Washington Irving
Bracebridge Hall oder die Charaktere
Maitags-Gebränche
eingestellt: 28.7.2007
Der Monat April ist beinahe vorüber, und wir nähern uns schnell dem poetischen Tage, welcher in alter Zeit für die Grenze angesehen wurde, die Winter und Sommer von einander schied. Bei allen seinen Launen liebe ich doch den April. Ich liebe diese lachenden und weinenden Tage, wo Sonnenschein und Schatten in Wogen über die Landschaft hinzugleiten scheinen. Ich sehe gern den plötzlichen
Schauer über die Wiese hinrauschen, und der ganzen Natur ein fröhlicheres Lächeln geben; und die hellen Sonnenstrahlen, welche die fliehenden Wolken verjagen und alle Regentropfen in Diamanten verwandeln.
Ich brachte einen Morgen dieser Art, in Gesellschaft des Squire, in einem der schönsten Theile des Parks zu. Wir ergingen uns in einem reizenden Gehölz, und er gab mir eine Art Lebensbeschreibung mehrerer seiner Lieblingsbäume, als wir die
Schläge einer Axt mitten aus einem dichten Gebüsche hörten. Der Squire blieb stehen und horchte mit sichtbaren Zeichen des Mißbehagens. Er lenkte seine Schritte nach der Richtung, woher der Schall kam. Die Schläge wurden immer lauter, je näher wir kamen; es war offenbar ein kräftiger Arm, welcher die Axt schwang. Der Squire beschleunigte seine Schritte, aber vergebens; ein lauter Krach und ein darauf folgender Fall zeigten an, daß das Unheil
geschehen und irgend ein Kind des Waldes gefallen war. Als wir an den Ort kamen, sahen wir Meister Simon und mehrere Andere um einen schlanken, schönen, geraden jungen Baum stehen, der so eben gefällt worden war.
Der Squire, obgleich ein Mann von sehr gleichmäßigem Charakter, war durch diesen Umstand gänzlich aus seiner guten Laune gebracht worden. Er hatte dasselbe Gefühl wie ein Monarch, der dem Morde eines seiner getreuen Unterthanen zusieht,
und mit einiger Rauhheit die Frage thut, was diese Unthat bedeute. Es fand sich, daß es Meister Simons Sache war, der den Baum wegen seiner Höhe und Geradheit zu einem Maienbaum ausgewählt hatte, da der alte, welcher auf der Dorfwiese stand, zu fernerem Dienste nicht tauglich war. Wenn irgend etwas den Zorn meines würdigen Wirthes hätte besänftigen können, so wäre es der Gedanke gewesen, daß der Baum für eine so gute Sache gefallen sei;
und ich sah, daß zwischen seiner Liebe für seine Bäume und seiner Anhänglichkeit an den ersten Mai ein großer Kampf obwaltete. Er konnte jedoch den niedergestürzten Baum nicht betrachten, ohne in eine Klage auszubrechen und eine Art Leichen-Lobrede zu halten, wie Markus Antonius bei Cäsars Leichnam; und er verbot, daß künftig auf seinem Grunde und Boden irgend ein Baum ohne eine Vollmacht von ihm selbst niedergehauen werden sollte, da er, wie
er sagte, die Macht über Leben und Tod sich vorbehalten wolle.
Diese Erwähnung des Maienbaumes erregte meine Aufmerksamkeit, und ich fragte, ob die alten, damit verbundenen Gebräuche in diesem Theile des Landes wirklich noch beobachtet würden. Der Squire schüttelte traurig den Kopf; und ich fand, daß ich eine seiner empfindlichen Stellen berührt hatte, denn er wurde ganz melancholisch bei seiner Klage über den gänzlichen Verfall
des Maitages. Obgleich er in dem benachbarten Dorfe regelmäßig begangen wird, so war er doch nur von dem würdigen Squire wieder aufgefrischt und auf seine Kosten in einem gezwungenen Zustande des Daseins erhalten worden. Er erfährt fortwährend Widerstand, und findet große Schwierigkeit, die Bauerlümmel dahin zu bringen, daß sie ihre Rollen erträglich spielen. Er wählt jedes Jahr eine »Maienkönigin«, was aber Robin Hood,
Bruder Tuck, den Drachen, das Steckenpferd, und die übrige bunte Schaar betrifft, welche den Tag durch ihre Mummerei zu beleben pflegte, so hat er es nicht gewagt, sie einzuführen.
Dennoch sehe ich mit innigem Antheil dem versprochenen Schatten des alten Maientages entgegen, wenn es auch nur ein Schatten ist; und ich finde mehr und mehr Gefallen an dem sonderbaren, aber harmlosen Steckenpferde meines Wirthes, das ihn mit angenehmen Gedankenverbindungen umgibt und
gleichsam eine kleine poetische Welt um ihn her schafft. In einer neuen Welt erzogen, wie ich es bin, mag ich wohl die schwachen Spuren alter Gebräuche, welche ich hie und da antreffe, zu hoch anschlagen, und der Antheil, mit dem ich von ihnen spreche, wird vielleicht Manchem unter Denen, die sie so nachlässig untergehen lassen, ein Lächeln ablocken. Wie gleichgültig aber auch diejenigen, welche »dabei aufgewachsen« sind, dagegen sein mögen, so gibt doch
in meinem Sinne der zurückbleibende Hauch derselben dem Landleben einen Reiz, den nichts anderes ihm leicht mittheilen könnte.
Ich werde nie das Entzücken vergessen, welches ich fühlte, als ich zum ersten Mal einen Maienbaum sah. Es war an den Ufern des Dee, nahe bei der malerischen alten Brücke, welche von der sonderbaren kleinen Stadt Chester aus über diesen Fluß führt. Die Alterthümer dieses ehrwürdigen Orts
hatten mich bereits in frühere Tage zurück versetzt; eine Untersuchung derselben ist eben so gut, als ob man in einem alten Buche mit Mönchsschrift läse, oder die Malereien im Froissart ansähe. Der Maienbaum an dem Rande dieses poetischen Flusses vollendete die Täuschung. Meine Phantasie schmückte ihn mit Blumen, und bevölkerte das grüne Ufer mit all dem tanzenden Gewimmel eines Maientages. Der bloße Anblick dieses Maienbaumes gab meinen
Gefühlen eine Glut und verbreitete, den Rest des Tages über, einen so mächtigen Reiz über die Gegend, daß, als ich einen Theil der angenehmen Ebene von Cheshire durchschritt und an den schönen Ufern von Wales hinziehend, zwischen schwellenden Hügeln hinab in ein langes, grünes Thal blickte, durch welches »die Deva ihre Zauberwogen wälzt,« meine Einbildungskraft Alles in ein vollkommenes Arkadien verwandelte.
Ob es nun
den dichterischen Zusammenstellungen zuzuschreiben ist, die sich meiner Seele früh eingeprägt hatten, oder ob es gleichsam ein sympathetisches Aufleben und Erblühen der Gefühle in dieser Jahreszeit sei, – gewiß ist es, ich empfinde jedesmal, wo ich auch sein mag, eine wohlthuende Ausdehnung meines Herzens bei der Rückkehr des Maies. Man sagt, daß um diese Zeit die Vögel unruhig in ihren Käfigen werden, als ob die Jahreszeit auf sie
Einfluß hätte, daß sie des Freudenlebens sich bewußt würden, das in den Wäldern beginnt, und sich ungeduldig sehnten, aus ihrer Sklaverei zu entfliehen und sich in den Jubel des Jahres zu mischen. In gleicher Weise habe ich mich, selbst inmitten der Hauptstadt, erregt gefunden, wenn die Fenster, die den ganzen Winter finster verschlossen waren, wieder geöffnet wurden, um den Balsamhauch des Maies einzulassen, wenn die süßen Gerüche des
Landes in die Stadt hereingehaucht, und Blumen auf den Straßen ausgerufen wurden. Ich habe diese so einströmenden Blumenschätze immer als eben so viele Botschaften der Natur angesehen, die uns einladen, die jungfräuliche Schönheit des Jahres zu genießen, ehe ihre Frische durch die Hitze des sonnigen Sommers verschwindet.
Man kann sich leicht denken, welche Lust es in dem fröhlichen alten London gewesen sein muß, als jede Thür mit
Blüthenzweigen verziert, jeder Hut mit Hagedorn geschmückt war, und Robin Hood, Bruder Tuck, Jungfrau Mariana, die Mohrentänzer und alle die übrigen phantastischen Masken und Lustigmacher ihre Narretheien um den Maienbaum in jedem Theil der Stadt trieben.
Ich bin kein blinder Verehrer alter Zeiten und alter Sitten, bloß ihres Alters wegen. Während ich mich aber über das Verschwinden mehrerer rohen Gebräuche und ungebildeter
Vergnügungen früherer Tage freue, kann ich nur beklagen, daß dieses unschuldige, phantastische Fest außer Gebrauch gekommen ist. Es schien diesem grünenden, hirtenartigen Lande angemessen, und darauf berechnet, den allzu vorherrschenden Ernst des Volks zu erheitern. Ich schätze jeden Gebrauch hoch, der dem gemeinen Volke ein gewisses poetisches Gefühl einflößt, und die Rauhheit ländlicher Sitten mildert, ohne deren Einfachheit zu
zerstören. In der That, der Abnahme dieser glücklichen Einfachheit scheint das Verschwinden dieses Gebrauchs beigemessen werden zu müssen, und der ländliche Tanz auf der Wiese und der freundliche Maiaufzug sind nach und nach in dem Verhältniß verschwunden, als die Vergnügungen der Landleute theurer und künstlicher, und sie selbst zu aufgeklärt für einfache Freuden geworden sind.
Einige Versuche sind, wie mir der Squire sagt,
in der neueren Zeit von Männern von Geschmack und Wissen gemacht worden, die Ansichten des Volks wieder zu den Fahnen dieser ursprünglichen Einfachheit zurückzubringen; allein die Zeit ist vorüber, das Gefühl ist durch Gewinnsucht und Handelsverkehr erstickt, das Land äfft die Sitten und Vergnügungen der Stadt nach, und man hört jetzt wenig vom Maientage, ausgenommen in den Klagen der Schriftsteller, welche aus den steinernen Mauern der Stadt darnach
seufzen:
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