Theodor Fontane
Poggenpuhls
Achtes Kapitel
eingestellt: 8.7.2007
Mitternacht war dicht heran, als die Geschwister vor ihrer Wohnung eintrafen. Sophie hatte den Schlüssel und schloß auf In einer gewissen Erregung, in der sie sich mehr oder weniger befanden, sprachen sie ziemlich laut auf der Treppe, was das Gute hatte, daß ihnen die über das lange Ausbleiben schon etwas unruhig gewordene Friederike bis in den zweiten Stock entgegenkam und leuchtete.
»Mama noch auf?« fragte Leo.
»Nein, junger Herr. Die
gnädige Frau hat sich schon gleich nach neun zu Bett gelegt; es war ihr so kalt. Aber sie liegt bloß, sie schläft noch nicht.«
Unter diesem kurzen Gespräche hatten die jungen Damen ihre Mäntel, Leo seinen Paletot abgelegt, und alle traten gemeinschaftlich in das große Schlafzimmer, um die Mama noch zu begrüßen, während sich Friederike in ihre Küche zurückzog.
Die Majorin saß mehr im Bett, als sie lag, und schien in besserer Stimmung als gewöhnlich. »Aber Kinder, so
spät; nachtschlafende Zeit; ich dachte schon, es wäre was passiert ...«
»Ist auch, Mutter.«
»Na, das mag was Schönes sein. Vielleicht hast du dein Vermögen verloren. Aber davon hör ich noch immer früh genug. Komm, Manon, gib mir deine Hand und sieh mich an. Und nun rückt euch Stühle ran und erzählt. Und du, Leo, kannst dich unten auf die Bettkante setzen. Es ist immer noch nicht so hart wie Lattenstrafe; die gab es noch, als ich jung war. Ihr seid ja runde sechs
Stunden weg gewesen, und ein wahres Glück, daß ich Friederike habe, mit der ich mich aussprechen kann.«
»Was du wohl auch redlich getan hast«, sagte Therese. »Du machst dich immer so vertraulich mit ihr, mehr als eine Herrschaft wohl eigentlich sollte.«
»Meinst du?« sagte die Majorin, während sie sich in ihrem Bett noch etwas höher hinaufrückte. »Was meine vornehme Therese nicht alles weiß und meint. Aber nun will ich dir auch sagen, was ich meine. Ich meine, daß
solche schlichte Treue das Allerschönste ist, das Schönste für den, der sie gibt, und das Schönste für den, der sie empfängt. Die Liebe der Kinder, auch wenn es gute Kinder sind, die hat keine Dauer; die denken an sich, und ich will's auch nicht tadeln und nicht anders haben; aber solch altes Hausinventar wie die Friederike, die will nichts als helfen und beistehn und fordert weiter nichts, als daß man mal >danke< sagt. Und ich sage dir, Therese, da steckt ein gut Teil Christentum
drin.«
»Ja, das glaubst du immer, Mutter.«
»Nein, das glaube ich nicht, das weiß ich. Aber wir wollen das lassen; Leo soll lieber erzählen, wie alles war.«
»Ja, Mama, wenn ich davon erzählen soll, so kann ich es nur nach einer Disposition, dreigeteilt, also wie 'ne Predigt.«
»Bitte, Leo...«
»Dreigeteilt also schlechtweg, ohne Zubemerkung oder Vergleich. Erster Teil: Onkel und die Quitzows; zweiter Teil: Onkel und Herr Manfred
(Manfred ist nämlich mein Kadettenfreund Klessentin) und dritter Teil: Onkel und... Aber davon erst nachher; ich will meinen besten Trumpf nicht gleich in einer großen Überschrift ausspielen.«
»Ach, Leo, das sind ja wieder Flausen; hinterher ist es gar nichts.«
»Fehlgeschossen, wie du gleich sehen wirst. Aber jetzt aufgepaßt. Erst also: Onkel und die Quitzows.«
»Der gute Onkel! Er wird natürlich über all die Rodomontaden entzückt gewesen sein.«
»Mitnichten, Mutter. Ich möchte vielmehr umgekehrt annehmen, daß er, trotzdem er den Dietrich von Quitzow bewunderte, nicht so recht auf seine Kosten gekommen ist. Aber es stehe dahin. Nur soviel, als die Straußberger mit Sack und Pack anrückten, sprach er ziemlich laut (und jedenfalls so, daß es einen genieren konnte) von Mühlendamm und Trödelmarkt. Am meisten gefallen hat ihm offenbar eine hübsche Gräfin, eine gewisse Barbara, die bei den Pommernherzögen, das mindeste zu sagen, gut
angeschrieben stand und es nun auch mit unserm Dietrich von Quitzow versuchen wollte. Aber da kam sie schön an. Die Mark vertrat schon damals die höhere Sittlichkeit, also dasselbe, wodurch sie später so groß geworden ist.«
»Spotte nicht.«
»Und der Onkel zeigte auch darin wieder seine pommersche Abstammung, daß er gleich in hellen Flammen stand und von Manfred Klessentin, den wir nach der Vorstellung im Theaterrestaurant trafen, auf der Stelle wissen wollte, wer
denn eigentlich die Gräfin sei. Das heißt, die Schauspielerin, die die Gräfin gab.«
»Eine schöne Geschichte...«
»... Und da haben wir denn mit guter Manier auch gleich die Überleitung auf Teil zwei, auf Onkel Eberhard und Manfred Klessentin. Aber davon können dir am Ende die Mädchen geradesogut erzählen wie ich selbst.«
Die Mama nickte.
»... Und so denn lieber gleich Teil drei unter der imposanten Oberschrift: Onkel Eberhard und der
Hundertmarkschein. Und noch dazu ein ganz neuer. Ja, Mama, das war ein großer Moment. Er existiert zwar nicht mehr als Ganzes, ich meine natürlich den Schein, aber doch immer noch in sehr respektablen Überresten. Hier sind sie. Wie du dir denken kannst, sträubt ich mich eine ganze Weile dagegen, als ich aber sah, daß er es übelnehmen würde...«
»Leo, so hast du noch nie gelogen...«
»Selbstverspottung ist keine Lüge, Mama. Aber du siehst daran so recht, wie unrecht du
mit deiner ewigen Sorge hast. >Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf<, solch großes Dichterwort ist nicht umsonst gesprochen und darf nie vergessen werden. Ich bekenne gern, daß ich den ganzen Abend über wegen des Rückreisebillets in einer gewissen Unruhe war, denn ich darf wohl sagen, ich gebe lieber, als ich nehme...«
Die Mädchen lachten.
»... Indessen, Gott verläßt keinen Deutschen nicht und einen Poggenpuhl erst recht nicht, und wenn die Not am größten ist,
ist die Hilfe am nächsten. So hab ich es immer gefunden. Und so schwimm ich denn augenblicklich ganz kreuzfidel wieder obenauf und, so Gott will, eine ganze Welle noch. Denn die Rückreise macht keinen großen Abstrich, auch wenn ich erster Klasse fahre.«
»Aber Leo...«
»Beruhigt euch, Kinder. Ich werde ja nicht erster Klasse fahren; es beglückt mich nur, so einen Augenblick denken zu können, ich könnt es. Alles bloß Phantasie, Traumbild. Aber das ist ernst: ich will
wissen, wieviel ich von meinem Vermögen hier lassen soll; jede Summe ist mir recht, und ich will auch keine Rückzahlung und keine Zinsen. Ich will vielmehr diesen Zustand voll und rein genießen und will Wendelin mal übertrumpfen. Aber ihr sagt ja nichts, auch du nicht, Mama.«
»Nun, ich nehme es für genossen an, Leo. Und nun geh in die Vorderstube, und nimm Manon mit, sie kann dir da beim Packen behilflich sein. Aber haltet euch nicht zu lange damit auf; ich weiß schon, ihr
kommt immer ins Schwatzen und könnt dann kein Ende finden. Und nun gute Nacht, und wir nehmen auch gleich Abschied. Komm morgen früh nicht an mein Bett, und bringe Wendelin meine Grüße, und es wäre hübsch von ihm gewesen, daß er dir diese Reise gegönnt. Er wäre nun schon der Beste von der Familie, ganz anders...«
»Wie Leo...«
»Ja, ganz anders. Aber du kannst doch bleiben, wie du bist. So sind alle alten Mütter; die Tunichtgute sind ihnen immer die liebsten, wenn
sie nebenher nur das Herz auf dem rechten Fleck haben. Und das hast du. Du taugst nichts, aber du bist ein lieber Kerl. Und nun gute Nacht, mein Junge.«
Er streichelte sie und gab ihr einen Kuß, und dann ging er mit der jüngsten Schwester, die seine besondere Vertraute war, nach vorn, um da für den Abreisemorgen alles in Ordnung zu bringen.
Als sie mit dem Kofferpacken fertig waren, nahm Manon Leos Hand und sagte: »Setz dich da in die Sofaecke; ich muß noch ein paar Worte mit dir sprechen.«
»Brrr. Das klingt ja ganz ernsthaft. Ist es so was?«
»Ja, es ist so was. Freilich in deinen Augen kaum. Und nun höre zu, ganz aufmerksam. Ich bin nämlich einigermaßen in Sorge, daß du, deiner ewigen Schulden halber, falsche Schritte tust. Und noch dazu in Thorn. Ich bitte dich, übereile nichts. Du hast neuerdings ein paarmal Andeutungen gemacht, erst in deinen Briefen und nun auch hier wieder, so heute abend noch auf dem Heimwege. Du weißt, daß ich in dieser delikaten Sache nicht wie Therese denke; sie hält die Poggenpuhls für einen Pfeiler der Gesellschaft, für eine staatliche Säule, was natürlich lächerlich ist; aber du deinerseits hast umgekehrt eine Neigung, zuwenig auf unsern alten Namen zu geben oder, was dasselbe sagen will, auf den Ruhm unsres alten Namens. Ruhm und Name sind aber viel.«
»Kann ich zugeben, Manon; aber wer hat heutzutage nicht einen Namen? Und was macht nicht alles einen Namen! Pears Soap, Blookers Cacao, Malzextrakt von Johann Hoff. Rittertum und Heldenschaft stehen daneben weit zurück. Nimm da beispielsweise den Marschall Niel! Er hat, glaub ich, Sebastopol erobert und war, wenn ich nicht irre, verzeih den Kalauer, ein Genie im >Genie<; jedenfalls eine militärische Berühmtheit. Und doch, wenn nicht die Rose nach ihm hieße, wüßte kein Mensch mehr, daß er gelebt hat. Indessen lassen wir Niel; was geht uns am Ende Niel an? Nehmen wir lieber etwas, was uns viel, viel näher liegt, nehmen wir da beispielsweise den großen Namen Hildebrand. Es gibt, glaub ich, drei berühmte Maler dieses Namens, der dritte kann übrigens auch ein Bildhauer gewesen sein, es tut nichts. Aber wenn irgendwo von Hildebrand gesprochen wird, wohl gar in der Weihnachtszeit, so denkt doch kein Mensch an Bilder und Büsten, sondern bloß an kleine dunkelblaue Pakete mit einem Pfefferkuchen obenauf und einer Strippe drum herum. Ich sage dir, Manon, ich habe mein Poggenpuhlhochgefühl geradesogut wie du und fast so gut wie Therese; wenn ich dieses Hochgefühls aber froh werden soll, so brauche ich zu meinem Poggenpuhlnamen, der, trotz aller Berühmtheit, doch leider nur eine einstellige Zahl ist, noch wenigstens vier Nullen. Eigentlich wohl fünf.«
»Ich habe nichts dagegen, Leo, daß du so rechnest; ganz im Gegenteil. Bin ich doch selber nicht ängstlich in diesem Punkte. ja, ich gebe zu, du mußt so rechnen. Aber ich fürchte, du rechnest nicht an der richtigen Stelle. Da sind Bartensteins, da ist Flora... ja, das wäre was. Flora Bartenstein ist ein kluges und schönes Mädchen und dazu meine Freundin. Und reich ist sie nun schon ganz gewiß. Also darüber ließe sich reden. Aber in Thorn, wovon du beständig schreibst und sprichst... freilich immer nur so dunkel und bloß in Andeutungen. Ich bitte dich, Leo, was soll das? In Thorn...! Wie heißt sie denn eigentlich?«
»Esther.«
»Nun, das ginge. Viele Engländerinnen heißen so. Und ihr Vatersname?«
»Blumenthal.«
»Das ist freilich schon schlimmer. Aber am Ende mag auch das hingehen, weil es ein zweilebiger Name ist, sozusagen à deux mains zu gebrauchen, und wenn du Stabsoffizier bist (leider noch weitab), und es heißt dann bei Hofe, wo du doch wohl verkehren wirst: >die Frau Majorin oder die Frau Oberst von Poggenpuhl ist eine Blumenthal<, so hält sie jeder für eine Enkelin des Feldmarschalls. Ein Poggenpuhl, der eine Blumenthal heiratet, soviel Vorteil muß man am Ende von einem alten Namen haben, rückt sofort auf den rechten Flügel der Möglichkeiten.«
»Bravo, Manon. Also deine Bedenken zerrinnen.«
»Doch nicht ganz; soviel kann ich nicht zugeben. Ich mühe mich nur einfach, aus Esther und Blumenthal das Beste zu machen. Außerdem, ich begreife deine Lage, fühle den Druck mit und freue mich, daß du heraus willst. Aber wenn es irgend sein kann, bleibe im Lande und nähre dich redlich; laß es nicht an der Weichsel sein, nicht Esther; sie kann, wie sie auch sei, an Flora nicht heranreichen. Zudem, die ganze Bartensteinsche Familie - es sind drei Brüder, zwei in der Voßstraße - hat ein besonderes Ansehen; der, in dessen Hause ich verkehre, ist ein Ehrenmann, beiläufig auch noch ein Humorist, und ich bin sicher, daß er bei der nächsten Anleihe geadelt wird. In meinen Augen ist das nicht von Bedeutung, ja, beinahe störend, denn ich hasse alles Halbe, was es doch am Ende bleibt. Aber vor der Welt...«
»Ich will es mir überlegen, Manon. Vorläufig find ich es entzückend, so gleichsam die Wahl zu haben; wenigstens kann ich mir so was einbilden. Am liebsten freilich blieb ich noch eine Welle, was ich bin; ein Junggeselle steht doch obenan. Nur der >Witwer< mit seinem Blick in Vergangenheit und Zukunft steht vielleicht noch höher. Aber das kann man nicht gleich so haben. Und nun gehab dich wohl. Mama wird sich schon wundern, was wir noch alles wieder miteinander gehabt haben.« Und bei diesen Worten trennten sie sich.
Manon aber trat noch an das Bett der Mutter, um zu sehen, ob sie schliefe.
»Du hast geweint, Mama.«
»Ja, Kind. Aber gute Tränen; die tun wohl.«
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