Ludwig Ganghofer
Der Ochsenkrieg
12
eingestellt: 2.7.2007
In der tobenden Gewitternacht, die über die Berge gekommen war, hatten die Menschen zu Berchtesgaden keinen Schlaf gefunden. Nicht, weil ruhelos der Regen prasselte und wütende Donnerschläge die Lüfte füllten.
Die Frauen und Mädchen hatten beklemmende Träume bei wachen Augen. Viele von ihnen flüchteten trotz Regen und Finsternis zu versteckten Tälern oder kletterten bei Laternenschein zu
entlegenen Almhütten hinauf, um sich zitternd im Bergheu dunkler Dachböden zu verkriechen. Außer den Alten und Kranken blieben nur ein paar Lustige, die dem Schicksal trotzen wollten, und die von Sehnsucht erfüllten Häßlichen, die dem Feinde einen minder wählerischen Geschmack zutrauten, als ihn die Berchtesgadnischen Mannsleute bewiesen hatten. Es blieben auch die tapferen Mütter, die kein Schmachgedanke von ihren hilflosen Kindern trennen konnte,
und die braven Frauen, in denen das Pflichtgefühl stärker war als die Angst vor dem unausbleiblichen Feinde.
Eine von diesen Frauen war die Amtmännin Someiner. Sie hatte in dieser Nacht sehr viel zu tun. Es blieb ihr keine Zeit, an den Feind zu denken. Und daß sie ihren Buben weit vom Schuß wußte – dieser Trost half ihr die Sorge tragen, die ihr die plötzliche Erkrankung ihres Mannes verursachte.
Herr Someiner
war seit dem verwichenen Mittag ein schwer Leidender. Das stand außer Zweifel. Er lag zu Bett, mit häufigen Unterbrechungen, und litt entsetzliche Qualen. Sei es, daß der ehrenfeste Ruppert sich eine rapid wirkende Erkühlung zugezogen hatte – sei es, daß ihm der ruhelose Gedanke an seine Amtsentsetzung gleich einem giftigen Wurm das Leben benagte oder daß ihm sein schlechtes, von siebzehn lebendigen Ochsen und vielen erschlagenen Menschen bedrücktes
Gewissen die Eingeweide belastete – so oder so, er fühlte sich seinem letzten Stündlein erschreckend nahegerückt. Kein Warmbier mit Muskatnuß, kein heißer Wein mit Zimtrinde wollte helfen. Immer wieder erneute sich das heimtückische Leiden. Den drohenden Tod vor Augen, wollte Herr Someiner mit dem Irdischen abschließen und sein Testament machen; aber sein Leiden gewährte ihm die freie Minute nicht, die er zum Schreiben nötig hatte. Er kam der
völligen Auflösung immer näher.
Vom Abend bis zum Morgen, unter Blitz und Donner, lief Frau Marianne zwischen Krankenstube und Küche unermüdlich hin und her. Und in den kurzen Pausen, die ihr die Pflege des leidenden Gatten bewilligte, hatte sie notwendige Kriegsgeschäfte zu erledigen. Sie mußte, was an Geld, an Schmuck und Silber im Hause war, auf dem Dachboden verräumen oder an den undenkbarsten Plätzen vermauern. Die alte
Magd, die der Amtmännin bei diesem Huschelwerke behilflich war, äußerte dunkle Ahnungen über das Findertalent der Kriegsleute, denen sie auch sonst noch himmelschreiende Dinge zutraute. Doch Frau Marianne fand die tapfere Antwort: »Soll nur einer kommen! Dem schlag ich meinen Schurz ums Maul, daß ihm Hören und Sehen vergeht.«
Die gleiche Arbeit, die von der Amtmännin auf dem Dachboden und sonstwo geleistet wurde, geschah
während dieser Gewitternacht in allen Häusern von Berchtesgaden. Wer einen Knopf von Wert besaß, vergrub ihn.
Auch im Stift waren viele Hände damit beschäftigt, die Pergamente und Kostbarkeiten, das silberne Tafelgeschirr und das bescheidene Quantum des nach den Rüstungen der letzten Wochen noch übrigen Bargeldes in Sicherheit zu bringen.
Noch immer hofften die Chorherren, daß Fürst Pienzenauer in jeder
nächsten Stunde mit der ersehnten Hilfe aus Salzburg heimkehren würde. Und als mit dem erwachenden Morgen das Gewitter sich ausgetobt hatte und ein schwerer Nebel das Tal bis zum Erdboden füllte, setzten die Herren neues Zutrauen auf dieses dicke Grau, bei dem auch eine feindliche Übermacht den Sturm nicht wagen konnte. Doch sie wollten sicher gehen für alle Fälle. Als es zu dämmern anfing, knatterten sieben mit Nahrungsmitteln, Zelttüchern, Decken, Kissen
und Kochgeschirr beladene Wagen zum Königssee hinauf. Dort war eine versteckte Waldschlucht mit einer großen Flöhle, die man die >Klostergrube< nannte. Hier hatten sich auch bei früheren Kriegshändeln die flüchtenden Chorherren geborgen. Alle, die zum fürstpröpstlichen Hof des heiligen Peter gehörten, hatten Kenntnis von diesem Schlupf und wußten, wohin sie rennen mußten, wenn eine gefährliche Stunde schreien würde:
»Menschenkind! Jetzt spring!«
Gegen die neunte Morgenstunde fing von Westen her ein fester Wind zu blasen an und brachte die grauen Schwaden der Lüfte in jagende Bewegung. Und da hörte man von der Reichenhaller Gegend herüber ein dumpfes Murren, das ferne Stimmengebrüll der >Hornaußin< und der >Landshuterin<, die beim Hallturm mit der >Anna< und >Susanne< musizierten. Die Berchtesgadner wußten, es stand eine
erdrückende Übermacht vor den Grenzen des Ländleins. Je schneller die dumpfen Pulverstimmen in der Ferne bollerten, um so mehr begann sich das Gefühl der Unsicherheit zu einer ratlosen Verwirrung zu steigern. In den Höfen des Stiftes und in allen Gassen von Berchtesgaden gabs ein schreiendes Gerenne.
Inmitten dieses angstvollen Aufruhrs spielte ein paradiesisches Idyll, von den häßlichen Dingen der Welt durch dichtgeschlossene
Fensterläden geschieden.
In der ebenerdigen Dampfkammer des Badhauses, dessen obere Stockwerke den >frummen< Fräulein und Pfennigfrauen zur Wohnstatt angewiesen waren, nahmen zwei blessierte Helden während des Bades ihr reichliches Frühstück ein, der Chorherr Jettenrösch, mit einem Verband um den rechten Oberarm, und der junge Sigwart zu Hundswieben, mit verbundenem Haardach und einem knopfähnlichen Pflaster auf der Nasenspitze. Jeder
von den beiden saß in einer hohen, langen, zwiebädrigen Holzkufe. Dem Jettenrösch saß in der Wanne das Fräulein Rusaley gegenüber, dem Hundswieben das Fräulein Aglaja. Zwischen Männlein und Weiblein war über die Kufe ein Brett gelegt und mit gesticktem Linnen bedeckt. Neben den Zinntellern, auf denen Obst und hartgekochte Eier aufgetragen waren, standen die mit Rotwein gefüllten Becher. In einer dritten Kufe saß einsam das Fräulein
Gerilind und spielte mit flinken Hämmerchen auf einer Stahlzitter. Die frummen Fräulein trugen hohe, mit allerlei Glitzerschmuck gezierte Hauben, die das Haar züchtig verhüllten. Während man so das Frühstück verzehrte, wurde mit höfischer Zierlichkeit ein heiteres, neckendes Gespräch geführt. Und manchmal lachte Fräulein Aglaja oder Fräulein Rusaley mit hellem Stimmchen belustigt auf. Nur das einsame Fräulein Gerilind blieb ernst
und widmete sich mit musikalischem Pflichtgefühl dem klingenden Stahlkonzert, obwohl von diesen feinzirpenden Tönen nicht viel zu vernehmen war. Denn die zwei großen kupfernen Dampfretorten, unter denen das Feuer in gemauerten Herden prasselte, ließen mit sausendem Geräusch die heißen, köstlich nach Latschenöl duftenden Dunstwolken in die Kammer strömen.
So verging den Badenden der halbe Vormittag in modischer
Ergötzlichkeit. Bei dem sonnigen Frohsinn, der ihre weltentrückten Seelen erfüllte, bemerkten sie lange nicht, daß das Wasser, in dem sie saßen, bedenklich an angenehmer Temperatur verlor. Aber schließlich fühlten sie doch den wachsenden Entgang an Sitzwärme und läuteten der Bademagd.
Diese Magd erschien nicht. Als jener angstvolle Aufruhr durch die Gassen von Berchtesgaden gesprungen war, hatte auch der erschrockene Bader mit
seinen Leuten Reißaus genommen und völlig der in der Dunstkammer sitzenden Badgäste vergessen, die beim sausenden Gepfurr der Dampfretorten weder den versiegenden Büchsendonner in der Ferne vernommen hatten, noch das wachsende Menschengeschrei der nahen Gasse zu hören vermochten. Aber jetzt, weil unter den Retorten das Feuer auszugehen drohte und der Dampf immer schwächer zischte, wurden die Arkadier im verkühlenden Wasser aufmerksam auf die rohen Stimmen
der Außenwelt. Und plötzlich hörten sie ein verzweifeltes Geschrei, dazu den Hufschlag jagender Rosse auf dem Pflaster. Herr Jettenrösch, von böser Ahnung befallen, hüpfte aus der Kufe heraus und zerrte an einem Fenster die Läden auf. Über seinen Kopf weg fuhr der dicke weiße Dunst des Baderaumes in den bleichen, kühlen Tag hinaus. Und da draußen gewahrte Herr Jettenrösch einen mit dem Pferde quirlenden Reiter, der sich auf der
Flucht in den Gassenwinkel vor dem Badhaus verirrt hatte. »Gotts Tod! Was ist denn geschehen?«
Entgeistert starrte der Reiter dieses paradiesische Fenster an, in dem jetzt unter wehendem Dampf ein doppelter Adam und eine dreifache Eva zu sehen war.
Fünf Stimmen kreischten ihm erschrocken zu. Und da lallte der Reiter: »Die Hallturmer Mauer ist gefallen. Die bayrischen Reiter sind hinter uns. Springet, ihr Herren, springet!«
Herr Jettenrösch, der Hundswieben und die drei frummen Fräulein sprangen bereits.
Sehr schnell. Sie sprangen aus der Badstube und über die steile Treppe hinauf.
Es verging eine halbe Stunde, bis sie zur Not in deckende Kleider kamen und in der Verwirrung zusammenraffen konnten, was sie mitschleppen wollten.
Durch die Marktgasse gabs keinen Weg mehr. Vor dem Badhaus knäuelte sich ein Gedränge flüchtender Bauern vorüber, mit großen Packen auf den Köpfen, mit Kindern, Schafen und Schweinen, mit Vieh
und Karren. Ein Trupp von sieben Gadnischen Reitern sprengte erbarmungslos in dieses Gewühl hinein – und einer war dabei, der halb ohnmächtig im Sattel hing, helmlos, das bärtige Gesicht und die Platten der Rüstung von Blut übergössen. Wars der Marimpfel? Oder wars nur einer, der ihm gleichsah?
Die fünfe aus dem Badhaus hatten erschrocken kehrt gemacht. Sie liefen durch den Hausflur, gewannen das Gärtlein, hüpften durch
die bunten Beete, kletterten über Mauern und Zäune, flüchteten über das steile Gehäng hinunter und wateten im Tal durch die rauschende Ache. Auf dem Sträßlein, das neben dem Frauenreuter Sudhaus gegen den Königssee hinaufzog, trafen die fünf dürftig Bekleideten keuchend mit dem Häuflein der dicht verhüllten Nonnen zusammen, die aus dem geweihten Schwesternhaus geflohen waren und mit geschürzten Kutten zu dem
verläßlichen Schlupfwinkel der ,Klostergrube rennen wollten. Wie ein Schwarm erschreckter Schäflein sprangen die frommen Mütterchen ratlos hin und her und waren glücklich, als sie Geleit und männlichen Schutz bekamen. Hinter den beiden blessierten Stiftsherren zappelten die ehrbaren Nonnen und die frummen Fräulein einträchtig nebeneinander her, hielten sich bei den Händen gefaßt und beteten beim Springen den gleichen Hilfeschrei zur
allbarmherzigen Himmelskönigin.
Wer von diesen Fliehenden die verstörten Augen über die Schultern drehte, konnte droben auf der Hallturmer Straße, von jagendem Nebel halb umschleiert, ein winziges Figürchenspiel entdecken, das sich hurtig gegen Berchtesgaden bewegte. Aus der Ferne beschaut, erschien es fein und zierlich. In der Nähe wars ein Schauder und Grauen.
Hinter fliehenden Fußknechten des heiligen Peter kam ein
Schwärm der Burghausener Harnischreiter einhergesprengt. Nach der blutigen Arbeit bei der Hallturmer Mauer blühte diesen Siegern das lustige Sackmachen zu Berchtesgaden. Wer jetzt den flinksten Gaul hatte, fand die reichste Beute und konnte das Haus wählen, das er plündern wollte. Wie der Hagel auf die Ähren schlägt, so stampften die Gäule immer wieder in einen Trupp der Fliehenden hinein. Wer von diesen Bedrohten nicht über den Hang der Straße
hinuntersprang – wer in einem Wahnwitz, den er als Tapferkeit empfand, sich wider die rollende Eisenwalze zur Wehr setzte – der wurde niedergeritten, niedergeschlagen, niedergestochen.
Weit hinter dem Reiterschwarme jagte ein schlanker Falbe, der sich beim Rennen wie ein Windhund streckte. Im Sattel gaukelte ein junger Mensch. Seine Rüstung war von Erde und Asche umkrustet, mit geronnenem Blut gesprenkelt. Die Linke hielt den Zügel vorgeschoben; die
Rechte, die schlaff hinunterhing, umklammerte den Griff des Schwertes. Er hatte den Helm verloren, trug nur die Kettenhaube – und aus dem kleinen Oval des Stahlgeflechtes sah ein blasses, von Schweiß und Schmutz geflecktes, fast zur Unkenntlichkeit verzerrtes Knabengesicht heraus. Immer hörte er zwei zornige Stimmen schreien, weit hinter sich. Der eine von den beiden, die immer die gleiche Silbe kreischten, ritt auf einem keuchenden Schimmel, der andre auf einem erbeuteten
Roß, das eine Gadnische Herrenschabracke trug. Die beiden hetzten ihre Pferde, doch immer größer wurde die Entfernung zwischen ihnen und diesem andern.
Als hinter den Wiesenhügeln die ersten Dächer von Berchtesgaden auftauchten, hatte der Falbe den jagenden Reiterschwarm schon eingeholt. Mit keinem Spornstreich hetzte der junge Mensch den Gaul. Aber bis auf die Mähne beugte er sich und bettelte mit flehenden, leisen Lauten. Und der Falbe
streckte, streckte und streckte sich, überholte wieder und wieder einen von den ändern Reitern, kam mit der Nase voraus und jagte als erster in die leere Marktgasse von Berchtesgaden hinein.
Als der Reiterhauf um die Wende der Gasse sauste, fiel ein Geknatter über die Dächer her, und droben auf dem Berghang pufften kleine Wölklein auf, die Schüsse von Faustbüchsen. Zwei von den Reitern fielen unter die Gäule – ein Roß, das
in den Kopf getroffen war, stieg mit fuchtelnden Hufen in die Luft. Auch der Bub auf dem rasenden Falben wankte. Doch er hielt sich an der Mähne. Vor einem Haus, durch dessen Erkerglas ein weißes Frauengesicht in Angst herausguckte, wollte er das Pferd zum Stehen bringen. Der Falbe prellte noch eine Strecke weit voraus. Mit zerrenden Fäusten wendete der junge Reiter den Gaul und erreichte an Amtmann Someiners Haus das Tor in dem gleichen Augenblick, in dem der Sackmacherschwarm
heranrasselte. Der erste Häuf jagte weiter, zum Stift und zu den Kirchen, aus denen sich die fetteste Beute holen ließ. Die Nachtrabenden wählten unter den Häusern der Gasse.
Der Bub blieb im Sattel sitzen, weil er vor Schwäche nicht aus dem Bügel kam. Er drängte den Falben breit vor das Tor, und der Gaul ließ den Kopf hängen und pumpte mit zitternden Flanken, von denen die weißen Schweißflocken herunterfielen.
Ein paar von den Reitern, die in der Gasse wählten, kamen flink dahinter, daß der Bub unter den Häusern das beste zum Sackmachen gefunden hatte. Sie wurden grob und wollten den Falben vom Torbogen wegziehen. Mit erwürgter Stimme schrie der Bub: »Das Haus ist mein! Und rührt mich einer an, so schlag ich zu!« Das Ding drohte bös zu enden. Da kamen zwei Pferde die Straße hergejagt, das Roß mit der Gadnischen Herrenschabracke
und der keuchende Schimmel. Malimmes war zuerst bei dem Buben. Er sprang aus dem Sattel, stieß die maulenden Reiter fort, faßte den Jul am Arm und brüllte wütend: »Du Lausbub, du narrischer! Was hast du denn da für eine Dummheit gemacht! Da hättst du hin sein können!«
Jul schüttelte den Kopf und lächelte stumm in seiner Erschöpfung. Nun lachte auch Malimmes. Und Runotter trat zu dem Falben hin und lehnte das
entstellte Gesicht gegen des Buben eisernen Schoß. Grauenhaft sahen diese beiden aus. Ihr Wehrzeug hatte hundert Dullen und war von den Füßen bis zur Halsberge wie in dunklen Rost getaucht.
Von den Nachbarhäusern war ein dumpfes Krachen zu hören. Hier wurden Gewölbtüren und Kästen in Trümmer geschlagen. Und von überall klangen zeternde Stimmen, die um Hilfe schrien.
»Hui, da zwicken die
Raubleut!« Lustig guckte Malimmes an dem schmucken Haus hinauf. »Brav, Bub! Gut hast du gesorgt für unsern Sack!«
»Nit rauben!« knirschte Runotter. »Aber das Haus in Scherben schlagen! Und Feuer in die Amtsstub werfen!« Er stieß den gepanzerten Fuß gegen das Haustor.
Einen verstörten Blick in den Augen, sagte Jul mit strenger Stimme: »Das Haus hat Fried. Ich wills. Das ist nit des
Amtmanns Dach. Da hauset ein andrer. Der hat meinen Bruder auf seinen Gaul gehoben.«
Während Runotter wortlos die Zügel der drei Gäule faßte, guckte Malimmes mit gut gespielter Verblüffung drein: »Nit schlecht! Und jetzt hab ich mein ganzes Spargut versoffen und verknöchelt – bis auf drei Goldpfennig und einen schlechten Landshuter Gulden!« So sagte er. Doch was ihm den Hosensack so mager gemacht hatte, das war der
unverschämte Preis gewesen, den Herr Grans für das gute Wehrzeug des Buben gefordert hatte.
Jul wollte aus dem Sattel steigen. »Malimmes – tu mir helfen –«
Der griff mit hurtigen Fäusten zu, hielt den Buben an die Brust geklammert, drosch mit der freien Faust auf das Haustor los und schrie zum Erker hinauf: »Frau! Höia! Das Tor auf! Euer Haus hat Ruh. Bei Gottes Blut!«
Ein Gerappel im Flur. Riegel wurden zurückgeschoben, und eiserne Stangen klirrten. Die Tür ging
auf.
Malimmes sagte zu Frau Marianne, die weiß in der Dämmerung des Flures stand: »Dem Buben müßt Ihr ein Vergeltsgott sagen, Frau! Der ist mit dem Teufel in die Wett geritten, um Euer Haus wider die Raubleut zu hüten.« Er führte den Buben zu der Steinbank, die im Flur an der Mauer war. »Flink, Frau! Ein Trunk Wein muß her und ein Bissen Brot.«
Die Amtmännin rannte über die Treppe
hinauf. Und der Flur verfinsterte sich, weil Runotter die drei Gäule hereinführte. Er sagte müd: »Da muß doch ein Stall sein, nit?« Die zwölf Hufe klapperten über die Bohlen. Und Runotter drehte das Gesicht nach der vergitterten Tür der Amtsstube.
Drei suchende Sackmacher wollten ins Haus herein. »Langsam!« Malimmes zog das Eisen blank. »Da ist schon wer!« Die drei gingen schimpfend davon. Malimmes blieb
unter dem Torbogen stehen, um die Schwelle zu sperren. Als Frau Marianne kam, mit einem Brotwecken, mit einem gehäuften Teller und zwei bauchigen Weinkrügen, drehte Malimmes das Gesicht und sagte zu Jul: »Nimm kein Fleisch nit! Bloß trückenes Brot.« Schweigend aß der Bub, und Frau Marianne, mit kollernden Tropfen auf den blassen Wangen, saß neben ihm und reichte ihm die Brotscheiben hin. »So!« sagte Malimmes. »Jetzt tu einen Trunk!
Aber fest!« Frau Marianne hob den Krug und ließ den Buben trinken, bis er die Kanne fortschob und mit seiner linden Knabenstimme sagte: »Vergeltsgott, liebe Frau! Mir ist wieder wohl.«
Malimmes fragte: »Hast du wahrhaftig genug?«
Der Bub nickte.
»Also her damit!« Malimmes nahm einen festen Rinken Brot und die Kanne, aus welcher Jul getrunken hatte. »Frau, den andern Krug und den
Teller müßt Ihr meinem Herrn in den Stall tragen.« Er trank wie ein dürstendes Roß.
Auf der Straße ein Getrappel vieler Hufe. Malimmes guckte zum Tor hinaus. Es waren die Hauptleute, Herr Seipelstorfer und Martin Grans mit Gefolge.
Herr Grans deutete lachend: »Da steht ja der Baurensöldner, den wir unter den Toten gesucht haben.«
Die Herren kamen zum Haustor hergeritten, und
Hauptmann Seipelstorfer sagte: »Mann! Heut in der Nacht hast du die beste Arbeit gemacht. Sonst täten wir noch allweil vor der Hall turmer Mauer hocken. Man wird dich lohnen dafür.«
»Das kann ich gleich brauchen!« Malimmes lachte. »Darf ich eine Bitt tun? Das Haus da ist Raubgut meines Herren. Möchtet Ihr nit ein Schutzfähnl vor die Haustür stecken?«
Ein weißes Fähnlein mit dem
Fürstenzeichen wurde vor der Schwelle aufgestellt. Dann ritten die Herren mit ihrem Gefolge zum Stift, um in den Stuben des Propstes Quartier zu nehmen.
Jetzt konnte Malimmes das Eisen ins Leder stecken – hinter jeder Ungebühr wider den weißen Tuchlappen, der da vor dem Haus des Amtmanns baumelte, stand der Galgen.
Der Söldner ging auf den Buben zu, der mit geschlossenen Augen gegen die Mauer gelehnt saß. Und da kam
gerade Frau Marianne aus dem Stall zurück, mit einem neuen Schreck in den Augen. In dem von Asche, Schmutz und Blut bedeckten Harnischreiter, der die Gäule betreute, hatte sie den Ramsauer Richtmann erkannt. Und da zitterte sie um ihres Mannes Leben. Sie ging auf den Buben zu und wollte reden; doch um ihre Kehle lags wie eine würgende Faust.
»Komm!« sagte Malimmes zu Jul. »Du mußt dich waschen und brauchst ein Bett.«
Jul flehte: »Laß mich da noch sitzen eine Weil!«
»Ins Bett!« Malimmes wandte sich grob an die Amtmännin. »Ich will für den Buben eine gute Stub.«
»Eine Stub ist leer, mein bestes Bett ist drin. Ich lauf gleich, daß ich alles richten kann.« Frau Marianne hastete über die Treppe hinauf. Dabei hörte sie einen kommen und sagen: »So, die Gäul sind
versorgt.« Lautlos wollte sie über die letzten Stufen der Treppe hinaufschleichen. »Frau! Ein Wörtl!« Wie versteinert blieb sie stehen und klammerte sich an das Geländer,
Klirrend kam Runotter über die Treppe herauf. »Ist der Amtmann im Haus?«
Sie stammelte: »Ach, guter Mensch – bei Gottes Barmherzigkeit, meinem Ruppert ist übel.«
Hart sagte der andre:
»Nit lang ists her, da ist mir auch nit wohl gewesen in dem Haus da.«
»Mensch, Mensch, so hab doch Mitleid mit einem Siechen!«
Runotter lachte grell. »Ich will ihm nur Grüßgott bieten. Das ist doch nötig, nit, wenn man als Gast in ein Haus kommt?«
Frau Marianne schüttelte heftig den Kopf. »Er nimmts für geboten an.«
»Wollet Ihr mich
nit führen, Frau, so such ich den Amtmann selber.«
Da ging ihm Frau Someiner schweigend voran in die Wohnstube. Hier brannten sehr viele wohlriechende Räucherkerzlein, während das schwere Pendel der Kastenuhr sein altes Wort sagte: »Bau! Bau! Bau!«
Frau Marianne öffnete die Tür der Schlafkammer, in die das Licht von zwei kleinen Gartenfenstern hereinfiel. Das große Ehebett war zur Hälfte bedeckt, zur
Hälfte offen. Leer war auch die offene Hälfte. Denn Herr Ruppert Someiner, von einem Anfall seines Leidens gepeinigt, saß wie ein Häuflein des bittersten Elends in einem hölzernen, wunderlich geformten Lehnsessel, hemdlings, Leib und Beine von einer geblümten Decke umhüllt, abgemagert, klein zusammengekrümmt, fahlgesichtig, mit hilflos irrenden Augen.
»Schau, Ruppert«, stotterte die Amtmännin, »da kommt einer
– mußt keine Sorg haben – bloß Grüßgott will er sagen. Ich tu dich ins Bett heben, komm!«
Herr Ruppert stöhnte: »Ich kann nicht–« Er wurde stumm, sein Gesicht veränderte sich, und das Kinn fiel ihm schlaff gegen die Hemdkrause.
Runotter stand auf der Schwelle, wortlos, die beiden Fäuste über dem Knauf seines Schwertes, das er vor sich hingestoßen hatte.
Draußen in der Wohnstube klang immer dieses »Bau! Bau!« Und wie aus weiter Ferne hörte man kreischende Menschenstimmen, Gepolter und Gerassel, den Lärm des Sackmachens in den Nachbarhäusern.
»Also, Gestreng Herr Amtmann? Wie ist das jetzt? Dürfen die siebzehn Ramsauer Küh auf der Mordau grasen? Oder müssen die siebzehn Ochsen hinauf?«
»Mordau?« lallte Herr Someiner.
»Wohl! So hat man das Hängmoos taufen müssen. Mein Bub erwürgt, hundert Leut erschlagen, mein Haus ein Kohlhaufen, hundert Dächer vom Feuer gefressen, ein Dorf im Elend, ein Land verwüstet, Mord und Not in der Welt – und was Recht heißt, muß in Angst auf dem Schmelzbänkl hocken.«
Herr Ruppert fand keine Antwort. Sein Gesicht wurde so grau wie Asche.
Der Bauer nickte. »Jetzt
ist das so. Und keiner machts nimmer anders. Wenn ich Euer Leben in Scherben schlag, wies die Herren gemacht haben mit dem meinigen – was tats helfen? Gute Besserung, Herr Amtmann! Ich geh. Es schmeckt nit fein da herin.« Er ging durch die Wohnstube hinaus.
Frau Marianne atmete auf. Und Herr Someiner klagte in einer dunklen Logik seiner bedrängten Seele: »Das hätt ich mir meiner Lebtag nicht träumen lassen, daß ein redliches Mannsbild
so in Untreu verfallen könnt!«
»Mann, ja Mann, so nimm doch ein lützel Verstand an!« grollte die Amtmännin, während sie den Leidenden in das Bett schleppte. »Der hat doch mit seinen Leuten unser Haus gehütet wider die Raubleut.«
Durch dieses Wort und in der Bettwärme schien Herr Ruppert zu einer milderen Anschauung zu gelangen. Aber er hatte mit seiner Rede, die der andre noch vernommen, einen schweren Schlag auf den quälenden Stachel
getan, der seit vielen schlaflosen Nächten im Runotter bohrte.
Als der Bauer hinunterkam, sah Malimmes ihn verwundert an. »Herr? Was hast du?«
»Nichts.« Runotter legte seine schwere Hand auf die Kettenhaube des Buben. »Ich geh zu den Gäulen.«
Wieder rasselte auf der Straße ein Reitertrupp vorbei. Zwei im ledernen Holdenküraß, mit erbeuteten Pferden, hielten vor der
Haustür, der Altknecht des Runotterhofes und Heiner, der bei lachendem Gesicht eine Blutkruste auf der Stirn hatte.
Durch den Eisenhut wars durchgegangen. »Aber das gute Käpplein der Traudi hat grad noch ausgehalten.«
Der dritte von den Knechten fehlte. »Wird schon kommen!« tröstete Malimmes. Aber dieser dritte blieb aus.
Die Magd mußte Speis und Trunk bringen, mußte den
vergitterten Eingang der Amtsstube aufsperren und in diesem geheiligten Raum die Heulager richten.
Über die Treppe rief Frau Marianne herunter: »Das Stübl ist fertig.«
»Komm, Bub! Wann nit gehen kannst, ich trag dich.«
»Es geht schon.«
Als Frau Marianne droben im zweiten Stockwerk vor den beiden Mannsleuten die Tür der kleinen weißen Stube auftat, sah der
Bub erschrocken die Kleider an, die von einem Zapfenbrett an der Mauer herunterhingen. Ein grünes Reiterwams aus Hirschleder war dabei, mit violett geflügelten Ärmeln.
»Nur Mut!« mahnte Malimmes mit einer wunderlichen Stimme. »Ist kein Feind nit da!«
Das Stübchen duftete herb, obwohl die zwei Kerzen nicht brannten. Wasser war in dem kupfernen Becken und Wasser in der kupfernen Kanne. Vor dem Waschtisch war eine
dicke Kotze auf den Boden gelegt. Das große, weiß verhangene Bett, neben dem ein Tischlein mit Wein und Speisen stand, war aufgedeckt. Schweigend richtete Frau Marianne die Kissen und ging aus der Stube.
Malimmes hob dem Buben die Kettenhaube über die Ohren. Das schwarze Haar war dicht an den Kopf geklebt, auf den Wangen sah man wie eine Blutzeichnung das Muster des Ringgeflechtes, und das schmale Oval, das die Kettenhaube vom Gesichte freigelassen hatte,
war braun und grau. Unter heiterem Schwatzen zog Malimmes an des Buben Küraß die Schnallen auf. Nun plötzlich der Laut eines fürchterlichen Schrecks. Der Küraß hatte auf der Brustplatte ein kleines, rundes Loch mit einwärts gebogenen Rändern. »Bub, bist du letz?«
Jul schüttelte den Kopf. »So viel gut ist mir.«
Malimmes riß ihm den Küraß herunter. Das Geschoß der
Faustbüchse hatte den Stahl durchbohrt und war in dem Lederpolster, das wie eine große Brille aussah, kraftlos hängen geblieben. »Guck, mein gescheites Pölsterlein!« Und lachend legte Malimmes auf die Hand des Buben ein kleines Ding wie eine graue, zerquetschte Nuß.
»Vergeltsgott, Mensch!« Jul atmete auf und betrachtete die zerdrückte Kugel. »So kann der Tod ausschauen!« Fest schloß er die Hand
um das kleine Bröcklein Blei.
Malimmes schnallte die letzten Eisenstücke von dem Buben herunter, immer heiß und übermütig schwatzend.
»So! Jetzt tu dich waschen! Fest! Was Eisen ist, nimm ich mit. Dein Gewand mußt du vor die Tür hinaustun. Und liegst du im Nestl, so iß und trink!« Er strich mit der Hand über das weiße Lager hin. »Da wirst du gut schlafen.« Seine Stimme bekam
wieder jenen wunderlichen Klang. »Und lieb wirst träumen, paß auf!« Er lud das klirrende Eisenzeug auf Arm und Schulter. Draußen blieb er stehen, bis er innen an der Türe den Riegel hörte. Er nickte vor sich hin. Und plötzlich wurden seine Züge ernst und müd. Langsam, wie mit zerschlagenen Knochen, stieg er die Treppe hinunter.
Vor dem Hause ging ein lärmendes Gedräng vorbei. Der Hauf der Spießknechte
rückte in Berchtesgaden ein. Manche hatten verbundene Köpfe, und viele trugen um die Schuhe noch die dicken Lumpen, die sie vor dem Sturmlauf naß um die Füße gebunden hatten, damit ihnen die unter der Asche noch verborgene Glut des niedergebrannten Waldverhaues das Schuhleder nicht versengen möchte.
Der Hauf brachte die Gefangenen, unter denen der alte Armansperger war, der Hauptmann vom Hallturm.
Die Schwerverwundeten des
bayrischen Heerhaufens hatte man zur Plaienburg hinuntergeschafft, die Toten begraben. Die Gefallenen der Gadnischen Besatzung hatte man liegen lassen; um die hatte sich der heilige Peter zu bekümmern, von dem augenblicklich niemand wußte, wo er sich aufhielt. Die Flüchtigen seiner Kriegsmacht waren gegen Schellenberg hinausgeprellt; die meisten hatten sich zur festen Gadnischen Grenzburg am Hangenden Stein gerettet. An die zwanzig, die verwundet waren und nimmer weiterkamen,
wurden aufgestöbert – unter ihnen Marimpfel mit einer Kopfwunde, die ihm tiefer ins Blut als ans Leben gegangen. Von den Faustschützen, die auf die Reiter in der Marktgasse geschossen hatten, wurden drei erwischt. Sie erlebten noch einen schönen Abend; denn der Himmel und die Berge begannen sich zu klären; die sternhelle Mondnacht erlebten sie nimmer; bevor es dämmerte, hingen sie an dem Galgen, den man auf dem Marktplatz neben dem Brunnen errichtet hatte.
Im Verlaufe dieses schönen Abends gab es noch einen Alarm. Von der Gadnischen Besatzung am Schwarzenbach, wo der heilige Peter ebenfalls mit fehlendem Glück wider eine Übermacht gefochten hatte, kam ein Häuflein fliehender Reiter durch die Ramsau nach Berchtesgaden gejagt. Ein paar entrannen, die andern wurden gefangen oder niedergestochen. Und hinter ihnen erschienen die Sackmacher des heiligen Zeno. Sie fanden zu Berchtesgaden abgespeiste Tische und leere
Kästen. Es gab Gezänk und Raufereien. Die zu kurz Gekommenen zerstreuten sich im Tal, um die einschichtigen Bauernhöfe heimzusuchen. Herden von Vieh, Schafen, Ziegen und Schweinen wurden zusammengetrieben – item verloren viele Gänse, Enten, Hennen und Tauben die Köpfe, ohne daß der Amtsschreiber Pießböcker diesmal die Ziffern notieren mußte. Und ehe die schöne Nacht über die Berge hinging, flammten an vielen Orten die Dächer
auf, in die ein mutwilliger oder enttäuschter Sackmacher das Feuer geworfen hatte.
Zu Berchtesgaden hausten die Raubleut schauerlich. Einer von den höfischen Ministerialen brachte nach Einbruch der Nacht die Kunde dieser Greuel zur >Klostergrube< hinter dem Königssee, wo an die sechzig Flüchtlinge des fürstpröpstlichen Hofes versammelt waren, in einer Höhle und unter Zelten, auch unter freiem Himmel, im träumerischen Bergwald und
bei lustig flackernden Feuern, an denen emsig gekocht und gebraten wurde.
Herr Jettenrösch, der nicht nur das schmuckste Pfennigweiblein, sondern auch eine poetische Ader besaß, wurde durch die Schilderung der Sackmachergreuel dichterisch angeregt. Während er im Schoße des frummen Fräuleins Rusaley die von den Musen geküßte Stirne ruhen ließ, preßte er seinen Zorn über die Missetaten des Feindes in eine
vaterländische Elegie, deren lateinische Hexameter besagten:
»Vierzehnhundert zwanzigundeins, im Jahre des Unheils,
Als die siebzehnte Sonne des Juli aus Nebeln emporstieg,
Wurde mein Berchtesgaden tückisch bekriegt und geplündert.
Gleich einer heidnischen Horde warf sich der Feind in den Tempel,
Raubte den kostbaren Schmuck, entraffte die frommen Geräte,
Schleppte die Meßbücher fort und
– leider – die wertvollen Kelche,
Samt den mit edlem Gestein umkrusteten Knöchlein der Heilgen.
Dreimal weh den Verruchten, die an des Münsters Altären
Häcksel, Hafer und Heu ihren mistenden Rossen geboten!
Solcher Frevel ward noch erhöht durch greuliche Sünde:
Denn die verdammten Halunken – so nicht wissen, wer Gott ist –
Schleuderten nicht nur schändlich fort die göttliche Zehrung,
Nein,sie stahlen – o pfui! – uns auch die Monstranz noch, die goldne.
Zwiefach wurde der göttliche Kult gestört und geschädigt:
Nicht nur die Priester mußten entfliehn, auch die Schwestern, die frommen,
Da sie mit Recht die Schändung der heiligsten Güter besorgten.
Weh! Diesen Greuel verschuldete Herzog Heinrich der Schwarze.
Nennt sich: katholischer Christ! Und ist eine Geißel der Kirche!
Fürst
von Bayern, du, hab acht, dein wartet die Hölle!«
Als der Mondschein über die Wipfel des Bergwaldes hinglänzte und am Feuer die schmorenden Gänse dufteten, trug Herr Jettenrösch mit einer Stimme, die von Ergriffenheit bebte, seine lateinische Dichtung vor. Und als der begeisterte Sänger schloß und in der Stille des Bergwaldes erwartungsvoll umherblickte, erhob sich reichlicher Beifall. Es applaudierten auch jene, die gar nicht Latein verstanden.
Der junge Sigwart zu
Hundswieben preßte das Gesicht in die Hände und bewegte schluchzend die Schultern.
»Liebster?« fragte der geschmeichelte Dichter. »Weinst du über das Unglück unsres Landes?«
»Nein!« Hundswieben hob das grinsende Gesicht mit dem Pflasterknoten auf der Nase. »Unser unglückliches Land wird sich in Bälde wieder erholen. Ich weine über deine schlechten Verse, die in Ewigkeit nicht
mehr besser werden.«
Herr Jettenrösch ärgerte sich. Alle ändern lachten. Die heitere Stimmung mehrte sich noch, während man die am Spieße knusperig ausgefallenen Gänse verzehrte und gegen die Kühle der Bergnacht mit stark gewürztem Glühwein ankämpfte, der nicht nur den Magen wärmte, auch das Blut in allen Adern befeuerte. Gewagte Scherzworte flatterten auf; neben den erlöschenden Feuern begannen allerlei
Zärtlichkeiten heimlich zu spielen, und die Töchter der Hofbeamten ließen sich von den Domizellaren in modischen Gebräuchen unterrichten. Sogar die jungen Nönnlein beteiligten sich lebhaft an Gesprächen, wie sie sonst im Schwesternhause niemals geführt wurden. Und sie bekamen glühende Wangen, als die frummen Fräulein Rusaley, Aglaja und Gerilind ein süßes, sehnsuchtsvolles Liedchen mit feinem Dreiklang hinauszwitscherten in die stille,
schöne Nacht.
Das Mondlicht tauchte hinter den Watzmann hinunter, das sanft rauschende Dach der Bäume wurde finster, kleine Leuchtkäferchen flogen um, und während es den Anschein hatte, als wäre das Lager der Flüchtigen schon tief in Schlummer gesunken, huschte mit leisem Kichern das ewig Menschliche durch den friedvollen Bergwald –
– Um diese dunkle Stunde erwachte zu Berchtesgaden eine Schläferin und fuhr
aus den Kissen auf, geweckt durch einen heiser gellenden Schrei der eigenen Kehle.
Ihre verstörten Augen irrten in der Finsternis, von der sie umgeben war, und fanden die matte Helle des kleinen, vergitterten Fensters. Mit wirbelnden Sinnen, und unter tobenden Herzschlägen begann sie dieses Entsetzliche zu verstehen: Die Feinde hatten sie gefangen, hatten ihr das blutige Eisen aus der Faust gewunden und hatten sie zu ewiger Strafe verdammt; und nun lag sie in
diesem finsteren Kerker, zu gerechter Buße für die unmenschliche Tat, die sie begangen hatte im Grausen der Schlacht. Begangen? Wer? Ihre eigne Faust, ihr Herz, ihr Wille? Nein! Nein! Nur dieses schreckliche, von einem bösen Geist geführte Eisen hatte das Grauenvolle verbrochen. Dieses Eisen, das ein lebendiges Ding mit eignem Willen war und immer stach und schlug und mordete! Dieses Eisen, das ein widerstrebendes, von allen Schrecken der Erde gepeinigtes Menschenkind hinter
sich her riß und die an den Schwertgriff gebannte Faust mißbrauchte, um eine geliebte Stirn zu spalten.
Zitternd an allen Gliedern, brennend an Leib und Seele, saß die Erwachte in den Kissen, immer gemartert von der Angst, daß sie diesen heiseren Todesschrei des Erschlagenen noch einmal hören müßte.
Die Finsternis eines Kerkers? Nein! Das war die schwere Nacht, die sich über das Schlachtfeld beugte. Mit
dunklem Mantel umwickelte sie die vielen noch Lebenden, die sich in Schmerz und Wunden krümmten, und bedeckte schwarz die vielen Toten, die sich nimmer regten. Wie verkohlte Pfähle lagen sie da. Nur ein einziger glich noch einem Menschen, war klar zu sehen, deutlich zu erkennen. Wie in schöner Sonne lag er inmitten dieser grauenvollen Finsternis, hatte einen roten Blutstrom auf der weißen Stirne, war tot und hatte dennoch offene, lebende Augen. Und als die Suchende kam,
diese verzweifelt und ruhelos Irrende, da richtete sich der Tote wie durch ein Wunder auf, war anzusehen wie die Lichtgestalt eines Heiligen, streifte mit langsamer Hand das Blut von seiner Stirne fort, lächelte ein bißchen und sagte leis: »Ich bin nicht, was du mich gescholten hast. Warum erschlugst du mich?«
Sie wollte schreien und streckte die Arme. Da zerfloß das leuchtende Bild in der Finsternis. Und die tastenden Hände der völlig
Erwachten fühlten die kühle Mauer, fühlten das Tischlein mit Teller und Glas, die Vorhänge des Bettes und die linden Kissen, die heiß waren von der Glut ihres zitternden Leibes. Und da fiel in ihre Seele ein neuer Sturm, der sich mischte aus Schmerz und Sehnsucht, aus Glück und Freude. Jetzt wußte sie, dieses Fürchterliche war nur ein Traum gewesen, ein böser Traum, der sich weitergesponnen hatte vor ihren offenen Augen. Und da wußte sie auch
wieder, wem diese kleine Stube gehörte – wußte, in wessen Bett sie lag. Erschrocken und selig preßte sie unter zerbissenem Schluchzen das Gesicht in die Kissen, die naß wurden von ihren Tränen. Und während ein lautloses Schluchzen ihren Körper schüttelte, glitt alles, was seit den Gewitterstunden auf dem Untersberg nur ein unbewußtes Erleben gewesen, in jagenden Bildern an ihr vorüber.
Diese grauenvolle Nacht! Sie
ist wie ein Zorngericht des Himmels, der die sündhafte Erde verdammt. Dieses ohrenbetäubende Rauschen des Regens, der den lohenden Brand des Waldverhaues ertränkt und in der Finsternis auf die Menschen lospeitscht! Dieses Feuerschwimmen der Blitze, das ruhelose Gebrüll des Donners! Zwischen Sturzbächen und springenden Felsbrocken kämpfen sich die Sechsundzwanzig Schritt um Schritt durch die steile Wand, bei jedem Atemzug bedroht von einer unsichtbaren Faust des
Todes. Mühsam und keuchend klettern sie. Kein Blitz mehr. Nur manchmal noch ein mattes Aufleuchten. Und immer ferner rollt der Riesenkarren des Donners. Unter dicken Nebelfluten will der Morgen grauen. Die Sechsundzwanzig hocken hinter Steinblöcken, die zum Sturz gerichtet sind, und harren im Gewoge des Nebels auf das Sturmzeichen vom Fuchsenstein. Der Tag wird hell, und sausender Westwind fährt in die Nebelschwaden. Manchmal taucht eine Bergrippe, ein Stück des Tales aus
dem wirbelnden Grau heraus. Da dröhnt der erste Schuß der >Landshuterin<. Schuß um Schuß, alle mit dem Echo zusammenrinnend zu einem ununterbrochenen Tongebrüll. Jetzt ein dumpfes Gerassel. Ein Turm ist gefallen, ist ein Schutthaufen über zerdrückten Leichen. Verwehte Menschenstimmen, wie das Kreischen lustiger Kinder. Spielen sie Krieg, diese Kleinen? Man hört ein Gemecker wie von winzigen Trompeten. Durch einen Riß des Nebels sieht man
drunten im Tal das Aschenfeld des niedergebrannten Waldverhaues. In dieser Asche kriecht eine lange, bunte Raupe mit glänzenden Haarbüscheln – die Kolonne der Stürmenden mit Langspießen und Mauerleitern. Wirres Geschrei, und jetzt ein feines Klingen, als würde ein Sack Münzen ausgeleert. »Achtung!« schreit Malimmes. »Die sind bei der Mauer schon handgemein.« Auf dem Fuchsenstein drei schmetternde Trompetenstöße. »Los!
Fürwärts!«
Ein Geklirr der Schienen und Platten. Eiserne Schultern stemmen sich gegen die fällig gestellten Felsblöcke. Sechsundzwanzig Stimmen schreien die Sturmlosung. Die Blöcke fangen zu rollen an, springen und poltern, verschwinden krachend im Nebel. Schreck und Verwirrung rennen dem Häuflein der Sechsundzwanzig als Kampfgenossen voraus. Der Widerstand der Besatzung, von einer dunklen Gefahr im Rücken gefaßt, wird
schwächer und zerflattert. Wie ein Schwärm von Flöhen hüpfen die Bayrischen über die zerbröselte Mauer. Und Fünfundzwanzig, die aus dem Wald herausbrechen, schlagen mit blitzenden Schwertern los. Nur einer, ein schlanker Bub, bringt keinen Streich zuwege, ist wie ein Blinder, wie ein halb Ohnmächtiger. Malimmes, der immer lacht und schreit, muß mit dem sausenden Bidenhänder die Hiebe der Gadnischen von dem Buben abwehren und kreischt ihm zu:
»Denk an den Jakob!« Und da schrillt die Stimme des Buben: »Jakob, Jakob, Jakob, Jakob!« Jeder Schrei dieses Namens wird ein zorniger Streich mit dem Eisen. Klirrendes Gemenge. Spritzendes Blut. Braune Gesichter werden bleich. Menschen stürzen und seufzen, winden sich stöhnend unter eisernen Tritten. »Los, los, fürwärts«, brüllt Malimmes, »hinter meinem Herren her, oder mein Herr ist hin!«
Mit dreschenden Hieben hat Runotter eine Gasse durch das kämpfende Gewühl gebrochen. Er schlägt und schlägt. Seine Augen suchen. Jetzt ein Schrei wie in tierischer Freude. Er hat den Gegner gefunden, den er suchte. Prasselnd fallen des Runotters Hiebe auf diesen Keuchenden nieder, der sich verzweifelt wehrt. Die Stahlhaube des Gadnischen Hofmanns geht in Scherben, ein rotes Bächlein fährt ihm über Nase und Bart. Da saust der lange Bidenhänder zwischen die beiden hinein, Malimmes stößt den Bruder seitwärts, faßt den Taumelnden am Bein, reißt ihn zu Boden – »Narr! Bleib liegen!« – und über den Blutenden geht das wüste Gedräng der Kämpfer hinüber. Auf allen vieren fängt Marimpfel zu kriechen an, gewinnt den Waldsaum, reißt einen von den angepflöckten Gäulen los und klettert mühsam in den Sattel des scheuenden Tieres.
Ein letzter, wilder Kampf um Hof und Torhalle der Feste. Wieder sucht Runotter. Und findet. Jetzt fährt ihm auch kein Bidenhänder vor die dreschende Klinge hin. Unter dem lallenden Todesschrei »Herr Jesus!« bricht der Gadnische Vogt wie eine klirrende Eisensäule unter den Streichen des Bauern zusammen. Ein wirres, jubelndes Geschrei. Das Tor ist genommen. Die Brücke fällt. Durch die Torhalle drängen Herzog Heinrichs Harnischer. Der alte Hauptmann des Hallturms, Herr Armansperger, wird vom Gaul gerissen und gefangen. Mit drängendem Gewirre – halb noch Kampf, doch halb schon eine schauerliche Posse – beginnt die Flucht der Überwundenen, umschleiert von wehenden Nebelfetzen, umwirbelt vom Qualm der brennenden Gebäude. Die Sieger sind verwandelt in gierige Sackmacher. Hundert Stimmen schreien: »Die Gäul! Die Gäul!« Rennende Troßknechte. Ein Gewühl von Rossen, die man vom Aschenfeld hereinbringt durch die mit Leichen und Verwundeten gepflasterte Torhalle. Hinter den Flüchtenden geht ein grausames Jagen und Hetzen her. Und der schlanke Bub, ohne Eisenhut, mit blutbespritzter Kettenhaube, den Küraß und die Schienen von Schmutz und Asche umkrustet, rennt und schreit, findet den Falben, zerrt sich in den Sattel, taumelt auf dem Gaule, den er hetzt und mit schmeichelnden Lauten kost – und hinter dem Buben schreien zwei Erschrockene in Sorge: »Jul! Jul! Jul!« –
Vor der Seele des gequälten Menschenkindes, das in dunkler Nacht unter ersticktem Schluchzen das Gesicht in die Kissen wühlte, erlöschen die Bilder. Alles Geschehene wird ein Wirres und Unbegreifliches, ein Schauder und Grauen, wird eine müde Dumpfheit ohne Sinn und Willen, wird zur Marter einer hilflosen und verstörten Sehnsucht.
Um das kleine, vergitterte Altanenfenster dämmert das Erwachen des Tages.
Und irgendwo ist ein leises, ruheloses und wunderliches Tönen. Das klingt, wie wenn ein Schnitter seine Sense dengelt – und klingt, als wars der hastige Schlag eines stählernen Herzens gegen eine Brust von Eisen.