Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

13. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Von einer ruhelos drückenden Sorge halb erlöst, begab sich Frau Engelein kurz vor Mitternacht zur Ruhe. Nur zwei, drei Tage noch, und auf der Trutzburg mußte der ungestörte Eierfriede wieder Einkehr halten. Wenn nur erst dieses Nötigste gesichert war! Da würde vielleicht der liebe Gott auch dem Melcher das Kleckern noch abgewöhnen, den Heini von Seeburg zur Vernunft bringen und die Puechsteinischen Blutzecken aus der Trutzburg hinausblasen, vor allem dieses schamlose Weibsbild mit dem Hexenhaar und den unsittlichen Waden! Und dann wird die Erde verwandelt sein in einen Vorgeschmack des Himmelreichs.



Frau Engelein mußte sich freilich sagen, daß die Erziehung des Herrn Melcher Trutz zur Reinlichkeit auch für Gottes Wunderkraft eine fast hoffnungslose Sache wäre. Um so verläßlicher würde sich alles andere ergeben. Der Puechsteiner mit seiner brandigen Wunde hatte doch schon den nahen Tod hinter den weißen Ohren. Dieses Erlösungswunder würde sich vielleicht noch flinker vollziehen als die Entdeckung des Eierdiebes. Das konnte Frau Engelein ruhig übersinnen, wie man an Bohnen und Erbsen denkt. Und war nur erst der unbequeme Puechsteiner nach Gottes sichtlichem Willen erledigt, so wird wohl auch im törichten Melcher Trutz die nötige Vernunft aufzuwecken sein, die ihn zu einem Vergleich mit dem Heini von Seeburg bereden muß. Einem Lebenden die nutzlose Treue halten? In Gottes Namen, Herr Melcher ist nun einmal solch ein Narr! Doch einem Toten gegenüber wird man aller Pflichten der Einbildung ledig. Und mit der Puechsteinischen Witib in ihrer hilflosen Trauer und mit dem zimpferlichen Bräutlein wird Frau Engelein fertig werden. Leicht! Und die rote Pernella wirft man aus der Mauer. Oder man sperrt sie über Nacht zusammen mit einem jungen Knecht in die Stallkammer. Das wird einem Genäschigen im Herrenhause das Wohlgefallen verleiden. Was vor vierundzwanzig Jahren wider das Mädel mit dem seltenen Namen half, das wird auch helfen wider die rote Pernella.



Unter solchen Christengedanken erreichte Frau Engelein ihr eheliches Schlafgemach. Herr Melcher lag bereits in bleiernem Schlummer, nahm die größere Hälfte des Bettes in Anspruch und sägte wie ein Zimmermann.



Beim Schein des Laternchens huschte Frau Engelein noch über die Wendeltreppe in die Firstkammer hinauf, um sich von der einsamen Anwesenheit der roten Pernella zu überzeugen. Das Mädel, mit dem Gesicht gegen die Wand gedreht, heuchelte einen festen Schlaf und mißbrauchte boshaft diese Verstellung, um der neugierigen Burgherrin ohne Hülle zu zeigen, was eine sittsame Jungfrau im Zustand des Wachens zu verbergen pflegt. Nach Frau Engeleins Meinung mußte aber auch der Schlummer noch eine züchtige Sache bleiben. Um das der runden Pernella beizubringen, bedurfte sie keines lauten Wortes. Zur Rettung der Sittlichkeit genügte das heiße Laternenblech. Ein erstickter Schrei. Dann klirrte der schwere Eisenriegel an der Falltüre. Als die tugendhafte Frau in ihrem weiten Schlafkittel stak und das Schlummerhaubchen über die dünnen Haarschwänze gebunden hatte, warf sie durch das Fenster noch einen sorgenvollen Blick in die schwarze, vom Regen durchrauschte Nacht hinaus.



Auf den Wehrtürmen glosteten die Pechfeuer wie große rote Augen. Eisenschritte klirrten über den Burghof, und aus einem Schützengang war die überraschend klare Stimme des Kassian Ziegenspöck zu vernehmen, der zur Mitternachtsstunde die Wachen ablöste.



Er war in guter Laune. Die eigene Stimme gefiel ihm, in seinem Inneren war nicht die leiseste Mahnung von Sodbrennen, und unter dem Strohsack seines Sergeantenbettes hatte er noch zehn Eier für die Stillung neu entstehender Magenschmerzen verstecken können. Auch hatte er zwei Stunden geschlafen, im Bett des Lien, der als Fürmann auf dem Turmboden die Wache hielt. Die Gurke war frisch gefüllt, und der rauschende Regen galt dem Kassian Ziegenspöck nicht als schlechtes Wetter. Das würde wohl noch so weiterpritscheln, wer weiß wie lang. Bis der liebe Herrgott das Himmelreich trockenlegte, hatte man auch Ruhe vor den Seeburgischen. Wenn es den Feldschlangen in die Weidlöcher und auf das Feinpulver regnet, unterläßt man das Schießen. Und auch die tapfersten Helden sind keine Freunde von nassen Hosenböden.



Nach Ablösung der letzten Wache stieg der Sergeant zu dem von rauchigem Zwielicht erfüllten Schützensöller des Brückenturmes hinauf. Die Luft war kühl geworden, und durch die Schießscharten leuchtete kein Glutschein mehr herein. Zwischen den Schützen, die schlafend auf den Holzbänken kauerten, stand Lien mit Hakenbüchse und brennender Lunte bei einem Mauerloch und spähte in die schwarze, rauschende Nacht hinaus. Neben seinen Füllen lag Wulli zu einer zottigen Pelzkugel zusammengeringelt; beim Schritt des Sergeanten hob der Hund den Kopf, schnupperte gegen die Beine des Lien und schob die Schnauze wieder unter den Bauch.



»Was Neues, Bub?«



Ein bißchen verwundert über die sanfte, klare Stimme des Kassel schüttelte Lien den Kopf. »Die guten Herrenleut können schlafen ohne Sorg. Die Nacht hat Ruh.« Seine leisen Worte waren wie das Flüstern eines Träumenden. »Die Feindesleut rühren sich nit. Bloß weit da draußen ist hinter Stauden und unter Dach ein Feuer.«



»Wo?« Der Sergeant trat zur Scharte hin.



Lien deutete: »Da draußen! Ich schätz vierhundert Gäng.«



»Wo, Bub? Ich sehnichts.«



»Den großen, schwarzen Brocken? Den mußt du doch sehen?«



»Mir ist alles schwarz.«



»Das ist ein mächtiger Stein oder eine Schanz. Daneben, zur Rechten, sind die Stauden. Und hinter den Stauden, unter einem Dächl, glostet das Feuer! Siehst dus nit?«



»Ich seh bloß ein lützel was Milchiges.«



»Das ist der Feuerschein im Regen. Beim Feuer sind vier Leut. Und guck, jetzt kommt ein Fünfter dazu!«



»Hols der Teufel, ich nimms nit aus. Bub, du könntest als Wappenvieh auf unseres Herren Helm hocken. Augen hast du wie eine Katz!« Kassel drehte das abgelaufene Dreistundenglas um, das in einer Mauernische stand. Nachdenklich betrachtete er den dünnen Sandfaden, der im Uhrglas zu fließen begann, und sagte mit herzlicher Milde: »Bub, jetzt kannst du schlafen, bis der Jungherr die Frührund macht. Geh hinüber und streck dich auf dein Bett. Aber hock dich nit aufs meinige. Das hat Eierfarb.«



»Laß mich bleiben! Auf dem Boden lieg ich grad so gut. Und meinen Kopf kann ich dem Wulli auf den Buckel legen.«



»Meinetwegen! Es ist mir auch lieber, du bist in meiner Näh. Ich hab Wein in mir, und du hast Augen. Da machen wir selbander einen ganzen Menschen aus.«



Lien legte den Eisenhut ab, wickelte sich in den braunen Söldnermantel und streckte sich auf die Bretter hin. »So, Wulli, jetzt mußt du geduldig sein!« Mit der Hand den geweihten Petersgroschen an seinem Hals umschließend, schmiegte er die Wange in das Fell des Hundes und drückte die Augen zu.



Wulli hob die Schnauze. Behaglich war ihm die Sache nicht. Doch als er gegen Ohr und Haar des Jungsöldners hingeschnuppert hatte, bewies er, daß ein ruhiges, jedem Zweifel entrücktes Glück aus den Augen eines Tieres reden kann. Er wußte: was da schwer und warm in seinen Haaren lag, das war unleugbar der Kopf seines Schäfers.



Sooft sich einer von den schlafenden Schützen bewegte, knurrte Wulli, und seine Augen funkelten.



Manchmal juckte ihn das Fell. Er hätte sich gern gekratzt. Doch er tat es nicht, sondern machte nur symbolische Bewegungen mit dem rechten Hinterfuß, so zart, daß der schlummernde Jungsöldner davon nicht erwachte. Und die Flöhe, die den Wulli quälten, ließen den Lien in Ruhe. Der hatte jenes gesunde Blut, das allem Ungeziefer mißliebig ist.



Sehr unbehaglich schien auf Wullis Nase die Nähe des säuerlich duftenden Kassian Ziegenspöck zu wirken. Sonst aber gab der Sergeant dem Hunde keine Veranlassung, mißtrauisch zu werden. Fast regungslos, wie eine hölzerne Säule, die zwei gespreizte Beine hat, stand Kassel mit Hakenbüchse und glimmender Lunte bei dem Guckloch und betätigte die seltene Kriegsmannskunst: zu wachen, mit scharfen Sinnen zu lauschen und dabei doch zu schlafen. Auf die Minute erriet ers, daß die Dreistundenuhr abgelaufen war. Er ging zur Mauernische, drehte das Sandglas um und stellte sich wieder auf seinen Schlafwachposten.

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