Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Hans Baargeld

eingestellt: 28.7.2007





An dem Ende des benachbarten Dorfes wohnt ein kleiner Potentat, der, so viel ich weiß, der Stellvertreter einer der ältesten legitimen Linien der heutigen Zeit ist; denn das Reich, welches er regiert, hat seiner Familie seit undenklichen Zeiten zugehört. Seine Ländereien begreifen eine bedeutende Anzahl guter fetter Morgen, und der Sitz seiner Macht ist auf einem alten Meierhofe, wo er unbelästigt sich des starken eichenen Sessels seiner Vorfahren erfreut. Der Mann, auf den ich anspiele, ist ein tüchtiger alter Freisasse, Johann Tibbets mit Name, oder Hans Baargeld Tibbets, wie er in der ganzen Nachbarschaft genannt wird.


 
Hans Baargeld



Er zog zuerst am Sonntage auf dem Kirchhofe meine Aufmerksamkeit auf sich, wo er nach dem Gottesdienste auf einem Grabsteine saß, und den Hut etwas auf eine Seite gesetzt, einem kleinen Kreise von Zuhörern eine Rede hielt, und, wie ich glaubte, ihnen das Gesetz und die Propheten auslegte; bis ich, etwas näher gekommen, fand, daß er über die Verdienste eines braunen Pferdes redete. Er stellte ein getreues Bild eines derben englischen Landmannes dar, wie man ihn so oft in englischen Büchern geschildert findet, wiewohl mit einigem, ihm eigenthümlichen äußeren Prunk, daß ich nicht umhin konnte, von seinem ganzen Aeußern genauere Kunde zu nehmen.

Er war zwischen funfzig und sechzig Jahren, von starkem, muskelhaftem Bau, und wenigstens sechs Fuß hoch, mit einem Gesicht, finster wie ein Löwe, das kurze, krause, eisengraue Locken umgaben. Sein Hemdkragen war herunter geklappt, und zeigte einen mit kurzem krausem grauen Haar bedeckten Hals; er trug ein farbiges seidenes Halstuch, das sehr locker umgebunden und in den Busen gesteckt war; an der Schleife prangte eine Nadel mit einem falschen grünen Stein. Sein Rock war von dunkelgrünem Tuch, mit silbernen Knöpfen, und auf jedem derselben ein Hirsch mit seinem Namen, Johann Tibbets, darunter. Er trug eine Unterweste von geblümtem Zitz, zwischen der und seinem Rock noch eine zweite, unzugeknöpfte, von scharlachrothem Tuche zu sehen war. Seine Beinkleider waren auch an den Knieen unzugeknöpft, aber nicht aus Nachlässigkeit, sondern um ein Paar breite Scharlach-Strumpfbänder sehen zu lassen. Seine Strümpfe waren blau mit weißen Zwickeln; er trug große silberne Schuhschnallen, eine breite Schnalle mit unächten Steinen in seinem Hutbande, seine Handknöpfe waren goldene sieben Schilling-Stücke, und er hatte zwei oder drei Guineen als Zierrath an seiner Uhrkette hängen.

Als ich mich einigermaßen nach ihm erkundigte, hörte ich, daß er aus einer Pachterfamilie stamme, welche immer an demselben Orte gelebt und dasselbe Grundstück besessen habe, und daß die Hälfte des Kirchhofes mit den Grabmälern seiner Verwandten besetzt sei. Er ist sein ganzes Leben lang ein bedeutender Charakter im Orte gewesen. In seiner Jugend war er einer der lautesten Wildfänge in der Nachbarschaft. Niemand konnte es ihm beim Ringen, Springen, Klopffechten und anderen Leibesübungen zuvorthun. Wie der berühmte Feldhüter von Wakefield, war er der Kämpe des Dorfs, trug auf allen Märkten den Preis davon, und warf der ganzen Gegend umher den Handschuh hin. Selbst bis diesen Tag sprechen die alten Leute von seiner Bravheit, und setzen ihm alle späteren Helden des Rasenplatzes nach; ja sie behaupten sogar, daß, wenn Hans Baargeld noch jetzt aufträte, Niemand gegen ihn würde bestehen können.

Als Hansens Vater starb, schüttelten die Nachbarn die Köpfe und sagten, der junge Hoffnungsvolle werde wohl bald das alte Erbgut durchbringen; allein Hans strafte alle ihre Prophezeihungen Lügen. Sobald er sein väterliches Gut antrat, änderte er seinen Charakter; nahm ein Weib, bekümmerte sich ordentlich um seine Geschäfte und ward ein thätiger wackerer Landmann. Mit seinem Erbgute überkam er auch mehrere alte Familien-Grundsätze, welchen er fest anhing. Er sah selbst nach Allem; legte selbst Hand an den Pflug; arbeitete tüchtig; aß ordentlich; schlief gesund; zahlte baar; und tanzte nie, wenn er nicht die Musik seines Geldes in beiden Taschen dazu hatte. Er hatte immer ein- oder zweihundert Pfund in Gold liegen, und ließ nie eine Rechnung ausstehen. Dieß hat ihm auch seinen Beinamen erworben, worauf er, beiläufig gesagt, etwas stolz ist, und ward der Grund, daß das ganze Dorf ihn für einen sehr reichen Mann ansieht.

Ungeachtet seiner Wirthschaftlichkeit, hat er sich jedoch nie die Annehmlichkeiten des Lebens versagt, sondern an jedem vorübergehenden Vergnügen Theil genommen. Es ist sein Grundsatz, »daß, wer arbeitet, auch wieder spielen kann.« Er ist mithin auf allen Jahrmärkten und Kirchweihen zu finden, und hat sich auf allen Rasenplätzen in den Dörfern seiner Grafschaft durch seine Stärke und Mannhaftigkeit einen Namen erworben. Er erscheint oft bei Pferderennen, und wettet seine halbe, zuweilen auch wohl seine ganze Guinee; hält sich ein gutes Reitpferd zu seinem Gebrauch, ist noch bis auf den heutigen Tag gern bei der Hetzjagd, und gewöhnlich im Augenblicke mit da, wo das Wild erlegt wird. Er hält auf die ländlichen Feierlichkeiten, und auf die Gastfreiheit, wegen der sein väterliches Haus immer bekannt war; er gibt bei dem Erntefeste vollauf zu essen, läßt wacker tanzen, und hält vor allen Dingen die sogenannte »lustige Nacht«1) zu Weihnachten.

Bei all seiner Liebe zu Vergnügungen, ist Hans keineswegs ein lärmender, jovialer Gesellschafter. Man hört ihn selbst mitten in der Fröhlichkeit selten lachen, sondern er behält immer dieselbe ernste, löwengleiche Miene. Er versteht nicht gleich einen Scherz; und sitzt dann wohl darüber brütend, mit einem verstörten Blicke da, während die übrige Gesellschaft in ein Lachen ausbricht. Dieser Ernst hat vielleicht mit der wachsenden Gewichtigkeit seines Charakters zugenommen; denn er steigt nun in seinem Geburtsort zu einer Art von Patriarchenwürde. Obgleich er selbst nicht mehr an den Leibesübungen thätlichen Antheil nimmt, so führt er doch immer den Vorsitz dabei, und wird bei allen Gelegenheiten als Schiedsrichter aufgerufen. Er erhält bei allen Festtagsspielen die Ordnung auf dem Rasenplatze, nimmt bei Streit und Zwistigkeit die Widerspenstigen beim Kragen, und schüttelt sie tüchtig. Niemals wagt es Jemand, eine Hand gegen ihn aufzuheben oder gegen seine Entscheidung Einspruch zu thun; denn die jungen Leute sind in der angewohnten Scheu vor seiner Bravheit aufgewachsen, und sehen ihn für den Herrn und Meister des Kampfplatzes an.

Er ist ein regelmäßiger Besucher der Dorfschenke, da die Wirthin in der Jugend sein Liebchen gewesen und er sich immer noch gut mit ihr steht. Indessen trinkt er selten etwas anders als einen Schluck Ale, raucht seine Pfeife, und bezahlt seine Rechnung, ehe er die Schenkstube verläßt. Hier giebt er »seine kleinen Staatsgesetze;« richtet über Wetten, die ihm gewöhnlich zur Entscheidung vorgelegt werden; fällt über die Beschaffenheit und die Eigenschaften von Pferden seine Urtheile, und macht selbst dann und wann den Richter bei kleinen Streitigkeiten seiner Nachbarn, die sonst von den Landadvokaten zu bedeutenden Prozessen ausgesponnen worden wären. Hans ist bei seinen Entscheidungen sehr gewissenhaft und unparteiisch, hat aber das Talent nicht, sich auf lange Erörterungen einzulassen, geräth leicht in Verwirrung, und verliert die Geduld, wenn viel über die Sache gesprochen wird. Gewöhnlich fällt er dann mit starker Stimme in die Rede, und bringt die Sache dadurch zum Schlusse, daß er das »worauf es ankommt,« oder mit anderen Worten, »das Lange und Kurze bei der Sache« ausspricht.

Hans machte einmal vor vielen Jahren eine Reise nach London, die ihm seit der Zeit immer Stoff zur Unterhaltung geliefert hat. Er sah den alten König auf der Terrasse in Windsor, und dieser blieb stehen und zeigte ihn einer der Prinzessinnen, da ihm wahrscheinlich Hansens ächtlandmannähnliches Aussehen auffiel. Dieß ist eine seiner Lieblings-Anecdoten, und hat wahrscheinlich dazu beigetragen, ihn, aller Taxen und Armengelder ungeachtet, zu einem sehr treuergebenen Unterthan zu machen. Auch war er auf dem Bartholomäus-Markt, wo man ihm die Hälfte seiner Knöpfe vom Rocke schnitt; und eine Bande Taschendiebe, welche der äußere Schein von Gold und Silber anzog, machte einen regelmäßigen Angriff auf ihn, als er irgend einem Schauspiele zusah; aber dieses Mal fanden sie, daß sie an den Unrechten gekommen waren; denn Hans verrichtete unter der Bande so große Wunder wie Simson einst unter den Philistern. Einer seiner Nachbarn, der ihn nach der Stadt begleitet hatte und mit ihm auf dem Jahrmarkte war, brachte einen Bericht von seinen Thaten mit heim, der den Stolz des ganzen Dorfes erregte, welches sich einbildete, ihr Held habe ganz London besiegt und alle Waffenthaten Bruder Tucks, oder des berühmten Robin Hood, weit hinter sich gelassen.

In den letzten Jahren hat der alte Mann angefangen, es sich leicht zu machen; er arbeitet weniger und läßt sich überhaupt mehr Zeit, da sein Sohn herangewachsen ist, und ihm sowohl bei den Arbeiten in der Wirthschaft, als auf dem Kampfplatze, nachfolgte. Wie allen Söhnen ausgezeichneter Männer ist ihm aber seines Vaters Ruf nachtheilig, denn er wird diesen in der öffentlichen Meinung nie erreichen können. Obgleich ein hübscher, thätiger Bursche von dreiundzwanzig Jahren und beinahe der »Hahn im Korbe,« behaupten doch die alten Leute, daß er nichts gegen das sei, was Hans Baargeld gewesen, als er so alt war. Der junge Mann selbst gesteht auch seinen geringeren Werth ein, und hat eine wundervolle Meinung von dem Alten, der ihn allerdings alle seine Künste in den Leibesübungen gelehrt hat und noch jetzt ihn so in der Zucht hält, daß er, wie man mir sagt, sich nicht bedenken würde, ihn thätlich zurechtzuweisen, wenn er sich gegen das väterliche Regiment auflehnen wollte.

Der Squire hält Hans sehr hoch und zeigt ihn allen zu ihm kommenden als ein Muster des wahren alt-englischen »Eichenstammes.« Er spricht oft bei ihm ein, und kostet sein eigengebrautes Bier, das vortrefflich ist. Er hat Hans ein Geschenk mit des alten Tussers »hundert Punkte guter Haushaltung« gemacht, woran er bis jetzt immer zu lesen gehabt hat, und das bei allen häuslichen und ländlichen Geschäften sein Noth- und Hülfsbuch geworden ist. Er hat bei seinen Lieblingsstellen Ohren gemacht und weiß viele von den poetischen Lehrsätzen auswendig.

Obgleich Tibbets kein Mann ist, der sich vor vornehmen Bekanntschaften beugt, oder sich durch sie erhoben fühlt, und obgleich er die rauhe Gemüths- und Sittenunabhängigkeit zu erhalten strebt, fühlt er sich doch durch die Aufmerksamkeiten des Squire geschmeichelt, den er von seiner Kindheit an gekannt hat, und den er für einen »wahren Ehrenmann vom Kopf bis zu den Füßen« erklärt. Er steht auch auf sehr gutem Fuße mit Meister Simon, der eine Art geheimen Rath für seine Familie abgibt; sein großer Liebling aber ist der Oxforder Student, den er, als er noch ein Knabe war, ringen und klopffechten gelehrt hat, und für den vielversprechendsten jungen Herrn in der ganzen Grafschaft ansieht.

< Der Wittwe Gefolge
Hagestolze >



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