Washington Irving
Bracebridge Hall oder die Charaktere
Ein Dorfpolitiker
eingestellt: 28.7.2007
Als ich neulich mit Meister Simon das Dorf besuchte, schlug er mir vor, in der Schenke zu verweilen, welche er mir als das Muster einer wahren Landschenke, und als das Hauptquartier für die Dorfklatschereien zu zeigen wünschte. Ich hatte sie schon früher bei meinen Wanderungen durch den Ort bemerkt. Sie hat eine tiefe, altmodische Bogenthür, welche in einen großen Saal führt, der zur
Schenkstube und zugleich zum Zimmer für die Reisenden dient, und einen großen Feuerheerd hat, mit hochlehnigen Sitzen zu beiden Seiten, wo die klugen Leute aus dem Dorfe bei ihrem Ale schwatzen und während der langen Winterabende ihre Sitzungen halten. Der Wirth ist ein behaglicher, träger Mensch, seinen eigenen Bierfässern nicht unähnlich geformt, und steht gern in der Thür und schwatzt, mit der Perrücke auf einer Seite und den Händen in den
Taschen, während seine Frau und Tochter den Kunden aufwarten. Seine Frau ist indessen dem Geschäft vollkommen gewachsen, und hat in der That durch lange Gewohnheit eine so vollkommene Herrschaft über alle Besucher der Schenke, als ob diese, statt ihre Gönner, ihre Untergebene wären. Es gibt auch keinen alten Aletrinker, der ihr nicht den Hof machte, da er wahrscheinlich oft bei ihr auf der Rechnung gestanden hat. Ich habe schon bemerkt, daß sie mit Hans
Baargeld sehr gut steht. Er war in früherer Zeit ihr Liebhaber, und hat ihretwegen die Schenke immer fortbesucht. In der That ist er in dem Schenkzimmer ganz »der Hahn im Korb.«
Als wir uns der Schenke näherten, hörten wir Jemand mit großer Zungen-Geläufigkeit reden, und unterschieden die bedeutsamen Worte »Auslagen,« »Armengelder,« »Noth des Landmannes.« Es zeigte sich, daß der Sprecher ein
magerer, geschwätziger Kerl war, der den Wirth in eine Ecke der Thür gedrängt hatte, wo dieser ihm, die Hände wie gewöhnlich in den Taschen, mit einer Miene der gedankenlosesten Beistimmung zuhörte.
Der Anblick schien einen sehr sonderbaren Eindruck auf Meister Simon zu machen, da er mir den Arm drückte und auf einmal eine andere Richtung, von der Thür weg, nahm, als ob er nun nicht hineintreten wollte. Dieses augenscheinliche Ablenken
bewog mich, den Redner genauer ins Auge zu fassen. Er war mager, aber kräftig in seinem Bau, und hatte ein langes, bleiches, gallsüchtig aussehendes Gesicht, einen schwarzen, ungeschickt rasirten Bart, ein fieberhaftes Auge, und einen Hut, der auf allen Seiten aufgekrempt war, so daß ihm dieß ein höchst keckes Ansehn gab. Er hielt eine Zeitung in der Hand, und schien deren Inhalt, zu gänzlicher Ueberzeugung des Wirths, zu erläutern.
Bei
Meister Simons Anblick gerieth der Wirth augenscheinlich in einige Bewegung und fing an sich die Hände zu reiben, aus seiner Ecke hervor zu schleichen, und mehrere tiefe Gastwirthsbücklinge zu machen; während der Redner meinen Gefährten nicht weiter zu bemerken schien, als daß er lauter als vorher und, wie mich dünkt, mit einer Art Trotz redete. Meister Simon aber lenkte, wie ich vorhin gesagt habe, von der Thür ab, nahm mich unter den Arm, und
flüsterte mir, während wir nun vorbei gingen, im Tone der Scheu und des Schreckens zu: »das ist ein Radikaler! er liest Cobbett!«
Ich suchte von meinem Gefährten eine genauere Nachricht über ihn zu erhalten; allein dieser schien unwillig auch nur von ihm zu reden; er antwortete nur in allgemeinen Ausdrücken, es sei »ein verdammt unruhiger Bursche, der eine verwünschte Sucht zum Reden habe, und Einem immer mit der Nationalschuld
und solchem Unsinn in den Ohren liege,« woraus ich vermuthete, daß Meister Simon, durch irgend ein zufälliges Zusammentreffen auf dem Felde der Disputation, eine Scheu vor ihm bekommen habe; denn diese Radikalen streichen stets herum, Wortstreit anzuknüpfen und freuen sich nie mehr, als wenn sie einen ordentlichen Menschen sammt seiner Logik aus dem Sattel heben können.
Bei späterer Nachfrage hat sich mein Verdacht bestätigt. Ich höre,
daß der Radikale erst vor kurzem in dem Dorfe angelangt ist, wo er mit seiner Lehre furchtbare Verwüstungen anzurichten droht. Er hat bereits zwei oder drei der Einwohner vollkommen bekehrt, oder neue Lichter aus ihnen gemacht; er hat den Glauben mehrerer Andern erschüttert, und verschiedenen von den ältesten Dorfbewohnern, welche in ihrem ganzen Leben nicht an Politik, oder an sonst irgend etwas gedacht hatten, den Kopf ganz verdreht.
Durch die
fortwährende Unruhe seines Körpers und Geistes ist er ganz mager und kraftlos geworden; er treibt sich beständig mit Zeitungen und Pamphleten in den Taschen herum und zieht sie bei allen Gelegenheiten hervor. Er hat mehreren von den wackersten Dorfbewohnern ein großes Aergerniß dadurch gegeben, daß er von dem Squire und seiner Familie so geringschätzig spricht und merken läßt, es würde besser sein, man theilte den Park in kleine
Grundstücke und Küchengärten, oder fütterte gute Hämmel statt der nutzlosen Hirsche darauf.
Er ist ein großer Dorn im Auge des Squires, der sehr fürchtet, daß er möchte die Politik in das Dorf bringen, und unglückliche, nachdenkende Menschen aus dessen Bewohnern machen. Er ist dem Meister Simon noch verhaßter, welcher bisher, ohne vielen Aufwand von Gelehrsamkeit oder Logik, die politischen Ansichten im Orte zu lenken
im Stande gewesen ist, den es aber kürzlich sehr viel Mühe gekostet hat, den von diesem Kämpen der Reform bereits ausgestreuten Samen des Zweifels und der Ketzereien wieder auszurotten. In der That, der letztere hat in der Schenkstube bereits das große Wort erlangt, nicht sowohl deswegen, weil er die althergebrachten Orakel überzeugt, als weil er sie niedergesprochen hat. Der Apotheker konnte, mit aller seiner Philosophie, nichts gegen ihn ausrichten. Er hat den
Wirth wenigstens ein Dutzend Mal überzeugt und bekehrt; dieser läßt sich indessen von dem Nächsten, der mit ihm spricht, eben so leicht von dem Gegentheile überzeugen und dazu bekehren. Es ist wahr, eine heftige Gegnerin hat der Radikale an der Wirthin, die sehr eifrig loyal, und dem Könige, dem Meister Simon und dem Squire durchaus ergeben ist. Sie fällt dann und wann den Reformator mit all der Wuth einer wilden Berg-Katze an, und schont dann selbst
ihres sanftmüthigen Mannes nicht, weil er auf solche »niedrigdenkende Politik« höre. Was die gute Frau noch mehr aufbringt, ist die vollkommene Kälte, womit der Radikale auf ihre Angriffe hört, sein Gesicht zu einem herausfodernden, hochmüthigen Lächeln verzieht, und, wenn sie sich nun ganz außer Athem gesprochen hat, sie ganz ruhig um einen Trunk von ihrem eigengebrauten Biere bittet.
Der Einzige, der einigermaaßen diesem
furchtbaren Politiker gewachsen scheint, ist Hans Baargeld Tibbets, der, dem Radikalen und allen seinen Reden zum Trotz, seinen Platz in der Schenkstube behauptet. Hans ist einer der bestgesinnten Leute im Lande, ohne im Stande zu sein, über die Sache zu reden. Er hat auch jene für einen zähen Streiter vortreffliche Eigenschaft, nie zu wissen, wenn er geschlagen ist. Er hat ein halbes Dutzend alter Grundsätze, welche er bei allen Gelegenheiten vorbringt, und obgleich sie
sein Gegner noch so oft über den Haufen werfen mag, bringt er sie dennoch immer wieder ins Feld. Er ist wie der Räuber im Ariost, der, wenn sein Kopf ihm ein halbes hundert Mal abgeschlagen worden, ihn doch in einem Augenblicke sich wieder aufsetzte und unversehrt zum Kampfe zurückkehrte.
Was sich nicht mit Hans Baargelds einfachem, klarem Glaubensbekenntnisse vertragen will, heißt bei ihm: »Französische Politik;« denn er besteht, des
Friedens ungeachtet, fest darauf, die Franzosen machten Plane, die Nation zu Grunde zu richten und sich der Bank von England zu bemächtigen. Der Radikale suchte ihn eines Tages durch eine lange Stelle aus einer Zeitung zu schlagen: aber Hans liest weder Zeitungen, noch glaubt er ihnen. Als Antwort sagte er ihm eine von den Strophen aus seinem Lieblings- und überhaupt einzigen Schriftsteller, dem alten Tusser, die er auswendig weiß, und die er seine goldenen Regeln nennt:
Bekümmre um der Fürsten Thun Dich nicht, Erfülle Du nur Deine eigne Pflicht; Gott sollst Du fürchten, König und Gesetze ehren, Und Dich den Klauen der Gericht erwehren. |
Als Tibbets dies mit großem Nachdrucke hergesagt hatte, zog er einen wohlgefüllten ledernen Beutel hervor, nahm eine Handvoll Gold und Silber heraus, bezahlte seine Zeche an der Schenke mit großer Pünktlichkeit, that sein Geld, Stück vor Stück, wieder in den Beutel, den Beutel in die Tasche, die er zuknöpfte; dann stieß er mit dem Stocke recht ordentlich auf den Boden, sagte zu dem Radikalen, mit dem Tone eines Mannes, der seinen Gegner gehörig abgefertigt zu haben glaubt: guten Morgen Herr! und schritt mit löwengleichem Ernst aus dem Hause. Zwei oder drei von seinen Bewunderern, welche gegenwärtig waren und sich gefürchtet hatten, selbst ins Feld zu rücken, betrachteten dies als einen vollkommenen Triumph, und winkten einander zu, als der Radikale den Rücken wandte. »Ja, ja!« sagte der Wirth, sobald der Radikale es nicht mehr hören konnte, »laßt den alten Hans gehen, ich verbürg es, der gibt ihm seinen Theil!«
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