Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Die Würdigen des Dorfes

eingestellt: 28.7.2007





Da das benachbarte Dorf einer der entlegenen, aber klatschhaften kleinen Orte ist, wo eine Kleinigkeit schon großes Aufsehn macht, so kann man nicht annehmen, daß ein Fest, wie der bevorstehende Maientag, mit Gleichgültigkeit betrachtet werde, besonders da die vornehmen Leute auf der Halle so viel Gewicht darauf legen. Meister Simon, der das treue Factotum des würdigen Squire ist und in allen Dingen sich nach seiner Laune bequemt, geht jetzt häufig in das Dorf, um die nöthigen Anordnungen wegen des bevorstehenden Festes zu treffen; und da ich mir gelegentlich die Freiheit nahm, ihn zu begleiten, habe ich mich mit dem Charakter und der innern Politik dieser sehr scharfsinnigen kleinen Gemeinde etwas genauer bekannt gemacht.

Meister Simon ist in der That der Cäsar des Dorfes. Es ist wahr, der Squire ist die schützende Macht, aber sein Factotum ist sein thätiger, geschäftiger Bevollmächtigter. Er hat mit Allem zu thun, ist mit allen Bewohnern und ihrer häuslichen Geschichte bekannt, gibt den alten Leuten bei ihren Geschäften, den jungen bei ihren Liebeshändeln Rath an die Hand und genießt des stolzen Bewußtseins, ein großer Mann in einer kleinen Welt zu sein.

Er ist auch der Vertheiler der Wohlthaten des Squire. der ungemein mildthätig ist; und, um Meister Simon Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, er steht diesem Theil seiner Obliegenheiten mit großer Regsamkeit vor. Es hat mir in der That oft Vergnügen gemacht, die Mischung von Geschäftigkeit, Wichtigkeit und Herzensgüte zu beobachten, welche er dabei an den Tag legt. Er ist zu lebendig, um die Betrübten dadurch zu trösten, daß er sich zu ihnen hinsetzt und mit ihnen stöhnt, wimmert und weint; sondern er flattert umher wie ein Sperling, und zwitschert Tröstung in jede Ecke und in jeden Schlupfwinkel des Dorfes. Ich habe eine alte Frau in einem rothen Mantel gesehen, die ihn eine halbe Stunde mit einer langen schwindsüchtigen Erzählung von ihrem Elende festhielt, die Meister Simon mit manchen Kopfbewegungen, manchem Knall mit der Hundepeitsche und anderen Zeichen der Ungeduld anhörte, obgleich er am Ende dem Squire einen sehr treuen, ausführlichen Bericht über die Sache abstattete. So habe ich ihn auch beobachtet, wie er einen seiner eiligen Besuche in der Hütte eines abgelebten Dorfbewohners abstattete, der von dem Squire eine Pension erhält; er trippelte im Zimmer herum, ohne sich niederzusetzen, machte dem alten Manne, der in seinem Lehnstuhl aufgerichtet saß, mehrere vortreffliche flüchtige Bemerkungen über die Kürze des Lebens, die Gewißheit des Todes und die Nothwendigkeit, sich auf die »furchtbare Wanderung« vorzubereiten; führte Stellen aus der Bibel an, sehr unrichtig zwar, aber dennoch zu großem Troste der Bauersfrau, kniff beim Herausgehen der Tochter rosige Wange und äußerte seine Verwunderung darüber, daß ein so hübsches Gesicht noch keinen Mann bekommen habe.

So hat er auch seine Kabinets-Räthe im Dorfe, mit denen er eben jetzt sehr eifrig bei den Vorbereitungen zu den Maientags-Festlichkeiten beschäftigt ist. Unter diesen befindet sich der Dorfschneider, ein bleicher Bursche, der in der Kirche die Clarinette bläst, und, da er ein großes musikalisches Genie ist, häufige Zusammenkünfte der Musiker in seinem Hause hält, worin sie durch ihre Concerte »die Nacht gräßlich machen.« Er steht demnach bei Meister Simon in großem Ansehn und hat, durch dessen Einfluß, alle Livreen in der Halle zu machen, oder vielmehr zu verderben, denn sie sehen gewöhnlich aus, als ob sie von einem der wissenschaftlichen Schneider von der fliegenden Insel Laputa gemacht worden wären, welche ihren Kunden mit einem Quadranten das Maß nehmen. Der Schneider könnte wirklich einer der begüterten Männer des Dorfes werden, wenn er nicht so gern klatschte, die Festtage hielte, Concerte gäbe, und Alles, Liegendes und Bewegliches, durch die Clarinette verbliese, welche im wörtlichen Sinne schuld ist, daß er selbst und sein Hab und Gut gleich schlecht bestellt sind. Er hat jetzt alle seine regelmäßige Arbeit auf die Seite gelegt, und läßt alle Hosen im Dorfe ungemacht und unausgebessert, während er sich damit beschäftigt, von bunten Lappen, nach Art der Blumen, Kränze zum Schmucke des Maienbaums zu winden.

Ein anderer von Meister Simons Räthen ist der Apotheker, ein kleiner, etwas dicker Mann, mit einem Paar vorliegender Augen, welche wie die eines Hummers auseinander stehen. Er ist der kluge Mann im Dorfe, sehr spruchreich, und voll tiefsinniger Bemerkungen über seichte Gegenstände. Meister Simon führt oft an, was er gesagt hat, redet von ihm wie von einem außerordentlichen Manne, und fragt ihn sogar bei verzweifelten Fällen, wenn Pferde oder Hunde krank sind, um Rath. In der That, er scheint durch des Apothekers Philosophie, die gerade eine Bemerkung tief ist, und aus unbestreitbaren Grundsätzen besteht, wie man sie etwa aus Mottos auf Tabakspaketen lernen kann, ganz überwältigt worden zu sein. Ich bekam bei meiner ersten Unterhaltung mit ihm sogleich ein Pröbchen davon; im Laufe derselben bemerkte er mit großer Feierlichkeit und besonderem Nachdruck »der Mensch sei aus Weisheit und Thorheit zusammengesetzt,« worauf Meister Simon, der mich am Arme hatte, mir denselben stark drückte und mir ins Ohr flüsterte: »das ist eine verteufelt kluge Bemerkung!«

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