Ludwig Ganghofer
Der Ochsenkrieg
2
eingestellt: 2.7.2007
Als der Morgen dämmern wollte, jagte ein Reiter gegen die Ramsau hinaus. Bevor er das Ziel seines Späherweges erreichen konnte, stieg hinter den östlichen Bergzinnen der schöne Tag herauf.
Über dem Hängmoos lag die erste Morgensonne.
Das Gras der trockengelegten Weideflächen hatte einen Goldton in seinem Grün, und die frische Luft war zart erfüllt vom süßen
Wohlgeruch der Kohlröschen. In der mild erwachenden Wärme begannen die Wasserflächen des nahen Sumpfes zu dunsten, und um die Mooskissen des Bruchbodens, um ihre besonnten Vergißmeinnichtbüschel und Dotterblumen gaukelten graubraune Schmetterlinge in so reicher Zahl, daß ihre Menge manchmal anzusehen war wie ein dunkelwehender Schleier.
Die Kalben, Ochsen und Kühe weideten mit leis tönendem Schellenklang, und aus der Rauchscharte des
Käsers stiegen blauquirlende Wölklein in die Sonne hinauf. Der Brunnen murmelte und goß den blitzenden Wasserstrahl in den Spiegel des Troges.
Auf der höchsten Stelle des Almfeldes zog vertraut ein Rudel Gemsen gegen das Latschendickicht. Hoch in der Sonne kreiste ein Weihenpaar. Und als möchte auch das Leben der Tiefe einen Gruß heraufsenden in diesen schönen, heiligen Frieden der Bergfrühe, so klangen, mild und kaum noch
hörbar, aus weiter Ferne her die raschen Laute einer rufenden Kirchenglocke.
Im aufziehenden Sonnenwinde fingen die nahen Wälder sanft zu rauschen an.
Was der Morgen an Hirtenwerk verlangte, war getan. Jedes Rind hatte Salz bekommen, die Kühe waren gemolken, die Milch war aufgestellt in hölzernen Schalen.
Ein leuchtender Streifen der Sonne fiel durch die offene Tür in das Zwielicht des Hüttenraumes.
Neben dem Feuer saßen Jula und ihr Bruder Jakob in der Herdmulde und aßen die Morgensuppe. Dann beteten die beiden mit geneigten Gesichtern.
Jula erhob sich, warf die schweren Zöpfe zurück, die ihr auf die Brust gehangen, und sprach mit der Hand. Jakob nickte. Und während Jula die abgerahmte Milch des verwichenen Tages in den kupfernen Sudkessel schüttete und ihn mit dem Balken, an dem er hing, über die Herdflamme zog, verließ ihr
Bruder die Hütte. Neben dem Brunnen setzte er sich in die Sonne und begann an der fliegenden Schwalbe zu schnitzen, die sich schon bald aus dem Holze lösen wollte.
In der Hütte sang Jula mit halber Stimme.
Ich weiß ein Buben hübsch und fein,
Hüt du dich!
Der kann so falsch wie freundlich sein,
Hüt du dich!
Er hat zwei Augen, die sind braun,
Hüt du
dich!
Die gucken allweil durch den Zaun,
Hüt du dich!
Er hat ein lichtbraunfarbnes Haar,
Hüt du dich!
Und was er redt, das ist nit wahr,
Hüt du dich!
In der Tiefe des Almfeldes rasselten viele Schellen wirr durcheinander. Jula, beim Klang ihrer Stimme und beim Geprassel des neugeschürten Herdfeuers, achtete dieses Lärmes nicht. Und Jakob konnte ihn nicht hören. Doch als er
einmal von seinem Schnitzwerk aufblickte, sah er da drunten die flüchtenden Rinder und sah, daß am Waldsaum ein Reiter, der aus dem Sattel gestiegen war, seinen Gaul an eine Lärche band.
Jakob erhob sich, säbelte aufgeregt in die Hütte, lallte einen schweren Laut und sprach mit den Händen.
Betroffen sah Jula den Bruder an. Eine leichte Röte glitt über ihr strenges, sonnverbranntes Gesicht. Dann lachte sie ein
bißchen und steckte rasch die hängenden Zöpfe hinauf. Sie trat aus der Hütte. Doch als sie den dunkelbärtigen Spießknecht über das Almfeld heraufkommen sah, machte sie verwunderte Augen, schüttelte den Kopf, redete mit den Händen zu ihrem Bruder und kehrte wieder an den Herd zurück.
Es dauerte eine Weile, dann fiel ein schwarzer Schatten über die sonnige Türschwelle.
Mit freundlichem
Gruße trat Marimpfel in die Hütte. Er sah nur die Hirtin. Jakob, um seine Mißgestalt zu verbergen, hatte sich hinter dem Sudkessel in den Herdwinkel gedrückt.
Jula erwiderte den Gruß des Spießknechtes. Der Anblick dieses Gastes war ihr keine Freude. Sie wußte: Hofleut sind wildes Volk, vor dem man sich hüten muß. Doch ruhig fragte sie: »Woher des Wegs?«
»Bei einem Grenzstein hab ich
nachschauen müssen.« Marimpfel ließ sich auf die Bank nieder, wobei das Eisenwerk seiner Rüstung klirrte. Er guckte in der Hütte herum. »Ein schöner Herd! Ein feiner Käser! Wann ist denn der gebaut worden?«
»Das weiß ich nit.« Jula begann mit langer Holzspachtel den dampfenden Inhalt des Kessels aufzurühren. »Willst du Zehrung haben?«
Marimpfel lachte, und seine schwarzen
Funkelaugen musterten die Gestalt der Hirtin. »Vergelts deinem Gutwillen! Aber Bauernkäs ist saurer Fraß.«
Jula furchte die Brauen. »Ich kann dir auch süßen geben, wenn du so schleckig bist.«
»Viel süßen Käs wirst du nit aufstellen können von den vierzehn Kühen, die ich gesehen hab. Oder hast noch mehr?«
»Siebzehn hab ich.«
»Und wieviel Ochsen?«
»Dreiundvierzig hab ich aufgetrieben. Und zwanzig Kalben dazu. Gottlob, es ist mir heuer noch kein Stückl im Bruchboden versunken. Hab einen friedsamen Sommer heuer, Gott soll ihn segnen.«
Marimpfel erhob sich. »Zwanzig Kalben? So?« Unter kurzem Lachen faßte er mit flinker Faust den Arm der Hirtin. »Und dazu noch ein Geißlein, mit dem gut bocken wär! Was
meinst?«
Was Jula meinte, brauchte sie nicht zu sagen. Marimpfel las es in ihren zornblickenden Augen. Und plötzlich fühlte er an seinem Handgelenk einen groben Schlag. Jakob, das Gesicht verzerrt, stand zwischen der Schwester und dem Spießknecht, mit dem Schnitzmesser in der kleinen, zitternden Faust.
Marimpfel wollte an den Gürtel greifen. Aber da fiel ihm das Wort des Amtmanns ein: »Tu dem Hirten keinen Trutz
an!« Er war ein verläßlicher Hofmann. Drum nahm er die Sache spaßhaft. »Guck, wieviel Schneid die haben!« Er lachte. »Dirn! Bei dir sind die süßen Beeren gut verzäunt!« Zur Türe schreitend, sagte er heiter über die Schulter: »Ein andermal!«
Jula legte den Arm um ihres Bruders Hals und knirschte durch die Zähne: »Die Leut sind schlecht.«
In der
schönen Morgensonne ging Marimpfel mit klirrendem Schritt über das Almfeld hinunter. Als er den Gaul von der Lärche losband, sah er schmunzelnd zum Käser hinauf. »Die wär eine Todsünd wert!«
Während der Gaul auf dem steilen Karrenwege vorsichtig durch den Wald hinunterkletterte, sang der Spießknecht eine zärtliche Weise. Auch diesem Wildfang quoll die Schönheit des leuchtenden Morgens durch Eisen und Haut. Und
als er auf dem Weg eine junge Amsel sitzen sah, die unflügg aus dem Nest gefallen war und angstvolle Äuglein machte, lenkte er barmherzig die Hufe des Gaules auf die Seite.
Wo der Taubensee zwischen grünem Röhricht blitzte, kam Marimpfel zu dem Wiesgarten, in dem der Bauer das am Abend gemähte Gras mit dem Rechen umwarf. Sobald der Heuer den Spießknecht aus dem Wald heraustauchen sah, lief er an den Straßenzaun und kreischte:
»Bruder? Bist dus oder nit?«
Marimpfel ließ das Roß ein paar Galoppsprünge machen, um sich vor dem Bruder als Hofmann zu zeigen. »Ei wohl, ich bins.« Dann verhielt er den Gaul und fragte von oben herab: »Wie gehts dir allweil?«
»Nit schlecht. Es tuts. Hab dich lang nimmer gesehen.«
»Ein Mistbreiter und ein Herrschaftsreiter haben Weg, die auseinand
laufen.« Marimpfel wollte nichts Böses sagen, nur etwas Selbstverständliches. Und spähend beugte er sich im Sattel hin und her. »Man sieht wahrhaftig das Häusl nimmer. Wie ich Bub gewesen, hat mans noch gesehen von der Straß. Jetzt ist alles zugewachsen. Bäum, Viech und Leut werden allweil mehrer. Bloß das Geld wird minder. Lebt die Mutter noch?«
»Wohl! Aber mit dem Schaffen ists lang schon aus. Hockt allweil im Sessel. Und kein Tag, daß sie nit redt von dir. Vom Malimmes redt sie nie. Hast lang nichts mehr gehört von ihm?«
»Vier Jahr lang nimmer. Da ist er bei den Nürembergern gewesen als Stadtknecht. Ist kein fürnehmer Dienst. Hofmann sein ist feiner. Aber die Städt haben allweil die größeren Geldsäck. Da wirds dem Bruder nicht schlecht
gegangen haben.«
»Das tat die Mutter wohl anhören. Magst nit ein lützel hereinkommen?«
»Ich hab nit Zeit.«
»Die Mutter tat sich freuen.«
»Tu das Weibl grüßen. Herrendienst hats eilig.« Marimpfel straffte den Zügel des Gaules.
»Du?« sagte der Bauer hastig. »Tust was gelten bei deinem
Herren?«
»Dem bin ich der Liebst von allen.«
In den müden Augen des Bauern glänzte eine Hoffnung. »Da könntest bei deinem Herren für mich eine Fürbitt machen.«
»Mareiner!« Der Spießknecht wurde kühl. »Bist Holdenzins oder Lehent schuldig blieben?«
Der Bauer schüttelte den Kopf. »Noch allweil bin ich ein
rechtschaffener Zahler gewesen. Und hab den Magen geschnürt und hab ein lützel was auf die Seit gebracht.«
Marimpfel wurde aufmerksam.
»Und tätest du bei deinem Herren für mich ein gutes Wörtl reden«, sagte Mareiner, »und tät das Stift sich genügen an einem christlichen Gebot, so möcht ich mein Schupflehen auf Erbrecht kaufen.«
Jetzt lachte Marimpfel.
»Narr! «Wem willst du denn was vererben? Kinder hast doch nit.«
»Was nit ist, kann werden.«
»Freilich, ja! Oft kriegt die Bäuerin Kinder, der Bauer weiß nit wie.«
Dem Taubenseer flog es heiß über die Stirne. Doch er sagte ruhig: »Ist auch nit der Kinder wegen allein, die mir der Herrgott erst schenken müßt. Aber was ein richtiger Mensch ist, hängt
auch ein lützel an der Ehr. Hätt ich Eigengut und war ein Erbrechter, so dürft ich in der Gnotschaft mitreden und müßt nit allweil das Maul halten.«
»So?« Der Spießknecht wurde heiter. »Erbrechter werden? Und den Brotladen aufreißen? Und wider die Herrschaft schreien? Und da soll ich helfen dazu.«
In den Augen des Bauern brannte die Sehnsucht. »Bist nit mein Bruder?«
»Richtig, ja, das hält ich als Hofmann schier vergessen.« Und freundlich sagte Marimpfel: »Wieviel kannst dem Herrn bieten fürs Erbrecht?«
Zögernd, an jeder Silbe klebend, sagte der Bauer: »Sechzig Pfund Pfennig. Mehr hab ich nit.«
»Sechzig Pfund hast? Da kannst dem Herrn bloß vierzig bieten.«
»Wieso?«
»Tust
vergessen, daß ich dein Bruder bin? Und daß ich in Hösl und Hemd aus dem Haus gegangen? Und daß ich Anspruch hab an Acker und Wiesfrucht? Mareiner! Sechzig Pfund? Da wirst wohl dritteln müssen. Mit mir!«
Der Bauer sah den höfischen Bruder an und wurde mauerbleich über das ganze Gesicht. Und ohne noch ein Wort zu sagen, drehte er sich um und ging durch die Wiese davon.
Marimpfel hob sich im Sattel und rief dem
Bauer lachend nach: »Gotts Gruß, Mareiner! Ich komm bald!« Dann ritt er davon.
Der Taubenseer ging an seinem Rechen vorüber, unter schattenden Bäumen hindurch und kam zu einem grauen Balkenhaus,
über das ein großes Moosdach herhing, wie eines Mannes Hut ein kleines Kind bedeckt.
Neben der Haustür saß, von Sonne umspielt, in einem grob gezimmerten Holzsessel eine alte,
weißhaarige Frau mit gichtisch verkrümmten Händen, zermürbt von der schweren Arbeit eines langen, mühsamen Lebens.
»Kindl?« sagte sie zu dem vierzigjährigen Manne. »Was hast?«
Der Bauer biß die Zähne übereinander und schien sich auf eine Antwort zu besinnen. Dann sagte er: »Mutter! Der Marimpfel ist dagewesen.«
»Und ist nit herein zu
mir?«
Mareiner schüttelte den Kopf und trat ins Haus.
Ohne sich zu regen, murmelte die alte Frau vor sich hin: »Ist dagewesen. Und ist nit herein zu mir. Ein Weg, schier kaum ein halbes Vaterunser lang. Und steht am Zäunl. Und geht nit herein zu mir.« Sie hob das zerfallene Gesicht, und ihre trockenen, fast schon erloschenen Augen suchten irrend im Blau des Himmels. »Heilige Mutter! Was sagst du jetzt?«
Geduldig blickte die alte Frau in dieses schöne, reine Blau empor und wartete auf Antwort.
Vor sechzig Jahren, als vierzehnjähriges Dirnlein, hatte sie die Gottesmutter zur Patronin ihres Lebens erwählt, war Marienträgerin gewesen bei jedem Bittgang in und außerhalb der Kirche, hatte sich, eine Dreißigjährige, zum Ehestand segnen lassen an einem Marientag und hatte jedem der drei Buben, die sie geboren, bei der Taufe einen
Festtag der Mutter Maria als segensreichen Namen in das Leben mitgegeben. Mareiner hieß Mariä Reinigung, Malimmes hieß Mariä Lichtmeß, Marimpfel hieß Mariä Himmelfahrt.
Auf dem Moosdach gurrten die Tauben, kleine Vögel sangen in den Kronen der Bäume, es krähte der Hahn und die Hühner gackerten, es rauschte der nahe Wildbach, die Bäume flüsterten, am Waldsaum grunzten die wühlenden Schweine –
alles redete, was Natur und Leben hieß. Nur dieser schöne, blaue Himmel schwieg.
Und als die Augen der alten Frau den Schmerz des Lichtes fühlten und wieder heruntersanken zur Erde, sah diese Mutter ihr vierzigjähriges Kindl Mareiner mit Hacke und Spaten scheu hinüberspringen zum Walde.
Unter dem Kittel trug der Bauer einen schweren Ledersack, in den das Spargut seines Schweißes eingeschnürt war: dreiundachtzig
und ein halb Pfund Pfennig in rheinischem Gold, in Silber und schwarzem Blech. Weil Mareiner einen Bruder hatte, der Hofmann war, vergrub er diesen Sack im Dickicht des Waldes zwischen den Wurzeln einer alten Fichte, die er unauffällig mit dem Messer merkte, als er den Boden geebnet und wieder mit Moos bedeckt hatte. Kein Fuchs hätte da einen Wandel der Dinge wahrgenommen.
Während Mareiner beruhigt sein unsichtbares Werk betrachtete, erfreute sich Marimpfel
auf seinem trabenden Gaul immer wieder des gleichen Rechnungsschlusses: »Von sechzig ein Drittel ist zwanzig!«
Was konnte man im Leben nicht alles haben für zwanzig Pfund Pfennig! Der adlige Chorherr Jettenrösch bezahlte seiner Hübschlerin und Pfennigfrau für alle Lieb und Freud eines langen Jahres nur fünfzehn Pfund. Freilich war, wie die Leute munkelten, Herr Jettenrösch bei dem frummen Fräulein Rusaley nicht der einzige
Zahler.
Marimpfel lachte.
Von den Herren, die klug sind, kann man lernen. Gute Kameraden und Gnoten müssen teilen können ohne Neid bei Trunk und Schüssel, bei Mühsal und Pfennigsack. Warum nicht auch bei der süßesten von allen Freuden? Wie mehr sich teilen in des Lebens Kosten, um so billiger wird des Lebens Rausch. Und Marimpfel wußte nun eine, die ihm gefiel. Warum sollte man die nicht zum Pfennigweibl machen
können? Jungferntrutz ist wie Maienschnee. Um ein freudenreiches Leben ist alles feil. Und wie gut ihr das stehen muß, wenn sie das schwere Schwarzhaar im grünen Schleier hat! Und reitet ein hoher Fürst durch Berchtesgaden, so muß ihm die schöne Hübschlerin des Marimpfel das rote Stricklein spannen und die lustige Ehr erweisen. Große Herren haben kleine Lustbarkeiten gern. Und wissen, wie man danken muß.
Während Marimpfel
diese goldenen Zukunftspläne schmiedete und durch die einseitige Häusergasse der Ramsau ritt, schien ein stummer Lebensschreck vor ihm herzutraben. Wo Leute oder Kinder vor den Türen waren, verschwanden sie flink im Haus. Und ein Hund, der mit schwerem Holzknebel am Hals auf der Straße in der Sonne gelegen hatte, wurde durch einen schrillen Pfiff in das Gehöft gerufen, zu dem er gehörte.
Hinter dem Haus des Leutgeb lenkte Marimpfel von der Straße weg und ritt zu einem hohen Hag hinauf, der ein auf grünem Hügel liegendes Gehöft umschloß. Der Reiter stieß mit dem Fuß an das versperrte Hagtor. »Auf! In des Herrn Nam!« Holzschuhe klapperten. Ein junger Knecht öffnete das Tor, machte scheue Augen und sagte rasch: »Der Richtmann ist nit daheim.«
»Wo ist er?«
»Im Holz. Bis zur Mahlstund kommt er.«
»Solang kann ich nit warten. Spring ins Holz hinaus und hol den Richtmann! Ich tu derweil einen Trunk beim Leutgeb.« Der Spießknecht ritt zur Straße hinunter.
Zwischen den Stauden und Bäumen, die den Weg in der Richtung gegen Berchtesgaden geleiteten, sah er ein Leuchten bunter Farben und blanker Waffen. Wer kam da? Keiner von den Hofleuten des Gadens. Die trugen
sich anders.
Der gesprenkelte Stieglitz, der da zwischen den Stauden einherschritt, schleppte sich mit schwerer Last. War also wohl ein fahrender Kriegsknecht, der seinen Dienst verlassen hatte und zu einem neuen Soldherrn wanderte. Nun bog er auf die freie Straße heraus, ein langes, braunbärtiges Mannsbild in der bunten Tracht der städtischen Soldknechte, Wams und Hosen bunt gezwickelt, wie es bei den Kriegsleuten in der großen Welt da draußen
neue Mode wurde. Er ging barhäuptig, das braune Langhaar gescheitelt. Den flachen, mit einer gelben Kräuselfeder umwundenen Hut hatte er an einer Kordel auf der Brust hängen, neben dem Knauf des hochgebundenen Zweihänders. Den Dolch und das Kurzeisen trug er am Gürtelgehenk. An dem langen Spieß, den er geschultert hatte, schleppte er eine Last, die man auf einen Zentner und darüber schätzen konnte: den Eisenhut, die Brustplatten und Armschienen, den
braunen Gugelmantel und dazu das dicke, stramm gedrosselte Lederbündel seiner Kriegsmannshabe. Einen schwächlichen Menschen hätte solche Last erdrückt. Doch dieser lange Kerl hatte trotz der heißen Sommersonne keinen Tropfen Schweiß auf der sonnverbrannten Stirn und ging unter dem schweren Gewicht mit so federndem Schritt, als trüge er Schwanenflaum auf seinem Rücken. Und Augen hatte er, die heiter in den schönen Morgen schauten. Sein von
Narben zerfetztes Gesicht erzählte, wie oft dieser Fröhliche schon unter dem Streich des Todes gestanden. Die jüngste seiner Narben, noch dunkel gerötet, ging von der Stirn über das rechte Auge mit geradem Strich herunter bis zum Kinn und wäre schrecklich anzusehen gewesen, wenn sie in diesem gesunden und vergnügten Mannsgesichte nicht eine Art von groteskem Humor bekommen hätte.
Als dieser fahrende Söldner den berittenen Hofmann
kommen sah, blieb er breitspurig stehen und fing zu lachen an.
Auch Marimpfel lachte. »Wenn eins den Wölfen nennt, kommt er gerennt! Malimmes! Kein halbes Stündl ists her, da hab ich mit dem Mareiner geredet von dir. Und jetzt bist da. Herzbruder! Gottes Gruß im Land!«
Malimmes streckte dem Reiter die Hand hinauf. »Gott grüß dich, Bruder! Ich hab dich schon gesucht im Gaden draußt. Hätt gern zum
Einstand ein Häflein mit dir gelupft. Und hab gehört, du wärst in der Ramsau. Bist bei der Mutter gewesen? Wie gehts dem guten Weibl?«
Marimpfel erkannte in den Augen des Bruders die ehrliche Sehnsucht, wurde ein bißchen verlegen und sagte: »Es geht der Mutter nit schlecht. Allweil schnauft sie noch.«
Das Gesicht des ändern strahlte. »Gute Botschaft! Will dem lieben Herrgott danken dafür. Am Sonntag
werf ich dem Meßpfaffen einen Goldpfennig in den Bettelsack. Ich habs. Einen Winter lang kann ich mich auf die Faulhaut legen und kann der Mutter ein gutes Leben machen. Komm, Bruder, kehr um! Laß uns selbander heim!«
»Ich kann nit, hab eilfertigen Herrendienst. Aber auf ein Ständerlein beim Leutgeb hab ich Zeit.«
»So komm! Ein Bruder ist auch ein kostbar Ding. Dreh dich, Schätzlein, dreh dich!«
Malimmes faßte lachend den Zügel und wandte den Gaul des Bruders. »Auftragen laß ich dir, als wärst ein römischer Delegat. Friß und sauf und tu mich anlachen! Not und Hader sind draußen in der Welt. Daheim ist daheim. Und was ich anguck, ist liebreich und friedsam.« Er schrie einen Jauchzer in die sonnige Luft hinaus, so gellend, daß Marimpfels Gaul einen scheuenden Sprung machte.
Auf dem Wege zum nahen Leuthaus
schwatzte Malimmes in seiner frohen Laune immerzu. Marimpfel war nachdenklich geworden. Und plötzlich, den Bruder von der Seite musternd, fragte er: »Einen Winter lang willst feiern? Bist in Ehren ledig worden von Herr und Dienst? Oder mußt dich verstecken? Hats eine Sauerei gegeben?«
Malimmes sah ernst an dem Reiter hinauf. »Da war allweil ein andrer die Sau gewesen.«
»Meine Frag war nit schiech
gemeint.«
»Muß ich halt dumm gehört haben.« Malimmes lachte schon wieder. »Ich will einmal für ein Zeitl mein eigner Herr sein. Viel Gründ sind gewesen, daß ich gegangen bin. Der letzte war, daß mich das Heimweh angefallen hat, derweil ich sechs Wochen im Spittel gelegen bin. Wegen dem da!« Er deutete auf den frischen Narbenriß, der wie ein roter Feuerstrich in dem braunen Gesichte glomm.
»Ein böser Streich! Bruder, da mußt dich schlecht gedeckt haben?«
Lustig zwinkerte Malimmes mit den Augen und schüttelte den Kopf. »Es hätt ein feiner Hieb sein können! Hätt aus meinem Hirndach schier zwei Äpfelschnitten gemacht. Aber grad, wie der Hieb schön kunstvoll ansetzt, hat der ander, ein Pegnitzer Heckenreiter, meinen Spieß in der Seel gehabt. Seine Faust hat nur noch ein lützel rutschen
können. Für sechs Wochen hats bei mir noch ausgegeben. Aber der ander ist nimmer aufgestanden. Ist ein braver Kerl gewesen, mit dem ich oft gebechert und geknöchelt hab. Hat mirs nit schlecht vermeint, hat halt auch nur seinem Fähnl die Treu gehalten. Wegen sieben Ballen flandrisch Tuch, die sein Edelherr gekrapst hat.« Malimmes lachte nimmer.
Verwundert guckte Marimpfel auf den Bruder hinunter.
»Kriegsmann sein, war ein
gutes Handwerk!« sagte Malimmes. Er hob den belasteten Spieß auf die andre Schulter. Die Eisenstücke klirrten. »Man sollt nur allweil wissen, daß es hergeht um eine Sach, die nötig und ehrlich ist. Da wär das Dreinhauen eine Freud. Aber die meisten Händel müßten nit sein. Und gehts nit um einen städtischen Pfeffersack, so gehts um einen herrischen Hennendreck. Mich freuts schon lang nimmer. Im Ausland solden, wies andere tun, das mag
ich nit. Ich mag nit welschen, hab das Deutsche lieb. Aber bei uns im Reich, da ists ein Elend. Der König, sagen die Leut, war bloß ein Schatten noch. Die Fürsten reißen ihm den letzten Fetzen aus dem Mantel. Von denen trachtet ein jeder nach dem wärmsten Hosenfleck für seinen eignen Hintern. Jeder ist seines Nachbarn Feind und Neider. Daß man zusammengehört im Reich, das weiß man nimmer. Ein Grausen, wo man hinschaut! Hab mirs oft schon
denken müssen. Und jetzt, derweil ich sechs Wochen im Spittel gelegen bin und es hat der Feldscher so grob geschustert an meinem Hirnkastl, da hat mich allweil gedürstet nach einer Hand, die linder nähen tat.« Nun lachte Malimmes wieder. »Da ist mir die Mutter nimmer aus dem Sinn gefallen. Und jetzt bin ich daheim. Und will meinen lustigen Fried haben ein Zeitl.«
Marimpfel gab dem Bruder einen Puff. »Ein Kerl wie du! Wirst doch kein
Sinniervogel sein! Elend im Reich? Was geht denn uns das an? Wie mehrer das Gold, so fester der Sold, wie feiner der Brei, so besser die Treu, wie größer die Ehr, so blanker die Wehr! Die als Kriegsleut anders denken, sind Rindviecher.«
Malimmes lachte. »So bin ich halt eins.«
»Geh, Bruder, sei ein lützel stolzer! Aber ich weiß schon, wos fehlt bei dir. Als Stadtknecht bist du gut bei Gold und Brei gewesen,
aber mager bei der Ehr. So was wurmt einen festen Kerl, der aufwärts möcht. Tu den Kopf heben! Ich schaff dir einen fürnehmen Herren. Hofmann sein bei guter Färb, das ist allweil das Beste. Da kannst herunterspeien auf die, wo minder sind.«
Die beiden lenkten von der Straße in den Hof des Leuthauses ein. Und wieder hob Malimmes das braune, von dem feurigen Strich durchsägte Gesicht und sah hinauf zu dem höfischen Reiter. »Du!« Er schmunzelte. »Ich hab einmal einen Frosch gesehen. Der ist der stolzeste gewesen unter allen Fröschen. Und weißt, warum? Weil ihn der Ochs getreten hat. Und die ändern Frösch, die haben nur den Tritt der Kuh gespürt. Drum sind
sie minder gewesen.« Heiter lachend trat Malimmes in den Flur des Leuthauses und machte lustige Späße über Bauch und Doppelkinn des Wirtes, der den Kriegsknecht unterwürfig begrüßte. »Und jetzt trag auf, du Gauner! Bring Würst und Selchfleisch! Her mit dem besten aus deinem Keller! Nimm die größte von deinen Bitschen! Ich weiß wohl, Saufen ist der Deutschen Spott vor der Welt wie auch vor Gott! Aber wenn mich halt dürsten
tut! Was soll ich machen? Ist nit der liebe Gott dran schuld, wenn an siedheißem Sommertag dem Menschen die Leber brandig wird?«
Der heitere Rumor, den Malimmes anhub, brachte gleich das ganze Haus in vergnügten Aufruhr. Die Wirtin kam gezappelt, die zwei jungen Mägde kicherten und sprangen. Und der Knecht, der den Gaul Marimpfels versorgen mußte, trug die Freudenbotschaft in den Stall: »Der lustige Malimmes vom Taubensee ist
heimgekommen!«
In der großen Leutstube ließ der Soldknecht seine schwere Last auf eine Tischplatte hinklirren. Marimpfel trat mißmutig zur Türe herein; des Bruders Gleichnis von den Fröschen hatte ihn geärgert, und er schien nicht recht zu wissen, wie er den Heimgekehrten nehmen sollte. Doch als er prüfend den Spieß des Bruders mit der daranhängenden Last zu lupfen versuchte, wandelte sich sein Verdruß in ehrliches
Staunen. »Gotts Teufel und Bohnenstroh! Herzbruder! Da hast dich aber schuftig schleppen müssen! Und hast bei solcher Hitz kein Tröpfl Wasser auf deiner Näs!«
Malimmes rückte hinter den Nachbartisch. »Die hurtig schwitzen müssen, sind leichtfertige Leut und Schwächling. Wer mannsfest lebt, dem bleibt auch in harter Mühsal das Häutl trocken.«
Für diese Lebensweisheit hatte Marimpfel kein
hörendes Ohr. Er musterte neugierig den strotzenden Lederbinkel am Spieß, statzte ihn fest auf die Tischplatte hin und öffnete weit die Augen, als er dieses leicht zu deutende Geklirr vernahm.
»Gelt«, rief Malimmes lachend, »da drin, da klingelts?«
Der Wirt und seine Leute begannen aufzutragen, als wären zwei große Hansen zu Gast gekommen. Malimmes, immer schwatzend, immer lachend, schnitt dem Bruder das
Selchfleisch und die Würste in großen Brocken vor und füllte ihm fleißig den zinnernen Becher. Auch der Leutgeb, sein Weib und die zwei jungen Mägde mußten mithalten. Jeder Knecht und Stallbub, der kudernd zur Türe hereinguckte, wurde fröhlich zu dem gastfreien Tisch herangewunken, und jeder Bauer wurde angerufen, der draußen auf der Straße vorüber wollte – mancher schüttelte den Kopf und ging seines Weges, doch mancher
kam. Bald saßen an die dreißig um die lange Tafel, zu der man Tisch neben Tisch zusammenrückte. Marimpfel, um dem lustigen Bruder gefällig zu sein, bezwang seinen Hofmannsstolz und gab sich als Herr, der sich gnädig niederbeugt zu den Minderen. Doch Malimmes hatte eine Art von kameradschaftlicher Freude an der randalierenden Gesellschaft, nannte sie seine Kump- und Dumpanei, war der Obrist Schluckhauptmann und kommandierte mit drolligen Sprüchen den
Becherlupf.
Der städtische Soldknecht und der gadnische Hofmann vertrugen viel. Sie schluckten munter und behielten klare Köpfe, während die andern bald in einen feuchtfröhlichen Dusel gerieten. Ein altes, dürres Bäuerlein, das die billige Schluckstunde eifrig nützte, kam in so mutige Laune, daß es, neben scheuer Ehrfurcht vor Marimpfel, gegen den lachenden Stadtknecht spöttische Redensarten zu werfen wagte.
Wieder ließ Malimmes die leergelupfte Bitsche füllen. »Leutgeb! Spring, und bring! Ich zahls. Ich bin ein redlicher Kriegsmann und habs! Bin nit der deutsche König, der Atzung, Trunk und Herberg schuldig bleiben muß, seit ihm die Fürsten das letzte Hellerlein aus dem Säckel gerissen.«
»Haben tust dus?« schrie das mutige Bäuerlein. »Woher denn hast dus? Vom Sold wirst dirs nit abgespart haben! Wie, Mensch,
zeig deine Händ her! Hast Christennägel oder Geierkluppen? Kriegsleut sind schieche Greifer.«
»Wozu hätts denn der Bauer und Pfeffersack«, fiel Marimpfel ein, »wenns ihnen der Kriegsmann nit nehmen sollt?«
Malimmes lachte. »Denen man nimmt, die verstehens nit.«
Der Gadnische Hofmann wartete mit Sprichwörtern auf. »Rauben ist keine Schand, das tun die Besten im Land.
Mir fleckets nit die Händ, wenns einen Ritter nit schändt.«
»Ist aber schon oft so ein Ehrenschilder gefangen worden und hat verschnaufen müssen im Hanfsamen.« Ein Griff, den das Bäuerlein nach dem Halse tat, erklärte deutlich, wie das Wort vom Hanfsamen gemeint war.
Marimpfel verlor die gnädige Laune und wollte mit der Faust über den Tisch hinüberschlagen. Doch Malimmes fing den Arm des
Bruders auf. »Tu Fried halten, Herr Hofmann! Der Bauer hat recht. Wie die Fürnehmen das Beispiel aufstellen, so machens die Minderen nach. Drum ist es Gesetz worden im Land: Schlupf durch, und alles ist erlaubt, laß dich fangen, und alles ist verboten.«
»Und du?« kreischte das Bäuerlein. »Bist noch nie nit erwischt worden?«
»Schon oft! Bin viermal schon im Hanfsamen gelegen, und jedesmal bin ich
wieder ledig worden.« Malimmes spreizte auf dem Tisch die Fäuste auseinander und lachte vergnügt. »Ich stirb nit am Rappenholz. Vor achtzehn Jahr, auf meinem ersten Kriegszug, hat mirs ein Zigeunerweibl im Ungerland geweissagt aus der Hand, es täten mich sieben Strick nit umbringen, erst vor dem achten müßt ich mich hüten.«
Ein lustiges Geschrei erhob sich um die Tafel her, man witterte abenteuerliche Schwänke und
rückte neugierig zusammen.
»Vier Hänfene haben mir keinen Schaden getan. Drei kann ich noch ausprobieren und lachen dazu. Und eh sie den achten für mich drehen, schlupf ich in ein Kloster und laß mich zum Franziskaner weihen. Da hab ich den achten Strick um den Bauch, darf mir erlauben, was ich mag und brauch keine Angst nit haben um mein Hälsl!«
Im Dutzend kreischten die neugierigen Fragen durcheinander. Und
Malimmes fing zu erzählen an.
»Den ersten Hänfenen haben sie mir selbigsmal im Ungerland geflochten, sieben Tag nach der Weissagung, die mir das Zigeunerweibl gemacht hat. Achtzehn Jahr alt bin ich gewesen. Ein fester Lackel! Aber gut gewachsen sein, ist ein Segen Gottes.«
Eine aufgeregte Stimme schrie: »Was hast du verbrochen, selbigsmal?«
»Für meinen Herren hab ich wie ein blinder Narr
gefochten und hab mich tief in den ungerischen Haufen hineingeschlagen, bis mir der Bidenhänder in Scherben gegangen ist. Da haben sie mich bei den Ohren erwischt. Und fünf andre fromme Gnoten dazu. Und weil ich von uns sechsen der Längste gewesen bin, drum haben mich die Ungern für den Schlechtesten gehalten und haben mich zur Bußverschärfung aufgehoben auf die Letzt. Hab zuschauen müssen, wie sie die fünf hinaufgezogen haben auf einen Birnbaum neben der
Straß. So große Birnen hat er noch nie getragen wie selbigsmal. Für jeden von den fünfen hab ich ein Vaterunser gebetet. Sind brave Kerle gewesen. Unser Herrgott wird sie selig haben in Gnad und Barmherzigkeit. ›So‹, sagt der Drosselmeister, ›Jetzt haben wir gleich das halbe Dutzend voll!‹ Sagts. Und wirft mir den Hänfenen übers Köpfl. Mir ist ein lützel dumper zumut geworden. Anfangen müssen ist allweil schwer, beim
Sterben nit anders als bei der Lieb oder sonst bei einem kunstvollen Ding. Und derweil mir übel gewesen, hab ich aufs Beten für mich selber ganz vergessen. Und muß meine Hand noch anschauen und muß mir denken ›Jetzt wirds aufkommen, ob mein Zigeunerweibl eine Gans gewesen oder meine Hand ein Lugenschüppel!‹ Und da haben die vier Löwen des Drosselmeisters zugegriffen und haben mich auf den dicksten Ast hinaufgezogen.«
Um die Tafel her war eine fiebernde Spannung. Und eine junge Magd, der die blonden Zöpfe dick um die Ohren lagen, betete angstvoll: »Heilige Mutter, steh ihm bei!«
»Hinaufgezogen! Ja! Hängt einem ein feines Maidl um den Hals, ihr lieben Leut, das druckt linder als ein Hänfener! Und wie mir schön ein lützel blau wird vor den Augen, saust eine Staubwolke her übers Feld, und die unsrigen sind da und schlagen
drein wie fleißige Bauren mit dem Drischel. ›Aushalten‹, schreits in mir. Ich pluster den Hals auf wie ein Truthahn. Und seh durch farbigen Nebel noch, daß einer auf hohem Gaul zu uns sechsen herreitet. Ich will noch sagen: Guck, mein Zigeunerweibl war ein gescheites Luder! Aber da geht mir kein Schnaufer nimmer durch den Hals, und es ist mir eine süße Finsternis durchs Leben geronnen. Jählings tu ich die Augen auf, lieg im schönsten ungerischen
Gras, neben meiner liegen fünf stille Gnoten, die nimmer haben aufwachen mögen, und mein dicker Hauptmann steht vor mir: ›Wie gehts, Malimmes?‹ Ich heb mich aus dem Gras und sag: ›Nit schlecht, Herr Hauptmann, aber krieg ich nit gleich ein Mäßl Wein, so wird mich das Zäpfl kitzeln, daß ich räusperen muß.‹«
Ein freudiger Jubel erhob sich am Tisch. Es macht den Menschen die Seelen warm, wenn sie einen
lachen sehen, der dem kalten Tod entronnen. Zärtlich sagte die blonde Magd: »O heilige Mutter, dem hast beigestanden!« Marimpfel, in dem das Abenteuer des Bruders ein stolzes Wohlgefallen weckte, schob ihm die Kanne hin: »Schluck, Herzbruder, schluck, daß dich das Zäpfl nit kitzelt!« Und als Malimmes nach festem Trunk die Kanne niederstellte, drängten die aufgeregten Stimmen schon: »Das andermal? Wie wars das andermal?«
»Das ist im Clevischen gewesen, vier Jährlein nach dem ungerischen Handel.«
Die Zärtliche fragte: »Hast im Clevischen auch so treu gefochten wie im Ungerland?«
»Nein, Maidl!« Malimmes bekam einen Zug von Ernst im Gesicht. »Da hab ich im trunkenen Übermut eine schieche Sach verübt.«
»Was denn für eine?«
»Dir sag ichs
nit! Junge Maidlen müssen nit alles wissen. Dem Kapuziner hab ichs gebeichtet. Der hat arg geschumpfen. Und hat gesagt: ›Ich absolvier dich bloß, weil du sterben mußt!‹ So schiech ist die Sach gewesen, daß mein eigner Hauptmann mich zum Baum hat führen lassen, derweil ein grobes Unwetter am Himmel gehangen hat. An mein Zigeunerweibl hab ich gar nit denken mögen. Denn meine Straf ist redlich verdient gewesen. Auf dem Weg zum Eichbaum, der nit weit
vom Geläger war, hats grau zu schütten angehoben. Derweil ich Reu und Leid gemacht hab, ist das Wasser von mir niedergeronnen. Unter dem Eichbaum bin ich neben dem Meister Ungut auf der Staffel gestanden. Und wie der Hänfene an den Ast gebunden war, tu ich ein Kreuz machen und sag: ›Stoß mich hinaus, Meister, ich habs verdient!‹ Und grad, derweil ich den Stoß verspür, da tuts in den Lüften einen Böller als wie von der Cölnerin
Unverzagt, und Feuer ist vom Himmel gefallen, daß die Welt wie in blauer Glut geschwommen hat. Der mächtig Eichbaum ist in Scherben gewesen. Wie die Fliegen, wenns zum Frieren anhebt, sind die Leut auf dem Boden gelegen und ich dabei, ich weiß nit wie. Viere hat der Blitz erschlagen. Und mit den andern, die sich aufrappeln, lauf ich ins Geläger hinein. Meine Zeltgnoten haben mir gesagt, wie das Feuer gefallen war, da hätt ich am Ast gehangen und hätt einen
großen Heiligenschein um den ganzen Leib herumgehabt. Jetzt denket, Leut! Ein grauslicher Sünder! Und schaut wie ein Benedeiter aus! Viel Ding im Leben sind hart zu verstehen, ist schon wahr! Und ich geh zum Herrenzelt und sag: ›Herr Hauptmann, morgen, da wirds wohl wieder trücken Wetter geben, da muß mans halt zum andernmal mit mir versuchen.‹ Und da ist mein grober Hauptmann wie ein gütiger Heiland worden und sagt: ›Geh hin und sündige
nimmer! Ich muß vergeben, wenn der Herrgott mit himmlischen Pulverbüchsen nach deinen irdischen Richtern schießt.‹«
Schweigen blieb an der Tafel, während Malimmes trank. Von seiner Geschichte, die ihn selber ernst gemacht, wars wie der Hauch eines Wunders ausgegangen. Sogar Marimpfel schwieg. Aber sein Stolz auf den Herzbruder war im Schwinden. Hatte die Geschichte sich wirklich zugetragen? Oder verstand sich Malimmes nur so fein aufs
Lügen? So oder so – Marimpfel begann auf den Bruder eifersüchtig zu werden, begann es ihm zu neiden, daß diese Gruselnden am Tisch mit großen Augen und offenen Mäulern zu ihm aufstaunten.
Die Zärtliche hatte einen feuchten Schimmer unter den Wimpern und fragte leis: »Hast nimmer gesündiget?«
»Ein lützel schon. Weißt, Maidl, Mensch bleibt Mensch.« Malimmes schmunzelte.
»Aber so grauslich wie selbigsmal im Clevischen ists niemals nimmer ausgefallen.« Er ließ die Bitsche kreisen. »Und wie sie mich das drittmal hätten hängen mögen, das ist bei Ulm gewesen, vor sieben Jahr. Da hab ich das feindliche Geläger ausspähen müssen. Und da haben sie mich hopp genommen.«
Marimpfel reckte sich. »Wirst es halt dumm gemacht haben!«
»So? Meinst?« Der
Bruder blinzelte ihn heiter an. »Machs achtzehn Jahr lang mit, und nachher komm und sag mir, wies am besten ist.«
Ein Gelächter surrte um den langen Tisch, und Marimpfel tat, als wäre ihm das Mitlachen ein Vergnügen. Da erschien der junge Knecht des Runotter in der Tür und rief dem Gadnischen Hofmann zu: »Mein Bauer ist heimgekommen, jetzt kannst ihm Botschaft sagen.«
Marimpfel schlug mit der Faust auf den
Tisch. »Die soll er sich holen! Der! Wo ich sitz, das siehst. Da kannst es ihm sagen. Fahr ab!«
Der Knecht verschwand.
Die am Tische guckten. Und verwundert sah Malimmes den Bruder an, beugte sich zu ihm hin und tuschelte: »Du! Es wird dir doch so ein Tröpfl Wein nit den Kopf verdösen! Hast mir nit gesagt, du hättest eilfertigen Herrendienst? Mensch, tu verständig, was deines Amtes ist!«
»Was meines Amtes ist, das weiß ich schon!« Marimpfel wurde verdrießlich. »Das weiß ein Herrschaftsreiter besser wie du, Herr Baurenfreund! Schau deine lieben Knospen an der Tafel an! Die gluren auf deine Possen –«
»Bruder!«
»Wie Kinder in der Fasnacht auf die Schembarter! Erzähl doch! Erzähl! Wie hats denn gangen mit dem dritten Strick?«
Auch die
Ungeduldigen am Tische riefen: »Erzähl! Erzähl!«
Malimmes sah den Bruder schweigend an. Dann legte er sich mit breiten Ellenbogen über die Tafel.
»Also, die Ulmer haben mich hopp genommen! Und flink hats da geheißen: Ans Rappenholz, der Lump muß hängen! Aber der Ulmer Meister vom letzten Hanf ist ein junges Schaf gewesen. Hat gemeint, er verstünd was, und hat seine nötige Kunst traktiert wie der
Sautreiber die Nachtigall. Und weil er allweil so dröselt an mir und bringt die Sach nit füreinand, da ist mir die Geduld vergangen. Und ich schlag dem Hammel eine Maulschelle über den Schnabel. Und schrei: ›Du! Richten muß flinke Barmherzigkeit sein. Komm her, du Lapp, ich will dir zeigen, wie mans macht!‹ Da geht ein lustiges Lachen durch den Leuthaufen, der um uns her gewesen ist. Die Schwaben sind ein verständigs Völkl. Ein Sprüchl sagt: Der
Schwab ist froh, und ist er arm, so tanzt er noch mit leerem Darm. Und wie die Leut so lachen, streckt sich ein junges, sauberes Maidl in die Höh und schreit: ›Um den wär schad, den sollt man gnadigen.‹ Und hundert Mannsleut schreien es gleich dem Maidl nach. Und richtig! Die Ulmer haben mich laufen lassen.«
Am langen Tisch erhob sich ein glückseliges Gelächter. Und Malimmes, während er gemütlich mitlachte, sagte zu
Marimpfel: »Jetzt nimm mich in die Lehr, Herzbruder! Wärst du auf dem Ulmer Schragen gestanden, wie hättst es denn du gemacht?«
Was Marimpfel brummte, war bei dem heiteren Rumor der Tafelrunde nicht zu hören. Die blonde Magd hatte ein heißes Gesichtl und lachte: »Für das schwäbische Maidli bet ich heut nacht drei Vaterunser!« Und viele sprangen von den Stühlen und Bänken auf, vergaßen das Selchfleisch und die billige Bitsche, drängten sich um Malimmes her und wollten aus nächster Nähe hören, wie die Geschichte des vierten Strickes
ihr glückliches Ende finden würde.
»Das ist in Landshut gewesen, vor dritthalb Jahr«, erzählte Malimmes, »und Landshut, Leut, das ist eine gefährliche Stadt. Da haben einmal die Wölf den Schultheiß auf offenem Markt gefressen. Die Landshuter haben zugeguckt aus ihren Fenstern. Und wie der Ärmste gefressen war, hat ein barmherziges Kindl gesagt: >Der Schultheiß ist mager gewesen, die lieben Wölflein
müssen noch Hunger haben.< Im selbigen Landshut, in so einer gefährlichen Stadt, hätt ich schier mein Leben lassen müssen. Da haben wir Nüremberger, nit weit von Regensburg, einem Ritter die Burg gebrochen. Der ist mit dem Landshuter Herzog Heinrich im Bund gewesen. Auf dem Heimweg hab ich mit zwölf braven Gnoten die Nachhut gedeckt. Wir kommen zur Donau. Die zwölfe hocken schon im Fährboot. Da sprengt ein Häufl von des Herzogs Reitern auf uns ein.
Ich stoß das Fährboot ins Wasser und will nachspringen. Aber weil mein Binkel ein lützel schwer gewesen ist, bin ich zu kurz gesprungen. Das Fährboot rinnt davon, ich platsch ins Wasser hinein, und die Landshuter greifen mich.«
»Jesus!« stammelte die blonde Magd erschrocken. Und das magere Bäuerlein kreischte: »Gänsl, dummes! Ist ihm doch nichts geschehen! Er hockt doch bei uns und lacht.«
»Aber selbigsmal ist mir nit zum Lachen gewesen. In meinem Binkel haben sie fünf goldene Becher und viel schönes Geschmeid gefunden. Drum haben sie mich mitgezarrt bis auf Landshut. Zwischen den Nürembergern und des Herzogs Räten hats eine endsmäßige Schreiberei um mein Leben abgesetzt. Und derweil sie viel gutes Papier verdorben haben, bin ich zu Landshut vom Juli bis zum Jänner im Turm gehockt. Selbigsmal hab ich mir ein bayrisches Mäusl
dressiert. Ist mir ein lieber Gesell gewesen bis zum Heiligdreikönigstag, an dem mir die Landshuter den Stab gebrochen haben. Am letzten Morgen hab ich mit dem bayrischen Mäusl noch meine Himmelfahrtswurst geteilt. Dann hat mich der Freimann zum Karren geholt. Die Richtstatt ist ein halbes Stündl weit vor der Stadt gelegen. Und eine schauderhafte Kält ist gewesen. Mir hats nit viel gemacht, im Turm gewöhnt sich einer ans Frieren. Aber den Meister Freimann hat die
schieche Kält auf dem Karren gebeutelt, daß ihm die Zähn gescheppert haben. Und da hab ich lachen müssen. ›Freilich, du kannst lachen‹, sagt der Freimann, ›du hast es gut, du brauchst bei so einer Kält den weiten Weg heut nimmer heimfahren!‹«
Am Tisch ein heiteres Gelächter. Sogar die blonde Magd, obwohl sie zitterte vor barmherziger Sorge, mußte schmunzeln.
»An die tausend Leut
sind um das Rappenholz hergestanden. Und auf den Herzog Heinrich hat ein kostbar Zelt mit einem Glutpfändl gewartet, daß der hohe Herr bei der schönen Lustbarkeit nit frieren müßt. Das Glöckl hat geläutet, und der Herzog, ein kleines, braunes, flinkes Manndl, ist dahergeritten mit stolzem Gefolg. ›Also, Freimann‹, sag ich, ›fangen wir an in Gottesnamen, fürnehme Herren därf man nit warten lassen.‹ Der Weg zum Schragen
hinauf ist ganz vereist gewesen. Und da tut der Freimann einen Rutsch. ›,Du‹, sag ich, ›das bedeutet nichts Gutes, heut wirst noch eine Dummheit machen!‹ Und richtig! Wie der Freimann auf dem Spreißel hockt und kletzelt mir den Hänfenen um das kitzlige Zäpfl, da tut die Leiter jählings auf dem hailen Eis einen Fahrer. ›,Hoppla!‹ schreit der Freimann und will sich halten an mir. Aber für so ein schweres Paarl ist der Hänfene
nit berechnet gewesen. Und ist gerissen. Und derweil der Freimann einen Purzelbaum über den Schragen macht, bin ich auf dem schönen Glatteis schlittengefahren bis vor das warme Glutpfändl des Herzogs hin. Der schaut, ich weiß nit wie. Und fragt mich: ›Nüremberger, woher so flink?‹ Ich sag: ›Gradaus vom Himmel her. Und einen schönen Gruß vom heiligen Petrus bring ich.‹ Der Herzog macht ein Paar Augen, als wüßt er nit, ob
er lachen oder sich ärgern soll. Und sagt: ›Warum bist du, wenn du schon vor des Himmels Tor gestanden, nit auch hineingegangen?‹ Ich sag: ›So hab ich tun wollen, gnädigster Herr! Aber der Petrus hat mich nit durch die himmlische Maut gelassen. Und hat befohlen: Kehr um, ich darf dich nit allein in den Himmel lassen, es ist so fürgesetzt im Buch der Ewigkeit, daß du selbander kommen mußt mit dem Herzog Heinrich von Landshut.‹«
Malimmes mußte warten, bis sich der lustige Aufruhr am Tisch ein bißchen legte.
»Ich sags. Und der Herzog verfärbt sich ein lützel, schmunzelt aber gleich und ruft: ›Der Mann soll leben! Hütet seine Gesundheit und gebt ihm sicheres Geleit bis Nüremberg!‹ Und wie ich mit dem Freimann wieder heimgefahren bin nach Landshut, schauet, da hat mich, weil ich so lang mit meiner dünnen Hos auf dem kalten Eis
gesessen bin, halt auch ein lützel gefroren. Und ich sag zum Freimann: ›Gelt, da siehst dus, man soll den Tag nit vor dem Abend loben, schau, jetzt gehts mir auch nit besser als dir!‹«
Am Tische ging ein Spektakel los, so laut, daß man das einzelne Wort nicht mehr verstand. In heiterem Aufruhr schrien sie alle durcheinander und fingen darüber zu streiten an, ob der Herzog Heinrich von Landshut einen abergläubischen Schreck
verspürt oder den Galgenspaß mit einem barmherzigen Herrenscherz erwidert hätte. Während dieses Streites schlich sich die blonde Magd mit heißem Gesicht zu Malimmes hin, schlang ihm plötzlich den Arm um den Hals und flüsterte ihm ins Ohr: »Magst mich haben?« Er lachte, küßte sie schnell auf die glühende Wange, gab ihr einen Schlag auf die runde Seite und sagte: »Dummes Gänsl, du! Aber ein richtiges Weibl bist! Lauft der
Tod einem Mannsbild nach, so rennt dem Tod noch allweil ein Weibl voraus, das flinker ist.«
Der Knecht des Runotter war in die Stube getreten. Marimpfel sprang auf und schrie: »Wo ist dein Bauer? Warum kommt er nit?«
»Mein Bauer laßt dir sagen, er wartet noch, bis ich heimkomm. Dann muß er wieder zur Arbeit ins Holz.« Gleich nach dem letzten Worte machte der Knecht sich wieder davon.
Dem
Gadnischen Hofmann schwoll der Kamm. »Wart, Bauer! Dir sag ich ein Wörtl!«
Da faßte Malimmes den Arm des Bruders und mahnte freundlich: »Tu dich besinnen! Sei gescheit!«
»So gescheit wie du bist, bin ich schon lang gewesen.« Marimpfel befreite seine Faust, stieß ein paar der lustig Streitenden aus seinem Weg und verließ die Leutstube. Draußen fluchte er wie ein Bauer bei der Fron. Und als
er im Sattel saß, bekam der Gaul so grob die Sporen, daß er ein paar rasende Sätze machte.
Zugleich mit dem jungen Knecht erreichte Marimpfel das Hagtor des Runotterhofes. Ein weites, sauber gehaltenes Gehöft. Wie ein viereckiger Hügel lag der von Geflecht umhürdete Düngerhaufen vor den zwei niederen Stallgebäuden, in denen es stille war. Eine große Scheune. Und daneben das Wohnhaus, ein schwerer Holzbau, fest und klobig,
grau vor Alter. Weiße Tauben gurrten auf dem steilen Dach, das halb die Sonne hatte und halb im Schatten von drei alten, mächtigen Ulmen träumte. Hinter den Bäumen lag ein Gärtchen mit blühenden Blumen.
Außer dem jungen Knecht, der mit dem Reiter gekommen war und gegen die Ställe ging, war niemand zu sehen.
»Bauer!« schrie Marimpfel und hatte mit dem ungebärdigen Gaul zu schaffen.
Keine Antwort ließ sich hören, niemand kam.
»Gotts Teufel und Bohnenstroh! Was ist denn? Bauer! Bauer!«
Da rief der Knecht von den Ställen her: »Der Bauer ist im Haus. Wirst wohl hinein müssen.«
Marimpfel sprang aus dem Sattel, warf den Zügel des Gaules über einen Pflock und trat in den dunklen Flur. Zur Linken stand eine Tür offen. Die führte in einen großen, niederen Raum mit fünf kleinen Fenstern. Der Boden war mit Lehm glatt ausgeschlagen und mit rötlichem Sand bestreut. Wände und Decke bestanden aus dem braunen Gebälk des Hauses. Ein großer Ofen, gemauert. Und eine Bank um den ganzen Raum herum. In der Fensterecke ein schwerer Tisch mit vier dreibeinigen Stühlen davor. Und im Mauerwinkel ein hölzernes Kreuz mit frischen Wacholderzweigen.
Bei einem der kleinen Fenster saß Runotter, die Faust über die Tischplatte hingestreckt, ein Fünfzigjähriger, schwer, fest und knochig, in verwittertes Lederzeug gekleidet. Das glatt auf die Schultern fallende Haar war halb ergraut, das Gesicht von Gram und Arbeit hart versteint. Doch in diesem Gesichte glänzten die gleichen Augen, ruhig und blau, wie in den Gesichtern seiner beiden Kinder.
Als der Bauer den Spießknecht kommen sah, erhob er sich. »Gottes Gruß in meinem Haus!«
Schon auf der Schwelle fing Marimpfel zu brüllen an: »Du Kerl! Was bist denn du für einer –«
»Der Richtmann Runotter bin ich. Oder muß ich meinen weißen Stab holen, daß du merken kannst, mit wem du redest?«
Diesem ruhigen Ernste gegenüber kam Marimpfel zur Besinnung. Eines Richtmanns Stab und Würde mußten auch einem Hofmann heilig sein. Der Spießknecht schwieg. Er musterte den Mann mit funkelnden Augen, und sein Zorn erstickte in einem halben Lachen. Dann sagte er grob: »Bauer! Du bist befohlen vor meines Herren Spruch. Und mußt mir folgen. Auf der Stell.«
Runotters ernster Blick schien in dem Gesicht des Spießknechtes lesen zu wollen. »Meines Herren Wort in Ehren! Ich komm.« Er rief zu einem Fenster hinaus: »Heiner, tu mir den Schimmel zäumen!« Und sagte zu Marimpfel: »Gleich bin ich wegfertig.« Er trat in eine Kammer.
Als er wiederkam, war er zum Ritt gestiefelt, trug auf dem Kopf die geschirmte Eisenschaller und um die Brust den plump geschmiedeten Holdenküraß, über dem das Schwert an stählerner Kette hing.
Marimpfel machte zuerst verdutzte Augen, dann fragte er spottend: »Willst fechten mit dem Amtmann?«
»Das nit. Aber was Weg heißt, ist unsicher. Man sieht sich für.« Draußen klang der Hufschlag eines schreitenden Pferdes. »Komm!«
In der Sonne führte Heiner den Schimmel vom Stall herüber, ein kleines, festes Rössel, das mit einem Strick gezäumt war und keinen Sattel hatte, nur einen Gurt, an dem die Bügel hingen.
»Bauer!« Marimpfel lachte. »Dein Gaul hat einen schiechen Heubauch. Da wird er schnaufen müssen neben meinem Roß.«
»Fest schnaufen ist gesund.«
Die beiden stiegen auf, und als sie zum Hagtor ritten, warf der Bauer einen sorgenvollen Blick über sein Gehöft.
Vom Leuthaus hörte man den Lärm der lustigen Kumpanei.
Marimpfel drehte den Kopf nicht. Auf der Straße brachte er seinen Gaul in jagenden Trab. Der Schimmel schnaufte wohl, blieb aber hinter dem Roß des Hofmanns nicht zurück.
Doch plötzlich, als der Wald begann und das dumpfe Rauschen des nahen Windbaches den Hufschlag der Pferde übertönte, blieb der Schimmel stehen.
Lachend fragte Marimpfel: »So, Bauer? Mußt deinen Heiter schon rasten lassen?«
»Das nit.« Mit ernsten Augen sah der Bauer den Spießknecht an. »Der Schimmel ist stehenblieben, weil er das so gewöhnt ist, daß ich halten und ein lützel lusen muß, so oft ich da vorbeikomm, wo der Windbach rauscht. Und wo ich an einen denken muß, der Hartneid Aschacher heißt.«
Der Hofmann gab keine Antwort und guckte in den Wald hinein.
Mit schwerer Hand über die Mähne des Pferdes streichend, sagte der Bauer: »Komm, Schimmel! Heut ist nit Lusenszeit, heut rufen die Herren.«
Die beiden Pferde trabten. Und immer war der Schimmel um eine feste Nase voraus. Das Roß des Hofmanns fing zu galoppieren an, und seine Flanken pumpten.
»Gotts Teufel, Bauer«, knirschte Marimpfel, »tu langsamer ein lützel!«
»Gern, Hofmann!« Runotter straffte den Zaum.
Nun trabten die beiden Seite an Seite. Und als sie hinauskamen auf die offenen, von der Sonne überglänzten Wiesen, flossen die Schatten der zwei Reiter zu einem schwarzen, wunderlichen Ungetüm zusammen, das acht kurze, wirbelnde Beine, einen grotesk veränderlichen Drachenleib und zwei nickende Geierköpfe hatte.