Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Bibliothek

eingestellt: 28.7.2007





Gestern erschien die schöne Julie, zum ersten Male nach ihrem Unfalle, wieder im untern Stock; und ihr Anblick verbreitete eine allgemeine Heiterkeit über das Haus. Sie war indeß sehr bleich, und konnte nicht ohne Mühe und Schmerzen gehen. Wir führten sie deßwegen nach einem Sopha in der Bibliothek, die, angenehm und einsam, die Aussicht auf Bäume hat, und so ruhig ist, daß die kleinen Vögel auf die Fenster fliegen und neugierig in das Zimmer schauen. Hier versammelten sich nun Mehrere aus der Familie, und ersannen Mittel, sie zu unterhalten und ihr die Zeit angenehm zu vertreiben. Lady Lillycraft bedauerte, daß kein neuer Roman da sei, um die Stunden zu verkürzen; und war beinahe ärgerlich, daß »der Verfasser von Waverley« in den letzten drei Monaten kein Werk zu Tage gefördert habe.

Es wurde vorgeschlagen, man solle den Geistlichen um einige seiner alten Legenden oder Geistergeschichten angehen; dagegen setzte sich aber Lady Lillycraft, da sie ihr Vapeurs zuziehen könnten. General Harbottle gab zum sechsten Male eine umständliche Erzählung von dem Unglücksfalle eines Freundes zum Besten, dem, in Indien, ein Tiger auf der Jagd das Bein abgebissen hatte, und bedrohte die Gesellschaft mit einem oder zwei Kapiteln von Tippu Saib.

Endlich bedachte sich der Capitain und sagte, er glaube, er habe eine handschriftliche Erzählung in einem Winkel seines Feld-Mantelsacks stecken, die er, wenn er sie finden könne und die Gesellschaft es wünsche, ihr vorlesen wolle. Dieß Anerbieten ward begierig angenommen. Er entfernte sich, und kam, kurz darauf mit einer sehr beschmutzten Papierrolle zurück, die von einer gebildeten, aber beinahe unleserlich gewordenen Hand war, und wovon ein großer Theil aus Patronenpapier bestand.

»Dieß ist,« sagte er, »eine von den Schreibereien meines armen Freundes Charles Lightly von den Dragonern. Er war ein sonderbarer, romantischer, emsiger, phantastischer Mensch; der Liebling und oft, ihm unbewußt, die Zielscheibe seiner Kameraden, die sich an seinen Sonderbarkeiten belustigten. Er hatte auf der Halbinsel einen sehr schweren Dienst und zeichnete sich durch seine Tapferkeit aus. In den Zwischenräumen der Muße, die ihm der Dienst übrig ließ, schweifte er gern im Lande umher, berühmte Orte besuchend, und seiner Vorliebe für maurische Trümmer nachhängend. Wenn er im Quartier war, schrieb er sehr viel, und brachte die meiste Zeit seiner Muße mit der Feder in der Hand zu.«

»Da ich ein viel jüngerer Offizier als er, und überhaupt noch sehr jung war, so nahm er mich gewissermaßen unter seine Obhut und wir wurden innige Freunde. Er pflegte mir oft vorzulesen, was er geschrieben hatte, da er ein großes Zutrauen zu meinem Geschmacke hatte, denn ich lobte seine Schreibereien immer. Der Arme! Er ward an meiner Seite bei Waterloo von einem Schuß getroffen. Wir lagen, während eines harten Kampfes, der dicht bei uns vorfiel, eine Zeitlang nebeneinander. Da meine Verwundung die leichteste war, so suchte ich ihm zu helfen, und das Blut zu stillen, das aus einer Wunde in seiner Brust strömte. Er lag mit dem Haupte in meinem Schooße und blickte dankbar zu mir herauf, schüttelte aber schwach den Kopf, machte ein Zeichen, daß es aus mit ihm sei; und wirklich starb er einige Minuten nachher, gerade als unsere Leute den Feind zurückgeschlagen hatten und zu unserer Unterstützung herbeikamen. Ich habe noch seinen Lieblingshund, seine Pistolen und mehrere von seinen Handschriften, die er mir zu verschiedenen Zeiten gab. Die, welche ich jetzt vorlesen werde, ist eine Erzählung, die er, wie er mir sagte, in Spanien schrieb, während er an einer bei Salamanca erhaltenen Wunde danieder lag.«

Wir schickten uns nun an, die Geschichte zu hören. Der Capitain setzte sich auf das Sopha, neben die schöne Julie, die, wie ich bemerkte, das Gemälde, das er sorglos von Wunden und Gefahren auf dem Schlachtfelde entworfen, etwas angegriffen hatte. Sie legte jetzt ihren Arm zärtlich auf seine Schulter, und ihr Auge ward feucht, als sie auf die Handschrift des armen gelehrten Dragoners hinblickte. Lady Lillycraft begrub sich in einen tief einsinkenden, mit Kissen wohlversehenen Armstuhl. Ihre Hunde lagen auf weichen Matten zusammengekrümmt zu ihren Füßen; und der tapfere General nahm in einem Lehnstuhle an ihrer Seite Platz, und spielte mit ihrem zierlichen Arbeitsbeutel. Nachdem die Uebrigen sämmtlich eben so gut untergebracht waren, fing der Capitain seine Erzählung an, von der ich mir, zum Besten der Leser, eine Abschrift verschafft habe.

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