Frei Lesen: Der Jäger von Fall

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Ludwig Ganghofer

Der Jäger von Fall

5

eingestellt: 17.6.2007





Das Grau der ersten Dämmerung lag noch über den Bergen, als Benno am anderen Morgen von Friedl geweckt wurde. Rasch war er auf den Beinen und schüttelte das Heu von sich. Am Brunnen wusch er Gesicht und Hände.



Friedl war ihm vorausgegangen und fand an Modeis Hüttenstube die Tür schon offen. Als er mit freundlichem Gruß in den Kaser trat, sah er Lenzl und seine Schwester am Herd sitzen, auf dem schon ein Feuer flackerte.



»Was is denn, Modei? Hast dus mit der Arbeit so nötig, daß du schon vorm Tag auf die Füß bist?«.



In Lenzls Augen hatte es wie Freude geblitzt, als er den Jäger eintreten sah. Er wollte aufspringen. Ein Blick der Schwester hielt ihn am Herde fest. Sie ging auf Friedl zu und reichte ihm die Hand. »Ich bin net schlafen gangen. Seit a paar Tag is a Stückl Vieh net gut. Heut in der Nacht wars schlecht mit ihm. Drum hab ich mich heut net niederlegen können.«



Friedl erschrak. Modei hatte nie viel Farbe gehabt: Jetzt schien auch der letzte Tropfen Blut aus ihren Wangen verschwunden zu sein. Dazu lag die Müdigkeit einer in Schmerzen durchwachten Nacht in ihren bleichen Zügen. Einen Blick nur brauchte Friedl auf ihr abgehärmtes Gesicht zu werfen, um zu wissen, daß Modei, wenn auch keine Lüge, doch auch die Wahrheit nicht gesagt hatte. Was war geschehen? Es legte sich ihm bei dieser Frage wie eine eiserne Klammer um das Herz. Wußte er doch allzu gut, wer gestern noch gekommen war!



Modei hatte keine Ahnung, daß der Jäger ihr gehütetes Geheimnis kannte. Was Friedl nicht durch eigene Beobachtung erkundet hatte, erfuhr er aus dem für ihn immer mitteilsamen Mund des Alten, der ihn bei allen Sorgen um die Schwester zum Vertrauten gewählt hatte, gerade ihn, der am allerwenigsten dazu paßte. Wie hatten Zorn und Eifersucht im Herzen des Jägers oft getobt bei allem, was er da hören mußte! Seine tiefe, treue Neigung hatte immer wieder die Oberhand gewonnen über jedes erbitterte Gefühl.



Dieses Treue und Heiße lag auch jetzt in seinem Blick. Es war gut, daß Benno in die Hüttenstube trat. Sonst hätte Friedl wohl kaum die Frage zurückgehalten, die sich aus seinem gepreßten Herzen herausdrängte.



Während Benno sich auf die Bank setzte, nahm Friedl seinen Platz auf dem Herdrand neben Lenzl. Modei ging hin und her, um zu holen, was sie für Benno brauchte. Während sie still am Herd stand, um das Sieden des Wassers abzuwarten, plauderten Friedl und Lenzl von allerlei Dingen: ob wohl am Tage, der schön zu werden versprach, das gute Wetter anhalten würde – daß ein baldiger Regen nottäte, weil das Quellwasser zu versiegen beginne – und von anderem mehr.



Dann trank Benno seinen Kaffee, lobte ihn redlich und machte Modei um ihrer Kochkunst willen Komplimente; schließlich bat er noch um ein Glas Wasser. Kaum war Modei zur Türe draußen, als Friedl schon einen stummen, bang fragenden Blick auf Lenzl warf. Der Alte flüsterte in Friedls Ohr: »Am Abend wart ich beim Heustadl auf dich.«



Ein paar Minuten später machte Benno sich mit dem Jäger auf den Weg. Als Friedl der Sennerin die Hand reichte, klang seine Stimme so warm und herzlich, daß das Mädel betroffen zu ihm aufsah.



Eine gute Stunde hatten die beiden Jäger zu steigen, bis sie den Grat des Berges erreichten. Droben machten sie Rast, um der aufgehenden Sonne zuzuschauen, wie sie erst mit zarten Farben die langgezogenen Wolken säumte und dann mit leuchtendem Rot die felsigen Höhen übergoß. Dort unten auf weiter Alm lagen Punkls und Modeis Hütten und in ferner Tiefe das kleine Tal von Fall, über dem noch die Nebel und Schatten des frühen Morgens schwebten.



Friedl nahm sein Fernrohr aus dem Rucksack und richtete das Glas auf eine der Hütten da drunten. Er sah die Sennerin – sie saß auf der Steinbank vor der Tür, hielt die Hände hinter dem Nacken verschlungen und lehnte den Kopf an die Hüttenwand, regungslos aufblickend zum lichten Morgenhimmel.



Benno mußte zum Aufbruch mahnen. Der Jagdeifer zuckte ihm in allen Gliedern.



Während die beiden über den Grat hinaufstiegen, der die Landesgrenze zwischen Bayern und Tirol bildete, war Friedl wortkarg und zerstreut. Sonst, wenn Benno mit ihm ausgezogen, hatte Friedl ihn auf alles Sehenswerte aufmerksam gemacht, hatte ihm jede Wildfährte, jeden Wechsel und jeden Steig gezeigt. Heute war er schweigsam. Freilich verlor sich seine Zerstreutheit ein wenig, als sie in Wildnähe kamen; gesprächiger wurde er nicht, eher noch stiller; aber das war jetzt jene vorsichtige Stille des Jägers, die das Geräusch eines rollenden Kiesels scheut, das Knarren der Schuhe und das Klirren des Bergstockes.



Mühsam waren sie den steilen Pfad zur Höhe des Stierjoches emporgeklettert. Von hier aus bis hinüber zum Torjoch zieht sich das Luderergewänd, dessen zerrissener Gurt gegen Fall in nackten steilen Felsen abfällt. Diese Wände sind im heißen Sommer ein Lieblingsaufenthalt der Gemsen, die vor der brennenden Sonnenhitze Kühlung finden auf den Schneeresten in den schattigen Klüften.



Langsam pirschten die beiden den Grad entlang, lautlos auf- und niedersteigend über seine Buckel und Risse. Manchmal legten sie sich an gedeckten Stellen nieder auf die Erde und spähten über die Wände hinunter in die Gräben und Felslöcher. Da sahen sie bald ein größeres Rudel, bald wieder einzelne Gemsen auf den Sandreisen und Latschenhängen äsen. Wenn Friedl einen Bock erkannte, lagen sie auf langer Paß, ob sich das Wild nicht an den Wänden auf Schußweite nähern würde. Diese Hoffnung wurde immer getäuscht; es war noch früh am Tag, die Sonne brannte nicht allzu heiß, und so ästen die Gemsen zwischen den Latschen oder taten sich auf freiem Gehäng zur Ruhe nieder.



Benno begann verdrießlich zu werden, aber Friedl vertröstete ihn auf den heißeren Mittag.



Stunde um Stunde hatten sie mit Passen und Pirschen verbracht, als Friedl, der über eine Felswand hinuntergeblickt hatte, hastig zurückfuhr, sich auf die Erde warf und Benno zuwinkte, ein gleiches zu tun. Vorsichtig schoben sie den Kopf bis zu den Augen über die Felskante hinaus. »Sehen S ihn, Herr Dokter?« flüsterte Friedl. Benno nickte; gleich auf den ersten Blick hatte er den Gemsbock erspäht, der am Fuß der Wand auf einem schmutzigen Schneefleck ruhte. Hastig griff Benno nach seiner Büchse; Friedl flüsterte: »Nur langsam! Lassen S Ihnen Zeit und verschnaufen S zerst a bißl!« Bennos Gesicht glühte vor Erregung, als er an seiner Büchsflinte den Hahn des Kugellaufes spannte. »Schauen S ihn nur recht schön sauber zamm«, mahnte Friedl, »am Platz muß er liegenbleiben. Wir haben kein Hund net bei uns.«



Da krachte der Schuß. Das Wild sprang auf, und in wilder Flucht gings dahin, ein Stück die Wand entlang, dann hinunter über Geröll und Latschen.



»Auweh, Herr Dokter! Den haben S aber sauber gfehlt!« brummte Friedl.



Benno schüttelte den Kopf. »Das ist nicht möglich! Der Bock ist getroffen, gut getroffen!«



»Wann Sies glauben! Steigen wir halt abi zum Schußplatz, damit S Ihnen überzeugen können.«



Wäre Friedl allein gewesen, er wäre gleich an Ort und Stelle hinuntergestiegen; Bennos Mut und Gewandtheit wollte er ohne Zwang nicht auf die Probe stellen. Sie schritten den Grat entlang einer Stelle zu, wo der Abstieg weniger mühsam und gefährlich war.



Als sie den Schneefleck erreichten, auf dem der Bock gelegen, untersuchte Friedl auf das genaueste die Lagerstatt und die Fährte, konnte aber weder ein abgeschossenes Haar entdecken noch eine Spur von Schweiß. »Schauen S selber, Herr Dokter! Nix is!« brummte er. »Jetzt schamen S Ihnen aber! Der is daglegen – mitm Hut hätt man ihn umwerfen können!«



Benno wollte nicht glauben, daß er einen so schlechten Schuß getan. Ärgerlich glitt sein Blick über Schnee und Geröll, und langsam stieg er am Fuß der Felswand den Weg entlang, den der Bock auf seiner Flucht genommen hatte. Plötzlich neigte er sich gegen einen vorspringenden Felsen und stieß einen Juhschrei aus. »Friedl! Da ist Schweiß! Ein Tropfen! Ganz frisch!«

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