Theodor Fontane
Poggenpuhls
Sechstes Kapitel
eingestellt: 8.7.2007
Leo war in der guten Stube untergebracht worden und schlief hier unbequem, aber fest auf dem kleinen Rohrsofa, das für gewöhnlich in der Schlafstube stand. Er wurde nur einen Augenblick wach, als Friederike kam, um einzuheizen, fiel aber rasch wieder in einen ruhigen Morgenschlaf zurück, als er nebenan in der einfenstrigen Wohnstube das Knacken und Knistern des Holzes und bald darauf das Klappern der Ofentür hörte.
Gegen halb neun erst kam Manon,
um ihn zu wecken. »Aufstehn, Leo; es ist höchste Zeit. Wir können Mama nicht länger im Bett halten.« Und nun sprang er auf und machte mit soldatischer Schnelligkeit seine Toilette. Der Pfeilerspiegel über der Konsole präsentierte sich dabei stattlich genug, alles übrige aber war desto primitiver: ein Küchenstuhl mit Waschbecken und Handtuch, ein Glas und eine Wasserkaraffe. Was er sonst noch brauchte, nahm er aus seinem Koffer.
»Guten Morgen, meine Damen«, mit diesen Worten
trat er bei den Schwestern ein und gab jeder einen Kuß. Es war schon recht hübsch warm in dem kleinen Zimmer. Auf einem alten Klavier lagen und standen die für die Mama bestimmten Geschenke noch wirr und ungeordnet umher, denn sie sollten, wie selbstverständlich, nicht hier, sondern in der guten Stube, die noch erst in Stand zu setzen war, aufgebaut werden. Das geschah denn auch, und nun hatte man über alles einen Überblick: eine Morgenhaube, zwei Paar Zwirnhandschuhe und ein Paar
Filzschuhe. Von Friederike war eine Erika gestiftet, zwischen den zwei Filzschuhen stand Leos Primel und die Tüte, Leo selbst aber riß noch rasch ein Blatt aus seinem Notizbuch, um ein paar Zeilen aufzuschreiben, und schob diese dann zwischen die beiden blaßlilafarbenen Primelblüten. »Ein Bild meines Glücks«, sagte er zu der neben ihm stehenden Sophie; »zwei Blüten und blaßlila.« Nun endlich konnte auch die schon ungeduldig werdende Mutter aus ihrer Schlafstube befreit und an den
Geburtstagstisch geführt werden. Leo und die zwei jüngeren Schwestern küßten ihr die Hand, während sich Therese mit einem Backenkuß begnügte. »Gott, Kinder, so vielerlei«, sagte die gute alte Dame. »Und wie ausgesucht. Ja, die Filzschuhe haben mir gefehlt; ich hab es immer so kalt. Und die Primel und noch dazu mit einem Spruch.« Und sie nahm den Zettel und las: »>Eine Primel, von deinem...< Ja, ja, Leo, das bist du; du hast das Wort nicht ausgeschrieben, aber das war auch nicht nötig. Na,
der liebe Gott meint es ja gut mit uns allen, und vielleicht hilft er dir auch noch.«
»Natürlich, Mutter«, sagte Therese, »du darfst ihn nicht so herabstimmen. Er muß sein Selbstgefühl behalten und sich sagen, daß ein Pommerscher von Adel immer seinen Platz findet. Ich bin guten Muts.«
»Und übernimmst auch Bürgschaft?«
»Nein, Leo; Bürgschaft übernimmst du selbst. Und wenn du sie richtig übernimmst, wie es einem Poggenpuhl geziemt und worin dir Wendelin
ein Vorbild sein kann, so wirst du gute Tage haben. Wir haben einen Stern im Wappen.«
»Ich wollte, ich hätte erst einen auf der Achselklappe.«
»Kommt Zeit, kommt Rat. Aber nun nimm Mamas Arm und führe sie.«
Man blieb wohl eine Stunde beim Kaffee. Leo hatte von seinem Thorner Leben zu berichten, am meisten von seinen Besuchen auf dem Lande, sowohl bei den deutschen wie bei den polnischen Edelleuten.
»Und macht ihr bei diesen moralische Eroberungen?« fragte Therese. »Gewinnt ihr Terrain?«
»Terrain? Ich bitte dich, Therese, wir sind froh, wenn wir im Skat gewinnen. Aber auch damit hat's gute Wege. Diese Polen, ich sage dir, das sind verdammt pfiffige Kerle, lauter Schlauberger ...«
»Du hast soviel berlinische Ausdrücke, Leo.«
»Hab ich. Und weil man nie genug davon haben kann, denk ich, wir brechen so bald wie möglich auf und gehen in die Stadt auf weitere Suche. Wer Augen und Ohren hat, findet immer was. Ich möchte mal wieder eine Litfaßsäule studieren. >Wer dreihundert Mark sparen will< oder die >Goldene Hundertzehn< oder >Mittel gegen den Bandwurm<. Ich lese so was ungeheuer gern. Wer kommt mit? Wer hat Zeit und Lust?«
Therese schwieg und wandte sich ab.
»Hm, Therese läßt mich im Stich, und Sophie hat die Wirtschaft. Aber Manon, auf dich, denk ich, ist Verlaß. Wir sehen uns das Rezonvillepanorama an (so was verstehn die Franzosen) und sind um zwölf Unter den Linden und sehen die Wache aufziehn mit voller Musik, und wenn wir Glück haben, steht der alte Kaiser am Fenster und grüßt uns. Oder wir können's uns wenigstens einbilden.«
Unter diesen Worten hatten sich Leo und Manon erhoben.
»Kommt nicht zu spät; zwei Uhr«, mahnte Sophie, was denn auch versprochen wurde.
Leo und Manon hielten Zeit, und Punkt zwei ging man zu Tisch. Es war in der guten Stube gedeckt, in der Mitte eine Torte, links und rechts die Erika und die Primel. Der Sohrsche sah aus seinem Rahmen herab und lächelte.
Gleich nach der Suppe wurde der Glasteller mit der kleinen Repräsentationsweinflasche von dem Schreibtisch heruntergenommen und vor Leo hingestellt, der mit vieler Würde bemerkte: »Wenn dies mir gilt, so muß ich es zurückweisen; wenn es aber wegen Mamas Geburtstag ist, auf deren Wohl wir trinken müssen, so kann es stehnbleiben.«
Und während noch darüber parlamentiert und Leos Widerstand beseitigt wurde, kam Friederike und brachte die Ente.
»Wovon willst du?« fragte Sophie.
»Keule, wenn ich bitten darf. Ich finde nämlich, wer um die Keule bittet, fährt immer am besten. Es macht jedesmal einen guten, weil bescheidenen Eindruck, und zweitens läßt einen das Bindestück nicht leicht im Stich. Außerdem ist die reine Quantitätsfrage doch auch nicht zu verachten.«
Er tat sich denn auch bene; alles war ihm zu Willen, und dann brachte er seinen Toast aus auf das Wohl der Mutter. Diese mußte trinken, die Mädchen aber stießen nur mit dem Knöchel ihres Zeigefingers an.
»Es ist doch wahr, zu Hause schmeckt es immer am besten. Solche mütterliche Ente krieg ich in ganz Thorn nicht. Und diese Füllung, noch dazu zweierlei, hier Maronen und hier Pudding mit Rosinen. Kinder, ich glaube beinahe, es ist alles Verstellung bei euch; ich glaube, ihr habt was, ihr seid gar nicht so arm.«
»Ach, Leo, sage nur so was nicht, sprich nicht so was; das ängstigt mich immer. Du bist imstande, dir wirklich so was einzubilden...«
»Nein, nein, ich weiß ja Bescheid. Ich dachte nur zufällig an etwas, was ich mal in einer Zeitung gelesen habe, eine Geschichte von einer alten Frau, die ein ganzes Vermögen, ich will nicht sagen, wo, eingenäht hatte. Und dann dacht ich auch an Onkel Eberhard, an unsern Onkelgeneral, und daß er doch eigentlich ...«
In diesem Augenblick ging draußen die Klingel, und Friederike trat ein, um den Herrn General zu melden.
»Lupus in fabula.« Aber ehe Leo noch das Wort aussprechen konnte, stand der Onkel schon in der Tür, legte den Finger halb dienstlich an die Schläfe und sagte: »Habe die Ehre, Frau Schwägerin.«
Die Mädchen eilten ihm entgegen, Leo natürlich desgleichen; als aber auch die alte Frau sich erheben wollte, versagten ihr die Kräfte, so sehr war sie bewegt von der Güte ihres Schwagers, für den sie immer eine besondere Liebe und Verehrung gehabt hatte.
»Sitzen bleiben, meine liebe Albertine. Das kommt von den zu jugendlichen Bewegungen. Bringe dir auch Grüße von meiner Frau... Und daß ich den Leo hier treffe! Wetter, Junge, du siehst brillant aus und wundervoll genährt. Freilich, freilich...«, und er wies auf die Ente.
»An der du dich beteiligen mußt«, sagte Manon.
Und der Onkel rückte auch wirklich ein, band sich, was er selbst als altmodisch bezeichnete, eine Serviette vor und machte sich mit vielem Behagen daran, einen Flügel abzuknaupeln. »Delikat. Es ist übrigens bekannt, was wirklich Gutes kriegt man nur in den kleinen Haushaltungen. Und warum? In einem kleinen Haushalt kocht man noch mit Liebe. Ja, meine liebe Albertine, mit Liebe; das ist nun mal die Hauptsache.«
»Du bist immer so gut, Eberhard, immer der alte. Und wenn es dir schmeckt... Aber sage vor allem, was führt dich her? In Winterszeit nach Berlin.«
"Ja, Albertine, was führt mich her! Ich könnte sagen, dein Geburtstag. Aber du würdest es vielleicht nicht glauben, und da ist es doch wohl besser, daß ich gleich mit der Wahrheit herausrücke. Geschäftliches führt mich her, Hypotheken, Abschreibungen und auf der Bank allerlei Sachen. Eigentlich langweilig. Aber doch auch wieder interessant ...«
»Sehr, sehr«, seufzte Leo und wollte dies weiter ausführen. Therese aber hob den Finger, um ihm Schweigen anzudeuten.
»... Und«, fuhr der Onkelgeneral fort, »da die Reise nun mal nötig war, habe ich mir natürlich diesen vierten Januar ausgesucht, um meiner lieben Frau Schwägerin gratulieren zu können.«
»Und du wirst bei uns wohnen«, sagte die Majorin. »Wir können dir nicht viel bieten, aber wir haben doch die Aussicht auf den Matthäi...«
»Ich weiß, Albertine«, sagte der General. »Alles sehr schön. Aber offen gestanden, ich ziehe den Potsdamer Platz vor, weil da das meiste Leben ist. Und Leben ist nun mal das Beste, was eine große Stadt hat. Das fehlt uns in Adamsdorf Ich bin also wieder im >Fürstenhof< abgestiegen, bin da schon bekannt, und wahrhaftig, es sieht beinahe so aus, als freuten sich alle, wenn ich komme.«
»Wird auch wohl so sein.«
»Und wenn ich mich da morgens ins Fenster lege, links und rechts ein Sofakissen unterm Arm, und die frische Winterluft kommt so vom Hall'schen Tor her - was ich mir wohl gönnen kann, weil ich dran gewöhnt bin, denn von unsrer alten Koppe herunter pustet es noch ganz anders -, und ich habe dann so Café Bellevue und Josty vor mir, Josty mit dem Glasvorbau, wo sie schon von früh an sitzen und Zeitungen lesen, und die Pferdebahnen und Omnibusse kommen von allen Seiten heran, und es sieht aus, als ob sie jeden Augenblick ineinanderfahren wollten, und Blumenmädchen dazwischen (aber es sind eigentlich Stelzfüße), und in all dem Lärm und Wirrwarr werden dann mit einem Male Extrablätter ausgerufen, so wie Feuerruf in alten Zeiten und mit einer Unkenstimme, als wäre wenigstens die Welt untergegangen - ja, Kinder, wenn ich das so vor mir habe, da wird mir wohl, da weiß ich, daß ich mal wieder unter Menschen bin. und darauf mag ich nicht gern verzichten.«
Leo nickte stumm.
»Also verzeih, Albertine, wenn ich ablehne. Bequemer gelegen ist der >Fürstenhof< auch. Aber zusammen sein wollen wir doch. Jetzt ist es drei. Was machen wir heute? Kroll! Gut, das ginge. Da wird doch wohl eine Weihnachtsvorstellung sein, Schneewittchen oder Aschenbrödel; Aschenbrödel ist besser. In Schneewittchen haben wir den gläsernen Sarg. Und ich bin im ganzen genommen nicht für Särge, bin überhaupt mehr für heitere Ideenverbindungen.«
»Ja, Onkel«, sagte Leo, »da wäre vielleicht ein Theater das beste. Sie geben heute die >Quitzows< an zwei Stellen: im Schauspielhause die richtigen Quitzows und am Moritzplatz die parodierten. Was meinst du zu den Quitzows am Moritzplatz?«
»Nein, Leo, das geht nicht, so gern ich sonst dergleichen sehe. Man ist doch seinem Namen auch was schuldig. Sieh, die Poggenpuhls waren in Pommern so ziemlich dasselbe, was die Quitzows in der Mark waren, und da, mein ich, verlangt es der Korpsgeist, daß wir uns eine Parodie der Sache nicht so ganz gemütlich mit ansehn.«
Therese erhob sich, um dem Onkel einen Kuß zu geben. »Es ist mir immer eine Genugtuung, Onkel, solcher Gesinnung zu begegnen. Leo verflacht sich mit jedem Tage mehr. Und warum, weil er dem Goldenen Kalbe nachjagt.«
»Ja«, sagte Leo, »das tu ich. Wenn es nur was hülfe.«
»Wird schon«, tröstete die sofort an Flora denkende Manon.
»Aber wozu das?« fuhr Leo fort. »Das liegt ja alles weitab. Vorläufig sind wir noch bei den Quitzows, bei den richtigen und den falschen. Die falschen sind abgelehnt, also ...«
»... die richtigen«, ergänzte der General. »Die richtigen im Schauspielhause; da wollen wir hin. Und hinterher in ein Lokal, um da noch unsern kleinen Schwatz zu haben und, so gut es geht, festzustellen, was es denn eigentlich mit dem Stück auf sich hat. Es soll ein sehr gutes Stück sein, auch schon darin, daß es beiden Parteien gerecht wird, was doch immer eine schwere Sache bleibt. Aber, soviel hab ich schon gehört, der Dietrich von Quitzow soll interessanter sein als der Kurfürst Friedrich. Natürlich; das ist immer so. Wer mit dem Eisenhandschuh auf den Tisch schlägt, ist immer interessanter als der, der bloß eine Nachmittagspredigt hält. Damit kommt man nicht weit. Ich denke mir den Dietrich so wie etwa den Götz von Berlichingen, der vor dem Kaiser nicht erschrak und den Heilbronner Rat verhöhnte. Das war immer meine Lieblingsszene. Billets werden wir doch wohl kriegen, meinetwegen auch mit Aufschlag. Wenn man Poggenpuhl heißt, muß man für einen alten Kameraden von ehedem was übrighaben.«
»Ein Glück, Eberhard«, sagte die Majorin, »daß die Wände keine Ohren haben. So seid ihr Adligen. Und ihr Poggenpuhls... na, ich weiß ja, ihr seid immer noch von den besten. Aber auch ihr! Alles habt ihr von den Hohenzollern, und sowie die Standesfrage kommt, steht ihr gegen sie.«
»Hast recht, Albertine. So sind wir. Aber es hat nicht viel auf sich damit. Wenn es gilt, sind wir doch immer wieder da. Da nebenan hängt der >Hochkircher<, nach wie vor ohne Rock, was ihn aber ehrt, und ich möchte beinahe sagen, was ihn kleidet, und hier« (und er wies auf das Bild über dem Sofa), »hier hängt der Sohrsche, und euer guter Vater, mein Bruder Alfred, nun, der liegt bei Gravelotte. Das sind unsre Taten, die sprechen. Aber wenn stille Tage sind, so wie jetzt, dann sticht uns wieder der Hafer, und wir freuen uns der alten Zeiten, wo's noch kein Kriegsministerium und keine blauen Briefe gab und wo man selber Krieg führte. Man soll es wohl eigentlich nicht sagen, und ich sag es auch nur so hin, aber eigentlich muß es damals hübscher gewesen sein. Die Bürger brauten das Bernauer und das Cottbusser Bier, und wir tranken es aus. Und so mit allem. Es war alles forscher und fideler als jetzt und eigentlich für die Bürger auch. Noch keine Konkurrenz. Nicht wahr, Leo?«
»Na, ob, Onkel. Alles viel schneidiger. Vielleicht kommt es noch mal wieder.»
»Glaub ich auch. Nur nicht bei uns. Wir sind nicht mehr dran. Was jetzt so aussieht, ist bloß noch Aufflackern... Aber nun Schlachtplan für heute abend. Ich will zunächst in meinen >Fürstenhof< und ein paar Zeilen an meine Frau schreiben, und um sechseinhalb seid ihr bei mir. Schwägerin, du auch.«
»Nein, Eberhard. Für mich ist es nichts mehr, ich habe das Reißen und bleibe lieber zu Hause. Wenn ihr alle fort seid, will ich erst das Tageblatt lesen und dann den Abendsegen. Oder Friederike soll ihn lesen. Sie wundert sich schon, daß wir seit Silvester so wie die Heiden gelebt haben.«
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