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Ludwig Ganghofer

Das Kasermanndl

Abschnitt 1

eingestellt: 11.6.2007





Das Kasermanndl



von Ludwig Ganghofer



Zur Sommerzeit mag es kaum ein schöneres Flecklein Erde geben als den Roßmooserhof. Wenn einer aus dem Tal, in dem das Dorf gelegen ist, durch den steilen, dunklen Bergwald drei Stunden hinaufsteigt, dann sieht er plötzlich die Bäume zu Ende gehen, sieht das Berggehänge sich spalten und in zwei ragenden Felswänden auseinanderlaufen. Und vor seinen Augen öffnet sich ein weites, herrliches Hochtal.



Wie grüner Sammet leuchten die Wiesen, auf den Feldern schwanken die gelben Ähren im sanften Wind, in den Gräben und Teichen blitzt das Wasser wie blankes Silber, und an den hundert Obstbäumen verschwindet beinah das Grün unter den vielen Früchten, die sie tragen. Über die runden Kronen der Apfelbäume hebt sich das stolze Bauernhaus mit schneeweißen Mauern, mit blinkenden Fenstern und grünen Läden, mit geschnitzten Giebelzieraten und einem schlanken Glockentürmlein auf dem steilen Dach. Hinter dem Hause liegt der umzäunte Garten mit Lauben und Blumenbeeten, deren Duft sich vermischt mit dem süßen Heugeruch. Rings um den weiten Hofraum reihen sich die Gesindehäuschen, die Schuppen und Scheunen, die Wagenremisen und die langgestreckten Ställe, die im Sommer nur die Pferde und nur wenige Milchkühe zu beherbergen haben, da die übrigen Kühe und die jungen Rinder, gegen vierzig an der Zahl, auf die Almen getrieben sind. In weitem Bogen spannen sich um das schöne Tal die steilen Wälder und hohen Felswände, als hätte der liebe Herrgott diese Riesenmauer eigens geschaffen, damit nur ja der Nordwind kein rauhes Lüftchen herbrächte, das den Wieswuchs verkümmern und den Blüten der Obstbäume schaden könnte. Hoch über den Wäldern liegen im Sonnenglanz die Almen, von denen man bei stiller Luft das Geläut der Herdenglocken und die Jodelrufe der Hüterbuben hört. Gegen Süden, durch die breite Bergscharte, sieht man über den nieder- ziehenden Wald und über das von blauem Duft umsponnene Tal hinweg auf die fernen Berge: Kette ist hinter Kette gelagert, Kuppe reiht sich an Kuppe, bis in nebelhafter Ferne die weißen Gletscher mit ihren zarten Linien den Horizont ver- schließen.



Freilich, dem schönen Sommer folgt im Roßmoos ein harter Winter. Jede Verbindung mit dem Dorf ist abgeschnitten, und an manchem Morgen liegt der frischgefallene Schnee so hoch, daß man kaum die Haustür zu öffnen vermag. Und vom Haus zu den Scheunen, von Stall zu Stall müssen Gänge durch den Schnee gegraben werden, um den Verkehr zu ermöglichen. Aber im Winter ist das Vieh daheim; da gibt es so viel zu arbeiten, daß die schweren Tage rasch ver- fliegen. Auch bringt die Mitte des Winters zuweilen so helle, sonnige Wochen, daß der Schnee sich setzt und die Luft so lind wird wie im Frühjahr.



Solch ein schöner Dezember war eben jetzt vergangen. Die milden Tage hatten sogar den hochverschneiten Weg ins Dorf hinunter wieder gangbar gemacht. Das war dem Roßmooser lieb: nun stand für den Weihnachtstag der Weg in die Kirche offen, und -- was das Wichtigere war -- jetzt konnte er aus dem Dorf eine neue Köchin rufen lassen. Die Roßmooserin selig -- vor drei Jahren war sie gestorben -- hatte ihren Mann verwöhnt in der Kost; nach ihrem Tod war eine alte Hauserin in die Küche eingezogen; die führte ein scharfes Zünglein, und vom Morgen bis zum Abend hörte man im Haus und Hof ihre schrille Stimme. Nun war sie vom Zipperlein befallen und mußte seit einer Woche unter Pein und Schmerzen das Bett hüten. Eine nach der andern hatten die Stalldirnen ihre Kochkünste versucht, doch vor dem Gschla- der, das sie auf den Tisch brachten, kam dem verwöhnten Roßmooser das Grausen an; jeden Mittag und Abend stand er mit Ärger und leerem Magen von der Mahlzeit auf. Da es mit der Besserung bei der Hauserin kein Absehen hatte, schickte er zwei Tage vor Weihnacht, den Obersenn ins Dorf hinunter, um eine neue Hausdirn ausfindig zu machen. Gut kochen müsse sie können, das wäre die Hauptsache; ein stilles, sanftes Wesen sollte sie haben, brav und fleißig sein und dazu noch sauber anzuschauen, damit dem Roßmooser nicht schon der beste Appetit verginge, wenn die Dirn mit der Schüssel in die Stube träte.



Der Obersenn, als er diese Bedingungen hörte, kratzte sich hinter den Ohren. Da wär leichter eine Nadel im Heu gesucht, meinte er, als solch eine Dirn gefunden.



Bei grauendem Morgen machte er sich auf den Weg; doch der Tag verging, ohne daß er zurückkehrte.



Erst am folgenden Nachmittag, am Vorabend des Weihnachtsfestes, kam er durch den verschneiten Bergwald vom Dorf heraufgestiegen. An der Seite des alten, klug und freundlich blickenden Mannes schritt ein zwanzigjähriges Mädel. Mindestens eine von den Bedingungen des Roßmoosers, die vom schmucken Aussehen, war redlich erfüllt: eine schlanke, fast zarte Gestalt, in einem braunen, schon etwas abgetragenen, aber sauber gehaltenen Kleid, dessen Leibchen die jugendlichen Formen knapp umschloß; über den aschblonden Zöpfen saß ein schwarzer Filzhut mit breiter Krämpe und niederem Deckel, von einem vergilbten Band umzogen; der Hut beschattete ein schmales Gesicht mit sanften, fast noch kindlichen Zügen; die blauen Augen blickten traurig, und die geröteten Lider bewiesen, daß der Abschied vom Elternhause reichliche Tränen gekostet hatte; waren doch jetzt die Augen noch feucht, und manchmal zuckten die Lippen wie unter mühsam verhaltenem Schluchzen. In der einen Hand führte die Dirn den Bergstock, in der andern trug sie ein weißes Bündel, und so stapfte sie neben dem Senn durch den Schnee herauf, immer still vor sich niederblickend, immer wieder leise seufzend.



Der Alte gab sich Mühe, das Mädel durch sein Geplauder zu erheitern, erzählte, wie schön es auf dem Roßmooserhof im Sommer wäre, versicherte, daß der Bauer das beste Herz auf der Welt, bei guter Kost auch allweil einen guten Humor hätte, und daß man ihn bei richtiger Behandlung um den Finger wickeln könnte.






»Sind Kinderln auch da?« Das war nach langem Schweigen die erste, schüchterne Frage des Mädchens.



»Kinderln?« lachte der Senn. »Wohl wohl, ein Bub is da. Aber ich mein, mit dem wirst nit viel zu schaffen haben. Der hat schon seine fünfundzwanzig Jahrln. Kennst ihn denn nit, den Roßmooser=Toni?«



Das Mädel schüttelte den Kopf.



Der Senn aber machte ungläubige Augen. »Geh! Schauen doch alle Madln nach ihm aus!« Er lachte. »Oder hast dich leicht noch gar nit umgschaut auf die Buben?«



»Ich hab auf mein kranks Mutterl schauen müssen«.



Ein freundlicher Blick traf sie aus den Augen des Sennen. Eine Weile stiegen sie schweigend weiter. Dann sagte der Alte: »No, ich mein, du wirst mit dem Haussohn auch dein friedlichs Auskommen haben. Is ein handsamer, waxer Bub, der Toni, und der Roßmooser könnt allweil seine Freud an ihm haben, wenn nur eins nit wär.« Der Alte blickte um sich, als fürchte er, es könnte ein Lauscher in der Nähe sein; dann stieß er das Madel mit dem Ellbogen an und kicherte: »Weißt, der Bub hat die Gamserln so viel gern.«



»Mein, das is doch allweil noch keine Todsünd!«



»Für ein armen Häuslerbuben freilich nit. Aber für den reichen Roßmoosersohn wärs halt doch eine schierliche Sach, wenn man ihn umeinanderzarren tät beim Gericht, und er müßt brummen ein paar Monat. Im letzten Herbst hat nimmer viel gfehlt, daß ihn der Jager packt hätt. Der Bauer hat Müh ghabt, bis die Sach vertuschelt war, und hat laufen und blechen müssen, das ihm die Schwarten kracht haben. Und Skandali und Spitakl hats geben im Haus grad gnug. Heut noch, wenn der Bauer dran denkt, wird er völlig blau vor Zorn und Gift. Der Bub freilich, der hat die Sach schon lang verschwitzt und tät sich auf Neujahr gern wieder ein Gamsbart holen. Aber der Alte paßt auf wie ein Haftlmacher, ja, und weil er gmeint hat, der Bub könnt leicht über die Feiertäg ein Streich machen, hat er gschaut, daß er ihn fortbringt ausm Revier und hat ihn vor drei Täg schon in d Stadt gschickt, Einkäuf machen. Der Toni hat ein Gsicht aufzogen wie neun Tag Regenwetter. Aber da hat ihm kein Herrgott gholfen. Fort hat er müssen.« Der Alte blinzelte nach seiner Begleiterin. »Du? Mir scheint, du mirkst gar nit auf, was ich red?«

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