Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

Kostenlose Bücher und freie Werke

Kapitelübersicht

1. Kapitel | 2. Kapitel | 3. Kapitel | 4. Kapitel | 5. Kapitel | 6. Kapitel | 7. Kapitel | 8. Kapitel | 9. Kapitel | 10. Kapitel | 11. Kapitel | 12. Kapitel | 13. Kapitel | 14. Kapitel | 15. Kapitel | 16. Kapitel | 17. Kapitel | 18. Kapitel | 19. Kapitel | 20. Kapitel | 21. Kapitel | 22. Kapitel | 23. Kapitel |

Weitere Werke von Ludwig Ganghofer

Das Kasermanndl | Bergheimat | Hochwürden Herr Pfarrer | Der Ochsenkrieg | Gewitter im Mai |

Alle Werke von Ludwig Ganghofer
Diese Seite bookmarken bei ...
del.icio.us Digg Furl Blinklist Technorati Yahoo My Web Google Bookmarks Spurl Mr.Wong Yigg


Dieses Werk (Die Trutze von Trutzberg) ausdrucken 'Die Trutze von Trutzberg' als PDF herunterladen

Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

11. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Von Tal zu Tal, quer über den Hügelrücken des Trutzberges hin, brannte der Wald immer näher gegen das Lager der Seeburgischen. Die hatten schwer zu schaffen, um eine Gasse durch den Buchenbestand zu hauen und den Brand von sich abzuwehren.



In der Trutzburg schaffte man nicht minder. Aber man hatte Zeit gewonnen, um alle Vorbereitungen zur Abwehr eines Sturmes zu treffen. Von Norden, Osten und Westen war ein ernstlicher Angriff bei der Steile des Berghanges und der Höhe der Mauern nicht zu besorgen, nur ein Scheinkampf, um die Verteidigung des Brückenturmes zu schwächen. Und solange das freundliche Waldfeuer loderte, war auch ein Sturm wider Graben und Fallbrücke ausgeschlossen. Ein ganz verläßlicher Bundesgenosse war diese riesige Flamme freilich nicht. Trotz des kräftig ziehenden Gegenwindes hauchte sie auch über die Trutzburg eine Hitze hin, daß die Leute bei der Arbeit schwitzen mußten wie Schmiede und Bäckergesellen. Die Burghöfe verwandelten sich in Provinzen des Schlaraufenlandes – Tauben und andere Vögel, die sich im Qualm des Waldbrandes verirrt hatten, fielen mit verkohltem Gefieder und halb gebraten auf das Pflaster herunter.



In den Stuben des Herrenhauses wurde die Hitze fast unerträglich. Frau Schligg betreute ihren fiebernden Gatten im dünnen Schlafkleid, und der ruhelose Ritter Korbin, der, kriegserfahrener als Herr Melcher, vom Perlenschrein der Frau Scholastika aus die Verteidigung der Trutzburg spiritualiter leitete, trug einen kühlenden Essigbund um die Stirn herum und steckte immer wieder das kranke Bein in eine Kufe voll kalten Brunnenwassers, obwohl Frau Schligg der schluchzenden Meinung war, daß ihm diese Roßkur erst recht die Hitze zum Kopf triebe. Auf seinen Wangen blühten so schön gefärbte Rosen, als vollzöge sich im Puechsteiner ein Verjüngungswunder. Man spürte die quälende Hitze sogar in den gewölbten, kleinfenstrigen Vorratsräumen und Kellern, wo Frau Engelein und Hilde mit vier Mägden beschäftigt waren, die Rationen zu teilen und die Masse des Fleisches einzupökeln, das vom Schlachthof gebracht wurde.



Das mörderische Werk der Metzgerburschen, die nach einem kriegstechnischen Ausdruck das Blut in Strömen rinnen machten und die vielen Todesurteile der Frau Angela an Rindern, Schweinen, Ferkeln, Hammeln und Schafen vollzogen, verursachte eine Verschärfung im Gemütszustände des Wulli. Wenn der Jungsöldner – von welchem Wulli beinahe schon glaubte, daß es der Lien wäre – sich vom Kassian Ziegenspöck in der Handhabung einer Hakenbüchse, in der Bedienung eines Turmgeschützes und sonst noch in eisernen Arbeiten unterweisen ließ, die wahrhaftig mit den Pflichten eines Schäfers nicht die entfernteste Ähnlichkeit hatten, wurde im Wulli der halb schon niedergerungene Zweifel wieder lebendig. Für solche Qualmomente hatte er den Trost gefunden, vom Turmsöller auszukneifen, in den Schafstall zu rennen, sich mit lechzender Zunge da niederzulegen, und zu fühlen: ›Hier weiß ich, was ich habe, hier bin ich daheim, hier ist klarverständliche Wahrheit, hier eine Welt, die ich restlos verstehe!‹ Doch diese wollige, blökende, trippelnde Welt des Wulli wurde kleiner von Stunde zu Stunde. Und als er in der Abenddämmerung wieder einmal kam, eines tröstenden Anblickes heiß bedürftig, war die Welt des Wulli in ein leeres Nichts verwandelt. Verzweifelt setzte er sich aufs Hintergestell und heulte zur Decke des entvölkerten Stalles hinauf, als ginge da droben der Mond spazieren. Diese Helligkeit war aber nur ein Widerschein des mächtigen Pfannenfeuers, das im Burghof brannte. Nun blieb dem Wulli nichts anderes mehr übrig, als zu glauben, daß in dem jungen Söldner wahrhaftig der nach Gesundheit und Heideblumen duftende Lien verborgen wäre. Es erging ihm wie vielen unchristlichen Menschen, die ein Leben lang immer mäkeln und leugnen, um in Verzweiflung und Todesnot erleuchtet zu werden für den Glauben ans Himmelreich.



Wulli machte sich mit Schlappohren und in kummervollem Trott auf die Suche und fand den nun wesentlich glaubhafter gewordenen Lien im Burghof, inmitten von etwa hundert Menschen, die ähnlich und noch viel übler rochen als die neue Außenseite des verzauberten Schäfers.



Beim Flackerschein des Pfannenfeuers und unter dem Widerglanz der versinkenden Waldglut knieten die hundert Menschen auf dem Pflaster und hielten in Andacht die Hände gefaltet. Mit Albe und Stola stand der greise Burgkaplan vor ihnen, sprach den Segen über ihre gebeugten Köpfe und variierte mit schwerverständlichem Lallen das tiefste und schönste von allen Apostelworten: »Kindlein, liebet einander!«



Die kleine Glocke der Burgkapelle läutete dazu mit etwas heftigem Klang. Und hoch in den dunklen Lüften war ein Rauschen, das sich anhörte wie etwas Heiliges, wie Schwingennähe von Engeln. Da droben – in einer Höhe, bis zu der die Helle des Pfannenfeuers nimmer hinaufreichte – flogen noch immer die Tauben umher, die ihre Nester und Höhlen nicht mehr fanden.



Schweigsam ging die Trutzbergische Gemeinde auseinander, jeder zu seinem Posten auf die Mauer. Die Mägde trugen den gewässerten Abendtrunk und die schmalen Rationen zu den Schützengängen. Der Burgkaplan kehrte zu seinem Lehnstuhl zurück. Herr Melcher, Frau Engelein und Hilde traten ins Herrenhaus, um das Nachtmahl in der Krankenstube des Korbin von Puechstein einzunehmen. Der Burgherr hatte das, dem Widerstreben seiner Hausehre entgegen, so angeordnet. »Man weiß nit, wie lang man noch schnauft. Da soll man jedes Stündl nützen zu herzlichem Beisammensein.«



Jungherr Eberhard mußte in der Halle ein paar flinke Bissen verschlucken, weil er noch die Abendrunde durch die Schützengänge und Wehrtürme zu machen hatte.



Auf der Mauer gegen Osten, Norden und Westen waren nur Wachtposten aufgestellt, die beim Schein der Pfannenfeuer den vom Mauerfuße steil ins Tal hinunterfallenden Berghang im Auge behalten mußten. Doch Mann an Mann stand die Besatzung in den nach Süden gelegenen Schützengängen und auf dem Brückenturm, vor dem der Hügelrücken des Trutzberges flach gegen die höheren Berge hin verlief. Am verwichenen Abend hatte da noch der schöne Buchenwald gerauscht. Jetzt bog sich ein breites und langgestrecktes Glutfeld von Tal zu Tal über den Hügel hinüber; das war im rauchigen Dunkel des Abends anzusehen wie der feurige Sattel eines riesenhaften Höllenrosses, auf dem die Qualmgestalt eines gigantischen Dämons ritt: die Gestalt des Krieges! Sein wehender Rauchmantel umhüllte den Himmel. Funkelten die Sterne da droben? Oder hing ein Wettergewölk zwischen dem Himmelreich und allem Christenwillen der Erde? Von den Bergen fauchte ein scharfer Wind einher, der sich über der Glut erhitzte und ein feines Geriesel von Asche durch die Schießscharten der Mauer und des Brückenturmes hereinwehte in die Wehrböden und Schützengänge. Man hörte ein unbestimmtes Rauschen, hörte fernen Stimmenlärm und wirres Gehämmer, hörte den Hall von Axtschlägen und das dumpfe Krachen stürzender Bäume.



Jedem vergitterten Fensterloch und jeder Schießscharte gegenüber brannte vom Widerschein der Waldglut ein rosenroter Streif am Gemäuer der vom Flackerlicht der Spanfackeln und Talglampen unruhig erhellten Räume. Die Leute der Besatzung, angeblasen von der mit dem Winde hereinströmenden Backofenglut, schwitzten unter den Kürassen und Eisenhüten. Dabei waren sie guter Laune, machten derbe Scherze und schäkerten mit dem an Jahren gesegneten Weibsvolk der Frau Engelein und mit der jungen Pernella, die sich, wo sie ging und stand, der zwickenden Fäuste und der Söldnerspäße erwehren mußte. Sie tat es mit Lachen, immer heiter, immer mit einem schneidigen Wörtlein auf der Zunge, und lockte dadurch die lustigen Kletten, statt sie loszuwerden. Wo Pernellas muntere Stimme klang und ihr rotschwänziges Köpfl surrte, dachte keiner von den Söldnern an seinen nahen Tod, jeder nur an ein schmackiges Zusammenleben mit dem apfelrunden Mädel. Sehr viele von diesen willigen Christen ersehnten sich da das gleiche Himmelreich. Frau Engeleins wachsame Tugend hatte die Biederen ausgehungert.

  • Seite:
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
< 10. Kapitel
12. Kapitel >



Die Inhalte dieser Seite sind Eigentum der Öffentlichkeit.
Sollten trotzdem Urheberrechte entgegen unserem Wissen verletzt worden sein, bitten wir Sie mit uns Kontakt aufzunehmen.