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Jules Verne

Kein Durcheinander

VIII.

eingestellt: 23.7.2007



Ja, wie der Jupiter!

Und wenn gelegentlich der denkwürdigen Verhandlung bei dem Meeting zu Ehren Michel Ardans – an den der Redner recht passend erinnerte – J. T. Maston in halb wahnwitziger Begeisterung ausgerufen hatte: »Lassen Sie uns Maschinen erfinden, den nöthigen Stützpunkt aufsuchen und rücken wir dann die Erdachse zurecht!«, so hatte der waghalsige, phantasiereiche Franzose, einer der Helden jener »Reise von der Erde nach dem Monde« und Begleiter des Kapitän Nicholl und des Präsidenten Barbicane, einen dithyrambischen Lobgesang zu Ehren des größten Planeten unseres Sonnensystems angestimmt. In diesem prächtigen Panegyricus ließ er sichs auch nicht entgehen, dessen ganz besondere Vorzüge zu preisen, wie wir diese im Folgenden kurz aufzählen wollen.

Entsprechend dem von dem Rechenmeister des Gun- Club gelösten Probleme sollte also eine neue Achse an Stelle der alten gesetzt werden, um welche sich die Erde drehte, so lange – nach einem volksthümlichen Ausdrucke – »die Welt schon Welt ist«. Außerdem sollte diese neue Achse senkrecht auf der Ebene ihrer Jahreskreisbahn stehen. Unter solchen Bedingungen mußten die klimatischen Verhältnisse des früheren Nordpols genau mit denen von Trondjhem in Norwegen zur Zeit des Frühlings übereinstimmen. Sein paläokrystischer Eispanzer mußte demnach unter der Bestrahlung der Sonne allmählich wegschmelzen. Gleichzeitig würden sich die Klimate auf unserem Sphäroid ganz ähnlich denen auf dem Jupiter gestalten.

In der That beträgt die Neigung der Achse letztgenannten Planeten oder mit anderen Worten, der Winkel, den seine Umdrehungsachse mit der Ebene seiner Ekliptik bildet, 88° 13. Nur einen Grad und siebenundvierzig Minuten mehr, und diese Achse würde vollkommen lothrecht stehen zu der Ebene der kreisförmigen Bahn, welche sie um die Sonne beschreibt.

Uebrigens – wir glauben das hier besonders hervorheben zu sollen – sollten die Maßnahmen, zu welchen die Gesellschaft Barbicane und Compagnie zu verschreiten gedachte, um die derzeitigen Verhältnisse der Erde ihren Wünschen gemäß zu verändern, eine Verlegung ihrer Achse im eigentlichen Sinne nicht bewirken. Mechanisch vermöchte ja keine Kraft, so gewaltig sie auch wäre, ein derartiges Resultat zu erzwingen. Die Erde ist kein Huhn am Spieße, der sich um eine greifbare Achse dreht, welche man nur in die Hand zu nehmen und in andere Richtung zu bringen brauchte. Dagegen schien die Schaffung einer neuen Achse möglich – man könnte wohl sagen, leicht ausführbar – von dem Augenblicke an, wo der von Archimedes erträumte Stützpunkt und der von J. T. Maston erfundene Hebel diesen unternehmenden Ingenieuren zur Verfügung standen.

Da dieselben jedoch entschlossen schienen, ihr Geheinmiß bis zum wirklichen Eintritt des neuen Zustandes der Dinge zu bewahren, so mußte man sich vorläufig damit begnügen, die daraus hervorgehenden Folgen näher ins Auge zu fassen.

Das unternahmen denn auch die Tagesblätter wie die Revuen, indem sie den Gelehrten ins Gedächtniß zurückriefen und die Unwissenden darüber aufklärten, welcher Art auf dem Jupiter die Folgen der annähernden Perpendicularität seiner Achse auf der Ebene seiner Kreisbahn sein mußten.

Jupiter, ein Bestandtheil unserer Sonnenwelt, wie Merkur, Venus, Tellus (die Erde), Mars, Saturn, Uranus und Neptun, kreist in einer Entfernung von nahezu siebenhundertdreiundsiebzig Millionen Kilometern (= 5 [1/5] Erdbahnhalbmesser) um den gemeinschaftlichen Mittelpunkt; sein Inhalt übertrifft den der Erde etwa vierzehnhundertmal.

Wenn es ein »jovianisches« Leben, d.h. wenn es Bewohner der Oberfläche des Jupiter gibt, so bietet ihnen genannter Planet gewisse Vortheile – Vortheile, welche bei Gelegenheit jenes der Reise nach dem Monde vorhergehenden Meetings in so Helles Licht gesetzt worden waren.

Zunächst gleichen während der täglichen Umdrehung des Jupiters um sich selbst – welche übrigens nur 9 Stunden 55 Minuten nach unserem Zeitmaße in Anspruch nimmt – die Tage und die Nächte, gleichviel unter welcher Breite, einander stets vollständig, d. h. es entfallen davon 4 Stunden 77 Minuten auf den Tag und 4 Stunden 77 Minuten auf die Nacht.

»Ei nun, bemerkten Diejenigen, welche an das Vorhandensein von Jupiterbewohnern glaubten, das muß ja Leuten mit streng geregelten Gewohnheiten recht zupasse kommen; sie müssen sich einer solchen Gleichmäßigkeit doch mit Vergnügen unterwerfen.«

Nun wohl, dasselbe müßte auch auf der Erde der Fall sein, wenn der Präsident Barbicane seine Absichten durchzuführen vermochte. Nur würden, da die Umdrehungsgeschwindigkeit der Erde auf ihrer neuen Achse weder beschleunigt noch verlangsamt werden sollte und vierundzwanzig Stunden, wie früher, zwei aufeinander folgende Mittage trennten, Nächte und Tage auf jedem beliebigen Punkte unseres Sphäroids genau je zwölf Stunden lang dauern. Abend- und Morgendämmerung würden die Tage um eine stets gleichlange Spanne Zeit verlängern. Man lebte dann also unter einem ewigen Aequinoctium, ganz wie ein solches gegen den 21. März und den 21. September für alle Breitenlagen der Erdkugel eintritt, wenn das Strahlengestirn seinen Bogen scheinbar in der Ebene des Aequators beschreibt.

»Die auffälligste und gleichzeitig interessanteste Erscheinung aber, bemerkten hierzu die Enthusiasten noch mit Recht, würde das Fehlen des Jahreszeiten- Wechsels sein.«

Thatsächlich kommen die jährlichen Veränderungen, welche wir unter den Bezeichnungen Frühling, Sommer, Herbst und Winter kennen, in Folge der Neigung der Achse auf die Ebene ihrer Bahn zu Stande. Die Jupiterbewohner wissen von solchen Jahreszeiten nichts – auch die Erdbewohner würden später nichts mehr davon wissen. Von dem Zeitpunkte ab, wo die neue Achse perpendiculär zur Ekliptik stand, konnte es keine Eis- und keine heiße Zone mehr geben, sondern die gesammte Erde erfreute sich dann der Verhältnisse einer einzigen gemäßigten Zone.

Die Ursache dazu ist in Folgendem zu suchen:

Was ist denn die heiße Zone? – Es ist derjenige Theil der Erdoberfläche, der von den Wendekreisen des Krebses und des Steinbocks eingeschlossen wird. Ueber allen Punkten dieser Zone erscheint die Sonne zweimal des Jahres im Zenith, während das für die Punkte unter den Wendekreisen selbst nur einmal jährlich eintritt.

Was ist ferner die gemäßigte Zone? – Es ist derjenige Theil der Erde, welcher zwischen den Wende- und den Polarkreisen, zwischen 23° 28 und 66° 32 der Breite liegt und für den sich die Sonne niemals bis zum Zenith erhebt, aber auch keinen vollen Tag lang unter dem Horizonte verbirgt.

Was ist endlich die kalte Zone? – Es ist derjenige Theil der den Pol umgebenden Gegenden, dem sich die Sonne im Winter für eine verschieden lange Zeit, welche am Pole selbst bis zu sechs Monaten geht, gänzlich entzieht.

Man sieht leicht ein, daß in Folge der verschiedenen Mittagshöhen, welche die Sonne über dem Horizonte erreicht, in der heißen Zone eine sehr hohe Wärme; in der gemäßigten Zone eine mehr gemilderte, aber, je nachdem man sich von den Wendekreisen entfernt, verschiedene Temperatur, und eine strenge Kälte in der kalten Zone von den Polarkreisen bis zu den Polen herrschen muß.

Nun, das sollte auf der Oberfläche der Erde in Folge der Perpendicularität ihrer neuen Achse anders werden. Die Sonne mußte sich dann unveränderlich in der Ebene des Aequators halten. Während des ganzen Jahres mußte sie binnen zwölf Stunden ihren immer gleichbleibenden Tagesbogen beschreiben und dabei bis zu einer, der Breitenlage des betreffenden Ortes entsprechenden Entfernung vom Zenith, mit Annäherung an den Aequator also immer größeren Höhe aufsteigen. Für die unter zwanzig Grad der Breite gelegenen Länder würde sie jeden Mittag eine Höhe von siebzig Graden erreichen, für die unter neunundvierzig Grad gelegenen eine solche von einundvierzig Graden; für die unter dem siebenundsechzigsten Parallelkreise müßte ihr Mittagswinkel immer noch dreiundzwanzig Grade betragen. Die Tage würden also eine vollkommene, durch den Sonnenlauf bestimmte Regelmäßigkeit aufweisen, da die Sonne alle zwölf Stunden genau an denselben Punkten des Horizonts auf- und untergehen müßte.

»Nun betrachte man einmal die hieraus entspringenden Vortheile, verkündeten aller Welt die Freunde des Präsidenten Barbicane. Jedermann wird sich je nach Temperament ein unveränderliches Klima wählen können, wie ein solches seinem Schnupfen oder seinen rheumatischen Beschwerden am besten zusagt – erwählen auf einem verbesserten Weltkörper, wo die jetzt so bedauerlichen Veränderungen der Wärme gänzlich unbekannt sind.«

Mit einem Worte, Barbicane & Cie., die modernen Titanen, waren dabei, den Zustand der Dinge zu ändern, der seit der Zeit bestand, wo das gegen seine Kreisbahn geneigte planetarische Sphäroïd sich verdichtete, um zur Erde wie sie ist zu werden.

Wohl mußte der Himmelsbeobachter hierdurch einige der Steinbilder und Einzelgestirne verlieren, die er am nächtlichen Himmel zu sehen gewöhnt war; der Dichter konnte nicht mehr die langen Winternächte oder die langen Sommertage in seine Reime einschachteln – dennoch blieben für die Menschheit im allgemeinen noch große Vortheile übrig.

»Uebrigens, wiederholten die dem Präsidenten Barbicane ergebenen Journale, da die Production des Erdbodens regularisirt wird, kann der Agronom jeder Pflanzengattung die ihr zuträglichste Wärmemenge zukommen lassen.

– Schön, erwiderten die feindselig gestimmten Blätter, wird es dann nicht auch Tag für Tag Regenfälle, Hagelschläge, Stürme, Windhosen, Ungewitter, überhaupt alle die meteorischen Ereignisse geben, welche das Gedeihen der Feldfrüchte und die Einkünfte, der Landleute zuweilen so sehr in Frage stellen?

– Gewiß, gab das Chor der Freunde darauf zur Antwort, doch zu derartigen Verwüstungen kommt es voraussichtlich weit seltener, da die Regelmäßigkeit des Klimas schroffere Störungen der Atmosphäre nicht aufkommen läßt. O, die ganze Menschheit wird durch diesen Zustand der Dinge unendlich gewinnen; er bedingt eine wirkliche Transformation der Erdkugel; Barbicane & Cie. werden den gegenwärtigen und den kommenden Geschlechtern den größten Dienst dadurch erwiesen haben, daß sie der Ungleichheit der Tage und Nächte, der beschwerlichen Verschiedenheit der Jahreszeiten ein Ende machten. Ja, wie schon Michel Ardan sagte, unser Sphäroïd, auf dessen Oberfläche es stets entweder zu warm oder zu kalt war, wird ferner nicht mehr der Planet der Rheumatismen, der Schnupfenfieber und der Brustkatarrhe sein. Es wird dann keine Leute mit Gliederreißen mehr geben, außer denjenigen, welche das selbst haben wollen, denn es wird ja in ihrer Macht liegen, nach einem Lande überzusiedeln, das auf ihre Bronchien einen wohlthätigen Einfluß ausübt.«

In seiner Nummer vom 27. December schloß der »Sun« von New-York einen glänzenden Artikel mit den Worten:

»Ehre dem Präsidenten Barbicane und seinen Collegen! Diese kühnen Bahnbrecher ohne Gleichen werden sozusagen dem amerikanischen Festlande nicht allein eine neue Provinz angegliedert und dadurch das schon so ausgedehnte Gebiet unseres Staatenbundes noch weiter vergrößert haben, nein, ihr großartiges Werk macht die Erde auch mehr hygienisch bewohnbar und daneben ertragfähiger, da man gleich nach der Ernte wieder wird säen können und, da jedes Samenkorn unverzüglich keimt, die Zeit des Winters wie früher nicht mehr verloren geht. Nicht allein die Kohlenausbeute wird wachsen durch Inangriffnahme der neuen Lagerstätten, welche den Verbrauch dieses unentbehrlichen Stoffes vielleicht noch eine lange Reihe von Jahren sichern dürften, sondern auch die klimatischen Verhältnisse unserer Erdkugel werden eine Veränderung zum Besseren erfahren. Barbicane und seine Collegen verbessern damit zum Heile ihrer Mitmenschen das ursprüngliche Werk des Weltenschöpfers. Ehre diesen Männern, welche einst den allerersten Rang unter den Wohlthätern des Menschengeschlechts einnehmen werden!«

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