Frei Lesen: Der Ochsenkrieg

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Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg

3

eingestellt: 2.7.2007





Im schmerzenden Gehirn des Jul ein zusammenhangloses Gewirr von grau umschleierten Bildern. Dazu ein Gerüttel, das beim Jagen des Gaules zu schaukelndem Fliegen wird; ein quälendes Anprallen der Arme und Beine gegen schwarze Baumstämme; zärtliche Laute des Malimmes und grimmige Flüche; Geklirr von Waffen und der Todesschrei eines Erschlagenen; ein Niedersausen durch dämmernde Luft; der Sturz in den kalten See; ein würgendes Wasserschlucken; jetzt ein Auftauchen, ein peinvolles Erwachen; ein Rauschen und Plätschern; schwarz und triefend beugt sich ein Gesicht unter heißem Geflüster über den stöhnenden Buben her; die Hufschläge klirren über festes Land; immer keucht und hämmert ein Roß; und noch ein zweiter Gaul ist da, der in Kreisen läuft und so schmetternd wiehert, als wärs der Falbe! Alles schwere Eisen löst sich vom gerüttelten Leib – Malimmes reißt dem Buben die Wehrstücke herunter und schleudert sie in die Nacht hinaus – die gequälte Brust kann leichter atmen, nur diese eiserne Pein um die Stirn herum ist immer da und ist wie ein Schmerz, an dem man sterben muß.



Ist das der Tod? Dieses müde, auch unter Qual noch wohlige Dämmern? Und träumen die Toten? Träumen sie von glühenden Küssen auf Wangen und Augen? Hat der Tod zwei starke, harte Arme, mit denen er die Gestorbenen an seinem stählernen Herzen wiegt? Ist der Tod ein Reiter? Ein ruheloser Reiter? Warum brüllt der Tod mit so fürchterlicher Stimme: »Kohlmann, stoß mir das Kienholz in deinen Meiler!« Jetzt lacht der Tod, als hätte er das Lachen vom Malimmes gelernt. Und ein Feuer ist da, dicht vor den Augen, immer tanzt es und gaukelt. Neben dem Feuer flammt ein zweites auf. Und eins von diesen beiden Feuern wird ein brennender Stern, der schön davonfliegt. Immer reitet der Tod. Und immer wieder sind diese beiden Flammen da, und wieder wirbelt eine von ihnen in die schwarze Nacht hinaus. Hinter dem reitenden Tode schreien verzweifelte Menschen. Und wo sie schreien, dort muß das Leben sein, dort ist es so hell, wie brennende Häuser sind.



Der Tod wird müde. Er reitet langsam. Nun ist er daheim, in tiefer Finsternis. Eine ferne, ferne Stimme: »Höi, Bäurin, komm her, sei so gut und hilf mir den Buben tragen!« Es lösen sich Stricke und Ketten, die wie schneidende Schmerzen waren. Da rauscht ein Bach, dessen Wellen wie Eisen klingen. In der Wohnung des Todes gibt es viele Gepanzerte auf schwarzen Rossen. Unter den Kriegsleuten des Todes muß Malimmes sein. Man hört ihn reden. Seine Stimme ist greisenhaft. Und plötzlich kreischt eine andere Stimme in schrillendem Zorn: »Den Törring zerreib ich auf Mus! Die Chiemseer sollen ihr eigenes Wasser saufen! Gott solls wollen!« Und dann ist alles eine schwarze Nacht, ein martervolles Schweigen.



Kann man sich bewegen in einem Grab? Leiden auch die Toten noch Schmerzen, unerträgliche Schmerzen in allen Gelenken? Schmeckt die Erde, die ein Toter im Munde hat, nach Zimmet und gewürztem Wein? Liegt man im Grab auf linden Decken und Kissen? Glüht in der Wohnung des Todes ein rotes Kohlenfeuer? Haust der Tod in einer armen, kleinen Bauernstube mit winzigem Fensterloch, durch das die mager gewordene Sichel des Mondes hereinblinkt? Und wie das seltsam ist, daß die Toten nicht einsam sind! Immer ist einer da, der sie mit zitterndem Arm umschlungen hält, nach Schweiß und mooriger Erde riecht und einen heißen Atem hat.



Ein sanftes Rütteln an den Schultern des erwachenden Buben. Und eine bettelnde Stimme: »Kennst du mich noch allweil nit?«



»Malimmes?«



Da lachte ein Glücklicher: »Heilige Mutter, hab ich jetzt noch ein Quentl Speck am Leib, so laß ich mirs aussieden auf ein Kerzl für dich!« Malimmes sprang zu dem niederen Herd, auf dem das Kohlenfeuer züngelte, und brachte in einer Kupferschale was Dampfendes, das nach Wein und Gewürzen roch. »Geh, tu noch ein Schlückl! Das mischt dir das müde Blut schön auf.«



Der Bub, als er getrunken hatte, sah wirr umher und tastete an seinem Körper herum.



»Nichts, Bub, nichts! Du bist gesund an allen Gliedern. Ein lützel verprellt und übermüdet. Dritthalb Stund so hängen müssen, vor mir, auf dem Sattelknopf – das zerbröselt einem die Knochen.«



Noch immer tastete der Bub. Nun schrie er wie ein Menschenkind, dessen Seele verzweifelt: »Mein Helm? Mein Helm?«



»Ist alles da!« Ein müdes und leises Lachen. »Seinen Helm hast du, auf seinem Gaul bist du gehangen, in seinem Bett bist du gelegen. Jetzt brauchst du ihn bloß selber noch.«



Jul schien nicht zu hören. Immer griffen seine Hände. »Mein Helm? Mein Helm?«



»So schau doch, da drüben liegt er! Dein ganzes Wehrzeug hab ich verschmeißen müssen beim Ritt. Bloß dein Eisenhütl hat nit auslassen. Das hat dir so ein Chiemseer Lauskerl aufs Köpfl gedroschen, daß ich mit der Bäuerin ihrer Beißzang das Schirmdach hab aufzwicken müssen. Aber geh, komm, Bub, tu noch ein Schlückl! Unter deinem Haardächl nebelts noch allweil ein lützel.« Malimmes hob die Kupferschale an den Mund des Buben.



Jul erwachte völlig. »Der Vater? «Was ist mit dem Vater?«



»Tu nit Angst haben! Der Herzog reitet schon. Vierhundert Harnischer sausen. Wir haben die zweite Morgenstund. Ehs wieder nächtet, ist der Vater bei dir.«



Da wurde der Bub ruhiger, fiel auf die groben Kissen hin und atmete tief. »Wo bin ich denn?«



In Raitenhaslach. Da ist Burghausen nit weit.«



Die Sinne des Buben schienen wieder zu erlöschen. Oder kam in seiner Erschöpfung der Schlummer?



Malimmes rüttelte ihn heftig an den Schultern. »Nit schlafen! Tu dich aufrichten!«



Jul versuchte sich aufzuheben und fiel mit übereinander gebissenen Zähnen wieder auf die Kissen hin. »Ich kann nit.«



»Wollen mußt du! Dann gehts.« Malimmes faßte den Buben unter den Ellenbogen. Und da konnte Jul sich aufrichten. »Gelt, es geht?« Malimmes lachte. »Ich bring dich schon wieder zu Kräften. Aber ein lützel gescheit mußt du sein! Gelt ja?«



Jul nickte unter schweren Atemzügen.



»So komm!« Malimmes wollte das lederne Wams des Buben öffnen.



Der wehrte sich erschrocken. »Mensch! Was tust du mir?«



»Hast nit gesagt, du willst gescheit sein? Anders kann ich nit helfen. Da mußt du den Kittel wegtun lassen. Und alles.«



In Scham und Erschöpfung zitternd, sah Jul den Söldner mit flehenden Augen an.



Malimmes sagte ruhig: »Bist doch ein Bub! Nit? Da mußt du auch tun können wie ein Mannsbild. Und hab nit Sorg! Es ist niemand im Haus. Der Bauer und sein Bub haben mit dem Herzog fort müssen. Und die Bäurin hab ich nach Burghausen geschickt. Du brauchst doch einen neuen Küraß. Nit?«



Zitternd klammerte Jul am Hals die Lappen des Lederwamses übereinander.



»Geh, wirst dich doch nit scheuen vor mir? Ich bin dein Blutgesell und Zeltkamerad. Das ist heiliger als ein Bruder. Komm, Gesell, tu dir helfen lassen! Oder morgen bist du so starr wie ein Stückl Holz. Und mußt liegen bleiben und kannst nit mitreiten, wenn der Bauer kommt.«



Ein mühsamer Atemzug. »Tu dich umdrehen.«



»Ich geh zum Brunnen um Wasser. Aber tu nit umfallen! Jetzt mußt du aufrecht bleiben.« Malimmes nahm einen hölzernen Zuber, der neben dem müden Herdfeuerchen stand, und verließ die Stube. Als er nach einer Weile wiederkam, war auf dem Herd keine Flamme mehr. Und Jul stand mit geschlossenen Augen da, in den Mantel des Söldners gewickelt.



»Komm, laß aus!« Malimmes faßte den Mantel. Von den paar Kohlen, die auf dem Herd noch glühten, und von dem schwachen Mondlicht, das durch die Fensterlöcher hereinflimmerte, war eine matte Helle in dem schwülen Raum. Malimmes sagte leise: »Was für ein feiner Bub du bist!« Dann goß er das kalte Wasser über den schlanken, schauernden Körper hin und begann mit einem nassen Tuch die Arme, den Rücken und die Beine zu schlagen. Er wickelte das Tuch um seine Faust und rieb, bis die Haut an allen Gelenken zu glühen begann. »Paß auf jetzt! Das wird dir ein lützel weh tun. Aber es hilft. So hab ich auf dem Schwarzeneck dem Bauer geholfen. Weißt dus nimmer?« Er nahm des Buben Kinn in seine Linke, drückte ihm den Kopf in den Nacken und führte mit der Schneide der rechten Hand drei feste Schläge gegen eine Stelle des Rückgrats.

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