Frei Lesen: Bracebridge Hall oder die Charaktere

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Washington Irving

Bracebridge Hall oder die Charaktere

Volksaberglauben

eingestellt: 28.7.2007





Ich habe des Hanges des Squires zu allem Wundersamen und seiner Vorliebe für Legenden und Geschichten erwähnt. Seine Bibliothek enthält eine merkwürdige Sammlung von alten Werken dieser Art, welche augenscheinliche Kennzeichen ihrer vielfältigen Benutzung an sich tragen. Bei seiner großen Liebe für alles was veraltet ist, hängt er an dem Volksaberglauben, und hört, mit der ernstesten Aufmerksamkeit, jede Erzählung an, wie sonderbar sie auch sein mag; so daß, durch sein Ansehen, sein ganzer Hausstand, ja die ganze Nachbarschaft, von wunderbaren Geschichten voll ist; und erhebt sich je ein Zweifel gegen irgend eine derselben, so wird der Erzähler in der Regel sagen: »der Squire denke, es sei etwas daran.«

Die Halle hat natürlich auch ihren Antheil daran, da gemeine Leute immer geneigt sind, ein großes veraltetes Gebäude dieser Art mit übernatürlichen Einwohnern auszustatten. Die finstern Gänge solcher alten Familienwohnungen; die großen, mit groteskem Schnitzwerk und verblichenen Malereien verzierten Zimmer; der ungewisse Widerhall in ihnen; das Heulen des Windes; das Geschrei der Raben und Krähen von den Bäumen und Schornsteinen; alles erregt eine Geistesstimmung, die den Glauben an übernatürliche Dinge begünstigt.

In einem Zimmer der Halle, einer Thür gerade gegenüber, welche auf einen finstern Gang geht, ist ein lebensgroßes Bild eines Kriegers in voller Rüstung; wenn ich das Bild unversehens zu Gesicht bekommen habe, wie es durch die dunkle Vertäfelung, auf der es hängt, stark hervorgehoben wird, bin ich mehr als einmal erschrocken, als ob es eine Gestalt wäre, die mir entgegenträte.

Bei abergläubigen Gemüthern, welche durch die sonderbaren melancholischen Geschichten, die mit Familienbildern in Verbindung stehen, vorbereitet sind, würde es daher, in einer mondhellen Nacht, oder bei dem flackernden Lichte einer Kerze, nur einer geringen Anstrengung der Einbildungskraft bedürfen, um die alten Bilder an den Mauern in Bewegung zu setzen, und in ihren Roben und mit ihren Schleppen durch die Gallerie wandeln zu lassen,

Die Wahrheit zu sagen, der Squire bekennt, daß er in jüngern Tagen ein Vergnügen daran gefunden, wunderbare Geschichten in Umlauf zu bringen, und sie mit den einsamen und verrufenen Orten in der Nachbarschaft in Verbindung zu setzen. So oft er irgend eine Legende anziehender Art las, suchte er sie zu verpflanzen und ihr auf dem Schauplatze seiner Kindheit eine örtliche Wohnung anzuweisen. Viele von diesen Geschichten faßten Wurzel, und er sagt, daß ihn die sonderbaren Gestalten oft Vergnügen gewähren, in denen sie in der Erzählung irgend einer alten Frau zu ihm zurückkehren, nachdem sie Jahre lang unter den Bauern in Umlauf gewesen sind und manche ländliche Zusätze und Verbesserungen erhalten haben. Zu diesen zählt er ohne Zweifel die von dem Geiste des Kreuzfahrers, deren ich in der Erzählung von meinem Besuche zu Weihnachten erwähnt habe, und die von dem wild reitenden Squire, dem Nimrod der Familie; den man zuweilen, in stürmischen Winternächten, mit Hund und Horn, über ein wüstes, einige Meilen von der Halle entferntes, Moor galoppiren hört. Diese Geschichte hat, glaub ich, ihren Ursprung in der berühmten Geschichte vom wilden Jäger gehabt, dem Lieblingsgespenst in deutschen Mährchen; wenn gleich, beiläufig gesagt, Meister Simon, als ich eines Abends mit ihm in der dunklen Allee über diesen Gegenstand sprach, zu verstehen gab, daß er selbst ein oder zwei Mal in der Nacht sonderbare Töne, wie die einer Kuppel von Hunden, in der Nähe gehört, und daß er einst, als er etwas spät von einem Jagdessen heimgekehrt sei, eine sonderbare Gestalt über eben dieses Moor habe galoppiren sehen; da er aber gerade scharf geritten sei, und eilig nach Hause gewollt habe, so habe er nicht angehalten, um sich zu vergewissern, was es war.

Der Volksaberglauben verschwindet in England schnell, was der allgemeinen Verbreitung der Aufklärung, und dem regen Verkehr, der im Lande herrscht, zuzuschreiben ist; indessen hat er noch immer seine starken Stützen und Schlupfwinkel, und eine abgelegene Gegend, wie diese, paßt sehr wohl dazu. Der Pfarrer hat mir erzählt, daß er manche, durch Ueberlieferung überkommene Meinungen und Begriffe unter den gemeinen Leuten gefunden, die er ihnen im Laufe der Unterhaltung abgehorcht hat, wenn sie gleich gegen Fremde damit zurückzuhalten pflegen, besonders gegen den »Adel,« der gern über sie lacht. Er sagt, daß es unter seinen ältern Pfarrkindern mehrere gebe, die sich der Zeit noch gar wohl erinnerten, als das Dorf seinen Grenzgast oder Grenzgeist hatte, ein Geist, der zu einer Stadt oder einem Dorfe gehören, und jedes bevorstehende Unglück durch mitternächtliches Geschrei und Klagen verkündigen soll. Er ließ sich zum letzten Male grade vor dem Tode des Vaters des Herrn Bracebridge hören, der in der ganzen Gegend sehr beliebt war; obgleich es nicht an einigen hartnäckigen Ungläubigen fehlte, welche behaupteten, es sei nichts mehr und nichts weniger, als das Geheul eines Kettenhundes gewesen. Mir hat es jedoch großes Vergnügen gemacht, noch einige Spuren meines alten Lieblings, des Kobolds, aufzufinden, wenn er gleich hier einen von seinen sonstigen Benennungen ganz verschiedenen Namen führt. Der Pfarrer versichert mich, daß viele von den Bauern auch an Hausgeister, Dobbies genannt, glauben, welche in besondern Meierhöfen und Häusern leben, wie sonst der Kobold that. Zuweilen spuken sie in den Scheunen und Wirthschaftsgebäuden umher, und stehen dann und wann dem Pächter wunderbar bei, indem sie sein Korn und Heu in einer einzigen Nacht einbringen. Gewöhnlich jedoch halten sie sich im Hause selbst auf, und haben es gern, bei dem großen Heerde zu ruhen, und sich, nachdem die Hausbewohner zu Bett gegangen sind, an der glühenden Asche zu wärmen. Wenn die Wärme ihres Aufenthalts und die Flinkheit der Dienstmädchen sie in besonders gute Laune versetzt hat, überwinden sie wohl ihre natürliche Trägheit, und thun einen großen Theil der Hausarbeit bis zum Morgen; butternd, brauend oder den sämmtlichen Flachs der ehrlichen Hausfrau spinnend. Alles dies thut aber auch der Kobold, wie es Milton so schön beschreibt.

Wie um den Milchkrug, ihm bereitet,
Der Kobold flink sich abarbeitet,
Wenn er das Korn in einer Nacht,
Was zehn nicht so zu Stand gebracht,
Gedroschen hat mit eigner Hand;
Der Kobold-Diener nun am Rand
Des Heerds behaglich sinket nieder,
Und wärmet seine rauhen Glieder,
Und aus der Thüre eilig springt,
Bevor der Hahn sein Frühlied singt.


Aber außer diesen Hauskobolden gibt es noch andere von düsterer und ungeselligerer Natur, die sich um einsame Scheunen in einiger Entfernung vom Wohnhause, oder bei Trümmern und alten Brücken aufhalten. Diese sind voll von bösartigen und oft boshaften Ränken, und spielen den Reisenden, die von der Nacht überfallen worden sind, gern arge Streiche. Es gibt unter den alten Leuten eine Geschichte von einem Dobbie, der eine verfallene Mühle, dicht bei einer über einen kleinen Fluß gehenden Brücke, inne hatte, und einst spät in der Nacht, als ein Reisender zu Pferde vorüber kam, hinter ihm aufsprang, und ihn so fest um den Leib faßte, daß dieser sich gar nicht helfen konnte, sondern jeden Augenblick erwartete, zu Tode gedrückt zu werden: glücklicherweise waren seine Fersen frei, und mit diesen bearbeitete er die Seiten seines Pferdes, das ihn, mit dem wunderbaren Instincte des Pferdes eines Reisenden, gerade nach der Dorfschenke trug. Wäre die Schenke etwas weiter gewesen, so würde er ohne Zweifel erdrückt worden sein; so wie es mit ihm war, brauchten die guten Leute lange Zeit, um ihn wieder zur Besinnung zu bringen, und das erste Zeichen des zurückkehrenden Bewußtseins war, daß er nach einem Glase Branntwein verlangte.

Diese bösartigen Dobbies haben viel Aehnlichkeit in ihrer Art und Weise mit den Geistern, welche Heywood in seiner »Hierarchie« Gnomen oder Kobolde nennt:
                          – Ihre Wohnungen sind
In Winkeln alter Häuser, die man scheut,
In Holzbehältern, und daraus zerstreut
Hört man in Butterkammern laut sie gehen:
Kobolde nennt man bald sie und bald Feen.
In stillen Zimmern könnt ihr oft sie hören,
An Thüren klopfen, Leut im Schlafe stören,
Bald ists, als ob das stärkste Schloß jetzt sprang,
Bald lärmen toll sie ganze Nächte lang.
Die Töpfe, Gläser, Teller, Messer, Kessel
Lassen sie tanzen auf der Bank, dem Sessel,
Als läge alles in der Küche quer,
Und doch ist Morgens alles wie vorher.
Die Häuser haben Andre sich erkürt,
In denen schlimme Morde einst vollführt,
Und Andern wills in solchen nur gefallen,
Die abgelegen, unbesucht, verfallen.


Bei der Erzählung von unserer unglücklichen Falkenjagd, erwähnte ich des Beispiels eines dieser Geister, der die zertrümmerte Scheune bewohnen soll, die auf der einsamen Wiese steht und ein merkwürdiges Echo hat. So erzählte mir der Pfarrer auch, daß man einst allgemein geglaubt habe, es verweile ein Haus-Dobbie in der Nachbarschaft des alten Pächterhauses der Tibbets. Schon seit langer Zeit behauptet man, daß einer dieser gutmüthigen Kobolde sich zu der Familie der Tibbets halte, und mit ihnen gekommen sei, als sie nach diesem Theile des Landes gezogen; denn es ist eine von den Eigenthümlichkeiten dieser Hausgeister, daß sie sich an das Schicksal gewisser Familien anschließen, und diesen bei allen ihren Wanderungen folgen.

Es ist in dem Pächterhause ein großer, altmodischer Kamin, der für einen Kamin-Kobold, welcher gern warm liegt, einen trefflichen Raum abgibt; vorzüglich da Hans Baargeld in der Winterzeit tüchtige Feuer hält. Die alten Leute im Dorfe erinnern sich mancher Geschichten von diesem Kobold, welche in ihren jüngeren Tagen in Umlauf waren. Man glaubte, daß er Glück in das Haus gebracht habe, und der Grund sei, weßwegen die Tibbets immer in der Welt voran waren, und warum ihr Grundstück immer in besserer Ordnung, ihr Heu früher eingefahren, und ihr Korn besser gesetzt gewesen wäre, als das ihrer Nachbarn. Die gegenwärtige Frau Tibbets hatte, als ihr Gatte um sie freite, von ihren Gevatterinnen sehr viele von diesen Geschichten gehört, und sie fürchtete sich, als sie heirathete, nicht wenig, in einem Hause zu wohnen, worin ein solcher Kobold sich umtreiben sollte; Hans aber, der diese Geschichten immer sehr verächtlich behandelt hat, versicherte sie, daß in seinem Hause kein Geist wäre, den er nicht, zu jeder Zeit, durch einen Schlag mit seinem Knüttel in das rothe Meer jagen könnte. Seine Frau hat indeß ihre Besorgnisse über diesen Gegenstand nie vollkommen besiegen können, sondern ein Hufeisen auf die Schwelle genagelt, und hat immer einen Zweig von Berg- oder Abreschen mit seinen rothen Beeren von einem der großen Balken im Wohnzimmer herabhängen, – ein sicherer Schutz gegen alle bösen Geister.

Diese Geschichten verlieren sich jedoch, wie schon erwähnt, schnell, und werden in dem nächsten, oder nächstfolgenden Geschlechte wahrscheinlich ganz vergessen sein. Es liegt jedoch in diesem ländlichen Aberglauben etwas ungemein Anziehendes für die Einbildungskraft; vorzüglich in demjenigen, was sich auf das gutmüthige Geschlecht der Hausgeister, und überhaupt auf die ganze Feenlehre bezieht. Die Engländer haben diesem Volksglauben einen unaussprechlichen Reiz durch die Art gegeben, wie sie ihn mit allem dem in Verbindung gebracht haben, was es Häusliches und Angenehmes im Leben, oder Erquickendes und Schönes in der Natur gibt. Ich kenne keine bezauberndere Gattung von Wesen, als diese kleinen fabelhaften Leute, welche sonst an den südlichen Abhängen der Hügel und Berge herumstreiften, in Blumen und bei Quellen hausten, durch das Schlüsselloch sich in alte Hallen stahlen, über Pachthöfe und Milchkammern wachten, im Sommer-Mondlicht auf der Wiese, und im Winter auf dem Küchenheerde tanzten. Sie scheinen mir mit dem Charakter englischer Haushaltung und englischer Gegenden in Harmonie zu sein. Ich habe sie immer vor mir, wenn ich ein schönes englisches Wohnhaus, mit seiner großen Halle und seiner geräumigen Küche erblicke; oder ein ehrwürdiges Pächterhaus, worin man so viele häusliche Bequemlichkeit und so gute Wirthschaft findet. Es lag etwas vom Volkscharakter in ihrer Liebe zur Ordnung und Reinlichkeit, in der Emsigkeit, womit sie über die Wirthschaft in der Küche und die Verrichtungen der Dienstboten wachten, die flinke Hausmagd durch einen silbernen Sixpence im Schuhe belohnend, oder ihren Groll durch mitternächtliche Schläge und Kniffe an der trägen Milchmagd auslassend. Ich glaube, ich kann die guten Wirkungen dieser alten Feen-Regierung noch in der Sorgfalt erkennen, mit der die englischen Hausmädchen, ehe sie zu Bett gehen, ihre Küche in Ordnung bringen.

Ich habe auch gesagt, daß dieser Feenglaube mir mit der Eigenthümlichkeit englischer Gegenden in Harmonie zu stehen scheint. Er paßt zu diesen niedlichen Landschaften, welche durch Geißblatthecken in kleine, abgezäunte Felder und Wiesen getheilt werden, wo das Gras mit Maßlieben, Butterblumen und blauen Glocken vermischt ist. Als ich mich zuerst in England auf dem Lande befand, kamen mir beständig die angenehmen idyllischen Bilder in den Sinn, welche ihre Feenlehre auszeichnen; und als man mir zum ersten Male einen Kreis im Grase als einen der Ringe zeigte, wo, wie man glaubt, die Elfen sonst ihre nächtlichen Tänze gehalten haben, schien es mir einen Augenblick, als ob das Feenland keine Fabel sei. Browne gibt, in seinen englischen Schäfergedichten ein Bild solcher Art Gegenden, von welchen ich hier spreche:
              – »Die grüne Wiese seht,
Wo Feen oft sich nach dem Takt gedreht;
So sah man ihre Kreise auf dem Grün,
Daß es von Kränzen hold umzogen schien.
Ein Hügel, den die Blumenring umziehn,
War oft der Sitz der Feen-Königin
Im Dämmerlicht.«


Ein anderes Bild davon ist in einem Gedicht enthalten, welches Ben Johnson zugeschrieben wird:
»An Quell und Bach, auf Wiesen grün
    Den Geisterreihn wir nächtlich schlingen,
Dem König und der Königin
    Wir Mondlicht-Lieder singen.«


Es scheint mir in der That, daß die älteren britischen Dichter, nach dem echten Gefühl für Natur, das sie auszeichnet, sich sehr genau an die einfache vertrauliche Bilderwelt gehalten haben, die sie in diesen Volkssagen vorfanden, und deßhalb in ihre Feenlehre diese beständigen Anspielungen auf das Pächterhaus und die Milchkammer, die grüne Wiese und die Quelle, verwebt haben, welche unsere Seele mit den herrlichen Bildern des ländlichen Lebens erfüllt. Man erstaunt, wenn man bemerkt, wie die schönsten Dichtungen ihren Ursprung unter den Rohen und Ungebildeten haben. Es liegt ein unbeschreiblicher Reiz in den Täuschungen, womit die chimärische Unwissenheit einst jeden Gegenstand bekleidete. Diese Dämmerungsansichten der Natur ziehen oft mächtiger an, als alle die, welche wir durch die Strahlen der aufgeklärteren Philosophie erhalten. Die gebildetsten und dichterischsten Gemüther sind daher gern in diese gelegentlichen Ansichten der sogenannten barbarischen Zeiten zurückgegangen, und haben aus ihnen ihre schönsten Bilder und Motive entnommen. Wenn wir unsere bewunderten Dichter durchgehen, werden wir finden, daß ihre Gemüther von diesen Volksbegriffen ganz erfüllt sind, und daß diejenigen das Gelungenste geliefert, die sich ganz an die Einfachheit der ländlichen Urbilder gehalten haben. Dies ist auch der Fall bei Shakspeare in seinem Sommernachtstraum, in welchem die Beschäftigungen und Vergnügungen der Feen so genau beschrieben werden, und wo alles das, was unter dem Volke über sie bekannt war, zusammengefaßt ist. So geschieht es, daß die Dichtkunst in England jeden ländlichen Ton, zu vollkommener Melodie geworden, wiedergibt; so geschieht es, daß sie ihre Reize über das Alltagsleben verbreitet hat, alles an seiner Stelle lassend, die Dinge nehmend, wie sie sie findet, aber sie mit den ihr eigenen Zaubertinten verklärend, bis jeder grüne Hügel und jede Quelle, jede frische Wiese, ja jede niedere Blume, voll von Gesang und Sage ist.

Ich habe vielleicht zu lange bei einem abgenutzten Gegenstande verweilt; dennoch bringt er tausend köstliche Erinnerungen aus den glücklichen Tagen der Kindheit mit sich, wo das wenige Wissen, welches ich seitdem gewonnen habe, in meinem Geiste noch nicht aufdämmerte, und wo ein Feenmährchen für mich eine wahre Geschichte war. Ich bin durch die Freude an diesen Erinnerungen oft so außer mir gewesen, daß ich beinahe gewünscht hätte, ich wäre noch in den Tagen geboren worden, wo man an die Täuschungen der Dichtkunst wirklich glaubte. Selbst jetzt kann ich diese phantastischen Schöpfungen der Unwissenheit und Leichtgläubigkeit nicht betrachten, ohne ein heimliches Bedauern darüber zu empfinden, daß sie alle vorüber gegangen sind. Die Erfahrung meiner frühern Tage lehrt mich, daß sie Quellen des größten Vergnügens waren; und ich frage mich zuweilen, ob der Naturforscher, welcher die Blumen des Feldes zergliedert, die Hälfte von dem Vergnügen bei ihrer Betrachtung empfindet, das der genoß, welcher sie als die Wohnungen von Elfen und Feen ansah. Ich fühle mich überzeugt, daß das wahre Interesse und die wirkliche Glückseligkeit des Menschen durch die Ausbreitung der Wahrheit befördert werden; allein ich kann nicht umhin, über die angenehmen Irrthümer zu trauern, die sie bei ihren Fortschritten in den Staub getreten hat. Die Faunen und Sylphen, der Hausgeist, der Mondschein-Tanz, Oberon, die Königin Mab und das herrliche Feenreich, alles dieß verschwindet vor dem Lichte der wahren Philosophie; aber wer wendet sich nicht manchmal mit Widerwillen von der kalten Wirklichkeit des Morgens ab, und wünscht die lieblichen Gesichte der Nacht zurück?

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