Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

17. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Unter johlendem Siegesgeschrei, wie Narren und Berauschte, polterten die Schützen, Söldner und hörigen Knechte über alle Treppen hinunter.



Im Burghof, den die schöne Morgensonne überglänzte, saß Herr Melcher zwischen Rauch und Flammengezüngel auf einem Sandsack, ohne Helm, mit zerhackter Stirn, rot übergossen von seinem Blut. Neben ihm stand der wankende Lien mit zersplittertem Helmvisier, die Augen geschlossen, die Beine weit gespreizt, noch immer den Zwiehänder in den Fäusten; hinter ihm hockte Wulli in einem Pflasterloch, heftig zitternd, schüttelte immer den Kopf und mußte keuchen und niesen. Beim Brunnen, den der Hund verlassen hatte, lag Kassian Ziegenspöck auf den Knien, mit dem ganzen Kopf im Trog. Schwergewaffnete in den Farben der Trutzburg und des Puechsteins taumelten zwischen Seeburgischen Söldnern im Hof umher – sie alle hatte der Luftdruck der Pulverflamme gleich einer mächtigen Sturmwoge aus der Turmhalle herausgeblasen, in der nur die Toten noch lagen und ein paar Verwundete an der Mauer hockten, umstreut von den üblen Dingen, die aus dem Sturmwagen über den Sandwall herübergeflogen waren.



Während man neun lebendige Seeburger gefangennahm, ihrer Wehr entkleidete und mit Stricken band, öffnete sich das Hallentor des Herrenhauses. Die Frauen und Mägde kamen gelaufen, Entsetzen und Hoffnung in den blassen Gesichtern. Frau Scholastika, deren Augen immer suchten, rannte zum Brückenturm und schrie: »Der Meinige? Wo ist denn der Meinige? Wo ist mein Mann?« Sie verschwand im Turm. Und Hilde wollte ihr folgen, klammerte sich an den Pfosten des Treppentürleins und sah einen jungen Söldner, der im Stehen zu schlafen schien. Sie stammelte seinen Namen, hörte vom Turm herunter einen gellenden Schrei ihrer Mutter und sprang ihr nach.



Vor dem rotüberflossenen Burgherrn schlug Frau Engelein sprachlos die Hände über dem Kopf zusammen. Herr Melcher mißdeutete diese Bewegung, die er seit vielen Jahren kannte, und sagte schläfrig: »Ach, gutes Weibl, schimpf jetzt nit, weil ich mich so schiech bekleckert hab mit meinem Blut.«



»Wasser!« kreischte Frau Angela. »Da muß man Wasser bringen!«



Sie warf sich neben ihren sitzenden Mann auf den Boden hin, riß ihm die Schnallen des Panzers auf, bekam blutfleckige Hände und klagte: »Gelt, jetzt hast dus!«



Auf dem Zinnensöller des Brückenturmes schrillte eine verzweifelte Mädchenstimme: »Lien! Lien! Hilf meinem Vater, Lien!«



Der junge Söldner glich einem Erwachenden. Er ließ den Zwiehander fallen und drehte, weil er die Schnalle nicht fand, mit der Faust den Sturmriemen seines Helmes entzwei. Schwer tappend ging er zum Turm hinüber und zerrte den Eisenhut vom Kopf. Sein hartes Gesicht war von Schweiß überronnen, blutfleckig und mit blauen Malen bedeckt. Auf den steilen Treppen wurden seine Sprünge immer rascher. Der zitternde Wulli schlich niesend und winselnd hinter ihm her.



Als auf dem Zinnensöller das Fräulein dem Lien entgegensprang, hatte dieser Lebendige jenes leise, matte Lächeln, das auf den Gesichtern von Sterbenden ist, die mit ihrem Leben zufrieden waren.



»Lien?« Hilde umklammerte seinen blutigen Schuppenfäustling. »Kannst du meinen lieben Vater tragen?«



»Ich bin müd. Aber wenn du dabei bist, kann ichs.«



In brennender Sorge sah sie an ihm hinauf. »Lien? Bist du verwundt?«



Er verneinte. »Ich habs leichter gehabt als die andern. Mir hat nichts geschehen können. Mein Gröschl hat mich behütet.«



Tief atmend befreite Lien seine Hand und ging auf den Puechsteiner zu, dessen Kopf im Schoß der starr weinenden Frau Scholastika lag. Herr Korbin hatte die Lider offen, rührte sich aber nicht und sagte nichts. Nur seine glänzenden Augen bewegten sich ein bißchen und schienen etwas zu betrachten, das in der sonnigen Luft hing, unsichtbar für die anderen.



Lien reichte dem Fräulein seinen Helm und die Schuppenfäustlinge, die er heruntergezogen hatte. Auf dem Pflaster kniend, schob er seine geschienten, blutigen Arme unter den Puechsteiner. Mühsam stemmte er sich mit seiner Last in die Höhe. »Wohin muß ich den guten Herren tragen?«



Frau Schligg tat einen gellenden Schrei. Dann sagte sie schluchzend: »Zu meinem Bett.«



Als Lien den Puechsteiner über den Burghof trug, war Frau Engelein damit beschäftigt, ihrem entwaffneten Gatten das Blut von den schweren Stirnwunden zu waschen. Obwohl Herr Melcher in duseligem Zustand war, erkannte er seinen Herzbruder. »Lebt mein Korbi?«



In Zorn sagte Frau Engelein: »Unkraut verdirbt nit. Sorg dich um dich selber. Sobald du wieder heil bist, müssen wir sauber machen in der Trutzburg.



»Weibl«, lallte Herr Melcher, »heut könntest dus gut sein lassen mit Fleckputzen. Wär nit der Korbi mit seinem hilfreichen Hirn gewesen, so hätten wir jetzt die Seeburgischen Strick um die Fäust herum.«



Frau Engelein war anderer Meinung: »Wär der Puechsteiner nit gewesen, so hätten wir Fried gehabt. Mann! Das ist eine kostspielige Lieb.«



Ohne zu antworten, winkte Herr Melcher einen Knecht herbei und ließ den Kassian Ziegenspöck vom Brunnen holen.



Der Sergeant kam aufrecht einhergegangen, den Panzer von Wasser übertröpfelt. Er hatte nur fremdes Blut an seinem Leib. Aber einen groben Flachhieb schien er auf das Maul bekommen zu haben. Seine Lippen waren aufgedunsen wie Würste. Im übrigen hatte er ein fröhliches Aussehen und war augenscheinlich ohne Schmerzen in seinem Innern.



»Kassel!« Herr Melcher reichte dem Sergeanten die Hand. »Ich muß dir ein Vergeltsgott sagen. Du hast dich gehalten wie ein Held, der nüchtern ist. Du und mein guter Lien!«



Diesen Namen schien Frau Engelein nicht gern zu hören.



»Aber jetzt, lieber Kassel – ich weiß nit, ob ich nach einem Vaterunser noch bei Verstand bin – jetzt muß ich dir was befehlen. Du haftest mit Leib und Leben: daß man mir das Wundlager aufschüttet neben meinem Bundsbruder Korbi! Verstehst du?«



»Wohl, Herr!«



Die zwei kurzen Worte des Kassian Ziegenspöck hatten einen so absonderlich wulstigen Klang, daß Frau Engelein beim Blutfleckenputzen aufblickte. In ihrer mit Galle gemischten Sorge für den Gatten nahm sie sich aber nicht die Zeit, die Wirkung des Flachhiebes, den der Sergeant über den Schnabel bekommen hatte, genauer zu betrachten.



Während sie den Notverband um die Stirn ihres Mannes legte, war der Burghof durchwirbelt von Lärm und Leben. Auch auf der Nordmauer war das Geschrei und Büchsenkrachen seit einer Weile stumm geworden, und die Besatzung kam von dort gelaufen, um anzustaunen, was beim Brückentor geschehen war.



Als Kassian Ziegenspöck und zwei Söldner den taumelnden Trutz von Trutzberg unter Frau Engeleins Leitung in die Herrenhalle gängelten, vernahm die Trutzin den Schrei einer müden Stimme: »Mutter!« Sie verließ den Gatten und lief mit ausgestreckten Armen gegen den Burgfried, aus dessen Halle ihr Sohn herausgetreten war. Wohl wußte sie, daß die Seeburgischen gegen die unbezwingbare Nordmauer nur einen Scheinsturm unternommen hatten, um Mannschaft vom Brückenturm abzuziehen. Aber Kugeln und Bolzen waren auch dort geflogen, ihr Sohn hatte in Gefahr gestanden, sah so verwüstet aus wie der Puechsteiner, hatte Brandlöcher im Waffenrock, war fleckig von Öl und Schwefel und hatte alle Zeichen der Erschöpfung im Gesicht. Mit der Sorge um den Sprößling ihres Leibes paarte sich in Frau Engeleins Seele der schreckhafte Gedanke an den gefährlichen Glauben, der aus dem verbrecherischen Herzen ihres Mannes nimmer herauszureißen war. Nicht so, als wäre Eberhard gesund einer Not entronnen, sondern so, als wäre ihr Sohn erst jetzt bedroht von einer dunklen, tückischen Gefahr, umklammerte sie seinen gepanzerten Hals und brach in schreiendes Schluchzen aus. In diesem Augenblick war alles Kleine, Gallige und Häßliche aus ihr hinausgeschoben. Obwohl sie mit ihrem verstörten, einer Schwäche gleichenden Geschrei für die in der Brückenhalle schanzenden Söldner und Knechte lächerlich wurde, war Frau Engelein bei diesen Tränen erfüllt von aller Kraft eines Weibes und von Gottes tiefstem und bewunderungswürdigstem Gedanken: vom Ewigkeitsgefühl der Mutter, die lieben muß, ohne die Frucht ihres Leibes werten zu können, und immer gezwungen ist, das eigene Kind für das kostbarste Leben der Erde zu halten.

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