Frei Lesen: Martin Paz

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Jules Verne

Martin Paz

VI.

eingestellt: 15.8.2007



Nachdem Andreas Certa vollkommen wieder hergestellt war und Martin Paz todt glaubte, betrieb er seine Hochzeit mit allen Kräften. Es drängte ihn, mit der jungen und schönen Jüdin durch die Straßen Limas zu lustwandeln.

Sarah zeigte ihm dagegen die auffallendste Gleichgültigkeit; doch Jener beachtete das nicht; seine Augen sahen das Mädchen nur wie eine theure Waare an, die er mit 100,000 Piastern bezahlte.

Es muß hierbei bemerkt werden, daß Andreas Certa dem Juden nicht traute, und das mit vollem Rechte. War schon der Contract wenig ehrenhaft, so waren es die Contrahenten noch weniger. Der Mestize wollte eines Tages mit Samuel im Geheimen sprechen, und führte ihn deshalb nach Chorillos. Uebrigens kam es dem Mestizen nicht ungelegen, vor seiner Hochzeit noch einmal das Glück im Spiel zu versuchen.

Einige Tage nach Ankunft des Marquis Don Vegal waren die Spielhäuser eröffnet worden, und von dieser Zeit ab belebte sich die Straße nach und von Lima. Die Einen kamen zu Fuß und kehrten im prächtigen Wagen zurück; die Anderen verloren die letzten Reste ihres Vermögens.

Don Vegal und Martin Paz nahmen an derartigen Vergnügungen niemals Theil; wenn der junge Indianer seine Nächte schlaflos zubrachte, so hatte das edlere Gründe.

Kam er des Abends mit dem Marquis vom Spaziergange nach Hause, so schloß er sich in sein Zimmer ein, lehnte sich in das Fenster und verweilte manche lange Stunde in tiefen Gedanken.

Don Vegal erinnerte sich wohl immer der Tochter Samuels, die er im katholischen Gotteshause beim Gebete getroffen hatte, doch er wagte nicht, Martin Paz dieses sein Geheimniß mitzutheilen, obwohl er ihn nach und nach in den christlichen Heilswahrheiten unterrichtete. Er fürchtete, in seinem Herzen die Gefühle eher wieder anzufachen, die er zu verlöschen bemüht war, und doch mußte der geächtete Indianer ja alle Hoffnung aufgeben, Sarah jemals die Seine zu nennen. Inzwischen wurde der Vorfall, bei dem Martin Paz so hervorragend betheiligt war, nach und nach vergessen, und mit der Zeit und unter dem Einflusse seines Beschützers konnte der Indianer hoffen, dereinst noch eine gewisse Stellung in der peruanischen Gesellschaft einzunehmen.

Doch, der halbverzweifelte Martin Paz vermochte seine Sehnsucht nicht zu unterdrücken, zu wissen, was aus der jungen Jüdin geworden sei. Dank seiner spanischen Kleider konnte er sich wohl unter die Gesellschaft in einem Spielsaale mischen und den Gesprächen der Gäste lauschen. Andreas Certa war eine zu sehr stadtbekannte Persönlichkeit, als daß seine Hochzeit, wenn sie nahe bevorstand, nicht hätte in Aller Munde sein sollen.

Eines Abends also wendete sich der Indianer, statt nach der Meeresküste zu, nach den hohen Felsen, auf denen die Hauptgebäude von Chorillos lagen, und betrat eines der Häuser, zu dem eine breite steinerne Treppe hinaufführte.

Das war das Spielhaus. Für mehr als einen Limenser war der Tag ungünstig gewesen. Einige ruhten, von den Anstrengungen der vergangenen Nacht ermüdet, in ihren Puncho gehüllt, auf der Erde. Andere saßen vor einem großen mit grünem Tuche bedeckten Tische, den zwei sich rechtwinkelig schneidende Linien in vier Felder theilten. Auf jeder der Abtheilungen befanden sich die ersten Buchstaben der Worte azar und suerte (Zufall und Schicksal), A und S. Die Spieler setzten auf einen der beiden Buchstaben, der Banquier hielt dieselben Einsätze dagegen und schüttete zwei Würfel auf den Tisch, deren Augen den Gewinnst oder Verlust von A und S ergaben.

Gerade jetzt gestaltete sich das Spiel sehr lebhaft. Ein Mestize suchte sein unglückliches Spiel mit aller Gewalt wieder auszuwetzen.

»Zweitausend Piaster!« rief er.

Der Banquier würfelte, und dem Spieler entfuhr ein leiser Fluch.

»Viertausend Piaster!« rief er von Neuem.

Er verlor auch diese.

Martin Paz konnte, vom Halbdunkel des Saales geschützt, dem Spieler ins Gesicht sehen.

Es war Andreas Certa.

Dicht neben ihm stand der Jude Samuel.

»Sie haben genug gespielt, Señor, sagte Samuel; das Glück lächelt Ihnen heute nicht.

» Was kümmert das Sie!« antwortete auffahrend der Mestize.

Samuel neigte sich zu seinem Ohre.

»Wenn es auch mich nichts angeht, sagte er, so sollten Sie doch in den letzten Tagen vor Ihrer Hochzeit dieser Gewohnheit nicht fröhnen!

» Achttausend Piaster!« lautete Andreas Certas einzige Antwort, wobei er jene Summe auf S setzte.

Das A gewann. Der Mestize stieß eine leichte Verwünschung aus. Der Bankhalter fuhr fort:

»Wollen Sie pointiren, meine Herren!«

Andreas Certa zog einen Haufen Papiergeld aus der Tasche und wollte eine sehr beträchtliche Summe wagen; er legte sie auf eines der Felder, und schon wollte der Bankhalter die Würfel rollen lassen, als ihn ein Zeichen Samuels einhalten ließ. Nochmals neigte sich dieser zu dem Ohre des Mestizen und sagte:

»Wenn Ihnen nichts übrig bleibt, unsern Handel abzuschließen, so zerfällt Alles!«

Andreas Certa zuckte mit den Schultern; doch nahm er sein Geld Zurück und verließ wüthend den Saal.

»Fahren Sie nun fort, sagte Samuel zu dem Bankhalter. Jenen Señor werden Sie nach seiner Hochzeit noch zeitig genug ruiniren!«

Der Banquier verbeugte sich, denn der Jude war der Gründer und Eigenthümer der Spiele in Chorillos. Ueberall, wo es einen Real zu gewinnen gab, traf man auf diesen Mann.

Samuel folgte dem Mestizen, und als er ihn auf dem steinernen Vorplatze fand, sagte er zu ihm: »Ich habe Ihnen noch ungemein wichtige Dinge mitzutheilen. Wo können wir in Sicherheit reden?

– Wo Sie wollen! antwortete kurz Andreas Certa.

– Senor, lassen Sie sich von Ihrer üblen Laune die Zukunft nicht verderben! Ich vertraue mich nicht den dichtverschlossensten Zimmern an, nicht der Einöde, um Ihnen mein Geheimniß zu verrathen. Was Sie mir theuer bezahlen, verdient auch vorsichtig behütet zu sein!«

Mit diesen Worten waren die beiden Männer bis nach dem Strande zu den für die Sommergäste bestimmten Badehütten gekommen. Sie bemerkten nicht, daß sie von Martin Paz, der ihnen im Dunkeln wie eine Schlange nachglitt, gesehen und gehört wurden.

»Nehmen wir ein Boot, schlug Andreas Certa vor, und rudern ins offene Meer hinaus.«

Mit diesen Worten löste er ein kleines Fahrzeug vom Ufer und warf dem Wächter desselben einige Geldstücke zu. Samuel stieg mit ihm ein, und der Mestize stieß das Boot ab.

Sobald aber Martin Paz das Canot sich entfernen sah, entkleidete er sich, hinter einem Felsenvorsprunge verborgen, eiligst, behielt nur einen Gürtel um mit dem Dolche darin, und schwamm rasch dem Fahrzeuge nach.

Eben erloschen die letzten Strahlen der Sonne im Pacifischen Oceane, und schweigend verhüllten feine Nebelmassen den Himmel und das Meer.

Martin Paz hatte nicht einmal bedacht, daß an den Stellen, wo sich der Meeresboden tiefer senkte, Haifische der gefährlichsten Art sich umhertummelten. Unfern von dem Boote des Mestizen, da wo er die zwischen den beiden Männern gewechselten Worte vernehmen konnte, hielt er an. »Aber wie soll ich dem Vater die Identität der Tochter beweisen? fragte Andreas Certa den Juden.

– Dadurch, daß Sie ihn an die Umstände erinnern, unter denen er einst sein Kind verlor.

– Und welcher Art sind diese?

– Hören Sie.«

Martin Paz tauchte kaum über dem Wasser auf und lauschte, ohne den Zusammenhang vollkommen zu verstehen.

»Sarahs Vater, begann der Jude, wohnte zu Conception in Chili. Es war der vornehme Herr, den Sie schon kennen. Nur sein Vermögen kam seiner edlen Herkunft gleich. Als er einst wegen Privatgeschäften in Lima zu thun hatte, reiste er allein hierher und ließ sein Weib mit der fünfzehn Monate alten Tochter zu Conception zurück. Das Klima von Peru gefiel ihm ausnehmend, und er meldete der Marquise, sie solle ihm hierher folgen. Mit wenigen vertrauten Dienern schiffte diese sich in Valparaiso auf dem San-Jose ein. Ich begab mich eben mit demselben Schiffe nach Peru. Der San-Jose sollte bei Lima anlegen; auf der Höhe von Juan-Fernandez aber überfiel uns ein entsetzlicher Sturm, der das Schiff verschlug und auf die Seite legte. Mannschaft und Passagiere flüchteten in die Schaluppe; angesichts des tobenden Meeres aber weigerte sich die Marquise, diesem Beispiele zu folgen; sie preßte ihr Kind ans Herz und blieb auf dem Schiffe. Ich allein hielt dort mit ihr aus. Die Schaluppe stieß ab, und kaum hundert Faden vom San-Jose wurde sie schon sammt ihren Insassen von den Wogen verschlungen. Wir blieben allein. Der Sturm raste mit furchtbarer Gewalt. Da meine Schätze nicht an Bord waren, verfiel ich nicht der Verzweiflung. Mit fünf Fuß Wasser im Raume wurde der San-Jose endlich an die Küstenfelsen geschleudert und zertrümmert. Die junge Frau wurde mit ihrem Kinde ins Meer geworfen. Glücklicher Weise konnte ich das Kind noch erfassen, mit dem ich das Ufer erreichte, während seine Mutter vor meinen Augen unterging.

– Und diese Einzelheiten sind genau?

– Vollkommen; der Vater wird ihnen nicht widersprechen. O, es ist doch ein glücklicher Tag für mich gewesen, Senor, da er mir von Ihnen heute noch 100.000 Piaster einbringt.

– Was soll das bedeuten? fragte sich Martin Paz.

– Hier, mein Portefeuille mit 100,000 Piastern, antwortete Andreas Certa.

– Ich danke, Senor, sagte Samuel und griff nach der Summe. Nehmen Sie auch diese Quittung darüber. Ich verpflichte mich, Ihnen die doppelte Summe zu zahlen, wenn Sie mit Ihrer Heirat nicht in eine der ersten Familien Spaniens eintreten!«

Der letzte Satz war dem Indianer entgangen. Er hatte untertauchen müssen, um von dem Boote aus nicht bemerkt zu werden, und dabei wurde er auch gewahr, daß eine große unförmige Masse rasch auf ihn zuglitt.

Es war ein Tintorea, ein Haifisch der furchtbarsten Gattung.

Martin Paz sah, wie das Ungeheuer sich ihm näherte, und tauchte tiefer, doch bald mußte er, um Athem zu holen, über das Wasser emporkommen. Da traf ihn ein Schlag von dem Schweife des Hais, und er fühlte die schlüpfrigen Schuppen des Thieres an seiner Brust. Das Ungeheuer wandte sich, um seine Beute erschlaffen zu können, auf den Rücken, und schon gähnte sein mit einer dreifachen Reihe furchtbarer Zähne bewährter Rachen; doch Martin Paz sah den weißen Bauch des Thieres schimmern und stieß seinen langen Dolch mit kräftiger Faust hinein.

Sofort färbte sich das Wasser um ihn blutig roth. Er tauchte von Neuem unter, zehn Faden von jener Stelle wieder auf, und da er das Boot des Mestizen nicht mehr sah, erklomm er nach einigen Schlägen das Ufer, während er schon ganz vergessen zu haben schien, daß er kaum einem schrecklichen Tode entronnen war.

Am andern Tage hatte Martin Paz Chorillos verlassen, und Don Vegal eilte, von Unruhe gefoltert, nach Lima, um ihn dort womöglich wieder aufzufinden.

< V.
VII. >



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