Frei Lesen: Der Jäger von Fall

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Ludwig Ganghofer

Der Jäger von Fall

1

eingestellt: 17.6.2007





Wer von Lenggries an der Isar aufwärts wandert, um über Hinterriß und das Plumserjoch hinabzupilgern an den blaugrünen Achensee, der hat voraus zwei gute Stunden zu marschieren, um die erste Haltstation, den Weiler Fall, zu erreichen. Eng eingezwängt zwischen ragende Berge und bespült von den kalten Wassern der Isar und Dürrach, die hier zusammenfließen, liegt dieser schöne Fleck Erde in stillem Frieden. Hier ist nur wenig Platz für Sommergäste; ein kleines Bauernhaus zuvorderst an der Straße, dann das Wirtshaus, das den Köhlern und Flößern zur Herberge dient, dahinter das langgestreckte Forsthaus mit den grünen Fensterläden und dem braungemalten Altan, das neue weiß getünchte Stationshaus der Grenzwache, eine kleine rußige Schmiede und einige Köhlerhütten, das war um 1880 der ganze Häuserbestand von Fall.



Im Hochsommer, zur Zeit der Schulferien, sah man wohl von Tag zu Tag ein paar Touristen, selten einen Wagen. Die Stille des Ortes wurde nur unterbrochen durch das dumpfe Poltern der Holzstämme, die, von den Hebeln der Flößer getrieben, hinabrollten über die steilen Ufer der Lagerplätze und mit lautem Klatsch in das Wasser schlugen. Hier und da durchhallte ein krachender Schuß das kleine Tal, wenn der Förster oder einer der Jagdgehilfen seine Büchse probierte. Am lautesten war es, wenn des Abends die Schatten niederstiegen über die Berge; dann füllte sich die geräumige Gaststube des Wirtshauses mit Köhlern und Flößern, die Jagdgehilfen kamen hinzu und ebenso die Holzknechte, die in den benachbarten Bergen arbeiteten. Durch die offenen Fenster schollen dann vergnügte Lieder hinaus in die Abendluft, die Zither klang, verstärkt durch die schnarrenden Töne einer Gitarre oder einer Mundharmonika, und der Fußboden dröhnte unter dem Stampftakt des Schuhplattltanzes. Dazwischen tönte lautes Gelächter über ein gelungenes Schnaderhüpfel, über irgendeinen derben Witz oder über den mißlungenen Sprung eines Tänzers, der es vergebens versuchte, im Tanz den schwerbeschuhten Fuß bis an die Stubendecke zu schlagen. Das Wirtstöchterchen und die Kellnerin hatten dann vollauf zu tun mit Tanzen und Einschenken, und erst in später Nacht endete die laute Fröhlichkeit, wenn entweder das Bier ausging oder wenn die Gäste sich daran erinnerten, daß die frühe Morgenstunde sie wieder zur Arbeit rief.



So wars im Sommer. Im Winter liegt hier alles eingeschneit; oft reicht der Schnee bis hoch an die Fenster, zum großen Leidwesen der Jagdgehilfen, die sich dann mit schwerer Müh einen gangbaren Weg bis zur Tür des Wirtshauses ausschaufeln müssen. Nur die Isar bleibt auch in solcher Zeit noch munter und lebendig. Jahraus, jahrein, durch Sommer und Winter, rauscht das eintönige Lied ihres hurtigen Wellenlaufes. Früher, vor Jahren, suchte sie nicht so gemütlich ihren Weg. Da grollte, brauste und toste sie in ihrem steinernen Bett, warf an den starrenden Felsen ihre lauten, weißen Wellen auf, mit wilder Gewalt zwängte sie ihre Wassermassen durch die einengenden Steinklötze der beiden Ufer und stürzte sie dann hinab, schäumend und wirbelnd über drei aufeinanderfolgende Fälle. Da hatten die Flößer schwere Not, wenn sie mit ihren zerbrechlichen Fahrzeugen diese Stelle passieren mußten, und mancher verlor mit seinem Floß auch das Leben. Die meisten Schiffer zogen es vor, eine Strecke oberhalb der Fälle ans Land zu steigen, die steuerlosen Flöße an den Felsen der Flußenge zerschellen zu lassen und dann weiter unten in Strom die einzeln dahertreibenden Stämme wieder aufzufangen. Die Klugheit der neuen Zeit hat sich auch hier bestätigt. Pulver und Dynamit haben die ›Steine des Anstoßes‹ zertrümmert, und ungefährdet passieren jetzt die Flöße die einst so gefürchtete Stelle der Isar.



Hier in Fall, ganz zuvorderst an der Straße, die von Lenggries einherzieht, steht ein kleines, freundliches Bauernhaus. Der ebenerdige Stock, der einen nicht übermäßig geräumigen Stall und eine Futterkammer umfaßt, ist aus Felsstücken aufgeführt und lehnt sich mit seiner Rückwand gegen einen Hügel, in den Winkel, den die Straße mit dem Strom bildet, wo sie vom Ufer sich abzweigt gegen das Wirtshaus. Über dem Unterstock erhebt sich der aus Balken gefügte Oberstock, der die Wohnräume umfaßt: neben Flur und Küche eine Wohnstube und zwei Kammern. Darüber spannt sich, weit vorspringend über den Giebel, das mit schweren Steinen belegte Schindeldach. In seinem Schatten hängen drei Scheiben an der Giebelwand. Der kleine weiße Holzzapfen, den jede in ihrem durchschossenen Zentrum trägt, verkündet, wie gut der Herr dieses Hauses die Büchse zu handhaben weiß. Unter diesen Scheiben und zwischen den beiden Fenstern des Giebels führt in das Innere des Hauses eine niedere Tür, zu der sich vom Hügel her eine kleine Holzbrücke spannt.



Es ist ein heißer Augusttag. Die Sonne brennt vom Himmel herab und zeichnet mit dunklen Schatten die Umrisse des vorspringenden Daches auf die Holzwand des Hauses.



Auf der Brücke vor der Tür steht ein schlankgewachsener Bursch in der Tracht der Jagdgehilfen: schwergenagelte Schuhe an den nackten Füßen, dickwollene weiße Wadenstrümpfe, die kurze gemslederne Hose, ein blaugestreiftes Leinenhemd, an der Brust offen und nur zusammengehalten von einem leichtgeschwungenen schwarzen Halstuch, die graue Joppe mit dem grünen Aufschlag, der als Dienstzeichen das goldgestickte Eichenlaub trägt, den Bergsack auf dem Rücken und auf dem Kopf den kleinen runden Filzhut mit dem nickenden Gemsbart. Das Gewand des Burschen ist abgetragen und verwittert; die Büchse, die er hinter dem Rücken trägt, ist neu und blank, und die Stahlläufe blitzen in der Sonne.



Die nachlässige, vornübergebeugte Haltung des Oberkörpers läßt kaum vermuten, welch kraftvolle und sehnige Gestalt in diesem verblichenen Gewande steckt. Das Gesicht ist sonnverbrannt, ist dunkler als der leichtgekrauste, rötlichblonde Bart, der es umrahmt. Es redet eine stille, gewinnende Sprache; die klaren, lichtblauen Augen sind es, die dem Gesicht diesen freundlichen Ausdruck verleihen.



In der einen Faust hält der Jäger den langen Bergstock, während er mit der anderen die Hand einer alten Frau umspannt, die unter der Türe steht. »Pfüet dich Gott, Mutter! In vierzehn Täg bin ich wieder daheim vom Berg. Und sorg dich net!«



»Pfüet Gott halt, Friedl! Und gib mir a bißl acht beim Steigen!«



»Ja, ja!«



»Und was ich noch sagen will –« Die Mutter zog ihn näher an sich. »Wann droben in d Näh von der Modei ihrer Hütten kommst, geh lieber dran vorbei!«



»Mutter, da bin ich, wie d Mucken sind. Allweil ziehts mich wieder eini ins Licht, und ich weiß doch, wies brennt!« Friedls Stimme klang gedrückt, und ein Schatten von Schwermut huschte über seine Augen.



Die Mutter legte ihm die Hände auf die Schulter. »Geh! So a Mannsbild wie du! Und so an unsinnige Narretei! Schau, ich setz den Fall, s Madl kunnt dich gern haben, so wärs doch allweil nix mit enk zwei. Du weißt schon, wegen was! – Jetzt geh! Sonst kunnt der Herr Förstner schelten, weil dich so lang verhaltst. Pfüet dich Gott, mein Bub!« Dabei schob sie ihn über die Brücke und durch die niedere Zauntür, die sie hinter ihm ins Schloß drückte.



Ohne ein Wort der Erwiderung hatte Friedl das mit sich geschehen lassen und stieg nun, den Blick zu Boden gerichtet, über den Hügel hinab zur Straße.



Er mußte sich beim Förster abmelden, bevor er auf die Berge stieg, um nach den paar Ruhetagen, die er genossen hatte, dort oben seinen vierzehntägigen Aufsichtsdienst wieder anzutreten. Der Weg zum Förster führte am Wirtshaus vorüber. Vor der Tür, auf einer erhöhten Backsteinterrasse, stand im Schatten der aus dem Giebel vorspringenden Holzaltane ein Tisch. Hier saß ein junger Mann; während er mit beiden Händen den vor ihm stehenden Bierkrug umspannte, lauschte er aufmerksam den Worten des neben ihm sitzenden Wirtes, der seine Rede mit lebhaften Armbewegungen begleitete.

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