Ludwig Ganghofer
Das Kasermanndl
Abschnitt 2
eingestellt: 11.6.2007
»Hui huuup!« klang der langgezogene Ruf des Sennen durch die Nacht zurück.
»Gottlob! Gottlob!« stotterte der Bauer und rannte in die Stube. »Leut! Leut!« Die Knechte und Mägde brachen mitten im Vaterunser ab und sprangen auf. »Er kommt! Und s Dirndl muß er gfunden haben, weil er hupen tut.«
Nun lief der ganze Schwarm in den Hof hinaus und dem Zaun entgegen, der Bauer allen andern voran.
Draußen im Schneefeld tauchte der Senn mit Mali in der Helle auf, die aus den Fenstern fiel. Mit wirrem Geschrei wurde das Paar empfangen und umringt. Mali hing am Arm des Sennen, erschöpft, mit zerrauftem Haar, das starre, schwarzfleckige Gesicht von Zähren überronnen.
»O mein Gott!« stammelte der Roßmooser und schlug vor Schreck die Hände ineinander.
»Sie hat den Muser!« schrie einer der Knechte. »Da schau her, Bauer,
am Miederbandl hängt er!« Ein Dutzend Hände griffen nach dem eisernen Löffel.
»Mar und Josef!« kreischte eine Magd und deutete entsetzt in Malis Gesicht. »Wie das Dirndl ausschaut!«
»Gelt? Gelt? Hab ichs nit gsagt!« gröhlte der Hüterbub. »Ins Gsicht is er ihr gsprungen, der Höllische! Jessas! Jessas!« Immer wieder stieß er die Arme über den Kopf. »Jessas! Jessas!«
»Aber Dirndl!« stotterte der
Bauer. »So red doch! Red!«
Mali brachte kein Wort heraus. Mit bangen Augen blickte sie auf die brennenden Gesichter, und große Tränen rollten ihr von den schwarz gefleckten Wangen auf den zuckenden Mund.
»Ich bitt nur grad, laßts mir das Dirndl in Ruh!« mahnte der Senn und trieb die Neugierigen, die nicht weichen wollten, mit zornigen Worten zurück. Er führte Mali zur Haustür und rief eine Magd. »Komm her, Zenz, und schau
nur, daß das Dirndl auffi kommt ins Kammerl. Und laß keine Seel nit eini zu ihr! Das arme Hascherl muß Ruh haben, wenns nit gfahrlich verkranken soll!«
Geschäftig schlang die Magd ihren Arm um Mali und führte sie ins Haus; das Gesicht des Weibsbildes leuchtete vor Neugier: nun war sie die erste, die von Malis Abenteuer was erfahren sollte; ihr gruselte schon im Vorgefühl der schauerlichen Dinge, die sie zu hören hoffte.
Die Knechte und Mägde wurden ins Gesindehaus geschickt, eine Anordnung, der sie sich nur widerwillig fügten. Der Senn trat mit dem Roßmooser in die Stube; hier legte er den eisernen Muslöffel mit Nachdruck auf den Tisch und sagte: »Das Dirndl hat die Kuh verdient, Bauer.«
»Wohl wohl!« meinte der Bauer und kratzte sich seufzend hinter den Ohren.
Der Senn machte ernste Augen. »Und die braune Liesl wirst ihr geben
müssen!«
»Was? Die braune Liesl? Unser beste Kuh!« fuhr der Roßmooser auf. »Was dir nit einfallt!«
»Wird aber doch so sein müssen.« Der Senn trat auf den Bauer zu und flüsterte: »Der selbige da droben hat ihr graten, sie soll die braune Liesl verlangen. Und wenn dirs nit recht wär, so hättst es mit ihm ztun, hat er gsagt!«
Der Roßmooser rührte unbehaglich die Schultern unter der Joppe. »No,
no, no,« sagte er beschwichtigend, »man wird doch um sein Sach noch reden dürfen!« Mit langen Schritten ging er in der Stube auf und ab und blieb wieder stehen. »Der kennt sich aber aus in meim Stall, das muß ich sagen.« Er ver- suchte ein gezwungenes Lachen. »Die braune Liesl! Mein ganzer Stolz und Staat! Die schönste Kuh! Und mit dem Kalb geht s auch! Zwei fette Fliegen auf ein Schlag!«
»Der selbige da droben wird wohl wissen, warum er dir das antut!
Und ein schönen Gruß laßt er dir sagen, du sollst keine so übermütige Red nimmer tun. Ein anders Mal könnts schiecher ausfallen.«
»Jetzt laß mich aber aus, du!« brummte der Bauer, warf sich in den Lehnstuhl und machte wütende Augen. Plötzlich hatte er einen rettenden Gedanken. »Meinst am End nit, das Dirndl laßt uns blau anlaufen?«
Der Senn nahm den Muslöffel vom Tisch und hielt ihn dem
Roßmooser unter die Nase. »Da hast den verlangten Zeugen! Im übrigen, was die Mali sagt, da kannst drauf wetten, wenn dir s Schwören zwenig is!«
»So meinst, sie hat ihn richtig gsehen, den selbigen?«
Der Senn machte große Augen zu diesem Zweifel. »Wie soll ihn s Dirndl denn nit gsehen haben? Sie is doch auffi. Und er is doch droben. Die zwei m ü s s e n zammtroffen sein!«
»Aber so red doch, erzähl, wie
war denn nachher alles?«
Der Senn zuckte die Schultern. »Was ich weiß, das hab ich gsagt. Mehr hab ich vom Dirndl nit erfahren. Und fragen hab ich nit mögen. Denn weißt, bei so was is s Reden allweil eine heikle Sach. Ein Wörtl zviel, und es kann verspielt sein um Leib und Seel!«
Der Bauer fragte nicht weiter.
Nach einer Weile sagte der Senn: »Wenn nur das arme Dirndl nit vom Schrecken was davontragt und dran
leiden muß ihr ganz Leben lang!« »Um Gottswillen!« stotterte der Bauer und schlug die Faust auf den Tisch. »Wann ich mir nur gleich die Zung abbissen hätt, vor ich so eine dalkete Red hab tun müssen!«
»Wohl wohl!« nickte der Senn.
Es war still in der Stube; nur die Schwarzwälderuhr tickte leis und eintönig.
Um so lauter ging es drüben in der Gesindekammer zu; in einem Winkel hockten sie alle
beisammen, keins dachte ans Schlafengehen; und je weniger sie wußten, desto mehr hatten sie zu reden. Es währte nicht lange, so war eine schauder- hafte Geschichte ausgekocht, in welcher haargenau berichtet wurde, wie Mali mit dem höllischen Almgeist um den Muslöffel gerauft hatte.
Diese Geschichte wurde von jenen, die vor Tag zur Frühmesse ins Dorf hinunterstiegen, von Haus zu Haus getragen.
Gegen sieben Uhr morgens machte
sich auch der Roßmooser auf den Weg, um das Hochamt zu besuchen. Er ging allein, in Sinnen und Brüten versunken. Als er sich dem Dorf näherte, kamen ihm Schritte entgegen; er blickte auf und sah einen jungen Jäger bergansteigen.
»Was is denn mit dir?« rief er ihn an. »Du wirst doch nit am heiligen Weihnachtstag auf die Gamspirsch ausgehn?«
Unwillig schüttelte der Jäger den Kopf. »Nit einmal am Feiertag hat unsereiner
seine Ruh! In aller Gottesfruh hab ich ein Schuß droben fallen hören! Aber wann ich den erwisch, den Lumpen, dem soll unser Herrgott gnaden!« Der Jäger stieg weiter, aber schon nach wenigen Schritten wandte er sich wieder um. »Was ich fragen will: warum bist denn allein? Wo is denn der Toni?«
»Mein Bub? Der is seit drei Tag in der Stadt drin.«
»So?« brummte der Jäger und stieg seines Weges weiter.
Lachend blickte ihm der Roßmooser nach. »Jetzt bin ich aber auf den Tod froh, daß ich den Buben fortspediert hab über die Feiertag! Sonst hätt ich keine ruhige Sekund nimmer!« Kopfschüttelnd wanderte er dem Dorf entgegen. »Der Bub wird lachen, wann er heimkommt! Is der Jung nit daheim, so macht der Alte die Streich!«
Noch knapp zur rechten Zeit erreichte der Bauer die Kirche. Als er auf seinen Betstuhl zuging, merkte er, daß ihn alle Leut
mit scheuen Augen betrachteten. Die Geschichte vom Kasermanndl war wohl schon ins Laufen gekommen? Und nach dem Hochamt, zuerst in der Gemeindesitzung und dann im Wirtshaus, fielen die Fragen über ihn her wie die Wespen über eine Birne. Er ließ das Essen stehen und rannte fuchsteufelswild davon.
Gegen zwei Uhr nachmittags erreichte er das Roßmoos. Beim Zaun begegnete er dem Hüterbuben. »Wie stehts denn mit der Mali?« fragte er.
»Jessas, jessas!« jammerte der Bub. »Das Dirndl liegt noch allweil und kann sich schier nit erholen vom Schrecken. Und kein Wörtl bringt man nit raus aus ihr, sagt die Zenz! Und allweil tuts röhren ((weinen)), nix als röhren! Wirst sehen, Bauer, das Dirndl geht drauf!«
Eine schallende Ohrfeige war der Dank für diese freie Meinung. Mit brennrotem Gesicht schlich der Bub davon, und der Bauer trat ins Haus. Da kam gerade die Zenz über die Treppe
heruntergestolpert; sie schien es eilig zu haben; als sie den Bauer in der Stube verschwinden sah, rannte sie ihm kreischend nach. »Da schau, Bauer, da schau, was er ihr gschenkt hat!«
»Wer? Wem? Was?« knurrte der Roßmooser.
»s Kasermanndl! Der Mali! Ein ganzes Sackl voll Kronentaler hat er ihr gschenkt, fürs kranke Mutterl!« stotterte die Dirn in atemloser Erregung und hielt dem Bauer auf der flachen Hand ein rund strotzendes ledernes Beutelchen hin.
Der Roßmooser machte einen langen Hals und starrte mit großen Augen das Säcklein an.
»Grad jetzt hat die Mali das erste
Wörtl gredt davon,« berichtete die Magd, »und sie tät halt bitten lassen, wenn einer nunter ging und tät das Geld ihrem Mutterl bringen! Was sagst, Bauer? So was! So was kann auch noch passieren! Heutigen Tags!«
Der Bauer schien auf die Worte der Dirn nicht zu hören, »Jetzt das is aber gspassig!« Zögernd griff er nach dem ledernen Beutel und betrachtete ihn kopfschüttelnd von allen Seiten. Er wog ihn mit der Hand und setzte ihn auf den
Tisch; er nahm ihn wieder auf, kratzte mit dem Fingernagel an dem Leder und roch daran; er öffnete den Zug, stierte die blanken Silbermünzen an -- und immer wieder schüttelte er den Kopf. »So was! Das is aber gspassig!« Plötzlich warf er den Beutel auf den Tisch und fuhr auf die Magd los, daß sie erschrocken vor ihm zurückwich. »Marsch, sag ich! Und auffi zum Dirndl! Und richt der Mali aus, sie soll aufstehn und abi- kommen auf der Stell. Der Bauer wills
haben!«
Wortlos schlich die Zenz davon; ihren großen, kreisrunden Augen war es anzusehen, daß ihr Verständnis für die Situation auf dem Gefrierpunkt angelangt war.
Als die Tür sich geschlossen hätte, stapfte der Bauer zum Tisch, stemmte die Fäuste in die Hüften und blinzelte wieder den ledernen Beutel an. »Jetzt weiß ich nit, bin ich von allen der Dümmst, oder bin ich der einzig Gscheide?« Er stand
mit gerunzelter Stirn; schwere Gedanken schienen sich unter seinem borstigen Haarwald im Kreis zu wälzen. Und heftig schüttelte er den Kopf, wie ein störriger Gaul, den das Kummet drückt. »Na, na, es is ja nit möglich! Es kann ja nit sein! Er is ja doch in der Stadt drin, und er is . . .«
Der Gedankenreihe des Roßmoosers riß jählings ab; ein neuer Einfall war ihm dazwischengefahren. Als gält es, einen Dieb zu fangen, so
hastig eilte er in das anstoßende Zimmer -- es war die Stube seines Buben -- riß an einem buntbemalten Kasten beide Türen auf und wühlte die hängenden Kleider auseinander. In einem Winkel dieses Kastens pflegte sonst eine doppelläufige Büchse in heimlichem Verwahr zu stehen.
Jetzt war der Winkel leer.
»Da hört sich aber doch alles auf!« stotterte der Roßmooser in Zorn und Verblüffung. Im gleichen
Augenblick hörte er einen Schlag am Fenster und das Klirren fallender Glasscherben. Er drehte sich um und stand wie versteinert. Draußen vor dem Fenster sah er einen Kopf mit tief in die Stirn gedrücktem Hut -- eine Hand griff durch die zerschmetterte Scheibe herein, drehte den Reiber, stieß das Fenster auf -- und in die Stube schwang sich ein junger, schlanker Bursch, angetan wie ein Senn in Arbeitstracht.
»Toni! Bub! Was is denn?« stammelte der
Bauer.
Atemlos, keines Wortes mächtig, stand der Bursch vor seinem Vater. Bis an die Hüften war er mit Schnee behangen. Das Gesicht brennend rot wie von angestrengtem Lauf; auf Stirn und Wangen perlender Schweiß. Und an den Ohren, unter dem kecken Schnurrbart und in den Augenwinkeln zeigten sich schwarze Rußflecke, als wäre er mit dem Gesicht in einen Kohlenmeiler gefallen und hätte sich in der Eile schlecht gewaschen. Aber in schmucker
Sauberkeit, im reinlichsten und reichsten Sonntagsstaat und in der heitersten Laune einer ruhigen Stunde hätte der Bursch keinen wohlgefälligeren Anblick bieten können als gerade jetzt, in diesem verwitterten und verwüsteten Gewand, in dieser stürmischen Erregung. Er sah sich an wie ein urwüchsiges Bild von Gesundheit, Leben, Kraft und jenem jugendlichen Leichtsinn, der einen blinden Sprung in die lockende Gefahr getan und jetzt das steigende Wasser an den
Lippen spürt.
Der Roßmooser freilich hatte in diesem Augenblick wenig Sinn für das malerische Bild seines Buben. «Kreuz Teufel noch einmal!« schrie er mit zornbebender Stimme. »Jetzt red, sag ich!«
Toni drückte die Fäuste auf die nach Atem ringende Brust. »Vater . . . der Jäger . . . is hinter mir!«
Kalkweiß wurde der Roßmooser im Gesicht und taumelte zurück, als hätte er einen
Faustschlag vor die Stirn bekommen. Der jähe Schreck schien ihm die Zunge und alle Glieder gelähmt zu haben. Kaum aber hatte er einen scheuen Blick durch das Fenster hinausgeworfen, da kam ihm das Leben wieder. Er stürzte auf seinen Buben zu, packte ihn mit beiden Händen an der Brust -- und ehe sichs Toni versah, lag er schon im Kasten zwischen den Kleidern. Der Bauer schlug die Türen zu, drehte den Schlüssel um, zog ihn ab und stieß ihn in die Tasche.
»Vater! Aber Vater! Das laß ich mir nit gfallen!« klang Tonis halb erstickte Stimme aus dem Kasten.
»Haltst dich still oder nit! Du Malefizbub, du gottvergessener!« knirschte der Roßmooser. »Steht ja der Jager schon draußen!«
Im Kasten wurde es mäuschenstill.
Der Bauer atmete tief und blies die Backen auf; dann eilte er in die Stube, öffnete die Fenster,
legte sich breit in die Brüstung und guckte hinaus in den sonnscheinigen Wintertag, so harmlos, als wäre der Bestand des schönen Wetters seine einzige Sorge.
Über das Schneefeld kam der Jäger einhergerannt. Vor dem Zaun des Roßmoosers blieb er unschlüssig stehen und spähte nach allen Seiten. Jetzt sah er den Bauer im Fenster liegen.
»He! Du!« rief er ihn an. »Hast nit ein vorbeilaufen sehen beim Hof?«
Vorbeilaufen? Das Wort schien dem Roßmooser zu gefallen. »Was für einer solls denn gwesen sein? Vielleicht einer im braunen Janker, im zwilchenen Hemmed und mit Kniehösln?«
»Wohl wohl, es is schon der Richtige!«
»Ja, du, so einer ist grad da drüben hinterm Stall vorbei und abi gegen s Dorfstraßl. Er muß schon im Wald sein. Da darfst dich tummeln, wann den noch einholen willst.«
Der
Roßmooser hatte noch nicht ausgesprochen, da war der Jäger schon hinter dem Stall verschwunden. Lang streckte der Bauer den Hals. Nach einer Weile sah er den Jäger hinter dem Gesindehaus wieder zum Vorschein kommen und im Wald verschwinden.
Schwer atmend richtete sich der Roßmooser auf und schloß das Fenster. »Wart, Büberl, wart!« Er ballte die Fäuste. »Jetzt wachsen wir zwei aneinander!« Mit langen, schweren Schritten stapfte er in
die Kammer hinaus, sperrte den Kasten auf und öffnete die Türen.
Mit aufgezogenen Beinen, die Arme um die Knie geschlungen, hockte der Toni zwischen den Kleidern und blickte halb mißtrauisch, halb lustig zum Vater auf.
Der Roßmooser streckte die Hände; er schien nicht übel Lust zu haben, seinem Buben mit allen zehn Fingern ins krause Haar zu fahren. Doch er besann sich und trat einen Schritt zurück. Als aber Toni
nicht die geringste Miene machte, sein Asyl zu verlassen, wurde der Roßmooser krebsrot im Gesicht und schrie: »Wirst bald schauen, daß d aussi kommst oder nit?«
»Pressierts denn?« meinte Toni. »Das hätt halt der Vater gleich sagen sollen!« Er griff in die hängenden Kleider, zog sich in die Höhe und stolperte aus dem Kasten.
»So! So! Spötteln willst auch noch?« kreischte der Bauer und machte eine höchst
verdächtige Handbewegung. Als aber sein Blick den blitzenden Augen des Burschen begegnete, wandte er sich zornig ab, spuckte energisch in einen Winkel und ging in die Stube hinaus.
Toni blickte ihm lächelnd nach, strich Hände über das Haar und folgte dem Vater bis unter die Tür. Breitspurig bleib er auf der Schwelle stehen und legte die Arme hinter den Rücken, um die böse Suppe, die schon fertig gekocht am Feuer stand, geduldig
über sich ausgießen zu lassen.
Der Roßmooser trabte in der Stube auf und nieder wie ein Löwe in seinem Käfig; dazu noch wie ein böhmischer, der zwei Schweife hat; denn die beiden langen Flügel des Feiertagsrockes ringelten sich hinter dem Bauer einher, als hätten sie Leben, als möchten sie warnen vor dem Sturm, der dem Ausbruch nahe war.
Einmal blieb der Roßmooser vor seinem Buben stehen, Toni duckte schon den Kopf, als sollte nun ein Platzregen von Scheltworten über ihn ergehen. Aber der Vater sah ihn nur zornig an, kehrte ihm den Rücken und nahm seine Wanderung durch die Stube wieder auf.
Dabei schien sich im Roßmooser eine unerwartete Wandlung zu vollziehen. Denn als er nach einer Weile wieder vor seinem Buben stehen blieb, erschrak dieser und blickte mit
beklommener Sorge in das Gesicht des Vaters. Dem Bauer zuckten die Lippen, und seine dicken Backen zitterten.
»Aber Vater!« stotterte Toni.
Der Roßmooser holte tief Atem. »Vater, ja, Vater! Lügen muß er, der Vater! Lügen muß er, damit der feine Herr Sohn seine Streich recht unscheniert treiben kann! Ich, der Roßmooser, ich muß lügen!« Bei jedem Worte schlug der Bauer die Faust an die Brust. »Ich, der
Roßmooser, von dems meiner Lebtag gheißen hat: sein Wort is Stahl und Stein und klar wie Wasser! Ich, der Roßmooser, ich muß mit Lügen den Jager vexieren, daß er nit einikommt unter mein Dach und packt den Hallodri, den er sucht, und führt ihn abi aufs Gricht und verschandelt mein ehrlichen Nam!« Dem Bauer brach die Stimme.
»Aber . . . aber Vater!« stammelte Toni.
»Vater, ja, Vater!« Der Roßmooser schluckte
und würgte, schüttelte die Arme und schrie: »Du Malefizbub, du elendiger!« Und wieder stapfte er durch die Stube. Als er von der Tür zum Tisch zurückkam, versetzte er mit beiden Fäusten der Eichenplatte einen krachenden Schlag. »Ja sag mir nur, wie bist denn du aufs Gamsjagern verfallen? Ich hab dich doch zum Einkaufen in dStadt eini gschickt?«
»Wohl wohl, aber ich bin nit gangen. Ins Ort bin ich abi. Und da is der Kasersepp, mein Kamerad, statt
meiner fort in d Stadt zum Einkaufen. Und i c h hab sein Gwandl anzogen, hab mir s Gsicht mit Ruß verstrichen, daß mich keiner nit kennt, und bin über alle Berg aus.«
»Da hört sich aber doch alles auf!« platzte der Bauer los in heller Wut. »Und ich sitz daheim und denk mir, der Bub is in der Stadt. Und denk mir, jetzt kann ich doch einmal ruhig schlafen über d Feiertag und brauch mich nit sorgen um mein rechtschaffenen Nam. Und derweil wildert
der Bub auf alle Berg umeinander, hußt mir den Jager ins Haus, bringt Schand und Spott über mich! Ja Bub, ja hast denn ganz vergessen, was mir versprochen hast bei der letzten Gschicht, wo nimmer viel gfehlt hat, daß man dich eingsperrt hätt? Dem Roßmooser sein Buben! Hast mir nit in dHand versprochen, daß du kein Stutzen nimmer anrühren willst? Aber wart nur, wart!« Drohend hob der Roßmooser die Fäuste und schrie, daß alle
Fensterscheiben zitterten: »Wann dich s Vaterwort nit bessern kann, nachher soll dich was anders zügeln! Heiraten mußt mir! Heiraten! Red nit! Da gibts keine Widerred! Heiraten mußt! Und über vier Wochen muß Hochzeit sein, daß ich endlich einmal mein Ruh hab. Und wenn dir kein Bräutl nit weißt, meintwegen nimm dir die Mindest im Ort, meintwegen laß dir eine ausbatzen ausm Schmalz! Aber her muß eine! Und über vier Wochen
muß gheirat sein! Und wann nachher drinhockst im Grillenhäusl, paß nur auf, nachher wird dir s Wildern schon vergehn! Du Hallodri, du gottvergessener!« Dem Roßmooser ging der Atem aus. Blasend und schnaufend, zitternd vor Wut, fiel er neben dem Tisch auf die Holzbank nieder.
Langsam kam der Toni näher und sagte in lächelnder Ruhe: »Weswegen schreit denn der Vater so? Hab ich denn gsagt, daß ich
mich wehr gegen s Heiraten? Gott bewahr! Ich heirat ja gern. Wanns der Vater positivi haben will.«
Der Roßmooser riß Mund und Augen auf. »Ja weißt dir denn eine?«
»Wohl wohl.« Es zuckte um Tonis Mund, als könnte er ein Lachen nur mit Mühe unterdrücken.
»Jetzt da schau her!« Der Roßmooser schlug die Faust auf den Tisch. »Wie lang hast es denn schon mit ihr, du Duckmauser, du?«
»Gar nit lang. Und wenn ich das Dirndl krieg, Vater . . . ich versprichs auf Ehr und Seligkeit . . . nachher gibts für mich im Leben kein Gamsl mehr und kein Stutzen nimmer!«
»Und was wär denn das für eine?«
»Ich mein, der Vater müßt das Dirndl kennen. Er hat mirs ja selber gschickt.«
»Was?« rief der Roßmooser staunend.
»Wohl wohl, heut in der Nacht, auf d Almhütten auffi.«
Da sprang der Bauer in die Höhe, als wäre Feuer auf der Bank entstanden. Mit steifen Augen starrte er seinen Buben an, langsam drehte er den Kopf, und als ihm der lederne Beutel, den er im Eifer des Gefechts vergessen hatte, wieder in die Augen fiel, da schien ihm in dieser dunklen Geschichte plötzlich ein Lichtlein aufzugehen. Er stieß -- wars Überraschung, Zorn oder Freude? -- einen langgezogenen kreischenden Laut aus, der mit dem
Schlachtgeheul eines wilden Kriegers eine entfernte Ähnlichkeit besaß. Er wollte auf seinen lachenden Buben zustürzen; aber auf halbem Wege hielt er inne, denn er sah, daß die Stubentür sich öffnete.
Mali trat ein. Sie hielt die Augen gesenkt und ließ das blasse Köpfchen hängen, als wärs eine geknickte Lilienblüte. Lautlos drückte sie hinter sich die Tür zu, nestelte an der Schürze und sagte mit
leiser Stimme: »Der Bauer, hat die Zenz gesagt, tät mit mir reden wollen?«
Das war nun freilich richtig. Aber dem Roßmooser schien es die Rede verschlagen zu haben. Schweigend stand er, mit schief gehaltenem Kopf, und musterte das Mädel mit wägendem Blick von den Fußspitzen bis zum Scheitel. Dabei wurde sein Gesicht immer freundlicher, sein Mund immer breiter.
Toni lächelte. «Mir scheint, das Dirndl gfallt dem Vater?«
Beim klang dieser Stimme rann ein Zittern über Malis Glieder. In Scheu und Bangen hob sie die Augen. Und als sie an der Seite des Roßmoosers den jungen Burschen gewahrte, stockte ihr der Herzschlag. Mit zuckenden Händen griff sie in die Luft.
Sie wankte, sie drohte umzusinken, aber Toni war schon auf sie zugesprungen und fing sie auf in seinen Armen. Er führte sie unter zärtlichem Stammeln zur Ofenbank, setzte sich an ihre
Seite, zog die halb Ohnmächtige an seine Brust und küßte ihr die Stirn, die Augen, die Wangen und den Mund.
Mit gespreizten Beinen, die Fäuste in die Hüften gestemmt, stand der Roßmooser inmitten der Stube und guckte mit runden Augen das Pärchen an. Durch seinen Kopf ging es wie ein Wirbel, aus dem sich nur langsam die klaren Gedanken lösen wollten. Nun wußte er, welche Bewandtnis es mit dem Kasermanndl hatte, dem er in
der Weihnacht mit seiner übermütigen Red das Mädel in die Arme geschickt hatte. Eine schöne Bescherung das! Ein bettelarmes Dirndl -- als Schwiegertochter im Roßmooserhof! Arm? Freilich. Aber der Geldsack des Roßmoosers war groß genug und brauchte sich keinen Buckel mehr aufzuschnallen. Ein armes Dirndl! Aber kreuzbrav und bildsauber dazu! Und an der richtigen Schneid fehlte es auch nicht, das hatte die Mali in der vergangenen Nacht bewiesen. Und
eine, die den Teufel nicht fürchtet, die wird wohl auch mit einem Mannsbild fertig werden, dem -- wie der Roßmooser meinte -- mehr dumme Streich im Kopf stecken als gescheite Gedanken. Und blieb die Mali im Hof, so brauchte die braune Liesl den Stall des Roßmoosers nicht zu verlassen. Und der Millirahmstrudl mit Zibeben! Der gab den Ausschlag.
Schmunzelnd ging der Bauer auf das Pärchen zu und stieß dem Buben, der mit Küssen kein Ende
finden wollte, die Faust hinters Ohr. »Hörst nit auf? Schenierst dich denn gar nit vor dem Vater?«
»Schenieren soll ich mich auch noch?« lachte Toni. »Oder is mir der Vater vielleicht neidisch drum?« Er wollte seine angenehme Beschäftigung mit Eifer wieder aufnehmen.
Aber Mali wand sich aus seinen Armen. Sie schien immer nicht zu fassen, was mit ihr vorging. Ihre Lippen zuckten, Tränen hingen an ihren Wimpern, Röte und Blässe
wechselten auf ihren Zügen, und mit traumverlorenen Augen starrte sie bald den Bauer an, bald wieder den Unheimlichen an ihrer Seite. Und da sie aus dem Wirrsal ihrer dämmernden Gedanken keinen besseren Ausgang fand, schlug sie die Hände vor das Gesicht und brach in Schluchzen aus.
»Jesus Maria!« stotterte der Roßmooser erschrocken.
Aber Toni schob den Vater zurück, zog die Weinende an seine Brust und sagte: »Schau, Vater, sei doch gscheid! Laß mich ein bißl allein mit dem Dirndl, laß mich reden mit ihm!«
»Meintwegen, so red halt!« Der Bauer stieß die Hände in die Hosentaschen und stapfte der Türe zu. Bevor er die Stube verließ, guckte er blinzelnd noch einmal zurück. »Ein schöns Reden, das!« meinte er, als er merkte, daß die Zwiesprach seines Buben in nichts anderem bestand als in ungezählten Küssen.
Draußen, unter der offenen Haustür, blieb der Bauer stehen. Behaglich und zufrieden, als hätte er nicht nur ein gutes, sondern auch ein kluges Werk gestiftet, wiegte er sich in den Knien, schnalzte mit der Zunge und ließ sich dabei die laue Wintersonne auf das Bäuchlein scheinen.
Da sah er den Altsenn aus der Stalltür kommen. »He, du!« rief er ihm zu. »Du Weißkopfeter! Da komm her ein bißl!«
Bedächtig kam der Alte durch den Schnee einhergewatet.
»Was meinst?« fragte der Bauer mit vergnügtem Kichern. »Was meinst, wer drin is in der Stub?«
»Wer soll denn drin sein?«
»s Kasermanndl! Mit seiner Saligen!«
Der Altsenn runzelte die Stirn. »Geh, Bauer, das weißt doch, daß ich kein Spaß nit vertrag über solchene Sachen!«
Der Bauer schmunzelte. »Wenn dus nit glaubst, so schau halt durchs Fenster eini!«
Der Alte blinzelte den Roßmooser von der Seite an und schüttelte den Kopf. Aber seine Neugier war doch größer als sein Mißtrauen. Zögernd näherte er sich dem Fenster und guckte durch die Scheibe. Betroffen fuhr er zurück. Aber gleich wieder drückte er die Nase an das Glas. Und dann brach er in lustiges Lachen aus. Er schien den Zusammenhang des Bildes, das er in die Stube gewahrte, mit dem Abenteuer der vergangenen Nacht zu ahnen. »Der Toni? Der Toni wars?«
»Ja, was sagst! Gamsjagern is er gwesen, der Hallodri!«
»Und hat ein Täuberl gfangt! Aber ein liebs, das muß ich sagen!«
»Meinst nit auch: aus der Mali wird eine richtige Bäuerin?«
»Wohl wohl! Die lauft um eine Kuh dem Teufel in Rachen!«
Nun lachten sie alle beide.
Drin in der Stube saß Mali wortlos an der Seite des Burschen, der sich doch endlich Zeit zum Reden genommen hatte. Ihre Wangen glühten, und ihre Augen leuchteten vom Glanz des Glückes, das in ihrem jungen Herzen aufgegangen war.
»Also magst mich oder nit?« Mit dieser Frage schloß der Bursch sein sprudelndes Bekenntnis. »Aber haben mußt mich, wie ich bin, mit Haut und Haar, gut und schlecht. Bist einverstanden?«
Unter schüchternem Lächeln sah ihm Mali in die Augen. »Einverstanden?« lispelte sie. »Ich glaub, ich hätt sterben müssen an der heutigen Nacht, wenns nit so kommen wär.«
Sie wollte noch weiter sprechen. Aber Toni umschlang sie jauchzend und schob ihren Lippen einen dauerhaften Riegel vor.
Endlich löste sie sich aus seinen Armen und erhob sich. »So viel Glück! So viel! Aber schau, Toni, jetzt hätt ich eine Bitt.«
»Was denn, Schatzl?«
»Schau, ich trau mich nit freuen von Herzen, solang ich denken muß, daß d Mutter eine Nacht in Sorg verschlaft. Tu mir den Gfallen, Toni, geh mit mir abi zur Mutter! Magst?«
»Ja, Schatzl! Auf der Stell!«
Ein fester Kuß. Dann gingen sie Hand in Hand zur Tür.