaige Hindernisse zu bewahrheiten – sondern er hätte auch sicherlich nicht die Kühnheit gehabt, öffentlich Geldmittel zu suchen, wenn er seiner Sache nicht ganz gewiß gewesen wäre.

Der Nordpol sollte endlich durch den vor nichts zurückschreckenden Menschengeist erobert werden.

Es war eine unumstößliche Thathsache, der Präsident Barbicane und sein Verwaltungsrath besaßen die Mittel und das Zeug dazu, da Erfolge zu erzielen, wo so viele Andere gescheitert waren; sie würden durchführen, was weder einem Franklin oder Kane, noch einem De Long, Nares oder Greely gelingen wollte; sie würden den vierundachtzigsten Breitengrad überschreiten, würden Besitz ergreifen von dem ungeheueren, durch die kürzliche Versteigerung erworbenen Gebiete und dem Banner Amerikas den neununddreißigsten Stern für den neununddreißigsten, der Bundesrepublik angegliederten Staat einfügen.

»Windbeuteleien!« wiederholten die europäischen Abgesandten und ihre Anhänger in der Alten Welt.

Und doch konnte gar nichts wahrer sein; das einzig praktische, logische undiscutirbare Mittel, den Nordpol zu bezwingen – ein Mittel von solcher Einfachheit, daß man es hätte ein »kindliches« nennen können – hatte J. T. Maston seinen Clubgenossen angegeben. Diesem Schädel, in dem die Gedanken brodelten wie in einer stets siedenden Gehirnmasse, war der Vorschlag zu diesem großen geographischen Unternehmen, aber auch die Art und Weise, ihn zu gutem Ende zu führen, entsprungen.

Man vermag gar nicht genug darauf hinzuweisen, daß der Secretär des Gun-Club ein vorzüglicher Rechner war, wir möchten sagen ein »ausgedienter«, wenn der gewöhnliche Sprachgebrauch damit nicht einen Sinn verbände, der dem, was wir damit bezeichnen wollen, fast widerspricht. Für ihn war es nur Spielerei, die verwickeltsten Probleme der mathematischen Wissenschaften zu lösen. Er lachte über sogenannte Schwierigkeiten, sowohl in der Lehre von den Größen, d. i. die Algebra, als in der Lehre von den Zahlen, d. i. die Arithmetik. Es hätte ihn nur Einer mit den Symbolen sollen umspringen sehen, mit den hergebrachten Zeichen, welche algebraischen Ausdrücken dienen, ob diese nun – wenn Buchstaben des Alphabeths – Mengen oder Größen darstellten, oder ob sie – wenn verbundene oder gekreuzte Linien – die Beziehungen versinnbildlichten, welche zwischen den Mengen und den Operationen, denen man diese unterwirft, denkbar erschienen.

O, diese Coëfficienten, die Exponenten, die Radicale, die Index und die übrigen in dieser Sprache übernommenen Ausdrücke – wie voltigirten deren Zeichen unter seiner Feder oder vielmehr unter dem Kreidestückchen, das mit dem Ende seines Eisenhakens umherhüpfte, denn er liebte es, an einer schwarzen Tafel zu arbeiten. Hier, auf dieser Fläche von zehn Quadratmetern – mit weniger kam J.T. Maston nicht aus – überließ er sich gänzlich dem Feuer seiner algebristischen Neigungen. Er verwendete bei seinen Rechnungen keine zwerghaften Ziffern, o, nein, es waren phantastische, gigantische Zeichen, die er mit wüthender Hand auf die schwarze Unterlage warf. Seine 2 und 3 blähten sich auf wie Papierkoketten auf der Promenade; seine 7 waren Ebenbilder von Galgen, an denen nur der Gehenkte fehlte; seine 8 bogen sich zusammen wie große Brillengestelle, und seine 6 und 9 prahlten mit endlosen Schwänzen.

Und die Buchstaben, mit denen er seine Formeln ausdrückte, die ersten des Alphabets, a, b, c, die er für bekannte oder gegebene Größen anwendete, wie dessen letzte, x, y, z, welche zur Kennzeichnung unbekannter oder zu bestimmender Werthe dienten – wie warf er sie in vollem Zuge, ohne jeden Haarstrich, hin, und vorzüglich seine z, welche sich wie der Zickzack eines Blitzes ausnahmen! Welcher Schwung in seinen griechischen Buchstaben, den π, den λ, den ω u.s.w., auf welche ein Archimedes oder ein Euklid hätte stolz sein können!

Die Zeichen endlich, welche er mit reiner, steinkornloser Kreide zog, waren einfach wundervoll. Seine + zeigten auf den ersten Blick, daß sie die Addition zweier Mengen andeuteten, und auch seine - erschienen, wenn auch bescheidener, doch noch in respectabler Form. Seine × erhoben sich wie ein Andreaskreuz. Was seine = anging, so bewiesen diese durch ihre genau übereinstimmende Länge, daß J. T, Maston sich in einem Lande befand, wo die Gleichheit keine leere Formel ist, wenigstens so weit die Typen der weißen Race in Frage kommen. Dieselbe großartige Factur zeigten seine <, seine >, wie seine, in außergewöhnlichen Verhältnissen auftretenden ≷. Was das Zeichen √ angeht, das Wurzelzeichen einer Zahl oder einer Menge, so war das sein Triumph, und wenn er es mit dem horizontalen Ausläufer als

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hinwarf, so schien dieser Wegweiserarm, der über die schwarze Tafel hinausreichte, gleich die ganze Welt mit seinen außer Rand und Band gerathenen Gleichungen zu bedrohen.

Möge aber Niemand glauben, daß der mathematische Scharfsinn J. T. Mastons sich mit dem Horizonte der elementaren Algebra begnügte. O nein! Weder die Differential- und die Integralrechnung noch die der Variationen waren ihm fremd, und mit sicherer Hand zog er jenes berühmte Zeichen der Integration, jenen in seiner Einfachheit erschreckenden Buchstaben

∫,


die Summe einer Unendlichkeit, unendlich kleiner Elemente.

Dasselbe war der Fall mit dem Zeichen ∑, welches die Summe einer endlichen Zahl endlicher Elemente darstellt; mit dem Zeichen ∞, durch welches die Mathematiker die Unendlichkeit ausdrücken, und mit allen jenen geheimnißvollen Symbolen, deren sich diese, gewöhnlichen Sterblichen unverständliche Sprache bedient. Kurz, der erstaunliche Mann wäre im Stande gewesen, sich leicht bis zu den letzten Sprossen der hohen Mathematik aufzuschwingen.

Das ist das Bild dieses J. T. Maston; deshalb konnten seine Collegen volles Vertrauen hegen, wenn er daran ging, die wunderlichsten, ihren erfinderischen Hirnwindungen entsprossenen Aufgaben rechnerisch zu lösen. Das hatte auch den Gun-Club bestimmt, ihm das Problem der Entsendung eines Geschosses von der Erde nach dem Monde zu übertragen, und das war auch die Ursache, daß Mrs. Evangelina Scorbitt, geblendet von seinem Ruhme, ihm eine Bewunderung entgegenbrachte, welche schon nahe an Liebe grenzte.

Im vorliegenden Falle – das heißt bezüglich der Lösung jenes Problems der Bezwingung des Nordpols – brauchte sich J. T. Maston gar nicht in die höchsten Regionen der Analyse zu versteigen. Um den neuen Concessionären der arktischen Gebiete deren Ausbeutung zu ermöglichen, sah sich der Schriftführer des Gun-Club nur vor die Lösung eines mechanischen Problems gestellt – eines Problems, das zweifelsohne seine Schwierigkeiten haben und geistvolle, vielleicht neue Formeln erfordern würde, welches er jedoch mit Ehren zu lösen hoffte.

Ja, man konnte sich wohl auf J. T. Maston verlassen, obgleich der geringste Fehler seinerseits vielleicht den Verlust von Millionen bedeutete. Noch niemals seit dem Alter, wo sein Kinderkopf sich mit den Anfangsgründen der Arithmetik beschäftigte, hatte er sich einen Fehler – nicht einmal den eines Mikrons – zu Schulden kommen lassen, wenn seine Rechnung gerade die Messung einer Längengröße betraf. Hatte er sich auch nur bei einer zwanzigsten Decimalziffer geirrt, so würde er nicht gezaudert haben, seinen Guttapercha-Schädel in die Luft zu sprengen.

Es kam uns darauf an, diese bemerkenswerthen Fähigkeiten J. T. Mastons besonders hervorzuheben. Nachdem das geschehen, müssen wir ihn in Thätigkeit zeigen, zu diesem Zwecke aber nothwendig um einige Wochen zurückgehen.

Etwa einen Monat vor der Veröffentlichung des an die Bewohner der Alten und der Neuen Welt gerichteten Documentes hatte J. T. Maston es übernommen, die Elemente des in Frage stehenden Projectes, dessen wunderbare Consequenzen er seinen Clubgenossen so lebhaft geschildert, ziffermäßig festzustellen.

Seit einer Reihe von Jahren schon wohnte J. T. Maston in Nr. 179 der Franklin-Street, einer der ruhigsten Straßen von Baltimore und fern von dem geschäftlichen Getriebe, von dem er nichts verstand, und von dem Lärmen der Menge, das ihn anwiderte.

Er hauste in einer bescheidenen, unter dem Namen Ballistic-Cottage bekannten Wohnung, da seine Einkünfte ausschließlich einer Pension als Artillerie-Officier nur einem bescheidenen Honorar entstammten, welches er als Schriftführer des Gun-Club bezog. Hier lebte er so gut wie allein, bedient von seinem Neger Fire-Fire (Feuer – Feuer!) – ein Spitzname, der ja des Dieners eines Artilleristen würdig war. Dieser Neger war kein gedungener Diener, sondern so etwa das Bruchstück einer Bedienungsmanschaft, und er bediente seinen Herrn, wie er eine Kanone bedient hätte.

J. T. Maston war Hagestolz aus Ueberzeugung, da er den Gedanken liebte, das Cölibat sei die einzige Daseinsform, welche in dieser sublunaren Welt noch zu ertragen sei. Er kannte das slavische Sprichwort: »Ein Weib zieht mehr an einem Haare, als vier Stiere am Lastkarren!« und er hütete sich also.

Wenn er die Ballistic-Cottage so allein bewohnte, war das nur sein eigenster Wunsch und Wille, denn wir wissen schon, daß er nur hätte eine entgegenkommende Bewegung zu machen brauchen, um seine Einsiedelei in eine »Zweisiedelei« und sein sehr mäßiges Vermögen in die Schätze eines Millionärs zu verwandeln. Er konnte sich ja gar nicht darüber unklar sein; Mrs. Evangelina Scorbitt hätte sich glücklich geschätzt, wenn... Doch Mr. J. T. Maston war, mindestens bisher, noch nicht so glücklich gewesen, um... Und so erschien es ausgemacht, daß diese beiden, so gut zu einander passenden Wesen – das war wenigstens die Ansicht der zärtlichen Witwe – niemals dazu gelangen sollten, jene Verwandlungen durchzuführen.

Die Cottage war ein recht einfaches Gebäude. Ein Erdgeschoß mit Veranda und ein Stockwerk darüber. Unten befanden sich ein kleiner Salon und ein Speisezimmer nebst Küche und Vorrathskammer, letztere in einem Anbau nach der Seite eines Gärtchens zu gelegen; oben ein Schlafzimmer an der Straßen- und ein Arbeitszimmer nach der Gartenseite zu, in welches kein Lärmen von außen eindrang. Es war das Buen Retiro des Gelehrten und Weisen, zwischen dessen Mauern so viele Rechnungen ausgeführt worden waren, daß Newton, Laplace oder Cauchy darum hätte neidisch werden können.

Welcher Unterschied gegenüber dem im reichsten Straßenviertel des New-Park sich erhebenden Hotel der Mrs. Evangelina Scorbitt, diesem Paläste mit balcongeschmückter Façade, welche reizend erfundene Sculpturarbeiten angelsächsischer Architektur im Stile der Gothik und der Renaissance bedeckten; mit den reich ausgestatteten Salons, der großartigen »Halle«, den Bildersälen, in denen französische Meister die erste Stelle einnahmen; mit der doppelwangigen Treppe; der zahlreichen Dienerschaft; mit seinen Pferdeställen, Wagenschuppen, seinem Garten mit Rasenteppichen, großen Bäumen und plätschernden Springbrunnen, und endlich mit dem das ganze Bauwerk beherrschenden Thurm, auf dem die blau-goldene Hausflagge der Scorbitts im Winde flatterte.

Drei (englische) Meilen, ja, drei volle, richtige Meilen trennten das Hotel im New-Park von der Ballistic-Cottage. Ein besonderer Telegraphendraht verband aber die beiden Wohnungen, und auf ein »Halloh! Halloh!« – das Zeichen für eine beabsichtigte Mittheilung – begann dann nicht selten eine längere Unterhaltung. Wenn die Sprechenden sich nicht sahen, so konnten sie einander doch hören. Es wird Niemand Wunder nehmen, daß Mrs. Evangelina Scorbitt weit häufiger J. T. Maston vor ihre vibrirende Telephonplatte rief, als J. T. Maston seine reiche Partnerin vor die seinige. Dann verließ der Rechenmeister stets etwas ärgerlich seine Arbeit und hörte gelegentlich wohl weiter nichts als ein freundschaftliches »Guten Morgen!«, das er mit einem knurrenden Gegengruße erwiderte, dessen etwas ungalante Tonart der elektrische Draht jedenfalls gemildert fortpflanzte, und dann nahm er seine Arbeit wieder auf.

Im Laufe des 3. October war es, wo J. T. Maston nach einer letzten und langen Verhandlung sich von seinen Kollegen verabschiedete, um seine Aufgabe in Angriff zu nehmsn, eine höchst bedeutungsvolle Aufgabe, der er sich unterzogen, denn es handelte sich um Berechnung der mechanischen Maßnahmen, welche den Zugang zum Nordpole ausführbar machen und die Möglichkeit sichern sollten, die unter seinem Eise vergrabenen Schichten auszunutzen.

J. T. Maston hatte schätzungsweise eine Frist von acht Tagen beansprucht, um sich seines geheimnißvollen, höchst verwickelten und dabei vertraulichen Auftrages zu entledigen, der die Aufstellung verschiedener Gleichungen, welche die Gebiete der reinen Mechanik, der analytischen, dreidimensionalen Geometrie, die polare Geometrie und die Trigonometrie berührten, nothwendig machte.

Um jeder Störung enthoben zu bleiben, war ausgemacht worden, daß der in seiner Cottage zurückgezogene Schriftführer des Gun-Club von Niemandem besucht oder sonstwie in Anspruch genommen werden sollte – für Mrs. Evangelina Scorbitt freilich ein harter Schlag, dem sie sich aber doch fügen mußte. So war sie denn gleichzeitig wie der Präsident Barbicane, der Kapitän Nicholl und deren Collegen, der quecksilberne Bilsby, der Oberst Bloomsberry und Tom Hunter mit den Stelzbeinen, im Laufe des Nachmittags gekommen, um J. T. Maston einen letzten Besuch abzustatten.

»Es wird Ihnen gelingen, lieber Maston! sagte sie, als die Anwesenden sich schon trennen wollten.

– Und jedenfalls hüten Sie sich vor einem Rechenfehler! bemerkte lächelnd der Präsident Barbicane.

– Einen Rechenfehler! ... Er! ... rief fast entrüstet die Dame.

– Nicht mehr und nicht weniger als der Schöpfer selbst, als er die Gesetze der Himmelsmechanik aufstellte!« antwortete bescheiden der Schriftführer des Gun-Club.

Dann nahmen, mit einem Händedruck die Einen, mit leisem Seufzer eine Andere, mit dem Wunsche für guten Erfolg und der Empfehlung, sich nicht durch zu große Anstrengung zu übernehmen, die Besucher Abschied. Die Thür der Ballistic-Cottage schloß sich, und Fire-Fire erhielt gemessenen Befehl, sie für Niemand wieder zu öffnen – und wäre es selbst der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Während der beiden ersten Tage seiner Einschließung bearbeitete J. T. Maston die ihm gewordene Aufgabe ohne die Kreide anzufassen, nur mit dem Kopfe. Er durchlas gewisse hierbei einschlägige Werke über die Erde, ihre Masse, Dichtigkeit, Volumen, Gestalt, über die Rotationsbewegung um ihre Achse und die Fortbewegung auf ihrer elliptischen Bahn – lauter Elemente, welche die Grundlagen seiner Berechnungen bilden sollten.

Wir wiederholen hier diese Dinge, welche dem Auge des Lesers vorgeführt zu werden verdienen.

Gestalt der Erde: eine Umdrehungs-Ellipsoïd, dessen längster Radius 6,377,398 Meter, oder rund 850 geographische Meilen zu 7½ Kilometer beträgt, während der kürzeste Radius (d. h, die Linie vom Mittelpunkte nach der Peripherie) 6,356,080 Meter (oder rund 847½ Meile) mißt. Das ergibt für beide Radien, in Folge der Abplattung der Erdkugel an den beiden Polen, einen Unterschied von 21,318 Metern (gleich etwa 3 Meilen).

Umfang der Erde am Aequator: 40,000 Kilometer (gleich 5400 Meilen).

Oberfläche der Erde: annähernd geschätzt auf 510 Millionen Quadratkilometer (annähernd gleich 9,000,000 Quadratmeilen).

Volumen der Erde: etwa 1 Billion Cubikkilometer (gleich etwa 2300 Millionen Cubikmeilen),

Dichtigkeit der Erde: nahezu fünfmal so groß wie die des Wassers, d. h. etwas größer als die des Schwerspaths, und etwas kleiner als die des Jods, indem der Cubikmeter – alle Bestandtheile der Erdkugel an deren Oberfläche gedacht – ein Durchschnittsgewicht von 5480 Kilogramm aufweist. Das ist die Zahl, welche Cavendish mittelst der von Mitchell erfundenen und ausgeführten Wage fand, das aber nach der Berichtigung Bailys genauer auf 5670 Kilogramm anzunehmen ist. Wilsing, Cornu, Baille u. A. haben diese Messungen später mit gleichem Resultate wiederholt.

Dauer der Bewegung der Erde um die Sonne: 365¼ Tag, gleich einem Sonnenjahre, oder genauer 365 Tage, 6 Stunden, 9 Minuten, 10,37 Secunden, woraus sich für unser Sphäroïd eine Geschwindigkeit von 30,400 Metern (etwas über 4 Meilen) in der Secunde ableiten läßt.

Bei der Drehung der Erde um ihre Achse von den am Aequator gelegenen Punkten zurückgelegter Weg: 463 Meter in der Secunde (oder nahe 225 Meilen in der Stunde).

Die Einheiten für die Länge, die Kraft, die Zeit und das Winkelmaß, welche J. T. Maston seinen Berechnungen zu Grunde legte, waren: der Meter, das Kilogramm, die Secunde und der vom Mittelpunkte auslaufende Winkel (Centriwinkel), welcher in jeder beliebigen Kreislinie ein dem Radius gleiches Bogenstück einschließt.

Es war am 5. October gegen fünf Uhr Nachmittags – bei einer so bedeutungsvollen Angelegenheit ist eine ganz genaue Zeitangabe ja gerechtfertigt – als J. T. Maston nach reiflichster Ueberlegung sich an die sozusagen – schriftliche Arbeit begab. Zunächst griff er sein Problem an der breitesten Grundlage, d. h. mit der Zahl an, welche den Umfang der Erde an einem ihrer größten Kreise, nämlich am Aequator, wiedergibt.

Die schwarze Wandtafel stand auf der gewachsten Staffelei in einer Ecke des Zimmers so, daß sie durch ein nach dem Garten zu liegendes Fenster reichliches Licht empfing. Kleine zugespitzte Kreidestängelchen lagen geordnet auf dem der Tafel unten angefügten schmalen Brette. Ein Schwamm zum etwaigen Auswischen befand sich in bequemer Entfernung zur Linken des Rechners. Dessen rechte Hand oder vielmehr der diese ersetzende Greifhaken war zum Zeichnen der Figuren und zum Niederschreiben der Formeln und Ziffern bestimmt.

Zu Anfang zeichnete J. T. Maston mit schön kreisförmiger Armbewegung eine Umfangslinie, welche das Erdsphäroïd darstellen sollte. Am Aequator wurde die Bogengestalt der Erdkugel durch eine vollausgezogene Linie, welche dem vorderen Theile der Krümmung entsprach, und durch eine punktirte Linie, für den Hinteren Theil derselben Krümmung, angedeutet, wodurch die Projection eines sphärischen Körpers recht gut versinnbildlicht erschien. Die an den beiden Polen auslaufende Achse vertrat ein zur Ebene des Aequators senkrechter Strich, der mit den Buchstaben N und 8 bezeichnet wurde.

Auf die rechte obere Ecke der Tafel – von dieser selbst aus gesehen – schrieb er die Zahl, welche den Erdumfang in Metern ausdrückt: 40,000,000.

Nachdem das geschehen, stellte J. T. Maston sich zurecht, die Neihe seiner Berechnungen zu beginnen.

Er war davon so eingenommen, daß ihm das Aussehen des Himmels, welches sich im Laufe des Nachmittages stark verändert hatte, ganz entging. Schon seit einer Stunde zog langsam eines jener schweren Ungewitter herauf, dessen Einfluß sich auf die Organisation aller lebenden Wesen bemerkbar macht. Fahle Wolkengebilde, eine Art weißlicher Flocken, die auf mattgrauem Grunde lagerten, zogen schwerfällig über die Stadt hin. Entferntes Donnerrollen fand zwischen Erde und Himmel einen drohenden Widerhall. Einzelne Blitze durchzuckten bereits die Atmosphäre, deren elektrische Spannung aufs höchste gestiegen war.

J. T. Maston, ganz in seine Aufgabe vertieft, sah nichts und hörte nichts.

Plötzlich störte die elektrische Schelle durch ihr klingendes Rasseln die Stille des Arbeitszimmers.

»Recht hübsch! rief J. T. Maston. Wenn die Störenfriede nicht mehr durch die Thür können, so schleichen sie sich auf dem elektrischen Drahte herein ... Wahrlich, eine nette Erfindung für Leute, welche in Ruhe zu bleiben wünschen! ... Ich werde schon die Vorsicht gebrauchen müssen, die Leitung während der ganzen Dauer meiner Arbeit zu unterbrechen!«

Er begab sich nach dem Mikrophon.

»Was steht zu Diensten? fragte er.

– Bitte um ein Gespräch von wenigen Augenblicken, antwortete eine weibliche Stimme.

– Mit wem habe ich die Ehre? ...

– Haben Sie mich denn nicht erkannt, lieber Herr Maston? Ich bins... Mistreß Scorbitt.

– Mistreß Scorbitt! ... Ach die läßt mich auch keine Minute in Ruhe!«

Diese letzten, für die liebenswürdige Witwe wenig schmeichelhaften Worte murmelte er natürlich vorsichtig in einiger Entfernung, damit sie von der Schallplatte nicht etwa übertragen würden.

Da J. T. Maston aber einsah, daß er doch mit einigen höflichen Worten erwidern mußte, sagte er laut:

»Ah, Sie sind es, verehrte Mistreß Scorbitt.

– Ja, lieber Herr Maston!

– Und was wünschen Sie, Mistreß Scorbitt?

– Ich möchte Sie aufmerksam machen, daß gleich ein schweres Unwetter über die Stadt losbrechen wird.

– Ja, das kann ich aber doch nicht verhindern?...

– Freilich nicht; doch ich möchte Sie bitten, die Fenster hübsch geschlossen zu halten« ...

Mrs. Evangelina Scorbitt hatte diesen Satz kaum vollendet, als ein furchtbarer Donnerschlag die Luft erschütterte. Es klang so, als ob ein ungeheueres Stück Seidenstoff unendlich weit plötzlich zerrissen würde. Der Blitz war in der Nachbarschaft der Ballistic-Cottage niedergegangen und das durch den Telephondraht fortgeleitete Fluidum drang mit richtiger elektrischer Rücksichtslosigkeit auch in das Cabinet des Rechenmeisters ein.

J. T. Maston, der sich eben über die Platte des Apparates beugte, erhielt die schönste Voltasche Ohrfeige, welche jemals der Wange eines Gelehrten verabreicht wurde. Dann sprang der Funken auf seinen eisernen Armhaken über und er wurde davon wie ein leichtes Kartenhaus über den Haufen geworfen. Gleichzeitig flog die schwarze Tafel, gegen welche J. T. Maston anschlug, in die Ecke des Zimmers. Der Blitz fuhr endlich durch ein kaum sichtbares Loch in einer Fensterscheibe nach außen, erreichte hier ein metallenes Fallrohr und verlor sich an diesem in der Erde.

Verdutzt – das wäre jeder Andere auch gewesen – erhob sich J. T. Maston wieder, rieb verschiedene Theile seines Körpers und überzeugte sich, daß er nirgends verletzt war. Ohne an seiner Kaltblütigkeit Einbuße erlitten zu haben, wie es sich für den alten Zielmeister der seligen Columbiade gehörte, brachte er in seinem Zimmer Alles wieder in Ordnung, richtete die Staffelei empor, setzte die Wandtafel darauf, sammelte die über den Teppich verstreuten Kreidestückchen und nahm seine so plötzlich unterbrochene Arbeit wieder auf, als wenn gar nichts vorgefallen wäre.

Da bemerkte er aber, daß durch das Umstürzen der Tafel die Zahlenschrift auf der rechten Ecke, welche den Umfang des Erdäquators in Metern wiedergab, zum Theile verlöscht war. So begann er also, diese wieder herzustellen, als die Klingel nochmals mit fieberhafter Hast ertönte.

»Noch einmal!« rief J. T. Maston verzweifelt.

Damit begab er sich vor den Apparat.

»Wer ist da? fragte er.

– Mistreß Scorbitt.

– Und was wünscht Mistreß Scorbitt?

– Hat der furchtbare Blitz nicht in der Ballistic- Cottage eingeschlagen?

– Ich möche das fast glauben.

– O, großer Gott!... Der Blitzstrahl...

– Beruhigen Sie sich, Mistreß Scorbitt.

– Es ist Ihnen kein Unfall zugestoßen, lieber Herr, Maston?

– Nicht der geringste.

– Sie sind sich ganz sicher, nicht getroffen worden zu sein?

– Höchstens von den neuen Beweisen Ihrer Freundschaft für mich, glaubte J. T. Maston galanter Weise antworten zu sollen.

– Guten Abend, lieber Maston!

– Guten Abend, liebe Mistreß Scorbitt!«

Im Zurückkehren nach seinem Platze aber wetterte er:

»Hol sie der Kuckuck, die vortreffliche Frau! Hatte sie mich nicht zu so ungelegener Zeit ans Telephon gerufen, so kam ich nicht in die Gefahr, vom Blitz erschlagen zu werden!«

Doch jetzt war er am Ende seiner Leiden. Während seiner Arbeiten sollte J. T. Maston nicht wieder gestört werden. Um sich aber der dazu nöthigen Ruhe umso mehr zu versichern, machte er seinen Apparat vollständig aphonisch und schaltete ihn vom Zuleitungsdrahte aus.

Aus der als Grundlage aufgeschriebenen Zahl leitete er nun verschiedene Formeln ab, welche endlich eine Schlußformel ergaben. Diese schrieb er auf die linke Seite der Tafel und löschte dafür alle Nebenrechnungen wieder aus.

 

Nach acht Tagen, am 11. Oktober, war die wunderbare mechanische Berechnung zu Ende geführt und triumphirend brachte der Schriftführer des Gun-Club seinen Kollegen die Lösung des Problems, welche Alle mit erklärlicher Ungeduld erwarteten.

Die Mittel und Wege, zum Nordpole zu gelangen, um die reichen Kohlenlager daselbst auszubeuten, waren mathematisch festgestellt. Es wurde daraufhin unter dem Namen »North Polar Practical Association« eine Gesellschaft gegründet, der die Regierung zu Washington die Concession auf das hocharktische Gebiet für den Fall zusicherte, daß sie durch Versteigerung das Eigentumsrecht derselben erwarb. Der Leser weiß, wie diese Versteigerung zu Gunsten der Vereinigten Staaten von Amerika auslief und wie die neue Gesellschaft dann die Capitalisten beider Welten zur Betheiligung aufforderte.

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VII. >



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