Frei Lesen: Der Jäger von Fall

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Ludwig Ganghofer

Der Jäger von Fall

10

eingestellt: 17.6.2007





Hinter Modeis Hütte saßen sie alle beisammen, denen Friedl sein lustiges Lied gesungen hatte. Freilich, mit dem Jäger war auch der rechte Frohsinn verschwunden. Die Art seines Abschiedes hatte allen zu denken gegeben. Aber keines sprach seine Meinung offen aus. Immer wieder stockte das Gespräch – und als Gori auf der Zither ein paar altersgraue Schnaderhüpfln zum besten gab, fand er wenig Anklang.



Modei war verloren für jede Unterhaltung. Kaum vermochte sie die Unruh zu verbergen, die an ihr nagte. Unter dem Vorwand, den Tisch zu räumen oder was zu holen, verließ sie immer wieder ihren Platz. In der Almstube stand sie klopfenden Herzens vor der Kammertür und lauschte, ob nicht das Büberl erwacht wäre – oder sie trat geräuschlos in den kleinen, kühlen Raum, ließ sich auf den Boden nieder, hauchte einen Kuß auf die im Schlummer glühende Wange des Kindes und blieb, bis ihre wachsende Unruh sie wieder aus der Hütte scheuchte. Einmal traf sie an der Hüttenecke mit dem Bruder zusammen. »Lenzl!« stammelte sie. »Ich halts schier nimmer aus vor lauter Angst!«



»Was? Angst?« Seine Stimme hatte harten, fast boshaften Klang. »Um den ein oder um den andern?«



Mit ihren trauernden Augen sah sie ihn schweigend an, tat einen schweren Atemzug und ging zurück in die Hütte.



Unter leisem Lachen streckte sich der Alte, hob die Fäuste und knirschte gegen die Berghöhe: »Wart, Mannderl! Heut kunnt der Tanzboden ebba noch ausrucken!« Wie ein Erwachender sah er um sich her und murmelte: »Wo bin ich denn wieder gewesen?« Beim Kaffeetisch hinter der Hütte fand er einen lustigen Spektakel. Da hatten sie den Veri und die Punkl hintereinander gehetzt. Vor Zorn pippernd, mit den Fäusten rudernd, knirschte die Alte: »Was? Ich, sagst, ich soll schuld dran gwesen sein, daß selbigsmal vor a zwanzg a dreißg Jahr mit uns zwei nix füranand gangen is? Ah na! Ah na!«



»Laß mir mei Ruh!« knurrte der Nachtwächter von ehemals.



»Ah na! Ich bin allweil a verstandsams Weiberleut gwesen. Ich hab allweil begriffen, was für a kostbars Gut die Gsundheit is. Aber du warst der Unverstand. Du Leimsieder, du gsundheitsfeindlicher! Gar net a bißl ebbes hast dir traut. Gar nix, gar nix, noch viel nixer als gar nix. Mach Reu und Leid und sag aufrichtig, obs wahr is oder net!«



»Ah!« Diese erbitterte Verneinung aus seiner Torkelseele herausgurgelnd, wälzte Veri sich auf die Seite, vergrub das Gesicht in den Armen und wurde heftig vom alkoholischen Bock gestoßen.



Weil seine Schulterstöße anzusehen waren wie das Zucken eines Schluchzenden, verwandelte Punkls Empörung sich in klagende Rührseligkeit. »Gelt, siehst es endlich amal ein, wieviel ich deintwegen leiden muß?« Mit hohen Gicksern fing sie zu weinen an. »Wann den angstifteten Schaden wieder – gutmachen willst – nacher kann ich auch net so sein – und – in Gotts Namen –« Während sie schnüffelnd mit der einen Hand über Augen und Nase fuhr, streckte sie versöhnlich die anderen fünf Finger. »Da hast – mei Hand – du reumütigs Mannsbild, du!«



Einen galligen Zug in der sonst so zufriedenen Säuferphysiognomie, wackelte der Bekneipte sich mühsam vom Rasen in die Höhe. »Mei Ruh laß mir!« Die leere Kraxe wie ein Kinderwägelchen hinter sich herziehend, taumelte er über den Berghang hinauf.



Entgeistert guckte ihm die Alte nach. Als sie den lustigen Rumor der anderen hörte, drehte sie sich wütend um. »Was is denn jetzt dös für a dumms Glachter? Heut hat er halt a bißl zviel aufgladen, der Meinig. Wann er morgen sein Räuscherl ausgschlafen hat, so wird er schon mit ihm reden lassen.«



Da gewahrte Monika den Lenzl, der die Hände als Sonnenschirm über den Augen hatte und immer gegen den Bergwald hinaufspähte. »He, du, was speggalierst denn allweil da auffi?«



»Ich? So schauen tu ich halt a bißl – kunnt sein, daß heut noch a Wetter kommt! A grobs!«



»Was? A Wetter?« lachte Gori. »Geh, du Narr! Ausm Tirol glanzen die Berg ummi wie Glas. Und die verwunschene Alm schaut her, so weiß wie a frisch gwaschens Jungfernhemmed.«



Alle guckten sie zu der breiten Bergscharte hinauf, durch die aus blauer Weite die Zillertaler Gipfel mit ihrem silberweißen Ferner herüberblickten. Und Philomen fragte: »Was muß denn auf der verschneiten Alm da drüben passiert sein, daß mans die verwunschene heißt?«



In erregter Heiterkeit antwortete Lenzl: »Dö Gschicht, dö hat sich vor tausend Jahr schon zutragen. Da mußt die Pinkl drum fragen. Dö is selbigsmal schon Sennerin gwesen.«



Die Schwerhörige, mit dem Rest der Kaffeekanne beschäftigt, hatte ihren Namen vernommen: »Was hast gsagt?«



Philomen schrie ihr ins Ohr: »Dö Gschicht von der verwunschenen Alm sollst verzählen!«



»Ja, ja, dös is a schöne Gschicht. Tuts enk herhocken! Jaaa, da drüben, wo jetzt der ewige Schnee liegt, da is vor viele hundert Jahr die schönste Alm gwesen. s Viech hat glanzt vor lauter Fetten, is kugelrund gwesen und hat Milli geben, ich kann gar net sagen, wieviel!«



Modei kam aus der Hütte. In ihrer quälenden Unruh hörte sie nicht, was am Tisch geredet wurde. Und immer irrten ihre Augen.



»Jaaa, Leutln, auf der selbigen Alm, da sind drei Sennbuben gwesen, einer a gottsfürchtiger, und zwei waren grausame Sünder.«



»Die schlechten sind allweil die mehrern!« nickte Philomen.



»Was dö alles trieben haben! Dös is gar net zum glauben. Mit Kaaslaibln haben s d Hütten pflastert aus Übermut, und Kegel haben s gschoben mit die Butterballen.«



»Dös hat net weh tan«, meinte Gori, »wanns dem Kegelbuben auf d Füß gangen is.«



Die Punkl hatte sich bekreuzt um der Sünde willen, von der sie da erzählen mußte. »So haben sies trieben, ja! Aber wann a hungriger armer Teufel kommen is, haben s Steiner ins Wasser glegt und haben s ihm geben als Nachtmahl. Oft hätt so a Verirrter verschmachten müssen, wann ihm der Gottsfürchtige net heimlich a Trumm Kaas zugschoben hätt. Deswegen haben ihn dö zwei Sündhaften wieder gmartert, den Gottsfürchtigen. Und dös hat sich gstraft.«



Die Spannung am Tisch erhöhte sich.



Den Zwiebelkopf zwischen die Schultern ziehend, machte Punkl sonderbare Bewegungen mit dem Zeigefinger. »Amal, auf n Abend zu, is wieder a Fremder in d Hütten kommen, a magrer, langer, langer, endslanger Kerl –«



»Jöises«, staunte Philomen, »der is ja so lang, daß er gar nimmer aufhört!«



»Rappenschwarze Haar hat er ghabt und zwei Mordstrumm Augen wie brennheiße Glutbrocken –«



»Net schlecht!« warf Binl ein. »Dös wär einer für der Punkl ihr Gsundheit gwesen.«



»Und der hat gsagt –« Punkl fiel ins Hochdeutsche: »Üch habe ain Verlangän.«



Gori schüttelte den Kopf. »Wann er die Alte gsehen hätt, glaub ich kaum, daß ers gsagt hätt.«



»Üch habe ain Verlangän, hatrrr gsagt, gäbet mür zu ässen und zu drünken! Und da haben ihm die zwei Sündhaften wieder Wasser mit Steiner geben. Und selber haben s die größten Brocken Kaas verschluckt.«



In Monika rührte sich die barmherzige Seele. »Dö müssen schön Magendrucken kriegt haben.«



»Und auf amal –« Geheimnisvoll ließ Punkl den Zeigefinger kreisen. »Auf amal, da fangt er zum lachen an, der lange, lange Lange –« Sie ahmte mit tiefer Stimme ein diabolisches Gelächter nach. Es klang, wie wenn ein Rehbock schreckt. »Und gsagt hat er:

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