Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Der Student von Salamanca

eingestellt: 28.7.2007





Einst wohnte in der alten Stadt Granada ein junger Mann, Namens Antonio de Castros. Er trug das Gewand eines Studenten von Salamanca, las häufig in der Bibliothek der Universität, und gab sich in den Mußestunden wißbegierig mit der Untersuchung der Ueberbleibsel maurischer Pracht ab, derentwegen Granada so berühmt ist.

Während der Beschäftigung mit seinen Studien bemerkte er häufig einen alten Mann von sonderbarem Aeußeren, der ebenfalls die Bibliothek besuchte. Er war mager und abgelebt, doch augenscheinlich mehr durch Studiren als durch sein Alter. Seine Augen, wenn gleich glänzend und schwärmerisch, waren in den Kopf gesunken, und wurden von den darüberhangenden Augenbraunen beschattet. Seine Kleidung war immer dieselbe: ein schwarzes Wamms, ein kurzer schwarzer Mantel, der sehr kahl und abgenutzt war, eine kleine Halskrause und ein großer, überschattender Hut.

Sein Durst nach Wissen schien unersättlich. Er verbrachte ganze Tage in der Bibliothek, in Studien versunken, und eine Menge von Schriftstellern nachschlagend, als ob er einen anziehenden Gegenstand durch alle seine Verzweigungen verfolge, so daß er, wenn der Abend kam, in Büchern und Handschriften beinahe vergraben war.

Antonios Neugierde war erregt, und er fragte die Diener über den Fremden. Niemand wußte ihm jedoch Auskunft zu geben, außer, daß er seit einiger Zeit, zuweilen auf die Bibliothek komme; daß sein Lesen sich besonders auf Bücher über geheime Wissenschaften beziehe, und daß er namentlich arabischen Handschriften nachforsche. Sie fügten hinzu, daß er sich nie mit Jemanden in eine Mittheilung eingelassen habe, ausgenommen, wenn er nach einzelnen Werken fragte; daß er, nach besonders anhaltendem Studiren, mehrere Tage, ja selbst Wochen lang, verschwinde, und wenn er die Bibliothek wieder besuche, verwelkter und hagerer als je aussehe. Der Student fühlte sich von diesen Nachrichten angezogen: er führte ein etwas müßiges Leben, und besaß alle die launenhafte Neugier, welche in dem Gefolge des Müßigganges sich einfindet. Er beschloß, mit diesem Bücherwurme Bekanntschaft zu machen, und auszukundschaften, wer und was er sei.

Sobald er den alten Mann wieder in der Bibliothek sah, fing er an, sich ihm zu nähern, indem er ihn um die Erlaubnis bat, in einen der Bände blicken zu dürfen, die der Unbekannte nicht mehr zu brauchen schien. Dieser nickte bloß mit dem Kopfe, zum Zeichen der Gewährung. Nachdem Antonio das Buch, mit anscheinend großer Aufmerksamkeit durchgesehen, gab er es mit vielen Dankbezeigungen zurück. Der Fremde antwortete nicht darauf.

»Darf ich fragen, Señor,« sagte Antonio mit einigem Zaudern. »darf ich fragen, was Ihr in allen diesen Büchern sucht?«

Der alte Mann erhob sein Haupt mit einem Ausdrucke des Erstaunens, seine Studien zum ersten Male, und durch eine so zudringliche Frage unterbrochen zu sehen. Er blickte den Studenten von der Seite, vom Fuß bis zum Kopfe an, und sagte ruhig: »Weisheit, mein Sohn, und die Erforschung derselben fordert jeden Augenblick meiner Muße.« Hierauf richtete er die Augen wieder auf das Buch, und fuhr in seinen Studien fort.

»Aber, Vater,« sagte Antonio. »könnt Ihr Euch nicht einen Augenblick abmüßigen, um Andern den Weg anzudeuten? Wir, die wir die Pfade des Wissens nicht kennen, müssen zu erfahrnen Reisenden, wie Ihr seid, unsere Zuflucht nehmen, um auf unserm Wege zurecht gewiesen zu werden.«

Der Fremde sah ihn verstört an: »Ich habe kaum Zeit genug, mein Sohn, um zu lernen,« sagte er, »geschweige denn, um zu lehren, Ich selbst kenne den Pfad der wahren Wissenschaft nicht; wie kann ich ihn also Andern zeigen?«

»Gut, Vater, aber« –

»Señor,« sagte der alte Mann sanft, aber ernst. »Ihr müßt sehen, daß ich nur noch wenige Schritte bis zum Grabe habe. In dieser kurzen Zeit muß ich das ganze Geschäft meines Daseins vollendet haben. Ich habe keine Zeit zu Worten; jedes Wort ist ein verlorenes Sandkorn aus meinem Stundenglase. Laßt mich ungestört.«

Gegen einen so vollständigen Schluß der Thore des Vertrauens war nichts mehr einzuwenden. Der Student fand sich mit Ruhe, aber auch völlig abgewiesen. Obgleich neugierig und forschend, war er doch von Natur bescheiden, und erröthete, bei reiferem Nachdenken, über seine Zudringlichkeit. Bald beschäftigten andere Gegenstände seinen Geist. Er brachte mehrere Tage damit zu, unter den verfallenen Trümmern maurischer Baukunst, diesen traurigen Denkmälern eines zierlichen, üppigen Volkes, umher zu wandern. Er durchschritt die verlassenen Hallen der Alhambra, des Paradieses der maurischen Könige. Er besuchte den großen Hof der Löwen, berüchtigt durch den schändlichen Mord der tapferen Abencerragen. Er betrachtete mit Bewunderung die musivischen Kuppeln, prächtig in Gold und Azurblau bemalt, ihre Marmorbecken und ihren, von Löwen getragenen und mit Inschriften bedeckten Alabasterbehälter.

Seine Einbildungskraft ward entflammt, als er unter diesen Trümmern wandelte. Sie waren geeignet, die ganze Begeisterung eines jugendlichen Gemüths zu entzünden. Die Säle und Höfe waren in jenen Zeiten fast alle durch Springbrunnen verschönert gewesen. Der feine Geschmack der Araber fand an der glänzenden Reinheit und der belebenden Frische des Wassers großes Gefallen, und errichtete an allen Orten diesem zarten Element Altäre. Die Dichtkunst vermählt sich, in der Alhambra, mit der Baukunst. Sie athmet die Mauern entlang. Wohin immer Antonio seine Augen wandte, sah er arabische Inschriften, worin die Dauer der maurischen Macht, und ihr Glanz in diesen Palästen bestimmt vorausgesagt war. Ach! Wie ist diese Prophezeihung falsch befunden worden! Viele von den Becken, aus welchen die Springbrunnen einst ihre glänzenden Strahlen aufsteigen ließen, waren trocken und bestäubt. Einige von den Palästen waren in düstere Klöster umgeschaffen, und der barfüßige Mönch durchschritt diese Höfe, welche einst den Glanz der Maurischen Ritterschaft zurück gestrahlt, und von den Tönen ihrer Musik widergehallt hatten.

Auf seinen Streifereien begegnete Antonio mehr als einmal dem alten Manne aus der Bibliothek. Er war immer allein, und so gedankenvoll, daß er Niemand um sich her bemerkte. Er schien damit beschäftigt, jene halb vergrabenen Inschriften zu studiren, welche, hie und da, unter den maurischen Trümmern gefunden werden, und aus der Erde hervor noch die Wunder früherer Größe zu stammeln scheinen. Der größere Theil derselben ist seit der Zeit übersetzt worden; damals glaubten aber Viele, daß sie sinnbildliche Andeutungen und goldene Sprüche der arabischen Weisen und Sterndeuter enthielten. Während Antonio den Fremden diese Inschriften anscheinend entziffern sah, fühlte er ein lebhaftes Verlangen, seine Bekanntschaft zu machen und an seinen interessanten Untersuchungen Theil zu nehmen; allein die Zurückweisung, die er in der Bibliothek erfahren, hielt ihn ab, weitere Annäherungen zu versuchen.

Eines Abends hatte er seine Schritte nach dem heiligen Berge gelenkt, von welchem man das schöne Thal, das der Darro bewässert, die fruchtbare Ebene der Vega, und all die reiche Mannichfaltigkeit von Thal und Berg übersehen kann, welche Granada mit einem irdischen Paradiese umgibt. Es war Zwielicht, als er sich an dem Orte befand, wo heutiges Tages die Kapellen liegen, welche unter dem Namen der heiligen Oefen bekannt sind. Sie werden so von den Grotten genannt, worin einige der frühesten Heiligen verbrannt worden sein sollen. Zu der Zeit, wo Antonio diesen Ort besuchte, war er ein Gegenstand großer Neugierde. In einer Vertiefung dieser Grotten hatte man kürzlich mehrere beschriebene Bleitafeln entdeckt; die Buchstaben darauf waren Arabisch; eine ausgenommen, welche unbekannte Schriftzüge enthielt. Der Pabst hatte eine Bulle ergehen lassen, worin er, bei Strafe der Excommnnication, Jedem verbot, von diesen Tafeln zu reden. Dieses Verbot hatte die Neugierde nur um so mehr erregt; und das Gerücht verbreitete sich, diese Tafeln enthielten Schätze von geheimnißvollen, verbotenen Kenntnissen.

Während Antonio den Ort genauer betrachtete, wo man diese geheimnißvollen Handschriften gefunden hatte, bemerkte er abermals den alten Mann aus der Bibliothek, der unter den Trümmern umherwandelte. Seine Neugierde erwachte nun im höchsten Grade: Zeit und Ort waren ganz geeignet, sie anzuregen. Er beschloß, diesen Forscher nach geheimnißvoller, vergessener Lehre genauer zu beobachten, und ihn bis zu seiner Wohnung zu verfolgen. Es lag etwas Abenteuerliches in der Sache, das seiner Neigung zum Romantischen entsprach. Er folgte demnach dem Fremden in einer kleinen Entfernung, anfangs mit vieler Vorsicht; aber er sah bald, daß er so gänzlich in seine Gedanken versunken war, daß er sich sehr wenig um Gegenstände der Außenwelt bekümmerte.

Der Weg des Alten führte den Saum des Berges und dann die schattigen Ufer des Darro entlang. Sie gingen in einiger Entfernung von der Stadt einen einsamen Weg fort, der zwischen den Hügeln hinlief. Die Dämmerung trat allgemach ein, und es war ganz dunkel, als der Fremde vor dem Portal eines einsamen Hauses still stand.

Dieß schien ein bloßer Flügel, oder ein zertrümmertes Bruchstück eines einst bedeutenden Gebäudes zu sein. Die Mauern waren sehr dick, die Fenster schmal, und fast durchgängig mit eisernen Stangen verwahrt. Die Thür war von Bohlen, mit eisernen Nägeln dicht beschlagen, und mußte von großer Stärke gewesen sein, wenn sie gleich jetzt halb zertrümmert war. An dem einen Ende des Gebäudes stand ein verfallener Thurm, im Style maurischer Architektur. Das Gebäude war vermuthlich ein Landsitz oder Lustschloß der Mauren, und so stark befestigt gewesen, daß es in jenen kriegerischen Zeiten jedem gelegentlichen Angriffe Widerstand leisten konnte.

Der alte Mann klopfte an das Portal. An einem kleinen Fenster, gerade über demselben, erschien ein Licht, und ein Frauenkopf blickte heraus: er hätte als Modell zu einer von Raphaels Heiligen dienen können. Ihr Haar war sehr schön geflochten und in ein seidenes Netz zusammengenommen; und ihr Gesicht, nach dem, was man bei dem Lichte sehen konnte, hatte die weiche schöne dunkle Farbe, welche einer südlichen Schönheit so wohl ansteht.

»Ich bin es, mein Kind,« sagte der Alte. Der Kopf verschwand sogleich, und bald darauf öffnete sich ein Pförtchen im großen Portal. Antonio, der sich in die Nähe des Gebäudes gewagt hatte, sah auf einen flüchtigen Blick eine zarte weibliche Gestalt. Ein Paar schöner schwarzer Augen verrieth das Erstaunen über den Anblick eines Fremden in dieser Umgebung, und die Thüre wurde schnell geschlossen.

Es lag etwas in dieser plötzlichen Erscheinung weiblicher Schönheit, das die Einbildungskraft des Studenten wunderbar ergriff. Sie war gleich einem Demant, der aus seiner dunkeln Höhle hervorstrahlt. Er schlich umher und betrachtete das düstere Gebäude mit wachsendem Antheile. Einige wenige wilde Töne, die in einer kleinen Entfernung zwischen Felsen und Bäumen hervordrangen, zogen seine Aufmerksamkeit an. Er fand eine Gruppe Zigeuner, deren es zu jener Zeit eine große Anzahl in Spanien gab, und die in Hütten und Berghöhlen in der Nachbarschaft von Granada wohnten. Einige waren um ein Feuer beschäftigt, während Andere auf die rohe Musik horchten, welche einer ihrer Gefährten, der am Rande des Felsen saß, auf einem gespaltenen Rohr hervorbrachte.

Antonio suchte von ihnen einige Nachrichten über das alte Gebäude und dessen Bewohner einzuziehen. Der eine, welcher der Sprecher zu sein schien, war ein hagerer Kerl, leichtfüßig, mit flüsternder Stimme und einem verdächtigrollenden Auge. Er schüttelte bei des Studenten Fragen den Kopf, und sagte, es sei in dem Gebäude nicht alles richtig. Ein alter Mann bewohne es, den Niemand kenne, und dessen Umgebungen nur eine Tochter und eine Dienerin zu sein schienen. Er und seine Gefährten, setzte er hinzu, hielten sich in den benachbarten Hügeln auf, und hätten des Nachts oft ein sonderbares Licht in dem Thurme gesehen, und sonderbare Gesänge daraus ertönen gehört. Einige von den Landleuten, welche in den Weinbergen an den Hügeln arbeiteten, glaubten, der Alte gebe sich mit der Schwarzkunst ab, und gingen nicht allzu gern in der Nacht bei dem Thurme vorüber; »was uns indeß betrifft,« sagte der Zigeuner, »so sind wir kein Volk, das sich wegen dergleichen Furcht in den Kopf kommen läßt

Der Student suchte nun genauere Nachrichten einzuziehen; aber sie wußten ihm keine zu geben. Sie fingen schon an, für das, was sie bereits mitgetheilt, eine Belohnung zu begehren, und der Gedanke an die Einsamkeit des Ortes und die landstreicherische Lebensart der Bewohner reichten hin, ihn zu bewegen, denselben ohne Weiteres eine Belohnung zu geben, und nach Hause zu eilen.

Er setzte sich nieder, zu studiren, allein sein Kopf war zu voll von dem, was er gesehn und gehört hatte; sein Auge war auf dem Blatte, aber seine Einbildungskraft kehrte stets zu dem Thurme zurück, und er malte sich beständig das kleine Fenster vor, mit dem schönen Kopfe, der daraus hervorgesehen hatte; oder die halb offene Thür mit der Nymphengestalt darinnen. Er ging zu Bett, allein dieselben Gegenstände besuchten seine Träume. Er war jung und empfänglich; und der aufgeregte Zustand seiner Gefühle hatte, durch das Umherwandern in den Wohnsitzen der dahingeschwundenen Annehmlichkeit und Tapferkeit ihn für einen plötzlichen Eindruck, den weibliche Schönheit auf ihn hervorbrachte, im voraus empfänglich gemacht.

Am nächsten Morgen ging er abermals in die Gegend des Thurmes spazieren. Durch das helle Tageslicht ward dieser noch schauerlicher als in der Abenddämmerung. Die Mauern zerfielen in Trümmer, und Unkraut und Moos wuchsen in jeder Spalte. Er hatte mehr das Ansehen eines Gefängnisses, als eines Wohnhauses. In einem Winkel bemerkte er jedoch ein Fenster, das von der es umgebenden Verwahrlosung eine Ausnahme zu machen schien. Innerhalb desselben war ein Vorhang herabgelassen, und Blumen standen auf dem Gesims. Während er hinsah ward der Vorhang ein wenig zurückgezogen, und ein zarter weißer Arm von der schönsten Rundung kam hervor, um die Blumen zu begießen.

Der Student machte ein Geräusch, um die Aufmerksamkeit der schönen Blumenfreundin zu erregen. Dieß gelang ihm. Der Vorhang wurde weiter zurückgezogen, und er erblickte auf einen Augenblick dasselbe liebliche Gesicht, welches er am vorigen Abend gesehen hatte; es war nur ein Augenblick; der Vorhang fiel wieder, und das Fenster schloß sich. Alles dieß mußte die Gefühle eines romantischen Jünglings erregen. Hätte er die Unbekannte unter andern Umständen gesehn, so würde ihre Schönheit wahrscheinlich nicht diesen Eindruck auf ihn gemacht haben; allein der Anschein, als sei sie eingeschlossen und werde gefangen gehalten, gab ihr den Werth eines wohlverwahrten Edelsteins. Er ging während des Tages mehrere Male vor dem Hause auf und ab, sah aber nichts weiter. Am Abend war er abermals da. Das ganze Aeußere des Hauses war düster. Die kleinen Fenster gaben keinen freundlichen Strahl des Lichts, der auf gesellschaftliches Leben im Innern gedeutet hätte. Antonio horchte am Portal; allein sein Ohr vernahm keinen Laut von Stimmen. In diesem Augenblick hörte er das Zuschlagen einer entfernten Thür, und da er fürchtete, bei dem unwürdigen Geschäfte des Horchens belauscht zu werden, begab er sich schnell auf die entgegengesetzte Seite des Weges, und stellte sich in den Schatten eines zertrümmerten Bogenganges.

Er bemerkte nun ein Licht aus einem Fenster in dem Thurme. Es war unstät und von wechselnder Gestalt; gewöhnlich schwach und gelblich, wie von einer Lampe; zuweilen erschien dazwischen ein heller Glanz von lebhafter, metallischer Farbe, welchem eine dunkle Gluth folgte. Eine dicke Rauchsäule stieg von Zeit zu Zeit in die Luft auf, und hing, wie ein Baldachin über dem Thurme. Das Gebäude und seine Bewohner hatten etwas so Einsames und anscheinend Geheimnißvolles, daß Antonio halb geneigt war, den Glauben der Landleute zu theilen, und das Gebäude gleich ihnen für die Höhle eines mächtigen Zauberers, und die reizende Jungfrau für eine bezauberte Schönheit zu halten.

Nach einiger Zeit erschien ein Licht in dem Fenster, wo er den schönen Arm gesehen hatte. Der Vorhang war herabgelassen, aber er war so dünn, daß er den Schatten einer Person bemerken konnte, die zwischen dem Vorhange und dem Licht hin und her schwebte. Er glaubte zu erkennen, daß die Formen sehr zart seien; und nach der Lebhaftigkeit der Bewegungen zu schließen, war sie augenscheinlich jung. Es blieb ihm kein Zweifel übrig, daß dieß das Schlafzimmer seiner schönen Unbekannten sei.

Alsbald vernahm er den Ton einer Guitarre, von einer weiblichen Stimme begleitet. Er schlich behutsam näher, und horchte. Es war eine schwermüthige maurische Ballade, und er erkannte darin die Klagen eines der Abencerragen, als er aus den Mauern des lieblichen Granada schied. Sie war voller Leidenschaft und Zärtlichkeit. Sie besang die Reize eines früheren Lebens; die Stunden der Liebe, deren sie an den Ufern des Darro und in den seligen Räumen der Alhambra genossen. Sie beweinte den Fall der Abencerragen und rief die Rache auf ihre Unterdrücker herab. Antonio fühlte sich von der Musik ergriffen. Sie war in wundersamem Einklange mit dem Orte. Es war, als ob eine Stimme vergangener Zeiten in den gegenwärtigen wiedertönte und unter den Denkmälern ihres entschwundenen Ruhmes sich aushauchte.

Die Stimme verstummte; nach einiger Zeit verschwand das Licht, und Alles war still. »Sie schläft!« sagte Antonio mit Innigkeit. Er verweilte in der Nähe des Gebäudes mit dem zärtlichen Gefühl, womit ein Liebhaber in der Nähe der Laube verweilt, welche eine schlafende Schönheit birgt. Der aufgehende Mond warf seine Silberstrahlen auf die grauen Mauern und glänzte in den Fenstern. Die vorher düstere Landschaft ward allmählig von seinem Lichte erhellt. Da er fand, daß das Dunkel ihn nicht länger verhülle, und fürchtete, man möchte sein Umherschleichen bemerken, entfernte er sich zögernd.

Die Neugierde, welche anfangs den Jüngling zu dem Thurme hingezogen hatte, wurde nun durch Gefühle von romantischerer Art unterstützt. Seine Studien wurden beinahe ganz aufgegeben. Er fing an, das alte Haus gleichsam zu belagern; er nahm ein Buch mit sich, und brachte nun den größeren Theil des Tages unter den Bäumen in der Nähe des Hauses zu; wobei er es wachsam im Auge behielt, um die Gänge der geheimnißvollen, reizenden Bewohnerin desselben auszuspüren. Er fand indessen, daß sie nur ausging, um sich in die Messe zu begeben, wohin ihr Vater sie begleitete. Er wartete an der Thür der Kirche und reichte ihr (ein kleiner Dienst der Artigkeit, der in jenem Lande gewöhnlich ist) das Weihwasser dar, in der Hoffnung, ihre Hand berühren zu können. Allein sie lehnte es bescheiden ab, ohne die Augen aufzuschlagen, und nahm es selbst aus dem Kessel. Sie war äußerst andächtig; wandte nie ihre Augen von dem Altar oder dem Priester ab; und wenn sie nach Hause zurückkehrte, war ihr Gesicht beinahe gänzlich von ihrer Mantilla verborgen.

Antonio hatte jetzt seine Nachforschungen mehrere Tage lang fortgesetzt, und fühlte sich immer mehr und mehr angezogen, ohne jedoch seinem Ziele nur um einen Schritt näher kommen zu können. Wahrscheinlich war sein Umherschleichen um das Haus bemerkt worden; denn er sah das schöne Antlitz nicht mehr am Fenster, noch erschien der weiße Arm, die Blumen zu begießen. Sein einziger Trost war, nächtlich auf seine Beobachtungsstelle zu schleichen, und ihrem Gesange zuzuhören, und wenn er zufällig ihren Schatten erblicken konnte, dünkte er sich überglücklich.

Während einer dieser Nachtwachen, welche wahre Feste für seine Einbildungskraft waren, zwang ihn der Schall von herannahenden Fußtritten, sich in den Schatten des gegenüberstehenden Bogengangs zurückzuziehen. Ein Cavalier, in einen weiten spanischen Mantel gehüllt, kam daher. Er blieb unter dem Fenster des Thurmes stehen, und begann nach einer kleinen Weile eine Serenade zu singen, die er mit der Guitarre begleitete, wie dieß die Sitte der spanischen Galanterie mit sich bringt. Seine Stimme war voll und männlich; er spielte sein Instrument mit Fertigkeit und sang mit verliebter, leidenschaftlich beredter Gluth. Die Feder an seinem Hute war mit Juwelen befestigt, die im Mondschein glänzten; und sein, während des Spiels von der einen Schulter herabfallender Mantel zeigte, daß er reich gekleidet war. Es war offenbar ein Mann von Stande.

Antonios Seele durchzuckte jetzt der Gedanke, die Gefühle der unbekannten Schönheit seien bereits in Anspruch genommen Sie war jung und gewiß empfänglich; und es war nicht in der Art spanischer Frauen, gegen Musik und Bewunderung gefühllos zu bleiben. Diese Vermuthung erzeugte ein überaus niederschlagendes Gefühl. Der schöne Traum mehrerer Tage war auf einmal zerstoben. Er hatte nie vorher irgend etwas von zärtlicher Leidenschaft gefühlt; und, da die Morgenträume derselben immer beseligend sind, hätte er gern in der Täuschung fortgelebt.

»Was habe ich aber mit ihren Neigungen zu thun?« dachte er, »ich habe keinen Anspruch auf ihr Herz. Ja nicht einmal auf ihre Bekanntschaft. Wie kann ich wissen, ob sie der Liebe werth ist? Oder wenn sie es ist, muß nicht ein so stattlicher Liebhaber, wie dieser, mit seinen Juwelen, seinem Range und seiner verwünschten Musik, sie ganz bezaubert haben? In welche unnütze Träumereien bin ich verfallen? Ich muß wieder zu meinen Büchern zurück. Studiren, studiren – dieß wird bald alle diese eiteln Phantasien verscheuchen.«

Je länger er aber nachdachte, desto fester wurde er umstrickt von dem Zauber, mit dem eine lebendige Einbildungskraft ihn umsponnen hatte; und jetzt, wo außer den Hindernissen, welche diese bezauberte Schönheit umgaben, noch ein Nebenbuhler aufgetreten war, schien sie ihm zehnmal liebenswürdiger und besitzenswerther. Es war ein kleiner Trost für ihn, als er bemerkte, daß der Galanterie des Unbekannten von dem Thurme aus keine Aufmunterung zu Theil wurde. Das Licht am Fenster war verlöscht worden. Der Vorhang blieb niedergelassen, und keines der gewöhnlichen Zeichen wurde gegeben, um kund zu thun, daß die Serenade wohlgefällig aufgenommen worden sei.

Der Cavalier verweilte noch einige Zeit an der Stelle, sang mehrere andere zärtliche Lieder mit einem Geschmack und Gefühle, die Antonios Herz zum Beben brachten; endlich entfernte er sich. Der Student blieb, mit übereinandergeschlagenen Armen, an den zertrümmerten Bogen gelehnt, und suchte Stärke zu gewinnen, den Ort zu verlassen; allein es war ein romantischer Zauber, der ihn immer noch an den Boden fesselte. »Es ist das letzte Mal,« sagte er zu sich selbst, entschlossen, den Streit zwischen seinem Herzen und seinem Kopfe zu schlichten: »es ist das letzte Mal; so will ich denn des Traumes mich noch einige Augenblicke länger erfreuen!«

Als sein Auge über das alte Gebäude hinstreifte, um ihm den letzten Abschiedsblick zuzuwerfen, bemerkte er das sonderbare Licht in dem Thurme, das er bei einer frühern Gelegenheit gesehen hatte. Es strahlte auf, und verglühte, wie vorher. Eine Rauchsäule stieg in die Luft empor und hing in düsteren Massen über dem Thurme. Es war augenscheinlich, daß der alte Mann mit einem jener Versuche beschäftigt war, welche ihm in der ganzen Nachbarschaft den Namen eines Zauberers zugezogen hatten.

Plötzlich brach eine allgemeine, glänzende Helle in dem Gemach auf, ein lauter Knall folgte, und diesem eine starke, dunkle Röthe. Eine Gestalt erschien am Fenster und ließ ein Geschrei der Angst und der Unruhe laut werden; sie verschwand sogleich wieder und aus der schmalen Oeffnung wälzten sich Rauch und Flamme zugleich. Antonio eilte zu dem Portal hin und klopfte heftig an. Aber nur Laute der Wehklage antworteten ihm, die Frauen waren augenscheinlich bereits in hülfloser Bestürzung. Mit der Stärke der Verzweiflung sprengte er daher die Thür aus ihren Angeln und stürzte in das Haus.

Er sah sich in einem kleinen gewölbten Vorsaal, und bei dem Lichte des Mondes, der zur Thür hinein schien, bemerkte er eine Treppe zur Linken. Er eilte diese hinauf und kam auf einen schmalen Gang, aus dem ihm eine Rauchsäule entgegen wallte. Er fand hier die beiden Frauen in besinnungsloser Angst: eine von ihnen faltete die Hände und beschwor ihn, ihren Vater zu retten.

Der Gang leitete zu einer Wendeltreppe, welche zum Thurme hinaufführte. Er sprang diese hinan und kam an eine kleine Thür, durch deren Spalten ihm eine Helle entgegenblitzte und Rauch herausströmte. Er sprengte die Thür auf, und sah sich nun in einem altväterischen gewölbten Gemache, worin sich ein Ofen und verschiedene chemische Werkzeuge befanden. Eine zersprungene Retorte lag am steinernen Boden; ein Haufen brennbarer, beinahe ganz verzehrter Gegenstände, worunter auch einige halb verbrannte Bücher und Papiere, flammten noch schwach auf und erfüllten das Zimmer mit einem erstickenden Dampfe. Dicht an der Schwelle lag der angebliche Zauberer. Er blutete, seine Kleider waren zerrissen, und er schien leblos zu sein. Antonio hob ihn auf, trug ihn die Treppe herab in ein Zimmer, worin ein Licht stand, und legte ihn auf ein Bett. Die Dienerin ward weggeschickt, um alle Hülfsmittel herbeizuholen, die im Hause zu finden waren; die Tochter aber warf sich verzweiflungsvoll neben ihren Vater nieder, und kein Zureden vermochte, sie von ihrem Schreck zurückzubringen. Ihre Kleidung war ganz in Unordnung; ihr aufgelöstes Haar hing in reicher Fülle um ihren Hals und Busen, und nie sah man ein reizenderes Bild des Schreckens und der Verwirrung.

Der thätige Beistand des Studenten brachte bald wieder Zeichen des Lebens bei dem Kranken hervor. Des alten Mannes Wunden schienen, wenn gleich bedeutend, doch nicht gefährlich. Sie waren offenbar Folgen von dem Zerplatzen der Retorte; in seiner Bestürzung hatten ihn die erstickenden metallischen Dünste umgeben und seine schwachen Kräfte übermannt, und wäre Antonio nicht zu seinem Beistande herbeigekommen, so würde er wahrscheinlich nicht wieder zu sich selbst gekommen sein.

Er erholte sich nur allgemach. Er blickte verstört im Zimmer umher, auf die bewegte Gruppe und den Studenten, der sich über ihn hinlehnte.

»Wo bin ich?« sagte er wild.

Bei dem Tone seiner Stimme stieß seine Tochter einen schwachen Schrei der Freude aus. »Meine arme Inez!« sagte er, indem er sie umarmte; er führte seine Hand an die Stirn und schien, als er sie mit Blut bedeckt wieder wegnahm, auf einmal zur Besinnung zu kommen und von einer innern Bewegung überwältigt zu werden.

»Ach,« rief er, »Alles ist vorüber! Alles verloren! Alles verschwunden! In einem Augenblick vernichtet! Die Frucht eines Menschenlebens dahin!«

Seine Tochter suchte ihn zu beruhigen, allein er fing an irre zu reden, und sprach unzusammenhängend von bösen Geistern und der Zerstörung der Wohnung des grünen Löwen. Nachdem seine Wunden verbunden worden, und man ihm die in seiner Lage nöthigen Arzneimittel gereicht hatte, versank er in eine Art Ruhe. Antonio wandte jetzt seine Aufmerksamkeit auf die Tochter, deren Leiden fast eben so bedeutend, wie die ihres Vaters gewesen waren. Als es ihm mit großer Mühe gelungen war, ihre Besorgnisse zu mildern, suchte er sie zu überreden, sich zu entfernen und sich die so nöthige Ruhe zu gönnen, indem er sich erbot, bis zum Morgen bei ihrem Vater zu bleiben. »Es ist wahr,« sagte er, »ich bin ein Fremder, und mein Anerbieten mag zudringlich scheinen; allein ich sehe, Ihr seid allein und hülflos, und ich muß schon die Grenzen der bloßen Förmlichkeit überschreiten. Solltet Ihr indessen irgend eine Bedenklichkeit oder einen Zweifel fühlen, so sprecht nur ein Wort, und ich werde mich augenblicklich entfernen.«

In Antonios Benehmen lag ein Gemisch von Offenheit, Herzlichkeit und Bescheidenheit, welches sogleich Vertrauen einflößte; auch war sein einfaches Studentengewand eine Empfehlung in der Wohnung der Armuth. Die Frauen willigten ein, den Leidenden seiner Sorge zu überlassen, um am Morgen selbst desto besser im Stande zu sein, ihn zu pflegen. Als sie sich entfernten, wünschte die alte Dienerin ihm den Segen des Himmels; die Tochter bezeugte ihren Dank nur durch Blicke; aber während diese durch die Thränen strahlten, die ihre schönen dunkeln Augen füllten, schienen sie dem Studenten tausendmal beredter zu sein.

So war er also, durch ein sonderbares Spiel des Zufalls, ganz in diesem geheimnißvollen Aufenthalte heimisch geworden. Als er sich selbst überlassen und die erste Erregung, in welche ihn das Vorgefallene versetzt hatte, vorüber war, blickte er in dem Gemache, in welchem er saß, umher und fühlte sein Herz lauter schlagen. Es war das Zimmer der Tochter, das gelobte Land, zu dem er so manchen sehnsüchtigen Blick hinaufgesandt hatte. Die Möbel waren alt und hatten wahrscheinlich den besseren Tagen des Hauses angehört; aber Alles war mit Geschick angeordnet. Die Blumen, die er sie hatte pflegen sehen, standen an dem Fenster; eine Guitarre war an einen Tisch gelehnt, auf dem ein Cruzifix stand, und vor demselben lagen ein Gebetbuch und ein Rosenkranz. Es war eine gewisse Reinheit und Heiterkeit über diesen Wohnsitz der Unschuld verbreitet; Alles zeugte von einem keuschen, ruhigen Gemüthe. Einige wenige weibliche Kleidungsstücke lagen auf den Stühlen; und dort war das Bett, in welchem sie geschlafen; das Kissen, auf dem ihre schöne Wange geruht hatte! Der arme Student wandelte auf bezaubertem Boden; denn wo ist ein Feenland, das mehr Zauber in sich faßte, als das Schlafgemach der Unschuld und Schönheit? –

Aus verschiedenen Ausdrücken, welche dem Alten bei seiner Geistesabwesenheit entschlüpft waren, und aus einem nachherigen Besuche im Thurme, zu welchem er hinaufgestiegen war, um zu sehen, ob das Feuer gelöscht sei, ward es Antonio klar, daß sein Kranker ein Alchymist sei. Der Stein der Weisen war ein Gegenstand, welchem Träumer jener Tage sehr eifrig nachforschten; aber zufolge der abergläubischen Vorurtheile der Zeit und der häufigen Verfolgungen, welche von Denen ausgingen, die in ihre Nähe kamen, mußten sie wohl ihre Versuche sehr im Geheimen, in einsamen Häusern, in Höhlen und Trümmern, oder in dem Dunkel klösterlicher Zellen anstellen.

Während der Nacht hatte der Alte abermals mehrere Anfälle von Ruhelosigkeit und Irrereden; er nannte die Namen Theophrastus und Ghebr und Albertus Magnus und anderer Weisen, die seine Kunst getrieben, und murmelte dann von Zeit zu Zeit von Fermentation und Projection, bis er, gegen Tagesanbruch, abermals in einen wohlthuenden Schlaf versank. Als die Morgensonne ihre ersten Strahlen in das Gemach warf, kam die schöne Inez, von der Dienerin begleitet, erröthend in das Zimmer. Der Student nahm jetzt Abschied, da er selbst der Ruhe bedurfte, erhielt aber leicht die Erlaubniß, wiederkommen und sich nach dem Befinden des Kranken erkundigen zu dürfen.

Als er wieder kam, fand er den Alchymisten matt und von Schmerzen gequält, aber doch eher geistig als körperlich leidend. Seine Besinnung war ganz zurückgekehrt, und man hatte ihm die nähern Umstände, die seine Rettung und die ihm nachher von dem Studenten gewidmete Sorgfalt betrafen, mitgetheilt. Er konnte wenig mehr thun, als durch Blicke seinen Dank zu erkennen geben, den jedoch Antonio nicht begehrte; sein eigenes Herz belohnte ihn für das, was er gethan hatte; und er freute sich beinahe des Unglücks, das ihm einen Eingang in diese geheimnißvolle Wohnung verschafft hatte. Der Alchymist war noch so hülflos. daß er vieles Beistandes bedurfte; Antonio blieb daher den größern Theil des Tages bei ihm. Er wiederholte seinen Besuch am nächsten und am darauf folgenden Tage; seine Gesellschaft schien dem Kranken stets angenehmer zu werden; und jeden Tag fühlte er seinen Antheil an diesem zunehmen. Vielleicht trug die Gegenwart der Tochter nicht wenig zur Vermehrung der Theilnahme bei.

Er hatte lange und häufige Unterhaltungen mit dem Alchymisten. Er fand, daß Begeisterung und Einfalt, zusammengenommen, wie es bei Leuten der Art gewöhnlich der Fall ist, bei ihm zum Grunde lagen; so wie daß er eine seltene und ausgedehnte Belesenheit über Gegenstände von geringem Nutzen, bei einer großen Unwissenheit über täglich vorkommende Dinge und einer gänzlichen Unkenntniß der Welt, besitze. Er war in ungewöhnlichen, dunklen Zweigen des Wissens sehr wohl bewandert und träumerischen Forschungen sehr ergeben. Antonio, dessen Gemüth romantischer Art war, hatte selbst den verborgenen Wissenschaften einige Aufmerksamkeit zugewendet, und ging in diese Gegenstände mit einer Wärme ein, welche den Philosophen entzückte. Ihre Unterhaltungen betrafen häufig Sterndeuterei, Wahrsagekunst und das große Geheimniß. Der alte Mann vergaß dann ganz seine Schmerzen und Wunden, erhob sich, wie ein Gespenst, in seinem Bette, und sprach mit flammender Beredsamkeit über seine Lieblingsgegenstände. Ward er freundlich an seine Lage erinnert, so pflegte dieß nur einen neuen Ausbruch seiner Gedanken zu veranlassen.

»Ach, mein Sohn!« pflegte er dann zu sagen, »ist nicht diese Hinfälligkeit und dieses Leiden ein neuer Beweis für die Wichtigkeit jener Geheimnisse, von denen wir umgeben sind? Warum werden wir von Krankheiten an unser Lager gefesselt, welken im Alter dahin und sehen unsern Geist gleichsam in uns erlöschen, als weil wir jene Geheimnisse des Lebens und der Jugend die unseren ersten Aeltern vor ihrem Falle bekannt waren, nicht mehr besitzen? Diese wieder aufzufinden, haben die Philosophen bisher immer gestrebt; allein in dem Augenblicke, wo sie im Begriff sind, die kostbaren Geheimnisse sich auf immer zu sichern, hat ihre kurze Lebensperiode ein Ende: sie sterben, und mit ihnen alle ihre Weisheit und Erfahrung. Nichts geht, wie van Nuysment bemerkt, der Vollkommenheit des Menschen ab, als ein längeres, weniger von Krankheiten und Sorgen unterbrochenes Leben, um die genaue und vollständige Kenntniß der Dinge zu erlangen.«

Endlich glückte es Antonio, das Herz seines Kranken so zu gewinnen, daß dieser ihm die flüchtigen Umrisse seiner Geschichte mittheilte.

Felix de Vasquez. der Alchymist, war ein Castilianer und aus einer alten, achtbaren Familie. Er heirathete sehr früh eine schöne Frau, welche aus einer der maurischen Familien abstammte. Die Heirath mißfiel seinem Vater, der das reine spanische Blut durch diese fremde Beimischung für besudelt ansah. Es ist wahr, die Dame leitete ihre Abkunft von den Abencerragen, den tapfersten der maurischen Ritter, her, die nach ihrer Vertreibung aus den Mauern Granadas den christlichen Glauben angenommen hatten. Der beleidigte Stolz des Vaters war jedoch durch nichts zu versöhnen. Er sah seinen Sohn nie wieder, hinterließ ihm nur einen kleinen Theil seines Vermögens, und bestimmte das Uebrige in seinem Grimme zur Erbauung von Klöstern und zu Lesung von Messen für die Seelen im Fegfeuer. Don Felix lebte eine lange Zeit in der Nähe von Valladolid in Bedrängniß und Verlegenheit. Er weihte sich auf das emsigste den Studien, da er, während seines Aufenthalts auf der Universität von Salamanca, Geschmack an den geheimen Wissenschaften gewonnen hatte. Er war voll Begeisterung und Durst nach Wissen: von einem Zweige desselben ging er zum andern über, so lange, bis er auf die Erforschung des großen Geheimnisses kam.

Er hatte diese Nachforschungen anfänglich begonnen, um sich aus seiner jetzigen Dunkelheit zu erheben und den Rang und die Würde wieder zu erhalten, wozu seine Geburt ihn berechtigte: sie endigten indeß, wie gewöhnlich, damit, daß sie jeden andern Gedanken verdrängten und das Geschäft seines Lebens wurden. Er ward endlich aus dieser geistigen Abgezogenheit durch das Unglück aufgeschreckt, welches seine Familie traf. Ein bösartiges Fieber raffte seine Gattin und alle seine Kinder, bis auf diese Tochter, hinweg. Dieser Verlust überwältigte und betäubte ihn auf einige Zeit. Was ihn an seine Heimath fesselte, war allmählig um ihn her verschwunden, und er fühlte sich einsam und verlassen. Als er sich wieder ermannt hatte, beschloß er, den Schauplatz seiner Demüthigung und seines Unglücks zu verlassen, sein einzig übriggebliebenes Kind mit sich aus dieser ansteckenden Gegend wegzunehmen, und nicht eher nach Castilien zurückzukehren, bis er im Stande sein würde, die Ehre seiner Familie wieder geltend zu machen.

Er war seitdem immer umher gewandert und hatte sehr oft seinen Wohnsitz verändert. Bald weilte er in zahlreich bevölkerten Städten, bald in den tiefsten Einöden. Er hatte Bibliotheken durchforscht, Inschriften entziffert, Adepten verschiedener Länder besucht, und die Strahlen, welche durch verschiedene große Geister auf die Geheimnisse der Alchymie geworfen worden waren, in einen Brennpunkt zu sammeln getrachtet. Er war einst bis nach Padua gereist, um die Handschriften des Pietro dAbano zu untersuchen und ein Gefäß zu sehen, welches, in der Gegend von Este ausgegraben, von Maximus Olybius in die Erde verborgen worden sein, und das große Elixir enthalten haben sollte.1)

Während er sich in Padua aufhielt, war er mit einem Adepten bekannt geworden, der mit dem Arabischen vertraut war, und ihm von den unschätzbaren Handschriften erzählte, die in den spanischen Bibliotheken verborgen sein müßten, und welche aus der allgemeinen Zerstörung der maurischen Schulen und Universitäten gerettet worden wären; von der Wahrscheinlichkeit, die kostbaren unbekannten Schriften von Geber und Alfarabius, und Avicenna, der großen Aerzte der arabischen Schule, aufzufinden, die, wie wohl bekannt sei, zugleich auch von der Alchymie gehandelt hätten; vor allem aber sprach er von den arabischen Bleitafeln, welche kürzlich in der Nachbarschaft von Granada ausgegraben worden seien, und welche, wie die Adepten zuversichtlich glaubten, die verlornen Geheimnisse der Kunst enthielten.

Der unermüdliche Alchymist lenkte hoffnungsvoll seine Schritte abermals nach Spanien. Er war nach Granada gegangen, und hatte sich eifrig mit dem Studium des Arabischen, der Entzifferung von Inschriften, dem Durchstöbern von Bibliotheken und der Aufsuchung jener möglichen, von den arabischen Weisen zurückgelassenen Spur beschäftigt.

Auf allen seinen Wanderungen hatte Inez ihn begleitet; auf rauhen und ebenen Wegen, in Glück und in Unglück; nie klagend, vielmehr immer bemüht, seine Sorgen durch ihre unschuldigen, erheiternden Liebkosungen zu mildern. Ihr Unterricht war die Beschäftigung und die Freude seiner Erholungsstunden. Sie war während seiner Wanderungen aufgewachsen, und hatte kaum irgend eine Heimath, als die an seiner Seite, gekannt. Familie, Freunde, Heimath, Alles war für sie in ihm vereint. Er hatte sie auf seinen Armen getragen, als sie zuerst ihr Wanderleben antraten; er hatte sie, wie ein Adler sein Junges, auf den Felsklippen der Sierra Morena gebettet; sie hatte, in ihrer Kindheit, in den Einöden der Battnecas2) um ihn gespielt; war, wie ein Lamm dem Schäfer, ihm über die rauhen Pyrenäen auf die schönen Ebenen von Languedoc gefolgt; und jetzt war sie aufgewachsen, um seine schwachen Schritte unter den zertrümmerten Wohnsitzen ihrer mütterlichen Ahnen zu leiten.

Sein Vermögen war allmählig durch seine Reisen und seine Versuche zusammengeschmolzen. Die Hoffnung, jene beständige Begleiterin der Alchymisten, hatte ihn immer weiter geführt: stets im Begriff, die Früchte seiner Arbeit zu ernten, sah er sich immer getäuscht. Mit der Leichtgläubigkeit, welche oft seiner Kunst anklebt, schrieb er das Mißglücken mehrerer seiner Versuche der Geschäftigkeit der bösen Geister zu, welche sich den Alchymisten zuweilen in den Weg stellen, und sie bei ihren einsamen Arbeiten plagen sollen. »Es ist ihr unablässiges Bemühen,« sagte er, »jeden Zugang zu den erhabenen Wahrheiten zu verschließen, welche den Menschen in den Stand setzen würden, sich aus dem verworfenen Zustand, in den er herabgesunken ist, zu erheben und zu seiner ursprünglichen Vollkommenheit zurück zu kehren.« Der bösartigen Einwirkungen dieser Dämone schrieb er sein letztes Mißgeschick zu. Er sei der ruhmvollen Entdeckung ganz nahe, nie seien die Anzeichen günstiger gewesen; Alles wäre gut gegangen, als in dem entscheidenden Augenblicke, der seine Arbeiten mit Erfolg krönen und ihn auf den Gipfel menschlicher Macht und Glückseligkeit erheben sollte, das Springen einer Retorte sein Laboratorium und ihn selbst zu Grunde gerichtet habe.

»Ich muß nun,« sagte er, »gerade an der Schwelle des glücklichen Erfolgs, entsagen. Meine Bücher und Papiere sind verbrannt, meine Geräthschaften zerbrochen. Ich bin zu alt, diesen Uebeln die Stirn zu bieten. Die Gluth, welche mich einst begeisterte, ist erloschen; mein armer Körper ist durch Studiren und Wachen erschöpft, und dieses letzte Unglück hat mich dem Grabe entgegen geschleudert.« Er schloß in einem Tone tiefer Niedergeschlagenheit. Antonio suchte ihn zu trösten und aufzurichten; allein der arme Alchymist war einmal zu einem klaren Bewußtsein der Erdenübel gelangt, welche sich um ihn her zusammenzogen, und gab sich der Verzweiflung hin. Nach einer Pause, und nach einem Augenblicke des Nachdenkens und der Ungewißheit wagte Antonio einen Vorschlag zu thun.

»Ich bin lange,« sagte er, »von der Liebe für die geheimen Wissenschaften erfüllt; aber ich habe mich immer zu unwissend gefühlt, und zu großes Mißtrauen in mich gesetzt, um mich ihnen hinzugeben. Ihr habt Erfahrung erlangt; Ihr habt das Wissen eines ganzen Lebens aufgehäuft; es wäre Schade, wenn dieses weggeworfen werden sollte. Ihr haltet Euch für zu alt, um die Mühseligkeiten des Laborirens wieder anzufangen: laßt mich sie auf mich nehmen. Fügt Euren Kenntnissen meine Jugend und Thätigkeit bei, und was werden wir nicht bewirken können? Als Probegeld, und als eine Grundlage, auf die wir bauen können, will ich eine Summe Goldes herschießen, den Rest eines Vermächtnisses, welches mich in den Stand gesetzt hat, meine Erziehung zu vollenden. Ein armer Student kann nicht mit Vielem prahlen; allein ich hoffe, daß wir bald über allen Mangel hinaus sein werden; und sollte unser Unternehmen fehl schlagen, nun so muß ich wie andere Jünger der Wissenschaft zu meinem Kopfe meine Zuflucht nehmen, mich durch die Welt zu bringen.«

Der Muth des Philosophen war indessen mehr gesunken, als der Student gedacht hatte. Dieser letzte Stoß, der so manchen andern getäuschten Hoffnungen folgte, hatte beinahe alle Spannkraft seines Geistes zerstört. Das Feuer eines Schwärmers verglimmt indessen nie so sehr, daß es nicht wieder zur Flamme angefacht werden könnte. Allmählig gewann der alte Mann wieder Heiterkeit, und wurde durch die Lebendigkeit und das Feuer seines vertrauensvollen Gefährten von neuem belebt. Er willigte endlich ein, die Dienste des Studenten anzunehmen und seine Versuche noch einmal anzufangen. Er weigerte sich aber, das Gold des Studenten zu brauchen, obgleich das seinige beinahe ganz erschöpft war; allein dieser Einwand war bald beseitigt; der Student bestand darauf, es als gemeinschaftlichen Vorrath zu betrachten und das Ganze gemeinschaftlich zu betreiben; – und wie albern würde jedes Bedenken über eine solche Kleinigkeit unter Männern gewesen sein, welche auf die Entdeckung des Steines der Weisen ausgingen?

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