Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Haus-Diener

eingestellt: 28.7.2007





Bei meinen zufälligen Erzählungen aus der Halle, mag ich wohl oft versucht werden bei gäng und geben Sachen zu verweilen, weil sie mir den wahren Nationalcharakter in ein helleres Licht zu setzen scheinen. Es mag vielleicht das eifrige Bestreben des alten Squire sein, so viel als möglich dem anzuhängen, was er für die alte Grenzscheide der englischen Sitten hält. Seine Bediente kennen Alle seine Weise, und sind größtentheils von Kindheit an daran gewöhnt, so daß im Ganzen seine Haushaltung eines von den wenigen, erträglichen, jetzt noch anzutreffenden Mustern der Familieneinrichtung eines englischen Landgutbesitzers aus der alten Schule darbietet.

Uebrigens ist hier die Dienerschaft der am wenigsten eigenthümliche Bestandtheil der Haushaltung: die Haushälterin ist zum Beispiel in der Halle geboren und erzogen und nie zwanzig Meilen davon entfernt gewesen; dennoch hat sie ein stattliches Ansehn, das einer Dame, die an der Königin Elisabeth Hofe geglänzt, keine Schande machen würde.

Ich bin halb geneigt zu glauben, daß sie dieß von den alten Familienbildern, unter denen sie so lange gelebt, angenommen hat. Indeß kann es auch von dem Bewußtsein ihrer Wichtigkeit in der Sphäre, worin sie sich immer bewegt hat, herrühren; denn sie wird in dem benachbarten Dorfe und von den Frauen der Pächter gar hoch geehrt, und genießt eines großen Ansehens in der Haushaltung, wo sie die Dienerschaft in stiller, aber unbestrittener Oberherrlichkeit regiert.

Sie ist eine magere alte Frau, mit blauen Augen und spitzer Nase und Kinn. Ihre Kleidung ist immer nach einer und derselben Mode. Sie trägt eine kleine wohlgestärkte Halskrause, einen gestickten Brustlatz, ausfüllende Unterröcke und ein bogenförmig aufgenommenes, vorn offenes Ueberkleid, das, bei besonderen Gelegenheiten, von altväterischem Seidenzeuge und entweder ein Vermächtniß von irgend einer früheren Frau vom Hause, oder ein Erbstück von ihrer Mutter ist, welche vor ihr Haushälterin war. Ich habe Ehrfurcht vor diesen alten Kleidern, da ich nicht zweifle, daß sie vor vielen, vielen Jahren in diesen Zimmern geglänzt haben, und die Reize einer unvergleichlichen Familienschönheit erhöhten; ich habe oft von der alten Haushälterin zu den nahen Familienbildern geblickt, um zu sehen, ob ich nicht den alten Brokat ihres Kleides an einer der Damen mit langen Taillen wiedererkennen könnte, die von den Wänden auf mich herablächelten.

Ihr ganz weißes Haar ist vornen gekräuselt, und sie trägt eine kleine Haube darüber, sehr sauber gefältelt und unter dem Kinn zusammen gebunden. Ihr Benehmen ist einfach und nach altem Schnitt, durch die Würde ihres Amtes jedoch ein wenig veredelt.

Die Halle ist ihre Welt, und die Geschichte der Familie die einzige, die sie weiß, die ausgenommen, welche sie in der Bibel gelesen hat. Sie kann die Lebensbeschreibung von jedem Bilde in der Gemälde-Galerie erzählen, und ist eine vollständige Familienchronik.

Der Squire behandelt sie mit großer Achtung. Meister Simon hat mir erzählt, es sei unter den Dienstboten eine Anecdote im Umlauf, daß man, als Beide noch jung gewesen, den Squire sie einmal in der Bilder-Galerie habe küssen sehen. Da indessen nichts weiter zwischen ihnen bemerkt wurde, gab die Sache zu keinem großen Gerede Anlaß; nur fiel es auf, daß sie kurz nachher die Pamela eifrig zu lesen anfing und die Hand des Dorfgastwirths ausschlug, den sie früher wohl freundlich angesehen hatte.

Der alte Haushofmeister, der früher Bediente und einer ihrer verschmähten Anbeter war, pflegte die Anecdote zuweilen bei jenen kleinen Intriguen zu erzählen, die dann und wann sich unter den ordentlichsten Dienstboten bilden, und aus dem gewöhnlichen Hange der Regierten hervorgehen, gegen die Regierung zu sprechen; seitdem er ein höheres Amt erlangt hat, unterläßt er dieß, und schüttelt unwillig den Kopf, wenn davon gesprochen wird.

Es ist gewiß, daß die alte Dame noch bis auf diesen Tag gern davon spricht, wie der Squire ausgesehen, als er noch ein junger Mann auf der Universität war; und sie behauptet, keiner seiner Söhne könne sich mit dem Vater vergleichen, als er in ihrem Alter und ganz in Scharlach herausgeputzt war, mit dem frisirten und gepuderten Haare und dem dreieckigen Hute.

Sie hat eine verwaiste Nichte bei sich, Phöbe Wilkins genannt, ein niedliches sanftes Ding, das vor einem oder zwei Jahren nach der Halle verpflanzt worden und beinahe für jede andere Lebensweise verdorben ist. Sie ist eine Art von Gefährtin und Begleiterin der schönen Julie; und dadurch, daß sie in den Zimmern der jungen Dame umherschlendert, Bruchstücke von Romanen ließt und abgelegten Putz erbt, ist sie ein Mittelding zwischen einer Kammerjungfer und einer zierlichen Modedame geworden.

Sie wird von den Dienstboten als eine Art reicher Erbin angesehen, da das Vermögen ihrer Tante ihr zufallen wird, welches, wenn die Sage wahr ist, eine runde Summe guter goldener Guineen, der aufgesparte Reichthum zweier Haushälterinnen und Geschlechter sein muß; der erblichen Kleider und so mancher andern kleinen Sachen und Spielereien von Werth, die im Zimmer der Haushälterin angehäuft sind, nicht zu gedenken. Die alte Haushälterin gilt überhaupt bei den Dienstboten und den Dorfbewohnern für übermäßig reich, und in ihrem Zimmer steht eine lackirte Kommode und ein großer mit Eisen beschlagener Kasten, welche, nach der Aussage der Hausmädchen, Schätze von Reichthum enthalten.

Die alte Dame ist eine große Freundin Meister Simons, der ihr, als einer sehr angesehenen Person, ein wenig den Hof macht; bei Erörterungen über Punkte der Familiengeschichte, muß er, trotz seiner ausgedehnten Kenntniß und seinem Wissen, gewöhnlich ihrer überlegneren Genauigkeit nachstehen. Er kommt selten zur Halle zurück, wenn er den andern Zweigen der Familie einen Besuch abgestattet hat, ohne Mrs. Wilkins irgend ein Andenken von den Damen, in deren Hause er gewesen ist, mitzubringen.

Alle Kinder der Familie betrachten überhaupt die alte Dame mit angeborner Achtung und Anhänglichkeit, und sie scheint sie dagegen beinahe wie ihre eigenen Kinder anzusehen, da sie unter ihren Augen groß geworden sind. Der Oxforder Student ist indessen ihr Liebling, wahrscheinlich als der Jüngste, obgleich er auch der Leichtfertigste ist, und ihr von Jugend auf wohl manche kleine Streiche gespielt hat.

Ich kann nicht umhin, einer kleinen Feierlichkeit zu gedenken, welche, wie ich glaube, der Halle eigenthümlich ist. Wenn nach dem Mittagsessen das Tischtuch weggenommen worden, segelt die alte Haushälterin in das Zimmer und steht hinter dem Stuhle des Squire, worauf er ihr, mit seiner eigenen Hand, ein Glas Wein einschenkt, welches sie mit eben so großer Ehrerbietung als Würde auf die Gesundheit der Gesellschaft austrinkt, und sich sodann entfernt. Der Squire überkam diese Sitte von seinem Vater und hat sie immer beibehalten.

Die Dienstboten der alten englischen Familien, die vorzüglich auf dem Lande leben, besitzen einen ganz eigenthümlichen Charakter. Sie haben eine ruhige, ordentliche, ehrerbietige Weise, ihre Pflichten zu thun. Sie sind immer nett in ihrem Aeußern, schicklich und, wenn ich so sagen darf, geschäftsmäßig gekleidet; sie bewegen sich ohne Uebereilung und Lärm im Hause umher; da ist nichts Geräuschvolles in der Beschäftigung, oder lautes Befehlen; nichts von der aufdringlichen Wirthschaftsweise, welche zur Qual gesteigert wird. Du wirst nicht von den Anstalten, dir Bequemlichkeit zu verschaffen, beunruhigt, und doch geschieht Alles, und geschieht ordentlich. Die häusliche Arbeit wird wie durch Zauberei verrichtet, aber es ist die Zauberei des Systems. Nichts wird in einzelnen gewaltsamen Bewegungen, noch zu unrechter Zeit gethan; das Ganze geht seinen Weg wie ein wohlgeöltes Uhrwerk, in dessen Gange weder Lärm noch Anstoß ist.

Englische Dienstboten werden gewöhnlich nicht mit großer Nachsicht behandelt oder durch viele Lobeserhebungen belohnt; denn die Engländer sind lakonisch und zurückhaltend gegen ihre Leute; aber ein beifälliges Kopfnicken und ein freundliches Wort von dem Herrn oder der Gebieterin, thun hier eben so viel, als ein Uebermaß von Lob und Nachsicht anderwärts. Auch die Dienstboten legen ihre Zuneigung zu ihren Brodherren nicht auf eine lebhafte Weise an den Tag; allein obgleich äußerlich still, haben sie doch eine sehr innige Anhänglichkeit; und das gegenseitige Wohlwollen von Herren und Dienern ist, wenn es gleich nicht feurig hervortritt, doch nicht weniger stark und ausdauernd in alten englischen Familien.

Die Benennung eines »alten Dieners des Hauses« hat in allen Theilen der Welt tausend freundliche Gedankenverbindungen in ihrem Gefolge, und es gibt keinen unwiderstehlichern Anspruch auf die näheren Herzens-Wohlthaten, als den, »im Hause geboren worden zu sein.« Es ist gewöhnlich, grauköpfige Dienstboten dieser Art in einer englischen Familie »aus der alten Schule« zu sehen, welche bis zu ihrem Todestage darin bleiben, immer desselben ungekünstelten Wohlwollens sich erfreuen, und eben so treu und ohne Aufdringlichkeit ihre Schuldigkeit thun. Ich glaube, solche Beispiele von Anhänglichkeit gereichen Herren und Dienern zur Ehre, und ihre Häufigkeit spricht vortheilhaft für den Charakter des Volks.

Diese Bemerkungen finden indessen nur bei Familien der Art, wie ich sie eben erwähnt habe, ihre Anwendung, so wie bei denen, die überhaupt etwas zurückgezogen leben und den größern Theil ihrer Zeit auf dem Lande zubringen. Was die gepuderten Handlanger betrifft, welche in den Sälen der modischen Stadtpaläste umherschwärmen, so geben sie gleicherweise ein Bild von dem Charakter der Haushaltungen, in die sie gehören: und ich kenne keine vollständigere Inbegriffe verderbter Herzlosigkeit und gemästeter Nutzlosigkeit.

Aber der gute »alte Familien-Bediente!« – Er, der in Gedanken immer mit der Heimath unsers Herzens verbunden gewesen ist; der uns in den Tagen plaudernder Kindheit in die Schule geführt hat; der der Vertraute unserer kindischen Sorgen, Pläne und Unternehmungen war; der uns begrüßte, wenn wir in den Ferien nach Hause kamen, und bei allen unseren Feiertagsspielen der Angeber war; der, wenn wir als Männer auf unsern Wanderungen das väterliche Dach verlassen haben und nur von Zeit zu Zeit wieder dahin zurückkehren, uns mit einer Freude empfängt, die nur von der unserer Eltern übertroffen wird; der jetzt grau und schwach geworden durch das Alter, noch immer um das Haus unserer Väter in liebevoller, treuer Dienstbarkeit umherwankt; der uns gewissermaßen als sein eigen anspricht und mit eigensinnigem Eifer danach strebt, vor seinen übrigen Mitbedienten uns immer bei Tische zu bedienen; und der, wenn wir des Abends uns nach unserm Zimmer zur Ruhe begeben, das noch immer nach uns heißt, sich darin zu schaffen macht, um noch einen freundlichen Blick zu erhaschen und noch ein liebes Wort über vergangene Zeiten zu sprechen – wer empfindet nicht gegen ein solches Wesen ein Gefühl von beinahe kindlicher Zuneigung?

Ich habe mehrere Beispiele von Grabschriften auf den Leichensteinen so guter Dienstboten gefunden, welche ganz das einfache Gepräge der Wahrheit, des natürlichen Gefühls an sich tragen. Ich habe in diesem Augenblick zwei solcher vor mir; die eine ist von einem Grabsteine auf einem Kirchhofe in Warwickshire abgeschrieben:

»Hier ruhen die Gebeine Joseph Battes, des vertrauten Dieners von George Birch, Esq., von Hamstead-Hall. Sein dankbarer Freund und Gebieter ließ diese Inschrift zum Andenken an seine Bescheidenheit, Treue, seinen Fleiß und seine Mäßigkeit setzen. Er starb (unverheirathet) im 84sten Jahre, nachdem er 44 Jahre lang in derselben Familie gelebt hatte.«

Die zweite ist von einem Leichensteine auf dem Kirchhofe in Eltham entnommen:

»Hier ruhen die Ueberbleibsel des Hrn. James Tappy, welcher am 8. September 1818 im 84sten Jahre von diesem Leben schied, nachdem er 60 Jahre in einer Familie treu gedient; geehrt von jedem Mitgliede derselben; und im Tode betrauert von dem einzigen Ueberlebenden.«

Wenige Denkmäler, selbst unter den berühmten, haben mein Herz mit der freudigen Rührung erfüllt, welche mich durchdrang, als ich diese treuherzige Inschrift auf dem Kirchhofe zu Eltham abschrieb. Ich theilte die Gefühle dieses »einzigen Ueberlebenden,« der über dem Grabe des treuen Anhängers seines Geschlechts trauert, welcher ohne Zweifel eine lebendige Gedächtnißtafel aller vorübergegangenen Freunde und Zeiten gewesen war; und während ich dieses Denkmal langer und treuer Dienste betrachtete, fiel mir die rührende Rede des alten Adam in »Wie es euch gefällt« ein, wo er sagt, als er dem Sohne seines alten Herrn folgt:

»Gebieter, geh voran, ich folge gern,
In Lieb und Treue, bis ins Grab dem Herrn.«


Ich kann nicht umhin, hier noch einer Grabschrift zu gedenken, die ich irgendwo in der Kapelle des Schlosses von Windsor gesehen habe und welche von dem verstorbenen König zum Andenken an eine Dienerin des Hauses errichtet wurde, die eine treue Pflegerin seiner tief betrauerten Tochter, der Prinzessin Amalie, war. Georg III. besaß viel von dem innigen häuslichen Gefühle der alten englischen Landgutbesitzer, und es ist ein in der Geschichte der Grabdenkmale seltenes, und für das menschliche Herz ehrenvolles Beispiel, daß ein Monarch zu Ehren der stillen Tugenden eines Dienstboten ein Denkmal errichtet.

< Der geschäftige Mann
Die Wittwe >



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