Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Die Halle

eingestellt: 28.7.2007





Wenn der Leser die Bände des Skizzenbuchs durchlaufen hat, so wird er sich wahrscheinlich der Familie Bracebridge erinnern, bei der ich einst die Weihnachtszeit zubrachte. Ich bin jetzt abermals zum Besuche in der Halle, da ich zu einer Hochzeit eingeladen wurde, die in kurzem stattfinden soll. Des Squires zweiter Sohn, Guido, ein schöner, lebendiger junger Hauptmann bei den Landtruppen, ist im Begriffe seines Vaters Mündel, die schöne Julie Templeton, zu heirathen. Schon haben sich die Freunde und Verwandte zu versammeln angefangen, das fröhliche Fest zu begehen; denn der alte Herr ist ein Feind aller stillen, heimlichen Heirathen. »Es geht nichts darüber,« sagt er, »ein junges Paar fröhlich vom Stapel laufen zu lassen und ihm vom Ufer Glück nachzurufen; eine gute Ausfahrt ist die halbe Reise.«

Eh ich irgend weiter fortfahre, muß ich bitten, den Squire nicht mit den scharfreitenden Fuchsjagenden Herrn zu verwechseln, die man so oft beschrieben hat, und welche in der That in England beinahe ganz ausgestorben sind. Ich bediene mich dieses ländlichen Titels theils, weil er in der Nachbarschaft seine gewöhnliche Bezeichnung ist, theils, weil er mir die häufige Wiederholung seines Namens erspart, der zu den alten schweren englischen Namen gehört, über welche die Franzosen in Verzweiflung Wehe ausrufen.

Der Squire ist in der That ein spätes Musterbild von alten englischen Landbesitzern; etwas verbauert, weil er fast immer auf seinem Gute gelebt hat, und etwas launenhaft, wie Engländer wohl zu werden pflegen, wenn sie nach ihrer eigenen Weise leben können. Mir behagt sein Steckenpferd, welches darin besteht, daß er für alte englische Sitten und Gewohnheiten eine abgöttische Verehrung hegt, ganz wohl; es schlägt etwas in meinen eigenen Geschmack, da ich bis jetzt eine lebendige, ungesättigte Wißbegierde nach den alten, ächten Charakterzügen meines »Vaterlandes« habe.

In der Familie des Squire finden sich ebenfalls einige Züge, die mir national zu sein scheinen. Sie ist eine von jenen alten aristokratischen Familien, welche, wie ich glaube, England eigenthümlich sind, und von denen man in andern Ländern kaum einen Begriff hat; das heißt, Familien von alter guter Abkunft, die, obgleich ohne Rang und Titel, doch auf ihre Vorfahren sehr stolz sind; die auf allen Adel aus neuerer Zeit herabsehen, und es für eine Beeinträchtigung ihrer Würde halten würden, den ehrwürdigen Namen ihres Hauses in einen neueren Titel zu verschmelzen.

Dieses Gefühl gewinnt durch das Ansehen, dessen sie auf ihrem Erbgut genießen, sehr an Stärke. Der Familiensitz ist ein altes Herrenhaus, welches in einem entfernten, schönen Theile von Yorkshire liegt. Seine Bewohner sind in der umliegenden Gegend immer als »die Großen dieser Erde« angesehen worden, und das kleine, zunächst der Halle gelegene Dorf betrachtet den Squire beinahe mit lehnsmännischer Ehrfurcht. Ein altes Herrenhaus und eine alte Familie der Art, trifft man heutiges Tages selten an; und wahrscheinlich konnte nur die eigenthümliche Denkweise des Squire dieses Muster einer englischen Haushaltung in der Abgeschiedenheit, einigermaßen dem wahren alten Style gemäß erhalten.

Man hat mir wieder in der ausgetäfelten Stube, in dem alten Flügel des Hauses, meine Wohnung angewiesen. Die Aussicht von meinem Fenster aus hat indeß einen, von dem zur Zeit meines Winterbesuchs, ganz verschiedenen Charakter. Obgleich es noch früh im April ist, so haben doch einige wenige warme sonnige Tage die Reize des Frühlings hervorgelockt, welche wie mich dünkt, bei ihrem ersten Hervortreten immer am meisten anziehen. Die Parterre in dem altväterischen Garten prangen mit bunten Blumen, und der Gärtner hat bereits seine ausländischen Gewächse herausgebracht und sie die steinernen Balustraden entlang aufgestellt. Die Bäume sind mit grünen Knospen und zarten Blättern bekleidet; wenn ich mein rasselndes Fenster aufschiebe, so kommt mir der Geruch der Reseda entgegen, und ich höre das Gesumme der Bienen von den Blumen an der besonnten Mauer, und den melodischen Gesang der Drossel und die fröhlichen Laute des tonreichen kleinen Hänflings zu mir herauf dringen.

Während meines Aufenthalts in diesem starken Anhalte alter Gebräuche, will ich von Zeit zu Zeit Skizzen von den Scenen und Charakteren, die mir vorkommen, entwerfen. Man verstehe indeß, daß ich keinen Roman schreiben will, und daß ich dem Leser keine Verwickelungen, oder wundersame Abenteuer versprechen kann. In der Halle, von der ich rede, gibt es, so viel ich weiß, weder Fallthüren, noch Schieber in der Vertäfelung, noch ein Burgverließ, und überhaupt scheint sie nichts Geheimnißvolles zu enthalten. Die Familie ist eine würdige, wohldenkende Familie, die man wahrscheinlich von einem Ende meines Werkes bis zum andern, regelmäßig essen und trinken, und zu Bett gehen und aufstehen sehen wird; und der Squire ist ein so wohlwollender alter Mann, daß ich keine Wahrscheinlichkeit sehe, warum er der bevorstehenden Heirath irgend ein Hinderniß in den Weg legen sollte. Mit einem Worte, ich kann kein einziges außerordentliches Ereigniß voraussehen, das sich während der ganzen Dauer meines Aufenthalts in der Halle ereignen könnte.

Ich sage dieß dem Leser ehrlich, damit er nicht, wenn er mich englische Alltagsauftritte langsam durchgehen sieht, in Eile umschlägt, in der Hoffnung, weiter hinten auf irgend ein wunderbares Abenteuer zu stoßen. Ich lade ihn dagegen ein, gemächlich mit mir fortzuschlendern, so wie er einen Spaziergang auf das Feld machen würde, von Zeit zu Zeit still stehend, um eine Blume zu pflücken, auf den Gesang eines Vogels zu horchen, oder eine Aussicht zu bewundern, ohne daß die eine Sorge ihn quäle, das Ende seines Laufes zu erreichen. Sollte ich indessen auf meinen Wanderungen durch dieses alte Haus irgend etwas Merkwürdiges sehen oder hören, was in die Einförmigkeit dieses Alltagslebens eine Abwechselung bringen könnte, so werde ich nicht ermangeln, es zu des Lesers Unterhaltung zu berichten.

                            Denn selbst der stärkste Geist ermüdet bald
An einem Buch, wie wichtig es auch sei,
Gibt es nicht Dinge, neu und mannigfalt,
Gewürzt mit Lug, verbrämt mit Neckerei.                            
»Der Spiegel für obrigkeitliche Personen.«

< Der Verfasser an den Leser
Der geschäftige Mann >



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