Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

2. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Ein Funkeln von Eisen in der Sonne, ein Leuchten und Durcheinandergleiten bunter Farben. Hundert Menschen bewegten sich. Dennoch war, außer dem Säuseln der Lindenblätter und dem Taubengurren, kaum ein vernehmliches Geräusch im Burggärtlein. Der Rasen dämpfte den Schritt der drei adligen Paare, die sich an erhobenen Händen gefaßt hielten und zur Kapelle gingen.



Die Söldner, die alten häßlichen Burgmägde und die hörigen Leute guckten mit Wohlgefallen dem Fräulein von Puechstein nach. Nur Lien, der Schäfer, war mit seinen blitzenden Augen weit da draußen im Bruchland; von der langen Predigt haftete, das Amen ausgenommen, kein Wörtlein mehr in ihm, und während Wulli schon mit ungeduldig pendelndem Schweif beim Söldnerhaus stand, spähte Lien noch immer in Sorge nach seinem Pferch. Was kümmerten ihn die Herrenleute? Man ist ein Treuer und dient. Beschützen konnten die Herren sich selber. Aber die Schafe brauchten den Lien und hatten sonst keinen, der ihnen half.



Ohne zu grüßen, sauste Lien in das Söldnerhaus und kam in eine spitzgewölbte Halle, in der es kühl und dämmerig wie in einer Kirche war, weil nur spärliches Licht durch die winzigen, vergitterten Fenster hereinfiel. An Holzgestellen, die sich rings um die Wände zogen, hingen Hellebarden, Zwiehänder, Armbrusten, Faustbüchsen, Eisenhüte und Wehrstücke. Ein steinernes Wendeltrepplein schlängelte sich zu den Söldnerstuben hinauf, und durch eine offene Tür gings über einige Stufen hinunter in eine dampfende, duftende Küche, aus der man Blechgeklapper und die Stimmen alter Weiber hörte. In der Mitte der Halle stand zwischen lehnenlosen Bänken ein langer, plumper Tisch, nicht mit Tuch bedeckt, nur bestellt mit Zinntellern und großen Holzschüsseln, in denen dicke Brotscheiben, Sauerkäse, Selchfleisch und schmalzgebackene Krapfen waren.



Während Wulli unter leisem Zittern gegen die dampfende Küche schnupperte, sprang Lien auf diesen Tisch zu, packte mit beiden Händen, was er zu fassen bekam, und stopfte alles in seine lederne Salztasche.



Eine zeternde Weiberstimme: »Du Lausbub, du gottvergessener! Laß deine schmierigen Hand von meinem Schüsselzeug!« Aus der Küche kam eine alte Frau herausgesurrt, die Schloßhauserin, brennend von Küchenhitze und Zorn, in einem ziegelroten Kleid, mit weißer Schürze umgürtet, auf dem Kopf ein mit Draht ausgesteistes Ungeheuer von grüner Haube.



Lien, der noch immer einhamsterte, sagte ruhig: »Mich hungert, Margaret! Seit dem Freitag ist dem Wulli und mir die Zehrung ausgegangen. Gestern zur Nacht bin ich spät gekommen, du hast geschlafen, und alles ist schon gesperrt gewesen. Ich hab ins Stroh gebissen, und der Wulli hat Mäus gefangen. Schau, laß uns nehmen, eine Woch ist lang!«



Die Hauserin keifte noch immer weiter. Doch während sie schimpfte, half sie dem Lien die große Ledertasche polstern und brachte ein Säcklein, das schon bereitgestanden, und Mehl, drei Brotlaibe und die Schmalzschachtel enthielt. Lachend schwang der junge Schäfer den schweren Pack an den Tragstricken hinter die Schultern. »Wulliwulli, jetzt kriegst du was!« Der Hund begann wie irrsinnig zu kläffen. Erschrocken machte ihn der Schäfer schweigen und sagte ernst: »Nit, Wulli! Im Kirchlein segnet man den Leib des Himmelsherrn. Da müssen wir armen Erdenleut das Maul halten.« Er nickte der Hauserin dankbar zu. »Die heilige Jungfrau soll dich segnen, du gute Margaret!«



Indessen die alte Frau noch immer brummte, sprangen Lien und Wulli aus der Halle hinunter in das innere Wehrgehöft und durch ein schwer geschütztes Tor in den größeren Burghof. Die Erker und kleinen Spitzfensterchen des Herrenhauses waren noch von Schatten umwoben. Die Mauerzinnen und die groben Wände der Wehrtürme wuchsen still in die Sonne hinauf. Niemand war zu sehen. Von irgendwo in der Höhe ließ sich der Schritt eines Wächters hören, und in den niederen Ställen, die unter die Schützengänge eingebaut waren, stampften die Rosse und rasselte das Heimvieh an den Ketten. Ein goldfarbener Hahn krähte zornig, als möchte er zu Lien und Wulli sagen: »Macht, daß ihr weiterkommt! Der Hof ist mein!« Glucksende Hennen spazierten umher und pickten am Fuß der Mauer die Schnecken von den schmalen Rasenstreifen und aus dem Efeugeschling. Tauben flogen auf und nieder, fünf Ziegen lagen in einem sonnigen Winkel, und friedlich grunzte ein flink und neugierig umherzappelnder Schwarm von rosigen Ferkelchen. Innerhalb so enger Mauern war es bei dem vielen Tierzeug nicht zu ändern, daß Man im Trutzbergischen Burghof einen etwas unlieblichen Duft verspürte.



Eine tiefe, finstere Torhalle. Während Wulli verachtungsvoll das Feder- und Borstenvieh des Hofes übersah, rief Lien mit halber Stimme an der Wand des Torturmes hinauf: »Die Brück herunter! Ich muß zu meinem Pferch.« Ketten klirrten, ein Haspel ächzte, und ohne daß ein Mensch sich zeigte, legte sich die schwere Fallbrücke über den Wassergraben hinaus und ließ noch einen zweiten Bohlenlappen über den Grabenpfeiler hinüberfallen bis zur Kante des schmalen Burgsträßleins.



Wie ein goldener Engel flog eine Sonnenwoge in das Tor herein, besäte das grobe Pflaster mit farbigen Edelsteinen und umsäumte den Wulli und Lien mit so wundersamen Glanzlinien, als hätte das goldene Himmelskind an diesen beiden etwas abgestreift von seinem Heiligenschein. Doch draußen, wo nur noch Sonne war, sahen Lien und Wulli wieder aus wie gewöhnliche und nicht sehr reinliche Erdenkinder.



Wulli jagte dem Sträßlein nach. Für Lien waren die vielen Schlangenwindungen des niederkletternden Reitsteiges ein zu weiter Umweg. Er sprang gerade durch den steilen Wald hinunter, und unter seinen schwer mit Eisen beschlagenen Holzschuhen schwirrten die kleinen Steine und Rindensplitter hervor wie Vögelchen und Schmetterlinge, die sich flink wieder in den nächsten Stauden verbargen.



Als Lien herunterkam zum rauschenden Bach im Wiesental, stieg Wulli triefend mit glattgestrichenem Haar und erschrecklich mager aus dem Wasser heraus, kam schweifwedelnd und wasserspritzend herangetänzelt und hatte quer im Maul eine pfundige Forelle, die heftig mit der Schwanzflosse zappelte. Flink warf Lien die Schäferschippe ins Gras, haschte den Hund, zog ihm das Gebiß auseinander und atmete erleichtert auf, als die Forelle sich über den Rasenhang wieder hinunterschlug in das schießende Wasser.



Wulli bekam ein schlechtes Gewissen und zog den dünngewordenen, reichlich tröpfelnden Schweif unter den Bauch hinein. Hätte Lien bei der Predigt besser aufgepaßt, so hätte er wissen müssen, daß man nur zu wollen braucht wie der Wulli, um seine hungernde Seele rasch belohnt zu sehen durch den Himmelsbissen einer edlen Fischart. Lien aber hatte während der Predigt von der Allmacht des Christenwillens nur an seine Schafe gedacht; und weil er wußte, daß der Forellendiebstahl in den Trutzbergischen Gewässern bei schwerer Strafe verboten war, machte er ein strenges Gesicht und sprach: »Ein Mensch muß hungern können. Stehlen darf man nit. Tust dus wieder, so kriegst du Prügel!«



Der Hund fing zu zittern an. Und da wandte der Schäfer sich hastig ab, griff nach der Schippe, warf einen prüfenden Blick zur Burg hinauf und begann zu springen. Fromm trabte der magere Wulli hinter ihm her und schlapperte mit der roten Zunge gegen die schwarze Nase. Erst nach einer Weile fand er den Mut, das Wasser aus seinem Pelz zu schütteln, und war nun plötzlich wieder so dick und so rund wie früher.



Der Schäfer sprang, daß Wulli traben mußte, um dicht hinter seinem Herrn zu bleiben. Immer spähte Lien gegen den Pferch hinaus, niemals drehte er den Hals nach rückwärts. Und die kleine Mühe hätte sich doch gelohnt! Es war ein wundervolles Bild: wie die starke Burg sich in der Sonne aus den Buchenkronen hinaufstreckte zum Himmelreich und flimmernd sich abhob von der Wand der blauen Berge. Aber für den Lien war die Burg seines Herrn eine notwendige Sache nur an jedem Samstagabend, wenn er heimrennen mußte, um die neue Wochenzehrung zu holen. Als Schäfer tat er seine Pflicht. Was gingen ihn die Burgen der Trutzbergischen und des Puechsteiners an? Burgen sind steinerne Gesetze. Was Gesetz heißt, ist nach Bauernmeinung eine üble Sache, hat ein doppeltes Gesicht, ein gutes und ein böses, dreht das gute den Herren zu, das böse den Armen und Geplagten.

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