Frei Lesen: Die Trutze von Trutzberg

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Ludwig Ganghofer

Die Trutze von Trutzberg

7. Kapitel

eingestellt: 25.7.2007





Mit kräftigem Wehen zog der Nachtwind von den Bergen über das ebene Land und blies den Nebel des Moores gegen den fernen See hinaus. Nur mannshoch über dem Bruchboden, zwischen Stauden und Röhricht, blieben die grauen Schleier noch hängen, dick zusammengepreßt.



Aus den rührsamen Nebelschwaden, über denen die tausend Sterne des stahlblauen Himmels funkelten, lugte wie ein schwarzer Keil das Dächlein des Schäferkarrens heraus.



Ein leises Geklapper.



Lien hatte den hölzernen Schuber aufgestoßen. Er war erwacht, konnte nimmer einschlafen, und in dem engen Kasten begann es ihm schwül zu werden.



Er saß in der Finsternis gekrümmt auf dem heißen Wolfsfell, mit der Stirn über den aufgezogenen Knien, um die er die Arme geschlungen hielt.



»Lieni, du Narr, wie kannst du so Unsinniges träumen.«



Nach einer unbeweglichen Weile tat er einen schweren Atemzug und hob das Gesicht an das Schuberloch. Er sah den schwarzblauen Himmel und die flimmernden Sterne.



»Ich wollt, daß es tagen tät!«



Noch niemals in seinem Leben hatte Lien etwas ersehnt mit so dürstendem Christenwillen. Es kam nicht. Und hätte Lien von der Predigt des Wanderpfaffen außer dem Amen noch ein anderes Wort behalten, er hätte in dieser schleichenden Nacht wie Herr Korbin von Puechstein sagen müssen: Das ist Maul ohne Hirn gewesen. Man kann doch nicht als Erfüllung eines Willens bezeichnen, was erst zu erscheinen beginnt nach unerträglichen Ewigkeiten.



Dem Schäfer dauerte das Warten auf den Morgen zu lange.



Er öffnete das Türlein und schob sich ins Freie. Während er nackt auf der Deichsel des Karrens stand, fühlte er an seiner Wade die kühle Schnauze des Wulli. Zu sehen war vom Hunde nur ein undeutlicher Umriß. So dick lag unterhalb der Brust des Schäfers der langsam ziehende Grundnebel.



Irgendwo das Gezwitscher einer Schnepfe, der erste Lebenslaut des nahenden Morgens.



Gegen Osten erbleichten die Sterne, und der Himmel hellte sich auf, in Gelb und Grün, als trüge er die Puechsteinischen Farben.



In diese bunte Helle zog wie eine schwarze Stachelschlange die ferne Waldspitze des Seeforstes hinein. Immer spähte der Schäfer über das graue Nebelgebuckel zu dem Wald hinüber, von dem nur die Wipfelzacken zu sehen waren.



»Ich habs doch getan, weil ichs tun hab müssen. Was für Nächt müssen Menschen haben, die einen umbringen aus Gier oder Schlechtigkeit!«



Diesen Gedanken fühlte Lien wie einen Trost, der ihn ruhiger machte, wie etwas Gutes und Frommes, das der erwachende Tag ihm schenkte.



Nährend er sich ankleidete, sprach er wie an jedem Morgen sein Vaterunser. Bei einem nahen Tümpel wusch er Gesicht und Hände. Dann schnallte er die Salztasche um, nahm die Schippe, setzte das Hütl auf und stieß die nackten Füße in die schweren Holzschuhe.



»Komm, Wulli!«



Mit höchstem Erstaunen betrachtete der Hund seinen vom Nebelgrau umflossenen Herrn, der heute zu vergessen schien, wie gerne Mensch und Tier an jedem Morgen ihr Frühstück einnehmen. Lien vergaß das nur für den Wulli und für sich. Nicht für die Schafe. Weil es für den Austrieb noch zu dunkel war, schwang er sich über den Flechtzaun des Pferchs. Wulli, der für die Schafe bedeutete, was für die Menschen der Teufel ist, mußte draußen bleiben.



Die Schafe ruhten noch. Als die ersten aufstanden und den Hirten umdrängten, kamen auch die anderen aus dem Grau herausgetrottet. Das Blöken der Mütter und Jungschafe, das Geblätter und Murren der Böcke und das zarte Klagen der Lämmer vermischte sich zu einem wunderlichen Morgenlied, bei dem die Schnatterlaute der Wildenten einfielen, das Gekreisch der Kiebitze, ein Drosselschlag und der Gurgelgesang eines Birkhahns.



Lien kannte seine dreihundertvierzehn Weidekinder an Wolle, Gestalt und Gesichtern so gut, daß es keinem der gierigen Naschmäuler gelang, zweimal das Salz aus der Hand des Hirten zu erschleichen.



Als alle Schafe gesalzt waren, fing er eines von den Lämmern, ein zartes und schneewolliges Tierchen, hob es auf den Armen an seine Brust und lachte ein bißchen, weil das Lamm an des Schäfers Hals zu saugen begann. »Gelt, da kriegst du nit viel!« Er nahm das Köpfl des Tierchens in seine Faust und betrachtete es im Grau des Morgens lang und aufmerksam, um das werdende Gesicht seinem Gedächtnis einzuprägen. Während er das Lamm zu Boden setzte, sagte er: »Dich laß ich nit schlachten. Und weißt du, wie ich dich taufen tu? Mein ›Silberweiß‹ bist du und bist mein ›Edelfräulen‹!«



Nun öffnete er den Pferch und ließ die Schafe hinausweiden in den zerfließenden Nebel, der von der nahenden Sonne und vom Widerglanz des Himmels einen rosigen Schein bekam.



Wieder erlebte Wulli ein unverständliches Ding. Sonst trieb der Schäfer an jedem Morgen gegen den Seeforst, nach der Mittagsstunde gegen die Trutzbergische Moorstraße, am Abend zum Puechsteiner Straßendamm und wieder heim zum Pferch. Heute zum erstenmal machte der unbegreifliche Lien die Sache umgekehrt und ließ die Herde gegen den Puechstein weiden. Wulli wurde dadurch ein bißchen verwirrt. Es erging ihm wie den Philosophen, wenn sie an den Säulen des Lebens und an der Wirklichkeit der Dinge zu zweifeln beginnen. Allerlei Trugschlüsse verleiteten ihn zu Dummheiten, die den Zorn seines Herrn erregten. Und schließlich, als er ein ganz richtig gegen das Puechsteiner Sträßlein weidendes Mutterschaf an der Wolle faßte, bekam er einen sicher gezielten Rasenbrocken hinter die Ohren. Er war gekränkt. In solchem Gemütszustände stellte er das rechte Spitzohr trotzig nach aufwärts, während er das linke wehmütig nach abwärs schlappern ließ.



Ganz rosenfarben wurde der Nebel. Leuchtend hing er um Himmel, Wasser, Stauden und Blumen her, wie ein seidener Schleier um das Gesicht einer schönen Frau.



Auf dem Straßendamm, der zum Puechstein führte, klapperte was. Immer näher, immer deutlicher.



Wulli schlug an. Nur einen einzigen scharfen Kläfflaut ließ er hören. Dann erinnerte er sich, daß er beleidigt war, blieb schweigsam und drängte die Herde vom Puechsteiner Straßendamm zurück. Weil er nichts hinter die Ohren bekam, befestigte sich in ihm die Überzeugung, daß Lien, der Rätselvolle, jetzt endlich wieder zu klarer Vernunft gekommen wäre. Mit gesteigertem Fleiß revierend, trieb Wulli die Herde gegen den Seeforst hinüber, wie es seit Hundesgedenken für jeden Morgen so bestimmt war durch ein unerschütterliches Gesetz der Ewigkeit.



War der Schäfer blind geworden? Er schien nicht zu sehen, was Hund und Herde taten. Aber seine Augen waren offen, seine Augen glänzten. So stand er in unbeweglichem Lauschen, den Hals gestreckt, das Kinn auf dem Schippenschaft.



Es klapperte und pochte, immer deutlicher, immer näher.



Im Gesicht des Schäfers spannte sich jeder Zug.



Hat einer die Augen, die Ohren und die Sinne des Lien – und er reitet auf einem Gaul vom Moor zum Puechstein und vom Puechstein wieder zum Moor –, da muß er um Herrgotts willen den Eisenschlag eines Pferdes doch kennen wie die eigene Stimme. Nicht zwei Menschen, nicht zwei Hunde, nicht zwei Schafe haben das gleiche Gesicht. Da kann es auch nicht zwei Pferde geben mit dem gleichen Hammerton der galoppierenden Hufe.



»Heilig! Das ist ihr Rössl!«



Lien machte ein paar rasende Sprünge und blieb wieder stehen, wie versteinert.



Es pochte und klapperte, immer deutlicher, immer näher.



Jetzt tauchte auf dem ebenen Straßenstrich der graue Schemen des Gaules im leuchtenden Nebel auf und hielt.



Eine klingende Mädchenstimme.



»Schäfer!«

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