Frei Lesen: Der Ochsenkrieg

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Ludwig Ganghofer

Der Ochsenkrieg

6

eingestellt: 2.7.2007





Vor dreizehn Tagen war Herr Konrad Otmar Scherchofer, Propst von St. Zeno zu Reichenhall, mit Gefolge nach Salzburg geritten, um einer Provinzialsynode beizuwohnen, die ein Heilsames wider das grassierende Konkubinat der Kleriker und wider das ketzerische Unwesen des freien Geistes beschließen sollte.



In zehn Sitzungen hatten die zu Salzburg versammelten geistlichen Fürsten, Kanoniker und Doktoren zahlreiche Kirchengesetze beschlossen und verkündet. Und es gab doch der Kirchengesetze bereits so viele, daß auch der gewissenhafteste Christ nicht mehr imstande war, sie alle zu kennen und zu befolgen. Da konnte kein Tag vergehen, ohne daß nicht jeder Mensch, ob Kleriker oder Laie, ahnungslos durch irgendein Wort oder irgendeine Tat in die Exkommunikation oder in eine andre schwere Kirchenstrafe verfiel. Es war unmöglich, alle zu bestrafen, die sich versündigten. So wurden die vielen und strengen Gesetze lächerlich, die Übertretung bekam Humor.



Diese Wahrheit hatte Herr Konrad Otmar Scherchofer, der als Priester auch kluger Weltmann war, auf der Synode zu Salzburg ausgesprochen. Er hatte gesagt: »Wird ein Mensch ermordet, so ist das ein übles und trauriges Ding, das allen Rechtschaffenen Schmerz bereitet und ihren strafenden Zorn erregt. Werden zehntausend erschlagen, erstochen, gehenkt, geviertelt, gerädert und verbrannt, so verwandelt die widersinnige commulatio den Menschenmord zu einem grinsenden Schembartspiel der irdischen Torheit, das auch den ernstesten der Menschen lachen macht. Exemplum trahit. Ein Gesetz ist heilsam, tausend Gesetze werden zu einer Fäulnis, zu einem Brunnengift des Lebens. Gott, in Güte und Nachsicht, hat der Menschenseele, die von des Teufels schmutzigem Boden zu reinlicher Höhe möchte, tausend Wege und immer noch einen gegeben. Versperrt ihr sie alle bis auf einen, so wird die suchende Menschenseele einem hungernden Esel gleichen, der zwischen tausend vernagelten Gotteskrippen die eine nimmer findet, wo er nach eurem Willen fressen soll. Der Esel sind unzählbar viele. Sie haben nicht Platz vor einer Krippe. Sie müssen zupfen dürfen, wo Gott ein Gräslein oder eine Distel wachsen ließ.«



Wie der berittene Hofmann auf der Ramsauer Straße brüllte: »Willst du meinen Herren verschimpfen?« – so hatte im Salzburger Synodensaal ein Erzürnter geschrien: »Willst du uns Esel heißen?«



Herr Konrad Scherchofer hatte lächelnd erwidert: »Ich darf auch andre heißen, was ich mich selber heiße. Vermute ich auch, daß ich unwürdiger bin als ihr seid, so glaub ich doch, kein schlechter Mensch zu sein. Ich bin als Mensch so gut, wie es die andern mir zu sein gestatten. Und diese andern sind, wie ich bin und wie ihr seid: vor allem schwach von Gedächtnis. Es ist in mir nur noch ein blasses Erinnern an die Gesetze, die wir gestern und ehegestern verkündet haben. Und heute zur Nacht, in einer schlaflosen Stunde, begann ich nachzurechnen, wie oft ich als erschreckend schlechter Christ und als leidlich guter Mensch in den hundertachtzig Tagen dieses halb erfüllten Jahres schon dem Kirchenbann und eurer Hölle verfallen mußte. Lasset mich die kummervolle Zahl verschweigen, die ich gefunden. Als ich beim Rechnen an die zwanzig Mal mit meinen Fingern zu Ende war, da hatte ich verdammenswerter Sünder die Vision eines Heiligen und sah, wie Gott in seiner reinen Himmelsglorie heiter lächelte. Ihr, meine würdigen Brüder in diesem geweihten Saale, lasset einen Trompeter kommen und heißt ihn hinausblasen zum Fenster, bis da drunten die guten Menschen zusammenlaufen nach Tausenden. Dann leeret einen Karren Sand zum Fenster hinaus, indessen ein kräftiges Lüftlein bläst. Und jedes verwehte Sandkorn wird einen Menschen treffen, der zu Bann und Tod und Hölle verdammt ist nach irgendeinem von euren vielen Gesetzen. Und zahllose Sandkörner werden es sein, die der Wind zurückbläst in diesen Saal. Meine würdigen Brüder! Wir sollten uns versammeln, um Gesetze zu streichen, nicht um neue zu ersinnen.«



Solche und andre Worte, die er lächelnd sprach, hatten ihm eine Antwort eingetragen, die ihn bei seiner Klugheit beredete, von der Salzburger Provinzialsynode im schützenden Grau des Morgens davonzureiten, bevor sie nach Sonnenaufgang mit festlichem Tedeum beschlossen wurde.



Der vorsichtige Propst zu Reichenhall hatte von den drei Straßen, die ihm für die Heimkehr zu Gebote standen, die beste, fast völlig ebene über Wals und Marzoll aus dem Grunde vermieden, weil sie zu lange auf Salzburger Boden blieb. Er war auch nicht die Straße geritten, die durch die Höfe des Berchtesgadnischen Stiftes zum Hallturm und zum Grenzpfahl mit dem Wappen des heiligen Zeno führte. Er wäre da ohne eine aus Gründen der Courtoisie unerläßliche Visite nicht durchgekommen. Aber mit Herrn Peter Pienzenauer, der von der Synode ferngeblieben war, sprach sich Herr Otmar nicht gut um verschiedener Dinge willen, die seit Jahren an den Grenzen zwischen Berchtesgaden und Reichenhall ein chronisches Leiden waren. So hatte er als empfehlenswertesten Weg die schlechte Karrenstraße gewählt, die unterhalb des Stiftsberges von Berchtesgaden durch hüllende Wäldchen führte und nach beträchtlichem Umweg wieder einlenkte auf die Straße zum Tal der Ramsau. Und just diese dritte, durch Klugheit und Vorsicht anempfohlene Straße sollte sich als ein übler, folgenschwerer Weg erweisen.



Und so kam nun Herr Konrad Otmar Scherchofer durch die Ramsau, in der eine Not des Lebens mit hundert Stimmen brüllte. Daß dabei vier stillgewordene Stimmen schon ausgeschieden waren, das machte in dieser Fülle der Flüche und des Jammers keinen merklichen Unterschied.



Herr Otmar war nicht begleitet von hundert Reitern, nicht von sechzig, nicht von vierzig, auch nicht von zwanzig. Ihm zur Linken ritt sein mit staatsmännischen Gaben gesegneter Kaplan Franzikopus Weiß. Hinter den beiden kamen vier Berittene, nicht reich gekleidet, aber gut bewaffnet. Dann folgte ein mit vier Maultieren bespannter Gepäckwagen. Und vor dem Zelter des Propstes träppelten zwei magere Läufer und ritt ein junger Trompeter. Der hatte sein Instrument in Hörweite des Berchtesgadnischen Stiftes schweigen lassen. Jetzt aber blies er alle dreißig Schritte ein paar schmetternde Töne, die verkündeten: Es kommt ein hoher Herr, die Straße ist freizuhalten von Schweinen, Vieh und Hunden, von Mistkarren, Heuwagen und sonstigem Hindernis. Und weil die Trompete beinahe so weit zu hören war wie ehemals ein Fingerpfiff des nun still gewordenen Schwarzeckers, drum ahnten die verstörten Ramsauer nach einem äffenden Schreck diese nahende ,Hilfe in der Not, noch ehe ihnen Herr Konrad Otmar Scherchofer deutlich erkennbar zu Gesichte kam.



Als die Kavalkade bei dem rauschenden Windbach vorbeigeritten war und den Verzweiflungslärm der Ramsauer schon wie dumpfes Murren vernehmen konnte, begegnete ihr ein sonderbarer Zug, der sich eilfertig bewegte und dennoch langsam von der Stelle kam: ein berittener Spießknecht, dem das Blut von der Faust heruntertröpfelte, ein zweiter Spießknecht, der seinen lahmen Braunen führte, ein Söldner und drei Troßbuben, die ihre verprügelten Köpfe hängen ließen und dazu noch zwei entseelte Menschen zu tragen hatten.



Herr Otmar erkannte die Berchtesgadnischen Farben. Segnend machte er mit der Hand das Zeichen des Kreuzes, tat keine Frage und ritt vorbei. So schweigsam wie der Herr, so schweigsam blieben die Diener. Doch ehrfürchtig entblößten sie die Köpfe vor dem Tod, der da getragen wurde. Dann sagte Herr Otmar über die Schulter zu einem der Seinen: »Reite zurück! Wenn die Ärmsten Stärkung oder Verbandzeug nötig haben, soll man es ihnen reichlich geben aus meinem Wagen.« Nachdenklich betrachtete er das Gesicht seines Kaplans. »Franzikopus? Witterst du Gefahr?«



»Ich glaube, hier ist geschehen, was nützlich werden kann,« Der Kaplan lächelte. »Betrachte dir die Lage und Biegung dieses wundervollen Tales, geliebter Herr! Sieht es nicht aus, als hätte Gott sich dieses Tal gedacht als den seitwärts gestreckten Daumen der Hand von Reichenhall? Daß Hand und Daumen voneinander getrennt sind, ist wider die Natur.«

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