Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Reitkunst

eingestellt: 28.7.2007





Ich habe mehr als einmal zufällig eines der alten Diener des Squire gedacht, des alten Christy, des Jägers. Ich finde, daß seine wunderlichen Launen für die jungen Männer in der Familie eine Quelle großer Unterhaltung sind; besonders macht sich der Oxforder Student zuweilen ein boshaftes Vergnügen, den alten Mann in Harnisch zu bringen und dann wieder gut zu machen; denn der alte Gesell ist geneigt, alsbald so stachelig zu werden, wie ein verfolgter Igel. Er reitet ein ehrwürdiges Jagdpferd, Pfeffer genannt, das ein Seitenstück zu ihm selbst ist, ein störriges, widerspenstiges Thier, das sich das Fleisch von den Knochen abärgert, beißt, schlägt und alle mögliche schlechte Angewohnheiten hat. Es ist so zähe und beinahe eben so alt, als der Reiter, der es seit undenklichen Zeiten geritten hat und in der That der einzige ist, der noch etwas mit ihm anfangen kann. Zuweilen aber haben sie einen förmlichen Zank mit einander und streiten sich um die Oberherrschaft, und dann soll es sich so gut wie ein Possenspiel ausnehmen, die Hitze zu sehen, in die Beide gerathen, und den hartnäckigen Kampf, der folgt; denn sie kennen ihre gegenseitige Art und Weise ganz gut, so wie die Kunst, einander zu plagen und zu ärgern. Dieser mannhaften Fehden ungeachtet, kann doch nichts den alten Christy leichter aufbringen, als wenn man die Vorzüge seines Pferdes in Zweifel zieht; er verficht diese mit eben so großer Hartnäckigkeit, wie ein treuer Gatte die Tugenden einer zänkischen Ehefrau, die ihm jeden Abend seines Lebens eine Gardinenpredigt hält.

Die jungen Leute nennen den alten Christy ihren »Professor der Reitkunst,« und da sie mir eine Erklärung dieses Namens gaben, erhielt ich einige Aufschlüsse über die Erziehungsart des alten Squire. In allen Ansichten meines ehrenwerthen Wirths liegt ein seltsames Gemisch von Ueberspannung und gesundem Verstand. Sein Gemüth ist wie das modern Gothische, wo gewöhnliches Mauerwerk bei Spitzbogen und allerhand Schnörkelei vorkömmt. Wenn gleich die schlichte Grundlage seiner Ansichten richtig ist, so hat er doch tausend kleine Grillen, die er aus alten Büchern geschöpft hat und die über die Oberfläche seines Geistes gar sonderbar hinausragen.

So wählte er bei der Erziehung seiner Knaben Peacham, Markham und dergleichen alte englische Schriftsteller zu seinen Führern. Schon früh nahm er die Bursche aus den Händen der Mutter, die, wie Mütter wohl wünschen, hübsche, artige Kinder, welche weder in den Regen, noch in die Sonne gingen, sich nie die Hände beschmutzten und die Kleider zerrissen, aus ihnen machen wollte.

Statt dessen ließ sie der Squire frei und wild im Park umherlaufen, ohne auf Wind und Wetter zu achten. So sah er auch ganz besonders darauf, sie zu dreisten, gewandten Reitern zu machen, und nun erhielt der alte Christy, der Jäger, eine große Wichtigkeit, da ihm die Knaben anvertraut wurden, um sie übersetzen zu lehren, und bei der Jagd ein wachsames Auge auf sie zu haben.

Der Squire setzte sich immer dagegen, daß sie sich irgend eines Fuhrwerkes bedienten, und hält noch jetzt ein wenig eigensinnig darauf. Er eifert oft gegen den allgemeinen Gebrauch der Kutschen, und führt zu seiner Rechtfertigung die Worte des ehrlichen Nashe an. »Es wurde,« sagt Nashe in seinem Quaternio, »für eine Art Verstoß, für eine Art Verweichlichung gehalten, wenn ein junger Mann in der Blüthe seines Alters in eine Kutsche kroch und sich gegen Wind und Wetter verwahrte: unser großes Vergnügen war, dem wilden Boreas auf einem großen Pferde Trotz zu bieten; unsere Lust und unser Zeitvertreib, uns zu waffnen und zu rüsten, um mit Mars und Bellona ins Feld zu ziehen; Kutschen und Wagen überließen wir denen, für die sie zuerst erfunden wurden, für Damen und vornehme Herrn, für das hinfällige Alter und kraftlose Leute.«

Der Squire behauptet steif und fest, die Engländer hätten seit der Einführung der Kutschen sehr viel von ihrer Kräftigkeit und Mannhaftigkeit verloren. »Vergleicht« pflegt er zu sagen, »den Mann von gutem Ton aus früheren Zeiten, immer zu Pferde, gestiefelt und gespornt, von der Reise beschmutzt, aber offen, frei, mannhaft und ritterlich, mit dem Mann von Bildung heutiges Tags, wie er, ganz Ziererei und Weichlichkeit, in seinem üppigen Wagen vor einem Chausséehause vorüber rollt. Die jungen Leute jener Zeit wurden dadurch, daß sie fast nur im Sattel lebten und ihre schäumenden Rosse »wie stolze Meere unter sich hatten,« in ihrem Thun brav, hochsinnig und edelmüthig. »Es liegt,« fügt er hinzu, »etwas, das einen Mann zu mehr als einem Sterblichen macht, in dem Gefühle, ein schönes Pferd zu besteigen. Er scheint sein Wesen verdoppelt und seinem eigenen Muthe und seinem Scharfsinn, die Kraft, die Eile und die Stattlichkeit des herrlichen Thieres, das er reitet, hinzugefügt zu haben.«

»Es ist ein großes Vergnügen,« sagt der alte Nashe, »einen jungen Mann durch Geschick und Gewandtheit, durch Stimme, Gerte und Sporn, den großen Bucephalus besser lenken und regieren zu sehen, als es der stärkste Milo mit aller seiner Kraft thun könnte; zu sehen, wie er ihn bald im Kreise gehen und den Kopf gerade tragen läßt, zum schnellsten Laufe antreibt, plötzlich wieder mit Leichtigkeit anhält, bald ihn vorwärts gehen, sich bäumen, zurücktreten, seitwärts gehen, nach beiden Seiten wenden, den kurzen Galopp, die Capriole, Chambette machen und die Courbetten tanzen läßt.«

Diesen Ansichten gemäß brachte der Squire seine Kinder schon früh auf das Pferd, und ließ sie über Stock und Block durch das Land reiten, ohne daß sie sich, zur augenscheinlichen Gefahr ihrer Hälse, an Hecken, Gräben oder steinerne Mauern gekehrt hätten.

Selbst die schöne Julie war in dieses System zum Theil mit eingeschlossen, und sie ist in des alten Christy Schule, eine der besten Reiterinnen in der Grafschaft geworden. Der Squire sagt, diese Bewegung sei besser, als alle Schönheitsmittel und wohlriechenden Sachen, die je erfunden worden seien. Er preist die Reitkunst der Frauen aus früheren Zeiten, als noch die Königin Elisabeth sich kaum vom Regen abhalten ließ, ihren gewöhnlichen Ritt zu machen. »Und dann bedenkt,« pflegt er zu sagen, »wie viel edler und angenehmer die Frauen dadurch erschienen. Was für ein Unterschied herrscht, geistig und körperlich, zwischen einer muntern, hochsinnigen Dame jener Zeit, strahlend von Gesundheit und Bewegung, von jeder wehenden Luft erfrischt, stolz und zierlich im Sattel sitzend, mit Federn auf dem Kopfe und dem Falken auf der Hand, und ihren Abkömmlingen von jetzt, den bleichen Opfern der Gesellschaften und Bälle, die sich ganz entkräftet in einer Ecke ihres entnervenden Wagens vergraben.

Des Squire Reitsystem hat großen Erfolg gehabt, denn seine Söhne, welche die ganze Schule durchgemacht haben, ohne einige Glieder oder den Hals zu brechen, sind jetzt gesund, lebendig und rüstig, und haben die wahre englische Liebe für die Pferde. Wenn in Gegenwart ihres Vaters, ihre Mannhaftigkeit und Offenheit gelobt wird, so beruft er sich auf den alten persischen Grundsatz und sagt: sie seien gelehrt worden, »zu reiten, zu schießen und die Wahrheit zu reden.«

Es ist wahr, der Oxforder Student hat die Grundsätze des alten Herrn äußerst buchstäblich befolgt. Er ist ein lustiger junger Mensch, hat die Pferde lieber als die Bücher, und neigt sich ein wenig zur Stutzerei hin, wenn gleich die Damen einstimmig erklären, daß er »die Blüthe der Heerde« sei. Das erste Jahr seines Aufenthaltes zu Oxford hatte er einen Hofmeister, der auf ihn Acht geben sollte, ein trockener Spahn der Universität. Als er in den Ferien nach Hause kam, that der Squire mehrere Fragen an ihn, wie ihm sein Kollegium, seine Studien und sein Hofmeister behagten.

»O, was meinen Hofmeister betrifft, Sir, so habe ich den schon vor einiger Zeit gehen lassen.«

»Das hast Du? Und, darf man wissen, warum?«

»Ei, Vater, die Jagd war in unserm Kollegium ganz Mode geworden, und ich hatte nicht überflüssig Geld; so verabschiedete ich meinen Hofmeister, und schaffte ein Pferd an, wißt Ihr.«

»Ah, das wußte ich nicht, Tom,« sagte der Squire mild.

Als Tom wieder zu seinem Kollegium zurückkehrte, bekam er doppelt so viel als vorher, um Pferd und Hofmeister zugleich halten zu können.

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