Frei Lesen: Der Ochsenkrieg

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Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg

5

eingestellt: 2.7.2007





Während Herzog Ludwigs Hauptmann Christoph Laiminger mit seinem Heerhauf seit Wochen die fränkischen Güter des Fritz von Zollern verwüstete, fielen entlang allen Grenzen des Landshuter Gaues die Ingolstädtischen Truppen unter Marschall Frauenberger, unter Hauptmann Muracher und dem Pfleger von Wasserburg in Herzog Heinrichs Lande und hinterließen in Hunderten von niedergebrannten Dörfern die Spuren ihrer Wege.



Wie eine laufende Flamme brannte der Krieg an allen Ecken und Enden der bayerischen Herzogtümer auf.



Wilhelm und Ernst von München, der Kurfürst von der Pfalz und Johann von Neumarkt – die Herr Heinrich zur Hilfe wider den unbequemen Ingolstädter gewonnen hatte – sandten ihre Fehdebriefe an Ludwig im Bart. So standen alle Wittelsbacher im Kampfe gegen diesen Einen ihres Blutes, der durch seine gewalttätige und hochfahrende Art, durch seinen ›französischen Übermut‹, sie alle schon einmal gekränkt, verhöhnt, beleidigt und geschädigt hatte.



Der auflodernde Zorn der Fürsten übertrug sich auf ihre Untertanen. In Städten und Dörfern, in Burgen und Handwerkerstuben, überall, wo Bürger der Wittelsbachischen Herzöge bisher friedlich beisammen gewohnt hatten, ergriffen sie Partei für ihre Fürsten und zerschlugen einander die Köpfe unter dem Geschrei: »Hie Ludwig! Hie München! Hie Heinrich!« Auf den Universitäten zu Prag, Wien, Heidelberg und Leipzig stachen in den Bursen die Studenten einander die Rapiere in den Leib, auf den Märkten der deutschen Städte prügelten sich die Kaufleute und ihre Kunden, die Viehtreiber und Karrenführer.



Wie die Fürsten, so wechselten die ihnen verbündeten Ritter und Städte ihre Fehdebriefe. Mehr als fünfhundert Lehensherren der Münchener Herzöge und des Landshuters begannen Krieg wider Ludwig. Und fast ebensoviele ritterliche Freunde des Ingolstädters, der nach seinen Werbebriefen Zuzug auch aus Frankreich, Ungarn, Italien, Holland und Dänemark bekam, kündeten dem Herzog Heinrich und den Münchener Fürsten den Frieden auf. Die Briefe, die man noch immer wechselte, während das Morden und Brennen schon begonnen hatte, flossen über von Hohn, Verdächtigung und Haß. Die gegenseitigen Beschimpfungen häuften sich wie bei den homerischen Helden vor dem Zweikampf.



Da seit der unglückseligen Erbteilung der bayerischen Lande die Besitzungen der Wittelsbachischen Fürsten in Flicken und Lappen die Länder des Gegners durchsetzten, stand Nachbar gegen Nachbar im Kriege: Burghausen gegen Wasserburg, Landshut gegen Freising, Tölz gegen München, Schrobenhausen gegen Pfaffenhofen, Traunstein gegen Rosenheim, Kufstein gegen Marquartstein. Durch Überredung gewonnen oder durch Vorteil verlockt, durch Drohung eingeschüchtert oder durch Geld bestochen, fielen die Lehensleute von ihren Herren ab, innerhalb der Städte entzweite sich Volk und Regierung, der Bruder schlug gegen den Brüder, Vater und Sohn wurden Feinde.



So standen auf allem Boden, der bayerisch hieß, von der Ulmer Gegend bis zum Böhmerwald und bis Linz hinunter, vom Main bis nach Tirol, die Bewohner schwesterlicher Erde mit Feuer und Eisen, mit Galgen und Pulver gegeneinander im Kampfe, und es entbrannte ein Krieg verwandter Stämme, schmachvoll und schauerlich, wie er unerhört war in der Geschichte eines von gleichem Blute durchströmten Volkes.



König Sigismund, der in Sorge geriet um die Säulen des Reiches, mahnte durch Briefe und Gesandte zum Frieden, bat mit herzlichen Worten, wurde streng und drohte mit der Reichsacht. Und Rom, das seine Klöster und Kirchen gebrandschatzt und geplündert sah, rückte mit Kirchenbann und gräßlichen Strafen der Ewigkeit wider die vom Zwietrachtsteufel besessenen Fürsten aus. Aber keiner von den Wittelsbachern hörte auf die Stimme des deutschen Königs, keiner auf den Schrei des Papstes. Herzog Heinrich wie Herzog Ludwig schworen mit heiligen Eiden, das dem König gegebene Friedensgelübde unverbrüchlich gewahrt zu haben; der königstreue Ingolstädter schob die Schuld auf den ›heimtückischen‹ Landshuter, der königstreue Landshuter schob sie auf den ›allzeit gefährlichen‹ Ingolstädter, einer beschuldigte den anderen des schnöden Friedensbruches, und jeder beteuerte, daß er wider Willen gezwungen wäre, sich seiner bedrohten Haut zu wehren. Nur die Münchener Herzöge konnten mit gutem Rechte sagen: »Wir müssen als redliche Leute die Treue wahren, die wir dem Vetter Heinrich zugelobten.«



Von allen Fürsten, die in diesen Krieg verwickelt wurden, hörte nur ein einziger auf die Friedensmahnungen des deutschen Königs: Friedrich von Zollern, der Burggraf von Nürnberg und neue Herr der ehemals Wittelsbachischen Mark Brandenburg, mit der ihn König Sigismund auf dem Konzil von Konstanz für treue Dienste belehnt hatte. Obwohl ihn Ludwig mit Pikenstößen reizte und brandschatzend seine fränkischen Lande verwüstete, zögerte Friedrich noch immer, in den Kampf zu treten. Jeder Werbung seines Schwagers Heinrich von Landshut entzog er sich. »Was kümmert mich euer Vetterngezänk, ich will in Frieden meinen jungen Acker bauen.« Er blieb in seiner Mark, machte aus der Ferne noch einen Versuch zur Herstellung des Friedens in den bayerischen Landen, vereitelte einen Anschlag seiner Verbündeten auf den Ingolstädter und bot ihm die Hand zur Versöhnung. Sein Dank war ein mit Hohn und Schimpf beladener Brief, der ihn des Raubes am Hause Wittelsbach beschuldigte, ihn die brandenburgische Elster nannte und mit den Worten begann: »Du kürzlich hochgemachter Markgraf!« Da schob auch Fritz von Zollern die Faust in den eisernen Handschuh und erschien im Felde. Mit raschen Stößen warf er dem Ingolstädter die Feste Parkstein nieder und eroberte die Burgen von Hilpoltstein, von Weiden und Floß.



Was Herzog Ludwig hier im Norden verlor, das ließ er seine Gegner südlich der Donau in sinnloser Verwüstung büßen. Während dieses roten Herbstes wurden die bayerischen Lande durch Eisen, Feuer und Raub so schwer geschädigt, daß innerhalb weniger Monate mehr Leute verdarben und arm gemacht wurden als sonst in hundert Jahren. Immer wieder das gleiche: fallende Burgen, stürzende Mauern, geplünderte Städte, brennende Dörfer, verwüstetes Feld, geschändete Weiber, verstümmelte Mannskörper ohne Augen und Ohren, ohne Nasen und Lebner, große Lachen geronnenen Blutes und verwesende Leichname von Mensch und Tier, die zu begraben der Krieg keine Zeit gefunden. In allen bayerischen Landen begann es zu riechen, wie es beim Gadnischen Hallturm gerochen hatte. Und während das Volk verdarb, ohne Obdach war und hungerte, füllte die Ritterschaft jede Kriegspause mit Turnier und Festen, mit Tanz und Frauenspiel.



Des Brennens und Mordens wurde weniger, als bei Anbrach der Winterkälte die Kinnhaut kleben blieb an der stählernen Halsberge und die blauen, starren Finger anfroren an den Schwertgriff.



Nachdem die Truppen bis zur Adventzeit im Felde gelegen, waren Waffen und Harnisch verdorben, die Kleider am Leib der Kriegsleute verfault, das Sattelzeug der Gäule von Nässe und Frost zermürbt.



Fast alle Dorfleute der bayerischen Lande mußten sich während des Winters in den Städten und Burgen halten. Außerhalb der Stadtmauern stand oft zwölf und fünfzehn Meilen weit kein Dorf und kein Haus mehr. Zwischen dem Main und den Bergen war an Dörfern ein halbes Tausend geplündert und niedergebrannt. Und manches Dorf war so ganz verderbt, daß weder Haus noch Kirche mehr übrig waren.



In den Städten, Burgen und umwallten Märkten, wo sich die Flüchtlinge in gedrängten Massen bei Not und Hunger zusammenhuschelten, brachen fressende Seuchen aus. Unter Armut, Leiden und Hilflosigkeit verzagten die Menschen und wurden des Lebens müde. Sie sagten: »Sterben ist das Beste.« Nur die Siechenträger und Totengräber hatten Erntezeit, und die Pulvermüller, Schwertfeger, Pfeilschäfter und Waffenschmiede fanden bei ruheloser Arbeit reichlichen Verdienst. Das stählerne Klopfen bei Tag und Nacht war wie der fiebernde Pulsschlag dieses Winters in allen Städten und Burgen.

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